Es geht zur Sache

Durch die Vorschläge der Bundeswehrstrukturkommission tritt die Diskussion um die Zukunft der Streitkräfte in eine neue Phase. Mit einer Aussetzung der Wehrpflicht und einer Reduzierung der Truppenstärke alleine ist es nicht getan; Strukturen müssen sich ändern, damit weniger tatsächlich mehr sein kann. Deutlich wird vor allem eines: Verteidigungsminister Freiherr zu Guttenberg hat noch viel Arbeit vor sich.


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Frank-Jürgen Weise hat Erfahrung mit Großorganisationen. Den Umbau der Bundesagentur für Arbeit hat der 59jährige Betriebswirt aus Hessen im Rahmen der Hartz-Reformen erfolgreich und zur überparteilichen Zufriedenheit durchgeführt. Und die Bundeswehr kennt er als Reserveoffizier ebenfalls zur Genüge. Dadurch und durch die ungewöhnliche Zusammensetzung seiner Kommission, überwiegend mit externen Zivilisten und ohne Rücksicht auf Partei- oder Teilstreitkräfteproporz, konnte man sich einige interessante Einsichten erhoffen; umgekehrt musste der Minister, der sie ins Leben rief, auch mit unbequemen Vorschlägen rechnen. Mit dem Konzept, das innerhalb eines guten halben Jahres entstand und nun diskutiert wird, wurden diese Erwartungen erfüllt. Es zeigt vor allem: Bevor er nach höheren Ämtern streben kann, hat der junge Minister im eigenen Hause noch viel mühsame politische Handwerksarbeit vor sich.

Zwei Vorschläge haben besondere Brisanz. Erstens: die drastische Reduzierung der Verwaltung. Und zweitens die als nötig angesetzte Truppenstärke, deutlich höher als im bisher präferierten Entwurf des Generalinspekteurs Wieker vorgesehen. Beides hat eine gewisse Logik. Denn einerseits sind die Verwaltung, die Stäbe und übrigens auch die höheren Dienstgrade zahlenmäßig keineswegs proportional mit der Truppe geschrumpft, die in den letzten zwanzig Jahren die Hälfte ihrer Mannstärke verloren hat. Und andererseits wird auch eine modernisierte Bundeswehr keine reinen Drohnenkriege mit wenigen Technikexperten führen. Gerade die Stabilisierungseinsätze im Ausland können nur mit massiver Präsenz in der Fläche erfolgreich sein; dafür benötigt die Armee aber eine hinreichende Zahl infanteristischen Personals, zumal durch das Rotationsprinzip immer ein Vielfaches der aktuell eingesetzten Truppen benötigt wird.

Geht er diese Aufgaben an, so wird sich Guttenberg nicht nur Freunde damit machen. Sein Ministerium zu halbieren wird viele verdiente Beamte von ihrem Schreibtisch vertreiben. Das Haus, ohnehin schon zeitweise vergrätzt wegen der rüden Entlassung von General Schneiderhan und Staatssekretär Wichert im letzten Jahr, könnte in passiven Widerstand treten – eine tödliche Gefahr für einen auf funktionsfähige Apparate angewiesenen Minister. Und eine höhere Truppenstärke wird im Rahmen des engen Budgets nur durch harte betriebswirtschaftliche Effizienz möglich sein – was vor allem die Konzentration auf rentable Großstandorte einschließen muss. Damit würde der CSU-Politiker vor allem die vielen Standorte in seinem eigenen Bundesland infrage stellen, denen er, um die Zustimmung seines Parteivorsitzenden zur Wehrpflichtaussetzung zur erkaufen, bereits halb und halb Schonung zugestanden hat. Protestierende Bürgermeister und Dorfbewohner, die ihre örtliche Kaserne plötzlich lieb gewinnen, wenn die Kaufkraft abzuwandern droht, könnten den Jungstar am politischen Himmel einen guten Teil einer Popularität kosten.

Und weitere Baustellen warten. Das Projektmanagement bei den großen Beschaffungsvorhaben gleicht einer offenen Flanke. Neues technisches Gerät für die Truppe braucht regelmäßig doppelt so lange wie geplant, wird doppelt so teuer, hat dafür aber nur die Hälfte der geforderten Fähigkeiten. Der Eurofighter, der ursprünglich einmal Jäger 90 heißen sollte, ist nur das bekannteste Beispiel; bei jedem einfachen gepanzerten Fahrzeug wiederholt sich regelmäßig das gleiche Trauerspiel. Gravierende Managementprobleme dieser Art sind nicht mit einem Fingerschnippen abzustellen; zumal viele Altprojekte noch am Laufen und wegen der ungünstigen Vertragskonditionen auch nicht zu akzeptablen Kosten einfach abzubrechen sind.

Bei Lichte betrachtet steckt freilich nicht nur in der Beschaffung von Großgerät, wo es bereits viel internationale Abstimmung gibt, noch einiges Potential, sondern auch im Betrieb. Ob etwa Deutschland, Belgien und die Niederlande nicht eine gemeinsame Fregattenflottille betreiben könnten und ob Österreich wirklich eine eigene Luftwaffe braucht, sind Fragen, die ernsthaft diskutiert gehören. Viel geistigen Provinzialismus, aber natürlich auch die Interessen der jeweiligen nationalen Rüstungsindustrien gilt es dabei zu überwinden, will man zu einer effizienten und damit schlagkräftigen Truppe kommen und einer wirklich europäischen Außen- und Sicherheitspolitik.

Alles in allem durchzieht die Wehrpolitik ein Interessengeflecht, das an Komplexität den Lobbystrukturen im Gesundheitswesen nahe kommt. Viele Tretminen liegen auf dem Weg eines engagierten Reformers, manche offen, manche versteckt. Erweist Freiherr zu Guttenberg sich als solcher, bringt er diese Reform also erfolgreich und möglichst unumkehrbar auf den Weg – mehr wird er in einer normalen Amtszeit nicht erreichen können –, so wird er sich damit für alle politischen Ämter qualifiziert haben. Scheitert er oder wird er vorzeitig wegbefördert, droht die Bundeswehr dauerhaft eine unfertige Baustelle zu bleiben.


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