Leidenschaft und Augenmaß

Mit der 1919 veröffentlichten Schrift „Politik als Beruf“ hat Max Weber ein Werk von bleibendem Anspruch geschaffen. Insbesondere seine Erörterungen zum Verhältnis zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik regen noch heute zum Nachdenken an.


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Nur widerwillig kommt Max Weber der Einladung des Freistudentischen Bundes Bayern nach, im Rahmen der Vortragsreihe „Geistige Arbeit als Beruf“ über „Politik als  Beruf“ zu referieren. Zu groß war seine Enttäuschung darüber, nicht als Abgeordneter der Weimarer Nationalversammlung an der Gestaltung einer „brauchbaren Verfassung“ mitwirken zu können. Er sei „kein Politiker, sondern Gescheiterter der Deutschen Demokratischen Partei!“ und deshalb nicht der geeignete Mann für diesen Vortrag.

Tatsächlich war Max Weber nicht nur Politiker – neben seiner Mitgliedschaft in der Deutschen Demokratischen Partei zählte er gemeinsam mit Friedrich Naumann zu den führenden Männern des Nationalsozialen Vereins – sondern Nationalökonom, Soziologe, Jurist und philosophischer Kopf gleichermaßen. In der Vielzahl der in ihm vereinten Talente, aber auch in der Zerrissenheit seiner Person, erinnert Max Weber am ehesten an seinen Parteifreund und ehemaligen Reichsaußenminister Walther Rathenau. Wie dieser hat er seine ganze Kraft in den Dienst der größeren Sache gestellt. Und wie dieser hat er teuer dafür bezahlt. Seine zeitlebens angeschlagene Gesundheit war den Strapazen, die ihm dieses Leben auferlegte, zuletzt nicht mehr gewachsen. Im Alter von nur 56 Jahren starb er am 14. Juni 1920 an den Folgen einer Lungenentzündung. Zwei Jahre später, am 24. Juni 1922 wurde Walther Rathenau bei einem feigen Attentat von Mitgliedern der rechtsextremen Organisation Konsul erschossen.

max weberDie erhabene Geistigkeit des Universalgenies Max Weber, gepaart mit einem unbestechlichen Realismus, hat schon bei den Zeitgenossen große Bewunderung hervorgerufen. Karl Jaspers erblickte in ihm den „Galilei der Geisteswissenschaften“. Er glaubte „sich nicht zu täuschen, in ihm den größten geistigen Menschen des Zeitalters“ gesehen zu haben. Selbst der sonst so nüchterne Historiker Thomas Nipperdey macht aus seiner Bewunderung für Max Weber keinen Hehl: „Wenn irgendeiner der deutschen Gelehrten jener Zeit, außerhalb der Naturwissenschaften, ein Genie war, dann Weber“. Für Nipperdey verkörpert er „eine der höchsten Möglichkeiten des Geistes seiner Zeit“.

Dass sich die am 28. Januar 1919 in München gehaltene Rede „Politik als Beruf“ zu einem Klassiker des politischen Denkens entwickeln würde, hätte Max Weber wohl selbst am meisten erstaunt. Insbesondere da er die Rede nicht schriftlich ausgearbeitet hatte, sondern sich auf der Grundlage weniger Stichwortzettel in freier Rede an seine Zuhörer wandte. Der bleibende Erfolg der später zu einem schmalen Bändchen ausgearbeiteten Rede zeigt, welch ungeheure Kraft das gesprochene Wort zu entfalten in der Lage ist.

„Der Vortrag wird Sie nach verschiedenen Richtungen notwendig enttäuschen“

„Der Vortrag, den ich auf Ihren Wunsch zu halten habe, wird Sie nach verschiedenen Richtungen notwendig enttäuschen“, beginnt er seine Rede. Er wolle nicht über tagespolitische Fragen sprechen, sondern über das Wesen von Politik im Allgemeinen, verstanden „als Leitung oder Beeinflussung der Leitung eines politischen Verbandes, heute also: des Staates“. Es folgt eine Definition des Staates, die Eingang gefunden hat in die Lehrbücher der Staats- und Politikwissenschaften: „Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes – dies: das ‚Gebiet’, gehört zum Merkmal – das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht.“ Da der Staat die alleinige Quelle des „Rechts auf Gewaltsamkeit ist“, sei Politik nichts anderes als „Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung“ innerhalb dieses politischen Gebildes.

friedrich naumannWeber unterscheidet drei Arten von Legitimationsgründen eines auf legitime Gewaltsamkeit gestützten Herrschaftsverhältnisses von Menschen über Menschen: Der „traditionalen Herrschaft“ des Patriarchen oder Patrimonialfürsten, der „charismatischen Herrschaft“, die auf der freiwilligen Hingabe der Gehorchenden an das persönliche Charisma einer Führergestalt beruht, und der „Herrschaft kraft Legalität“, kraft des Glaubens an die Geltung legaler Satzungen, wie beispielsweise Verfassungen.

