Opfer im Minenfeld

Mit großer persönlicher Bewegung hat Horst Köhler, der 9. Präsident der Bundesrepublik Deutschland am 31.5.2010 seinen Rücktritt als Bundespräsident bekannt gegeben. In ersten Reaktionen überschlagen sich die Meldungen. Vom Paukenschlag ist die Rede und von einer Sensation. Noch nie zuvor ist ein Deutscher Präsident von seinem Amt zurückgetreten.


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Der VVDSt hat gerade am letzten Wochenende eine politische Tagung zum Thema „Auslandseinsätze der Bundeswehr“ durchgeführt. Im Vorfeld dieser Veranstaltung war es sehr schwer, Referenten zu bekommen. Die Meisten, die angefragt wurden, hatten nicht den Mut, sich zu diesem brandaktuellen Thema zu äußern. Jegliche Äußerungen in der Öffentlichkeit können missverstanden werden, angesichts eines Einsatzes, den große Teile der Bevölkerung nicht verstehen und auch nicht wollen.

In meinen einleitenden Worten zu dieser Tagung habe ich es erwähnt: 89 tote Soldaten seit Beginn der Auslandseinsätze der Bundeswehr und ungezählte tote Zivilisten, die im Militärjargon zynisch als „Kollateralschäden“ geführt werden. Sie alle sind Mahnung nach dem Sinn dieses Einsatzes zu fragen. Zu fragen, wer ihn will und wer ihn verantworten will.

Während unserer Tagung ist deutlich geworden, dass es an einem klaren Bekenntnis der politisch Verantwortlichen fehlt. Visiten bei den deutschen Soldaten vor Ort werden als solidarisierende Truppenbesuche deklariert, aber Politiker aller Couleur haben keinen Mumm, daheim zu erklären, wofür die Politik steht, wofür tausende Soldaten ihr Leben riskieren und warum so viele dort für die Verteidigung unserer Freiheit getötet oder verwundet wurden.

Mutig sind die in Gegenwart eines Journalisten Dauer-Betroffenen nur dann, wenn es darum geht, eine aus dem Zusammenhang gerissene unglückliche Aussage des Bundespräsidenten zu kommentieren. Horst Köhler hat klare Worte gefunden, die in der Heimat erklären sollten, warum Soldaten für Deutschland ihre Haut zu Markte tragen. Das passte nicht in das Konzept der Wischiwaschi-Beliebigkeit, mit der der Bundestag zwar die Entsendung der Bundeswehr in ein Kriegsgebiet beschließt, gleichzeitig aber den militärisch Verantwortlichen auferlegt, doch bitte möglichst vor Ort den alten Slogan der 80er wiederaufleben zu lassen: „Frieden schaffen – am besten ohne Waffen“.

Wer am Freitag an der Tagung vor der VT teilgenommen hat, hat einen Eindruck von der Absurdität dieses Einsatzes bekommen. Wenn sich der Bundespräsident als Erklärer dieser Auslandseinsätze versuchen muss, hat die übrige Politik versagt. Wenn er dabei eine unglückliche Figur macht, wäre es die Aufgabe der Bundesregierung und der Spitzen der den Einsatz tragenden Bundestagsfraktionen gewesen, für Klarstellung zu sorgen und ihm den Rücken zu stärken. Aber Horst Köhler hat ein ungeschriebenes Gesetz verletzt: Über Afghanistan spricht man nicht. Da war es mit der Solidarität der Verantwortlichen schnell vorbei.

Augen zu und durch. Wenn deutsche Soldaten fallen. Wenn eine Mehrheit den Krieg nicht will. Wenn Fragen nach der richtigen Ausstattung und Ausbildung der Soldaten aufkommen. Augen zu und durch. Kein deutscher Politiker möchte mit dem wohl schon allseits erwarteten Scheitern der Afghanistan-Mission in Verbindung gebracht werden – in der Annahme, dass der Verlust von Wählerstimmen immer noch schwerer wiegt, als der Verlust von (ohnehin spärlicher) Glaubwürdigkeit.

Diesem verminten Gelände ist Horst Köhler zum Opfer gefallen. Allein. Es gab keine Kavallerie, die ihn herausgehauen hätte. Afghanistan wird ab heute mehr als je zuvor ein Himmelfahrtskommando. Keiner wird es mehr wagen, die Wahrheit laut zu sagen, so wie sich schon keiner der Verantwortlichen nach Hannover zur Politischen Tagung wagte. Wenn die Unterstützung durch die Politik sich gegen Null bewegt, ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann der Abzug beginnt. Horst Köhler beklagt in seiner Rücktrittserklärung den mangelnden Respekt vor dem Amt. Augen zu und durch, das war nicht sein Motto. Wenn moralisierende Heuchler und bigotte selbsternannte Antiimperialisten die öffentliche Diskussion dominieren dürfen, während die Verantwortlichen stillschweigend feige in der Deckung bleiben, hat er Recht. Dann ist es Zeit, zu gehen, um seine persönliche Würde zu bewahren.

Politische und moralische Führung täte Not in Deutschland. Horst Köhler war einer der letzten, die sie verkörperten. Er, den sie den „Bürgerpräsidenten“ nannten, war kein Politiker im engeren Sinne. Er wird eine Lücke hinterlassen, die so schnell nicht zu schließen ist. Bei den aktuell politisch Verantwortlichen wird man das nicht sagen können. Beliebigkeit statt Nachhaltigkeit, laue Stimmung statt lauter Stimme, selbstgerechte Entrüstung statt gerechter Entscheidung, und wenn das alles nichts mehr hilft: Augen zu und durch.

Sie, Herr Köhler, haben sich vor diesen Karren nicht mehr spannen lassen. Meine Hochachtung!


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Markus Schwickardi

geb. 1966, Dr. med., VDSt Marburg.

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