Jüdisch-christlich?

„Jüdisch-christliche, abendländische Kultur“ ist ein Modewort für Sonntagsreden geworden, besonders gerne in Integrationsdebatten verwendet. Aber was verbirgt sich hinter dem Schlagwort? Das Zusammenleben von Christen und Juden in Europa hat eine lange und verwickelte Geschichte.


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Mit dem sefardischen Judentum im Einflussbereich des Islam, das die Traditionen des babylonischen Judentums fortsetzte, und dem aschkenasischen Judentum in den Ländern nördlich der Alpen, in dem sich bald bedeutende Zentren jüdischer Gelehrsamkeit herausbildeten, entstanden im frühen Mittelalter zwei jüdische Strömungen mit jeweils eigenständiger religiöser Tradition und Kultur. Die Bezeichnungen beider Zweige des Judentums fußen auf biblischen Ortsnamen. Die Ortsbezeichnung Sefarad (Obd 20) wurde von der mittelalterlichen jüdischen Bibelexegese mit der Iberischen Halbinsel identifiziert, das biblische Eponym Aschkenas (Gen 10,3) als hebräische Bezeichnung für Deutschland verwendet.

Sefardische und aschkenasische Juden unterscheiden sich bis heute durch ihre unterschiedlichen religiösen Traditionen und durch liturgische Formen, Gebete, Melodien und Aussprachetraditionen des Hebräischen. Die aschkenasische Tradition ist vor allem im Kulturbereich der mittel- und osteuropäischen Gemeinden lebendig. Gegenwärtig sind ca. 80 % der Juden weltweit Aschkenasim. Bedeutende sefardische Gemeinden gibt es heute vor allem in den USA, Israel, Frankreich und England.

Südeuropa

Das beginnende 2. Jahrhundert n. Chr. bedeutete für das antike Judentum eine massive Umwälzung der religiösen und kulturellen Verhältnisse. Nach der Vernichtung der einstmals blühenden jüdischen Gemeinde Alexandrias im Hadrianischen Krieg erholte sich das ägyptische Judentum nie wieder von dieser Katastrophe. Auch in Judäa war das jüdische Leben nach den Aufständen gegen Rom im 2. Jahrhundert nahezu erloschen. Die prekären Lebensbedingungen nötigten große Teile der jüdischen Bevölkerung zur Flucht in die Länder der Diaspora. Nicht wenige folgten den Römischen Legionen bis an die nördlichen Ränder des Römischen Reichs. Wo in der Spätantike römische Garnisonen lagen, waren in der Regel auch Juden.

Bereits als römische Bürger hatten sich zahlreiche Juden im Gebiet des heutigen Spaniens und Portugals angesiedelt. Auch nach der arabischen Invasion Südspaniens zu Beginn des 8. Jahrhunderts kamen viele Juden zusammen mit den maurischen Eroberern auf die iberische Halbinsel. Unter muslimischer Herrschaft begann hier eine mehrere Jahrhunderte andauernde kulturelle Blütezeit für das Judentum des Westens. Der „Omar-Vertrag“ setzte indes seit dem 8. Jahrhundert den begrenzten rechtlichen Status dieser jüdischen Minorität fest. Juden mussten eine besondere Kopfsteuer zahlen und waren zu Einschränkungen in der Lebensführung gezwungen, die die Überlegenheit des Islam zum Ausdruck bringen sollten.

Die gesprochene und geschriebene Sprache der sefardischen Juden wurde das Judenspanische, das altspanische, arabische und hebräisch-aramäische Elemente in sich vereint. Judenspanisch ist bis heute für die Sefardim, was Jüdischdeutsch bzw. Jiddisch für die Aschkenasim ist. Noch heute existieren in Griechenland und in der Türkei kleinere Sprecherkreise des Judenspanischen.

Im Jahre 1492 erließ Ferdinand II. von Aragón die Anordnung, dass jeder spanische Jude sich entweder taufen lasse oder Kastilien und Aragón unverzüglich zu verlassen habe. Hunderttausende sefardische Juden flohen von der iberischen Halbinsel entweder in den islamisch dominierten Raum oder nach Norden, in die Niederlande, nach Belgien und Norddeutschland. Spanischstämmige sefardische Juden aus Amsterdam gehörten auch zu den ersten Siedlern in den holländischen Kolonien in der Neuen Welt.

