Dankbar rückwärts, mutig vorwärts, gläubig aufwärts

In Bayern begeht man in diesem Jahr den einhundertsten Geburtstag von Franz Josef Strauß. Für viele, die in der heutigen Politik eine starke konservative Stimme vermissen, gilt er als Idol der guten alten Zeit. Doch das stimmt nur zur Hälfte.


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Es gibt Studien, nach denen Konservative sich im Durchschnitt glücklicher fühlen als Menschen anderer politischer Einstellung, weil sie mit der Welt, wie sie ist, und der eigenen Stellung in ihr, im großen und ganzen jedenfalls, zufrieden sind. Ein solcher Zufriedenheitskonservativer war Franz Josef Strauß nie; konnte es rein soziologisch gesehen auch niemals sein.

Strauß wuchs in sehr einfachen Verhältnissen auf. Die Großeltern waren kleine Bauern vom Land; Vater FJS senior und Mutter Walburga betreiben eine kleine Metzgerei in der Schellingstraße. Das Einkommen reicht gerade zum Überleben. Urlaub gibt es nicht. Die Kinder müssen mit anpacken. Lebensperspektive für den jungen Franz, wie er verkürzt gerufen wird, ist dereinst die Übernahme des väterlichen Geschäfts; mehr kaum. Anders als bei den Industriearbeitern ist der Geist der Familie aber nicht sozialdemokratisch, sondern streng katholisch und königstreu. Gegen die stürmischen Bewegungen im München der 1920er, Nazis, Kommunisten, schirmt das ab. Parteimitglied wird man nirgendwo.

Der katholische Kulturkonservatismus öffnet Franz auf unerwartetem Weg die Chance zum Aufstieg. Einem Geistlichen fällt das selbsterlernte Latein des jungen Ministranten auf; der Gang auf die höhere Schule wird empfohlen. Der Vater lässt sich nach einigem Zureden überzeugen. Zu sehr zeigt sich die grandiose Begabung des Jungen; dazu natürlich, Talent allein genügt ja nicht, auch Wissbegierde, Lernfleiß, Tüchtigkeit. Sein Abitur wird das beste des Jahrgangs in ganz Bayern; sein Staatsexamen später das beste seit Jahrzehnten. Konservativ an ihm ist damals vor allem die Liebe zum Alten. Latein, Griechisch, Geschichte sind die bevorzugten Fächer. Das Universitätsstudium, per Stipendium ermöglicht, will er abschließen, um Lehrer zu werden.

Auf Umwegen in die Politik

Hitlers Krieg kommt dazwischen. In der Familie hat man es geahnt; Strauß zum Kraftfahrer sich ausbilden lassen, um für die „Deppen“ des Regimes nicht zu Fuß durch Europa marschieren zu müssen. Seine andere Seite, die Begeisterung für Geschwindigkeit und Technik, Radfahren, Motorrad, Automobil, zeigt sich in diesen Jahren. Leutnant Strauß verschlägt es an den Atlantik und dann nach Osten bis vor Stalingrad. Erfrierungen führen ihn zur Genesung zurück in die Heimat; später wird er dort Ausbilder bei der Luftabwehr. Er äußert sich zunehmend defätistisch; in aktiven Widerstand über geht das in den letzten Kriegstagen, als er seine jungen Lehrgangsteilnehmer entlässt, statt sie im Kampf zu verheizen, und eine Deserteurserschießung durch die SS verhindert.

Da er unbelastet ist und leidlich Englisch spricht, ernennen ihn die Amerikaner zum stellvertretenden Landrat von Schongau. Über die Verwaltung rutscht Strauß in die Politik hinein, wird Mitbegründer der CSU als gesamtchristlicher Partei in Bayern, unterstützt, volkswirtschaftlich vorgebildet, Ludwig Erhard im Frankfurter Wirtschaftsrat und wird 1949 in den ersten Bundestag gewählt. Dort zeigt sich sein enormes Redetalent; er erarbeitet sich bald ein Renommee in der Außen- und Sicherheitspolitik. Kanzler Adenauer braucht eine Weile, um die passende Verwendung für den wortgewaltigen Bayern zu finden, der sich kraft überragender Intelligenz rasch in unterschiedlichste Aufgaben einarbeiten kann. Zunächst wird Strauß Minister für besondere Aufgaben, dann – seinem Technikinteresse entgegenkommend – für Atomfragen und schließlich, mit einundvierzig Jahren, Verteidigungsminister mit dem Auftrag, aus dem Stand ein Heer von fünfhunderttausend Mann als deutschen Wehrbeitrag im Kalten Krieg aufzubauen.

