Seehofer will es, Röttgen kann es

Friedrich Merz, Günther Oettinger, Ole von Beust, Jürgen Rüttgers, Roland Koch. Sie alle haben sich auf ihre Weise an Angela Merkel abgearbeitet und sind letztlich gescheitert. Weitere Politiker haben sich in der jüngeren Vergangenheit eingefügt in die Reihe derjenigen, die den Raubtierkäfig Politik fluchtartig verlassen haben. Oskar Lafontaine zog sich aus gesundheitlichen Gründen vom Parteivorsitz der Linken zurück, Kurt Beck wurde von den Medien und Teilen seiner eigenen Partei als SPD-Vorsitzender abserviert, zuletzt warf Horst Köhler ohne ersichtlichen Grund die Brocken als Bundespräsident hin. Ein bis dato einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.


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Gibt es sie nicht mehr, die standfesten und prinzipientreuen Politiker vom Schlage Franz Josef Strauß’ oder Herbert Wehners? Männer, die auf einem Fundament gesicherter persönlicher Überzeugungen auch gegen äußere Widerstände Politik gestalten? Die vielleicht sogar der Kanzlerin Paroli bieten können? Horst Seehofer, Karl-Theodor zu Guttenberg und Norbert Röttgen schicken sich an, genau das zu tun: der Kanzlerin Paroli bieten. Zweifellos zählen sie zu den größten politischen Talenten, die Deutschland derzeit zu bieten hat. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich einer von ihnen aus der Deckung wagt und zum Angriff bläst.

Soeben wurde der intellektuell brillante und ebenso kühle Umweltminister Norbert Röttgen zum Chef des größten CDU-Landesverbandes Nordrheinwestfalen gewählt, mit klarem Vorsprung vor seinem Herausforderer Armin Laschet. Damit hat Röttgen endgültig den Beweis erbracht, dass er sich nicht auf den strategisch-nüchternen Denker reduzieren lässt, als der er in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, sondern auch bei der Parteibasis gut ankommt. Seine Wahl zum stellvertretenden CDU-Parteivorsitzenden gilt damit als sicher.

Ganz anders Horst „jetzt-red-i“ Seehofer, der sich gerne als Anwalt des kleinen Mannes geriert. Mit schier unerschütterlichem Selbstbewusstsein drängt er sich ein ums andere Mal ins mediale Rampenlicht. Wenn es sein muss, auch durch grob-fahrlässige Vereinfachungen drängender politischer Probleme. Beispiel Integration: Mit seinem opportunistischen Versuch, die Sarrazin-Welle zu reiten, löste er ein politisches Strohfeuer aus, das allenfalls geeignet war, sich als letzten Hardliner der Union zu inszenieren und das mediale Erregungsniveau kurzfristig in die Höhe zu treiben. Seine Problem: Anstatt den Leuten „auf’s Maul zu schauen“ redet er ihnen nach dem Mund. Die eigentlichen Beweggründe für seine verbalen Injurien liefert er ungefragt gleich mit. Er wolle verhindern, dass sich in Deutschland eine Partei rechts der CDU etabliert. Was denn nun? Brauchen wir eine deutsche Leitkultur aus Überzeugung, oder geht es um die Verhinderung einer Partei am rechten Rand?

Wenn nicht Horst, wer dann? Nicht wenige räumen dem unvermeidlichen Karl-Theodor zu Guttenberg, einst von Seehofer als politisches Talent entdeckt, gute Chancen ein, Angela Merkel spätestens 2017 als Kanzler zu beerben. Wie schwer es Hoffnungsträger im Praxistest haben, zeigt das aktuelle Beispiel Barack Obamas. Zu Beginn seiner Amtszeit mit Heilserwartungen geradezu überschüttet, schlägt ihm nach nur zwei Jahren im Oval Office der blanke Hass entgegen. Dass dies nicht unbedingt am Hoffnungsträger liegen muss, sondern an den teils maßlos überzogenen Erwartungen der Hoffenden, wird dabei geflissentlich übersehen. Nicht anders würde es Karl-Theodor zu Guttenberg ergehen. Derart mit Hoffnungen überfrachtet, wäre es für ihn nahezu unmöglich, die an ihn gerichteten Erwartungen als Kanzler auch nur ansatzweise zu erfüllen.

Norbert Röttgen wird sich insgeheim freuen, dass sich die mediale Aufmerksamkeit auf den irrlichternden Seehofer und seinen Ziehsohn KT richtet. Er könnte der lachende Dritte sein.


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Stefan Martin

geb. 1979, Ingenieur, VDSt Freiberg.

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