Mitteleuropa

Auch die ältesten Zeugnisse einer jüdischen Ansiedlung im rheinischen Raum reichen zurück bis in die Römerzeit. Zwei Dekrete Kaiser Konstantins aus den Jahren 321 und 331 belegen die Anwesenheit von Juden in der römischen Siedlung Colonia Agrippina (Köln). Erste jüdische Gemeinden entstanden auch in anderen von den Römern gegründeten Städten an Rhein und Mosel. Entlang der großen Verkehrswege breitete sich das Judentum bald auch bis nach Frankreich und Flandern aus.

Nach dem 5. Jahrhundert versiegen die Quellen für eine dauerhafte Präsenz von Juden in Deutschland. Erst vier Jahrhunderte später entstanden hier wieder jüdische Ansiedlungen und erst seit dem Ende des 10. Jahrhunderts ist ihr kontinuierlicher Bestand nachweisbar. Romanische Namen auf den ältesten Grabsteinen belegen, dass diese Zuwanderer vor allem aus Südeuropa kamen.

In den europäischen Nachfolgestaaten des Weströmischen Reiches war die Situation des zahlenmäßig unbedeutenden Judentums zunächst recht stabil; Zwangsmaßnahmen waren selten. Viele Stadtherren erhofften sich von der Ansiedlung jüdischer Kaufleute einen wirtschaftlichen Aufschwung und höhere Steuereinnahmen. Unter den fränkischen Königen wurden immer wieder einzelnen Juden Privilegien zugestanden, jedoch nicht aus „Toleranz“, sondern nur weil und wenn man sie brauchte. Auch in der Zeit Kaiser Karls des Großen sah man in den Juden vor allem nützliche Förderer der Wirtschaft. Kaiser Ludwig der Fromme erließ Schutzzusicherungen an einzelne prominente Juden, die den Privilegienträger dazu berechtigten, sich unmittelbar an die kaiserliche Gerichtsbarkeit zu wenden. Auch unter der Herrschaft der Ottonen und Salier blieb ihre Situation noch weitgehend stabil. Es entstanden und wuchsen jüdische Niederlassungen entlang der bedeutenden Verkehrs- und Handelswege in den dünn besiedelten Norden und Osten Europas. Das gleichzeitige rasche Bevölkerungswachstum in Deutschland und die einsetzende Wanderungsbewegung in die neu erschlossenen Gebiete des europäischen Ostens schlossen auch zahlreiche Juden mit ein.

In den Nachfolgestaaten des Weströmischen Reichs blieb auch der christliche Druck auf das Judentum bestehen. Das Christentum instrumentalisierte die traditionelle Judenfeindschaft, wie sie in der gehässigen Bezeichnung der Juden als „Christusmörder“ zum Ausdruck kommt, in immer stärkerem Maße zur Selbstdefinition. Der zunehmende Einfluss der christlichen Religion auf alle Bevölkerungsschichten begünstigte eine anwachsende judenfeindliche Stimmung, zumal die vorwiegend agrarisch geprägte Gesellschaft in den Gebieten des heutigen Deutschland die Juden anfangs überwiegend als „fremde“ Fernhändler wahrnahm, obwohl Juden selbstverständlich auch Äcker und Weinberge bewirtschafteten, Mühlen oder Salinen betrieben. Die ersten judenfeindlichen Bestimmungen wurden erlassen. Bereits unter den Karolingern schrieben Gesetze fest, dass Juden während der Passions- und Osterzeit der Aufenthalt unter Christen verboten ist.