Das Feindbild

Strauß bewältigt die Herkulesaufgabe, etwas langsamer als erhofft, aber erfolgreich. Dennoch fällt in den sechs Jahren im Amt ein Schatten auf seine Laufbahn; durch einige unglückliche Investitionsentscheidungen wie den berüchtigten Starfighter, zahlreiche Affären und Korruptionsvorwürfe.

Wieviel daran wirklich war, ist heute noch umstritten. Rudolf Augstein, Straußens Intimfeind vom SPIEGEL, sandte Heerscharen von Rechercheuren aus; Privatleute, Opfer des Straußschen Systems, wie der Finanzbeamte Schlötterer, schlossen später sich mit Büchern an. Gerichtsfest nachgewiesen worden ist am Ende wenig. Freilich bleibt der im katholisch-konservativen Milieu nicht ganz unübliche Eindruck einer latenten Nähe zum Mafiösen.

Das allein ist es aber nicht. Strauß gilt inzwischen als größtes Talent in Reihen der CDU/CSU und als aussichtsreicher Kandidat, den alten Adenauer in nicht gar zu ferner Zukunft zu beerben. Für die sozialdemokratischen Politiker und Publizisten wird er damit zum Hauptgegner; die Neutralen aber stoßen sich am aufbrausenden Wesen und der Reizbarkeit des Sozialistenfressers, die seinen scharfen Intellekt mitunter überwältigen. Die Feindschaft ist beidseitig. Strauß hasst und wird gehasst, beleidigt und wird beleidigt. Wie immer in solchen Dingen ist kaum zu sagen, was am Anfang stand, wer wen zuerst provozierte, wer in der Reaktion überzog. In der Eskalation der Tonlage freilich trieben es die Straußgegner zum Ende deutlich weiter.

Den Gipfel erreichte das traurige Schauspiel im Wahlkampf 1980, in dem die deutsche Intelligenz auf ein Niveau herunterkam wie seit dem Krieg nicht mehr. Anti-Strauß-Kampfschriften wurden herausgegeben, in denen namhafte und weniger namhafte Autoren sich in Lügen und Halblügen und Stasi-genährter Propaganda überboten. Von Hass und Niedertracht triefende Dokumente, in denen Strauß zum Kriegstreiber, Menschenverächter, Hitlerwiedergänger oder Klerikalfaschisten erklärt wurde, mit dessen Wahlsieg – mindestens – Atomkrieg und Weltuntergang unausweichlich bevorstünden. Wenige entzogen sich dem Gruppenzwang wie der aufrechte Golo Mann, immer mit dem Herzen bei den Underdogs, auf die alle einschlugen; für den Historiker waren das die Sozialdemokraten in der Kaiserzeit und unter Adenauer gewesen, nun sein bayerischer Landesvater. Das Renommee schützte ihn nicht; auch er bezog nun Prügel.

Das Strauß-Bashing schwankte ungefähr damit, wie gut seine Aussichten auf den Posten des Regierungschefs in Bonn waren; mit dem Finanzminister und später bayerischen Ministerpräsidenten ging man pfleglicher um als mit dem Adenauer-Kronprinzen und Kanzlerkandidaten. In Summe gilt aber wohl: Kein demokratischer Politiker im Nachkriegsdeutschland wurde so geschmäht wie Franz Josef Strauß.

Das Idol

Gleichzeitig erfuhr keiner so viel Verehrung. In Bayern und auch darüber hinaus, bei denen, die der CSU als konservativerer Unionsschwester mit Sympathie gegenüberstanden. Strauß überzeugte. Die Bundestagsdebatten sind legendär; ebenso die Bierzeltreden, stundenlang, mit hochrotem Kopf, durchschwitztem Hemd und hochgekrempelten Ärmeln. Gerade auch die einfachen Leute folgten ihm. Trotz der Fremdworte und Zitate in toten Sprachen, die der altphilologisch vorbelastete Redner immer wieder einflocht. Er kam selber aus dem Volk; er war authentisch.