Prinzipiell gebe es zwei Arten, aus der Politik einen Beruf zu machen. Entweder man lebe „für“ die Politik, oder aber man lebe „von“ der Politik. In einem rein ökonomischen Sinn könne nur derjenige „für“ die Politik leben, der von den Einnahmen, die er dadurch bezieht, unabhängig ist. Der in Frage kommende Personenkreis schränke sich dadurch auf Rentner, Arbeiter und selbständige Unternehmer ein. Allein, Arbeiter und Unternehmer seien für gewöhnlich nicht abkömmlich. (Heutzutage muss dieses Problem freilich anders bewertet werden als zu Zeiten Max Webers. Unser über die Jahre gewachsener Wohlstand erlaubt es heutigen Unternehmern weit eher, für eine gewisse Zeit in die Politik zu gehen.)

Dieser plutokratischen Art der Rekrutierung führender politischer Schichten stellt Weber rein formal ein System gegenüber, das politische Führung auch Vermögenslosen zugänglich macht. Das Entgelt für die geleistete politische Arbeit kann dabei reichen von festem Lohn, über Trinkgelder und Bestechungsgelder aller Art  bis hin zu Ämterpatronage.

In wenigen Strichen wird nun die Herausbildung des modernen Staates skizziert. Eine große Rolle habe darin die Entwicklung des Beamtentums hin zu einer „fachgeschulten, hochqualifizierten Arbeiterschaft mit einer im Interesse der Integrität hochentwickelten ständischen Ehre“ gespielt. Parallel zum Aufstieg des fachgeschulten Beamtentums habe sich die Entwicklung der „leitenden Politiker“ vollzogen, als dessen wichtigster Vertreter der Jurist zu gelten habe. Universitätsgeschulte Juristen hätten, zumindest auf dem europäischen Kontinent, maßgeblich zur Entwicklung des modernen, rationalen Staates beigetragen. Dies sei kein Zufall: „Eine Sache für Interessenten wirkungsvoll zu führen ist das Handwerk des geschulten Advokaten. Er ist darin jedem Beamten überlegen.“ Insofern will Weber die Sphären des dem Staat dienenden Beamten nicht mit derjenigen des von Leidenschaft erfüllten, für die Sache eintretenden Politikers vermischt wissen. Während jener „seinem eigentlichen Beruf nach nicht Politik treiben, sondern verwalten – unparteiisch vor allem“ solle, sei es die Aufgabe des Politikers, Partei zu ergreifen und zu kämpfen. „Ehre des Beamten ist die Fähigkeit, wenn – trotz seiner Vorstellungen – die ihm vorgesetzte Behörde auf einem ihm falsch erscheinenden Befehl beharrt, ihn auf Verantwortung des Befehlenden gewissenhaft und genau so auszuführen, als ob er seiner eigenen Überzeugung entspräche: Ohne diese im höchsten Sinn sittliche Disziplin und Selbstverleugnung zerfiele  der ganze Apparat. Ehre des politischen Führers ist dagegen gerade die ausschließliche Eigenverantwortung für das, was er tut, die er nicht ablehnen oder abwälzen kann und darf.“

friedrich nietzscheAls weiteren wichtigen Typus des „Berufspolitikers“ benennt Weber den Demagogen, dessen wichtigster Repräsentant der politische Publizist sei. Es folgt eine aufrichtige Verneigung vor gut gemachtem Journalismus, die in ihrer ehrlichen Hochachtung vor der oft zu Unrecht gescholtenen schreibenden Zunft auch heute noch lesenswert ist. Diese wenigen Sätze sind Balsam für jede Journalistenseele. Noch immer  gilt: Es ist unangebracht und billig, mit einer Mischung aus Arroganz und Verachtung auf Journalisten herabzublicken. Denn „nicht das ist erstaunlich, dass es viele menschlich entgleiste oder entwertete Journalisten gibt, sondern dass trotz allem gerade diese Schicht eine so große Zahl wertvoller und ganz echter Menschen in sich schließt, wie Außenstehende es nicht leicht vermuten.“ Die Chancen für Journalisten, in politische Führungspositionen zu gelangen, stuft Weber als eher schlecht ein. Hier scheint sich seither nicht viel getan zu haben. Ausnahmen wie Wolfgang Clement (ehemaliger Ressortleiter für Politik bei der Westfälischen Rundschau, später Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen und Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) oder Susanne Gaschke (ehemals Redakteurin beim Wochenblatt Die Zeit, heute Oberbürgermeisterin von Kiel) bestätigen die Regel. Man möchte mit Max Weber wünschen, dass in Zukunft mehr Vertreter der journalistischen Klasse  den Weg in die Politik finden.