Aus jüdischer Sicht waren die Gemeinden im Nordwesten Frankreichs mit den Gemeinden im westlichen Deutschland eine Einheit: das aschkenasische Judentum. Lebten Anfang des 11. Jahrhunderts nur ca. 5000 aschkenasische Juden im Deutschen Reich, so waren es einhundert Jahre später bereits ca. 20.000. In den Bischofssitzen Mitteldeutschlands (Magdeburg, Merseburg) und vor allem in den alten Rheinstädten Speyer, Worms und Mainz entwickelten sich bedeutende wirtschaftliche und intellektuelle Zentren des europäischen jüdischen Lebens. In den Städten entstanden jüdische Wohnviertel, die allerdings anfangs weder baulich von den umliegenden Wohngebieten der Christen abgegrenzt noch rein jüdisch besiedelt waren. Die hier ansässigen Gemeinden hatten eigene Verwaltungen, interne Gerichtsbarkeiten und eigene Vertretungen gegenüber der Stadtobrigkeit. Da keine übergeordnete Leitungsinstanz existierte, waren die einzelnen Gemeinden prinzipiell voneinander unabhängig.

Die im mittelalterlichen Deutschland einsetzende jüdische Siedlungskonzentration erfolgte zunächst ohne Zwang von außen. Wenn um den jüdischen Wohnbezirk eine Mauer gezogen wurde, wie 1084 in Speyer, so geschah das zum Schutz der Juden. Mehrheitlich von Juden besiedelte Wohngebiete erleichterten den örtlichen Gemeinden die ungestörte Religionsausübung und schützten zugleich vor der Assimilation an die nichtjüdische Umwelt.

Der Sozialverband der mittelalterlichen jüdischen Gemeinden war zugleich Solidargemeinschaft und Kontrollinstanz; hier wurden Feste gefeiert und Gericht gehalten und hier fand die Sozialisation der jüdischen Kinder statt. Jeder religiös volljährige Jude ging zweimal am Tag in die Synagoge zum gemeinschaftlichen Gebet. Eines der grundlegenden Prinzipien der Autonomie dieser Gemeinden war das Recht ihrer Mitglieder, bestimmte interne Rechtsstreitigkeiten auf der Grundlage des Talmuds und der Tora zu klären und sich hier nur vor den eigenen Richtern und Gerichten verantworten zu müssen. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts wurde dafür zunehmend die Einrichtung des rabbinischen Gerichts genutzt. Dieses Gericht befand sich – ebenso wie andere jüdische Gemeindeeinrichtungen wie z. B. das Ritualbad oder die Schule – in einer größeren Siedlung zumeist in der engeren Umgebung der örtlichen Synagoge.

Eine solche jüdische Gemeinde wurde von einem ernannten oder gewählten Gremium unter der Führung eines Gemeindevorstehers geleitet. Dieses Leitungsgremium sorgte für die rituellen, gesellschaftlichen und politischen Bedürfnisse ihrer Mitglieder und übte dabei zumeist eine strenge Sozialdisziplinierung aus. Wer sich seinen Anordnungen und Entscheidungen dauerhaft widersetzte, konnte dafür mit dem Ausschluss aus dem Gemeindeverband mitsamt seinen sozialen Sicherungssystemen bestraft werden.

Die Gemeindeleitung ernannte und kontrollierte die verschiedenen Bediensteten; sie sorgte für den Friedhof, die Synagoge, das Gericht, das Armenwesen und für andere Bedürfnisse der jüdischen Gemeinschaft. Sie sammelte auch die obrigkeitlichen Steuern ein, denn die jüdischen Gemeinden waren einer einheitlichen Steuerpolitik durch die christliche Obrigkeit unterworfen, die sich an der Gesamtheit der geduldeten „ungläubigen“ Untertanen orientierte. Da diese Steuererhebung gemeinschaftlich erfolgte, war nicht der einzelne Jude, sondern die Gesamtgemeinde bzw. ihr Leitungsgremium für ihr Aufkommen verantwortlich.