In der kollektiven Erinnerung bleibt er vor allem der Landesvater. Nach dem Kalender gerechnet ist das eine optische Täuschung. Ministerpräsident war er nur die letzten zehn Jahre; viel kürzer als seine Zeit in Bonn, als Abgeordneter, Minister, Oppositionspolitiker. Goppel vor ihm und Stoiber nach ihm amtierten länger. Die Wahrnehmung hängt mit seinem Tod im Amt zusammen und auch damit, dass er als CSU-Vorsitzender durch drei Jahrzehnte Bayerns Gesicht nach außen bildete, gleich, wer in München gerade das Kabinett führte.

Verabschiedet wurde er, wie Golo Mann richtig feststellte, wie ein König oder Prinzregent. Mit dem größten Trauermarsch, den München seit Ende der Monarchie erlebt hatte. Kardinal Ratzinger eilte aus Rom herbei und zelebrierte die Beisetzung. Neben vielen würdigen Worten fand der spätere Papst eine treffende Beschreibung für Straußens konservativ-fortschrittliches Wesen. „Er war kein Mann jener aufgeblasenen Aufklärerei, die da meint, erst mit uns beginne überhaupt die Vernünftigkeit, und die denkt, im Laboratorium der Ideologien ließe sich die chemisch reine bessere Welt produzieren. Er wusste, dass wir in der Geschichte stehen und dass nur wachsen kann, was Wurzeln hat. Deswegen hat er sich bemüht, die Geschichte zu verstehen, in ihr zu unterscheiden, sie zu lieben und zugleich auch zu überwinden, was in ihr zu überwinden ist.“

Was bleibt

Früher gründeten große Männer Dynastien, um ihrem Werk etwas über ihren Tod hinaus Bleibendes zu geben. Das demokratische Funktionsäquivalent hierzu sind Parteien. Straußens Vermächtnis ist daher weniger eine Summe politischer Einzelerfolge; es ist eine Organisation.

Die CSU prägte er über vierzig Jahre lang: als Mitbegründer, Generalsekretär, Stellvertreter und Vorsitzender. Ihre Ausnahmestellung als ewige Regierungspartei in Bayern, die in den 1940ern und 1950ern durchaus nicht selbstverständlich vorgegeben war und die seine Nachfolger mit wachsender Mühe bis heute verteidigen, ist wesentlich sein Werk.

Ein konservatives Werk, im Kern? Wenn Strauß auch zum Idol ansonsten politisch heimatloser Konservativer wurde, kann die CSU als Mehrheitspartei doch nicht konservative Klientelpartei sein. Konservativ war und ist sie nur insofern, als das bayerische Lebensgefühl an sich konservativ ist.

Das aber ist zunehmend im Schwinden; mitbedingt durch Straußens Politik selbst. Der Konservative marschiere an der Spitze des Fortschritts, gab er einmal als Parole aus. Das war wissenschaftlich, technisch, industriell, ökonomisch gemeint; aber natürlich wandelt Gesellschaft sich mit. Bayern entwickelte sich unter Strauß vom Agrarstaat zum Wissenschafts- und Industriestandort – durch geschickte Wirtschaftspolitik, von Atomforschung über Automobilherstellung und Airbus bis hin zur Infrastruktur; auch, warum es verschweigen, durch hemmungslose Nutzung von Bundesmitteln für bayerische Interessen. Aber mit der Entwicklung folgte es auch dem allgemeinen Trend, wurde städtischer, mobiler, säkularer, wuchs durch Zuwanderung von Menschen, die wenig von der alten bayerischen Lebenswelt mitbrachten und aufnahmen. Wodurch die bayerische Eigenidentität langsam zur Folklore herabzusinken droht. So ist aus konservativer Sicht die Lebenstragik des Franz Josef Strauß weniger, ein bestimmtes Amt nicht erlangt zu haben. Sie ist vielmehr die Tragik des Erfolgs.

 

Zum Weiterlesen

Wilfried Scharnagl: Mein Strauß. Staatsmann und Freund. ars una Verlag, 2008, 303 S.


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