Was für ein Jemand muss man sein, um seine Hand in Speichen des Rades der Geschichte legen zu dürfen?

Auf die Ausführungen Max Webers im Mittelteil der Rede zur Herausbildung der modernen Parteienorganisation und zur Professionalisierung der Politik überhaupt kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Wichtig, weil auch nach fast 100 Jahren Rezeptionsgeschichte noch immer Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Diskussionen, ist der Schlussteil des Buches. Hier wendet sich Weber der Frage zu, „was für ein Mensch man sein muss, um seine Hand in die Speichen des Rades der Geschichte legen zu dürfen.“

Es seien vor allem drei maßgebliche Qualitäten, die einen guten Politiker auszeichneten: Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß. Doch „wie heiße Leidenschaft und kühles Augenmaß miteinander in derselben Seele zusammenzwingen?“ Hier scheint unverkennbar die intensive Beschäftigung Webers mit dem Werk Nietzsches (in diesem Fall: seiner Lehre von den zwei Hirnkammern) durch. Merkwürdigerweise hat sich Weber in seinem Werk nur äußerst selten zu diesen Wurzeln bekannt. (Der Soziologe Georg Stauth spricht in diesem Zusammenhang von „Nietzsche als dem abwesenden Zentrum der Weberschen Soziologie“.)

walther rathenauSchließlich und endlich: Webers berühmt gewordene Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Während der Gesinnungs-ethiker den Eigenwert einer ethischen Handlung zu dessen Rechtfertigung benutzt, orientiert sich der Verantwortungsethiker vornehmlich an den Folgen seiner Handlung. In diesem Sinn ist reine Gesinnungsethik absolute Ethik, oder um mit Weber zu sprechen: „Sie ist kein Fiaker, den man beliebig halten lassen kann, um nach Befinden ein- und auszusteigen. Sondern ganz oder gar nicht, das gerade ist ihr Sinn.“  Demgegenüber stehe der Verantwortungsethiker. Er rechne „mit eben jenen durchschnittlichen Defekten der Menschen – er hat, wie Fichte richtig gesagt hat, gar kein Recht, ihre Güte und Vollkommenheit vorauszusetzen, er fühlt sich nicht in der Lage, die Folgen eigenen Tuns, soweit er sie voraussehen konnte, auf andere abzuwälzen. Er wird sagen: Diese Folgen werden meinem Tun zugerechnet.“

Tatsächlich weist Weber mit dieser auf den ersten Blick simpel erscheinenden Gegenüberstellung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik auf ein unauflösbares ethisches Paradox hin. Aus gesinnungsethischer Sicht mag es verwerflich sein, Gewalt anzuwenden, Kriege zu führen. Verantwortungsethisch ist dies bisweilen geradezu geboten, eindrücklich formuliert von Weber an Hand der Ethik des Evangeliums: Während die Bergpredigt dazu auffordert „dem Übel nicht zu widerstehen mit Gewalt“, gelte für den Politiker gerade der umgekehrte Satz: „Du sollst dem Übel gewaltsam widerstehen, sonst bist du für seine Überhandnahme verantwortlich.“

Man hat Weber allzu oft dahingehend interpretiert, Fürsprecher einer dezidierten Verantwortungsethik, als spezifischer politischer Ethik, zu sein. Dieser Gemeinplatz der Weber-Rezeption hält einer näheren Betrachtung jedoch nicht stand. Keineswegs könne, so Max Weber, „Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit“ gleichgesetzt werden. Vielmehr müsse man Gesinnungsethik und Verantwortungsethik „nicht als absolute Gegensätze, sondern als Ergänzungen“ begreifen, „die zusammen erst den echten Menschen ausmachen, den, der den „Beruf zur Politik“ haben kann.“


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Stefan Martin

geb. 1979, Ingenieur, VDSt Freiberg.

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