Die Erwerbsstruktur und die soziale Schichtung der Juden im mittelalterlichen Deutschland spiegeln die allgemeinen Verhältnisse dieser Zeit wider. Allein eine Konzentration auf Dienstleistungsberufe, Binnenhandel und Kleingewerbe ist festzustellen, bedingt durch die Weigerung der meisten Zünfte und Gilden, Juden aufzunehmen. Nur in Handwerksberufen, die nicht zünftig organisiert waren (z. B. Glaser oder Goldschmied), konnten Juden auch für Christen arbeiten. Jüdische Händler, Trödler und Hausierer sorgten für den notwendigen Warenaustausch zwischen Stadt und Land, versorgten viele Bauern mit Gebrauchsgütern des täglichen Bedarfs und belieferten die städtischen Märkte mit landwirtschaftlichen Produkten. Die Verdrängung von Juden in das Geld- und Pfandgeschäft (1215 hatte Papst Innozenz III. ein an die Christen gerichtetes Verbot der Zinsnahme erlassen) bedeutete nicht nur für diejenigen, die diesem riskanten, aber wenig profitablen Gewerbe nachgingen, soziale Ausgrenzung und Anfeindung, sondern mündete bald auch in die allgemeine Formulierung böswilliger judenfeindlicher Stereotypen. Durch die Schuldentilgungserlasse Kaiser Wenzels kam der jüdische Geldverleih fast vollständig zum Erliegen.

Verfolgungen und Vertreibungen

Im Jahre 1095 rief Papst Urban II. auf der Synode von Clermont zum Kreuzzug nach dem Heiligen Land auf. Dies wurde von manchen Kreuzfahrern und den sich ihnen anschließenden Banden als willkommene Legitimation ihrer schwelenden Judenfeindschaft verstanden. Eine Woge blinden Hasses überrollte die jüdischen Gemeinden. Bereits zu Beginn des 1. Kreuzzugs (1096–1099) kam es im Jahre 1096 in verschiedenen Rheinstädten zu blutigen Gewaltaktionen gegen Juden. Die jüdischen Gemeinden litten schwer unter Ermordungen, Plünderungen, Schändungen und Zwangstaufen; viele wählten angesichts der Ausweglosigkeit ihrer Lage den Märtyrertod.

Im Jahre 1097 durften die während der Kreuzfahrerüberfälle auf die Gemeinden zwangsgetauften Juden mit Billigung Kaiser Heinrichs IV. wieder ins Judentum zurückkehren. Dennoch hatte sich die Situation der Juden in Deutschland nach der Zeit der Kreuzzüge erheblich verschlechtert. Mit dem zunehmenden Aufschwung der Reichsstädte nahmen christliche Kaufleute den Fernhandel – anfangs eine Domäne jüdischer Händler – in die eigene Hand und begannen, ihre unliebsamen Konkurrenten zu verdrängen. Die jüdischen Gemeinden zogen sich nach ihren traumatischen Verfolgungserfahrungen immer mehr von ihrer Umwelt zurück und führten zunehmend ein zurückgezogenes Leben, das jedoch seinerseits christliche böswillige Unterstellungen der Hostienschändung, der Brunnenvergiftung sowie des Ritualmords von Christenkindern provozierte. Gegenbeweise und Gutachten richteten gegen den judenfeindlichen Irrglauben nichts aus. Geständnisse von Juden wurden durch Folter erpresst. Immer wieder kam es zu gewaltsamen Übergriffen, Ermordungen, Enteignungen und Vertreibungen.

Heinrich IV. nahm die Juden zwar im Landfrieden von 1104 offiziell in Schutz, führte aber für Speyer und Worms das Institut der „Kammerknechtschaft“ ein. Im Jahre 1236 weitete Friedrich II. diese Bestimmung auf das gesamte Reichsgebiet aus. Juden waren demnach als privilegierte Schützlinge der kaiserlichen Finanzverwaltung unterworfen. Dieses Sonderrecht gewährleistete ihnen zwar Handelsfreiheit, Befreiung von Zollabgaben und relative Sicherheit vor Verfolgungen. Fortan waren sie aber „Eigentum“ des Kaisers. Er konnte nun nach Belieben über ihre Person und ihr Gut verfügen. Übergriffe gegen die Juden galten fortan als Übergriffe gegen die Finanzkammer der Krone und veranlassten die Vertreter der Reichsgewalt zum Einschreiten. Zwar wurde den deutschen Juden weiterhin die freie Religionsausübung gestattet, aber sie mussten der Krone für ihren Schutz hohe Abgaben leisten. Diesen einträglichen „Schutz“ der Juden konnten die Kaiser an die geistlichen und weltlichen Territorialfürsten verleihen oder verkaufen. Die Juden mussten fortan das Recht auf Anwesenheit von ihrem Landesherrn kaufen. Nur durch Geldzahlung wurden sie temporär in die Bürgerschaft aufgenommen.

