Von Christoph Kolumbus bis Cohiba BehikeKleine Zigarrenkunde in vier Kapiteln – Teil 1

Zur Kulturgeschichte des Rauchens hat sich Gerhard Heimsath, passionierter Zigarrenforscher, auf eine Spurensuche begeben.


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Seit es Menschen gibt, rauchen sie. Und seit der Erfindung der Schrift wird dieses auch immer wieder dokumentiert. So berichtet schon Herodot (~ 490 bis ~ 425 v. Chr.) in seinen Historien von kriegerischen Nomaden, die Baumfrüchte in das Lagerfeuer warfen, den entstehenden Rauch einatmeten und anschließend wie im Rausch zu tanzen und zu singen begannen. Andere berichteten von Barbaren, die jeden Tag den Rauch des Cyperngrases einatmeten, was sie munterer und kräftiger machte. Und Hippokrates (~ 460 bis ~ 377 v. Chr.) soll bei Frauenkrankheiten das Einatmen verbrannter Pflanzenteile verordnet haben.1 Der Rauchkonsum brennender Pflanzen gehört zur Kulturgeschichte des Menschen wie der aufrechte Gang. Aus europäischer Sicht beginnt die Geschichte der Zigarre im Oktober 1492 auf Kuba und Hispaniola Insel, auf der heute die Staaten Haiti und Dominikanische Republik liegen. Dort landete Christoph Kolumbus, als er den Seeweg nach Indien suchte, und traf auf Eingeborene, die die gerollten Blätter einer Pflanze rauchten. Dies nahm man damals zur Kenntnis, notierte es getreulich, schenkte alldem aber keine weitere Beachtung. Dass man in den Gärten einige Pflanzen zu Zierzwecken hielt, sollte und musste genügen. Das allgemeine Interesse richtete sich viel mehr auf Gold und all das andere Geschmeide, welches aus der Neuen Welt kam.2 Fast 80 Jahre, also rund drei Generationen, mussten vergehen, bis der Tabak in den Fokus geriet.

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Erste Abbildung einer Tabakpflanze mit dem Vorgang des Rauchens 1576.

Tabak – das Allheilmittel

Um 1560 herum bereiste Hernandez de Toledo im Auftrag des spanischen Königs Mexiko zu Forschungszwecken und berichtete, man verwende dort Tabak zur Schmerzstillung, Wundheilung und als Gegengift für vergiftete Pfeile. Philipp II. ordnete eigene Versuche an, bei denen unter anderem ein Hund mit einem vergifteten Messer verletzt wurde. Anschließend träufelte man den Saft grüner Tabakblätter in die Wunde.3 Der Hund überlebte und die Kunde davon verbreitete sich an den Höfen Europas. Sie drang auch zu einem französischen Edelmann vor, der als Gesandter am portugiesieschen Hof lebte. Er beschaffte sich Tabaksamen und zog etliche Pflanzen in seinem Garten. Diverse therapeutische Versuche bestärkten ihn in der Annahme, dass es sich um ein wahres Wunderkraut handeln müsse. Und so schickte er einen Beutel mit pulverisierten Tabakblättern an die französische Königsmutter Katharina von Medici. Diese verabreichte das Pulver ihrem Sohn, dem späteren König Karl IX., immer dann, wenn er einen seiner sporadischen Migräneanfälle bekam.

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Zurichtung des Tabaks. Um 1750.

Der befreiende Niesreiz und die schmerzstillende Wirkung des geschnupften Tabaks sprachen sich in den höchsten Kreisen des europäischen Adels herum und bescherten der Arzneikunde nicht nur eine neue Ära, sondern adelten im wahrsten Sinne des Wortes die Pflanze, die der französische Gesandte nach Paris geschickt hatte. Sein Name: Jean Nicot – Namensgeber der Nicotiana.4 Die vermeintlich alles heilende Pflanze wurde als Extrakt, Tinktur, Aufguss, Pille, Pulver, Sirup und Salbe gegen nahezu alles verabreicht, was Beschwerden bereitete.Tabakblätter oder Umschläge mit dem Saft ausgequetschter Tabakblätter wurden als Kompressen bei Hautkrankheiten und Geschwüren aufgelegt. Sogar als Klistier gegen jegliche Form der Darmbeschwerden fand der Tabak seinen Einsatz.Bis hinein in das 19. Jahrhundert setzte man für die Wiederbelebung Ertrunkener Klistiere mit Tabakrauch ein und verabreichte Tabak als Gegengift bei Strychninvergiftungen. Epilepsie, Typhus, Pest – nichts schien der Tabak nicht besiegen zu können.Tabak galt als Panazee, als Allheilmittel.