Die gesellschaftliche Isolation des deutschen Judentums nahm seit dem Hochmittelalter immer mehr zu. Das Verbot des 4. Laterankonzils (1215), Juden mit öffentlichen Ämtern zu betrauen, beraubte sie gesellschaftlicher Einflussmöglichkeiten. Landbesitz wurde ihnen verwehrt; ihre Handelsmöglichkeiten wurden eingeschränkt. In immer mehr Gemeinden brach das eigenständige Rechts- und Verwaltungssystem infolge des zermürbenden Drucks von außen zusammen. In vielen europäischen Städten wurden die Judenviertel nun deutlicher von den christlichen Stadtvierteln getrennt. Es kam zu Ausweisungen und zur Einrichtung von Judenvierteln in städtische Randlagen. Die hierfür gebräuchliche Bezeichnung „Ghetto“ leitet sich vom italienischen Ortsnamen „geto nuovo“ („neue Gießerei“) ab, einem Viertel in Venedig, in das im Jahre 1516 alle Juden der Stadt übersiedeln mussten.

Lebendige Traditionen

Nachdem eine Pestepidemie in der Mitte des 14. Jahrhunderts ganze Landstriche nahezu entvölkert hatte, wurden an vielen Orten die Juden für die Schuldigen an der Heimsuchung erklärt. Es kam zu Ermordungen durch den christlichen Mob und zu öffentlichen Verbrennungen von Juden. Viele der Überlebenden flohen aus ihrer Heimat. Immer mehr verlagerte nun sich das jüdische Leben in den Osten Europas, begünstigt auch durch Privilegien polnischer Fürsten und Könige. Die aschkenasischen Juden, die sich hier ansiedelten, brachten ihre rhein- und moselfränkischen Dialekte bzw. ihre jüdisch-deutsche Alltagssprache mit, die sich mit hebräischen und slawischen Sprachelementen vermischten. Dieses „Jiddisch“ genannte Idiom setzte sich in Osteuropa als jüdische Umgangs- und Literatursprache durch.

Die Verdrängung weiter Teile des aschkenasischen Judentums in den Osten Europas begründete die Herausbildung eigenständiger Traditionen. So entwickelten deutsche Juden bereits während des Mittelalters eigenständige Aussprachegewohnheiten, zumal das Hebräische in Mittel- und Osteuropa nicht der alltäglichen Kommunikation diente. Die aschkenasische Aussprache des Hebräischen blieb in der Liturgie und im synagogalen Gesang vieler jüdischer Gemeinden bis heute lebendig. Die Gebetsordnung der deutschsprachigen Gemeinden richtet sich bis heute zumeist nach dem aschkenasischen Ritus, den der von Selig Bamberger herausgegebene „Sidur Sefat Emet“ (Basel 1986) abbildet.

Aschkenasische Juden in der Mitte Europas leisteten einen immensen schöpferischen Beitrag zu den bleibenden Errungenschaften der abendländischen Geistes- und Kulturgeschichte. Vor allem der seit dem 18. Jahrhundert rasch fortschreitende Prozess der Toleranz und Aufklärung in Westeuropa ermöglichte eine förmliche Explosion jüdischer Kreativität, Innovation und Leistung. Aus der Fülle der Beispiele sind hier zu nennen der Chemiker Fritz Haber, der Physiker Albert Einstein, der Neurologe Sigmund Freud, der Reeder Albert Ballin oder der Schriftsteller Joseph Roth. Gerade in Deutschland gehörte das Judentum von Anfang an zu den grundlegenden Faktoren bei der Entstehung der eigenen – von den Nationalsozialisten aufgegebenen – Zivilisation und Kultur. Ohne das Verständnis der Geschichte des europäischen Judentums bliebe das Verständnis der abendländischen Kultur unvollkommen.

 

Zum Weiterlesen:
Michael Tilly, Das Judentum, Wiesbaden: Marixverlag 2010, Geb. 224 S., € 5.-;
ISBN-13: 978-3865399106


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Michael Tilly

geb. 1963, Professor für Theologie, VDSt Königsberg-Mainz.

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