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Jean Nicot.

1622 erschien die Tabacologia, das Hauptwerk des deutschen Philosophen und Arztes Johann Neander, in dem dieser die vielfältige und allumfassende Heilwirkung des Tabaks für nahezu jedes Zipperlein und jede damals bekannte Krankheit beschrieb. Es wurde zum Standardwerk der Ärzte in den folgenden Jahrzehnten. Bei den vielen, vor allem oralen Konsumvariationen ist es nicht verwunderlich, dass man allgemein vom „Tabaktrinken“ sprach und die Tabakpflanze in einer Lithographie aus dem Jahre 1622 den Titel „Zu allen Schäden. Der Heilsamste“ trug.6 Joachim von Rusdorff, Gesandter der Kurpfalz in Holland, dokumentierte 1627 „eine Sauferei des Nebels …, die alle alte und neue Trinkleidenschaft übertrifft.“7

The Art of Smoking

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J. Neander: Tabacologia.

So war es nichts anderes als tägliche Prophylaxe, wenn nun jedermann auf der Straße und in bürgerlicher Gesellschaft die Gewohnheit der Indianer übernahm, den ganzen Tag über den Tabakrauch, vorzugsweise aus Pfeifen, in sich einzusaugen und den Qualm aus dem Munde wieder herauszublasen. Von „Feuer fressen“ liest man in einem Klosterbericht aus dem Jahre 15878, in dem über den ersten auf den Straßen Aachens gesehenen Raucher berichtet wird.Während auf dem Kontinent zum Ende des 16. Jahrhunderts die medizinische Wirkung des Tabaks im Fokus stand, legte in England Sir Walter Raleigh, Koloniengründer Ihrer Majestät Elisabeth I., den Grundstein für den allgemeinen und gesellschaftlich anerkannten Tabakkonsum. 1586 brachte ein aus Virginia zurückkehrendes Schiff unter Kapitän Ralph Lane Tabak und Pfeifen mit. Raleigh fand riesigen Gefallen am Pfeiferauchen und begründete „smoking parties“ in seinem Hause, bei denen er seine Gäste mit Ale und gestopften Pfeifen bewirtete.9 Das Rauchen wurde zu einem gesellschaftlichen Ereignis, dem man sich nicht entziehen konnte. „To blow a pipe sociably“ – der Tabak gab dem sozialen Leben aller Gesellschaftsschichten ein geselliges Gepräge.10In der feinen Gesellschaft wurden Kurse gegeben, um „The Art of Smoking“ zu erlernen und standesgemäß zu zelebrieren. Das Rauchen gehörte zu den grundlegenden Tugenden eines Gentleman wie Tanzen, Reiten, Jagen und Kartenspielen.11

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Der teutsche Tabacktrincker. Einblattdruck aus dem 17. Jahrhundert.

Nicht nur die höchste und hohe Gesellschaft gab sich dem Genuss hin, auch die Untertanen fanden Freude am Tabakrauchen. Gesellschaftliche Unterschiede wurden an der Art der Pfeife deutlich. Während die höheren und höchsten Kreise zu luxuriös gestalteten Silberpfeifen griffen, begnügte sich der Landmann mit einer halben Walnussschale, in die er einen Strohhalm steckte.12 Und wer sich selbst diese einfache Pfeife nicht leisten konnte oder wollte, ging in „Tabagieen“, Rauchstätten, die nach der Art der Wein- und Bierhäuser entstanden und in denen die Pfeife von Hand zu Hand ging, sodass viele Leute gleichzeitig aus einer Pfeife rauchten.13
Ein Ereignis hat die Durchsetzung des Tabaks in der gesamten Bevölkerung mit Sicherheit ungemein befördert: Der Ausbruch der Pest in London im Jahre 1614. Ärzte äußerten die Beobachtung oder Meinung, dass „die leidenschaftlichen Raucher von der furchtbaren Seuche weniger leicht erfasst würden als die anderen.“14Wie ein Tsunami breitete sich die Sitte des Pfeiferauchens über ganz England und von dort auf den Kontinent aus.Der Dreißigjährige Krieg mit seinen marodierenden Heerscharen war bei der Verbreitung überaus hilfreich, betrachteten die Soldaten und Söldner den Tabak doch als willlkommene Ablenkung vom täglichen Gemetzel. Nicht nur Europa wurde in Tabakrauch gehüllt, innerhalb weniger Jahre schwappte die Welle des Tabaks über die Türkei nach Persien bis hin nach China und Japan. Der afrikanische Kontinent und Australien wurden als letzte erfasst. Im Jahre 1620 etwa war der Tabak rund um die Welt verbreitet. Und überall fand er seine Freunde und Gegner. Aber letztere sind ein anderes Thema. Die Obrigkeit lernte schnell, mit diesem zwiespältigen Produkt umzugehen, indem sie es, je nach Gusto, hoch oder niedrig besteuerte.

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Verbreitung des Zigarrenrauchens in London 1827.

Die Geburtsstunde der Zigarre

Der Tabak wurde in diesen Jahrhunderten entweder in diversen Varianten als Medizin verabreicht oder aber geschnupft und in der Pfeife geraucht. Eine andere Konsummethode kannte man nicht. Etwa in der Mitte des des 18. Jahrhunderts begann man, zunächst im Spanisch sprechenden Amerika, anschließend auch in Spanien selbst, den Tabak kunstvoll zu kleinen Stäbchen zu rollen, deren handwerkliche Qualität nicht mehr viel mit den lust- und lieblos geknüllten „Tüten“ der indianischen Ureinwohner zu tun hatte. Man nannte sie Cigarros, im angelsächsischen Segars. Peter Wendler, ein deutscher Maler in Rom, der mit seiner Malkunst nicht recht erfolgreich war erhielt vom Papst das Recht, in seiner Zigarenfabrik „Tabak in Stabform“ (bastoni de tabacco) herzustellen. Diese Tabakform nahm sich Hans Heinz Schlottmann zum Vorbild und gründete 1788 in Hamburg die erste Zigarrenfabrik in Deutschland.15

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Flugblatt über die Vorzüge des Tabaks. Aus der Zeit des 30-jährigen Krieges.

Der Autor wurde beim Verfassen dieses Beitrags von einer Partagás Lusitania, einer Romeo y Julieta Belicoso und zwei Montecristo Open Master inspiriert. Zum Lesen wird die Maria Mancini 2016 Robusto Particular empfohlen.

Literaturempfehlung

Egon Caesar Conte Corti: Die trockene Trunkenheit – Ursprung, Kampf und Triumph des Rauchens, Insel-Verlag Leipzig, 1930.

Quellen

1 (Hellmuth Aschenbrenner, Günther Stahl: Handbuch des Tabakhandels, Berlin, 1950 13 f.)
2 (Robert Cudell: Das Buch vom Tabak, Köln 1927, 30)
3 (ebd. 31)
4 (ebd. 33ff.)
5 (ebd. 36)
6 (British American Tobacco (Hg.): Rauchzeichen – Tabakhistorische Graphiken und Objekte aus der Sammlung British American Tobacco, Bayreuth 1999)
7 (Joachim von Rusdorff: Metamorphosis Europae, 1627, 145. – Nachweis bei Egon Cäsar Conte Corti: Die trockene Trunkenheit, Leipzig 1930, 101.)
8 (Aschenbrenner, Stahl, 1950: S.13)
9 (Cudell, 1927: S.47)
10 (Georg Böse: Im blauen Dunst. Eine Kulturgeschichte des Rauchens, Stuttgart 1957, S.36)
11 (Corti, 1930: S.71)
12 (ebd.)
13 (ebd.)
14 (Böse, 1957: S.36)
15 (Corti, 1930: S. 229f.)

Bilderlizenz: Wellcome Library, London http://wellcomeimages.org/ (indexplus/image/M0011067.html), CC-BY 4.0, $3 Keine Änderungen vorgenommen.


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Gerhard Heimsath

geb. 1954, Zigarrenforscher. www.artofsmoke.de

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