Was von Preußen bleibt …

Volker Tschapke, Präsident der Preußischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg, im Interview mit Christian Roth und Bastian Behrens


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friedrich ii._hauptHerr Präsident Tschapke, durch die Jubiläumsfeierlichkeiten zum 300. Geburtstag Friedrichs des Großen zu Jahresbeginn ist das alte Preußen wieder einmal Gegenstand der öffentlichen Debatte geworden. Sind Sie zufrieden mit dem Verlauf und der Resonanz?

Wieder einmal? Ich meine endlich einmal. Natürlich bin ich zufrieden, dass des Staatsmannes und Philosophen allenthalben gedacht wurde. Selten genug blicken wir ja in den besseren Teil unserer Geschichte zurück. Die historische Wahrnehmung wird viel zu einseitig festgezurrt auf die Jahre des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 sowie auf die Jahre der DDR zwischen 1949 und 1989. Wobei ich feststellen muss, dass die letztgenannte Periode ab 1933 weitaus härter als die erstgenannte vor 1933 be- und verurteilt wird. Dadurch findet eine erstaunliche Nivellierung des erstgenannten Zeitraumes statt. Doch zurück zu Friedrich dem Großen und seinem 300. Geburtstag. Geäußert haben sich Hinz und Kunz sowie Dr. Kunz und Dr. Hinz, Theaterbühnen, Filme, Ausstellungen und so weiter in großer Zahl und in vielen ehemaligen Landesteilen Preußens und im Ausland. Zumeist widmeten sie sich klischeegewordenen Details seines Denkens und Handelns, an denen man sich reiben oder hochranken konnte. Den einen war er – ganz im Sinne der Alliierten Preußen-Verbieter von 1947 – der ewige Militarist, anderen blieb er ein Despot, der seine Untertanen kujonierte, Feministinnen nahmen ihm übel, dass und wie er seine Gattin ins Abseits stellte, Homosexuelle glaubten, ihn als frühen Kameraden ausmachen zu können. Nur wenige Laudatoren hatten das Zeug, Friedrichs Gesamtpersönlichkeit zu erfassen und entsprechend zu würdigen. Trotz gebotener Bescheidenheit glaube ich sagen zu dürfen, dass dies unserer Preußischen Gesellschaft gelungen ist.

Trotz intensiver Medienbegleitung und offiziellen Gedenkens mit Beteiligung staatlicher Würdenträger lief der Jubiläumstag selbst ruhig ab. Die Diskussion über Friedrich scheint, wenn man sie etwa mit der hysterischen Debatte um seine Umbettung nach Sanssouci vor gut zwanzig Jahren vergleicht, deutlich entspannter zu verlaufen. Kann man ehrendes Andenken und gleichzeitige kritische historische Betrachtung heute sachlicher und einfacher verbinden als in den Nachkriegsjahrzehnten?

Erste Prämisse: Das kann man, wenn der Grundsatz beachtet wird, den Gegenstand der Betrachtung – sei es eine Persönlichkeit oder eine Begebenheit – in ihrer Zeit zu sehen, die damals geltenden Maßstäbe an sie anzulegen und auf dieser Grundlage zu bewerten. Dagegen wird gern verstoßen. Etwa: Preußen ein kriegslüsterner Staat? Mein Gott, wie harmlos gegenüber den Kriegern jenseits von Maas und Rhein und jenseits des Kanals. An Kriegen der „Alten Welt“ zwischen 1701 und 1933 waren Frankreich mit achtundzwanzig Prozent, Großbritannien mit dreiundzwanzig Prozent und Preußen-Deutschland mit acht Prozent beteiligt.

Zweite Prämisse: Der Gegenstand der Betrachtung darf nicht zur Durchsetzung eigener politischer oder sonstiger Ziele vereinnahmt resp. missbraucht werden. Friedrich selbst urteilte: „Es ist übrigens nur allzu wahr: ein Werk, das nicht frei von allem Zwang geschrieben ward, kann nur mittelmäßig oder ganz wertlos sein.“ Womit er ohne Zweifel auch den Zwang meinte, der heutzutage als political correctness bezeichnet wird. Natürlich ist es schwer, sich Friedrich und seinem Preußen objektiv und real zu nähern, um ein wirklichkeitsnahes Bild zeichnen zu können. Ich gestatte mir, dazu ein weiteres Zitat aus seinem Werk von 1775 anzuführen: „Die Vorliebe der Verfasser für das Wunderbare, ihr Vorurteil, ihr blinder Eifer für ihr Vaterland, ihr Hass gegen die Völker, die dem eignen widerstanden, all diese verschiedenen Eigenschaften, die ihnen die Feder führen…haben die Tatsachen so entstellt und verschleiert, dass man sie auch mit Luchsaugen jetzt nicht mehr zu durchschauen vermöchte.“ Viel Spreu, wenig Weizen…

Leben und Regierungszeit Friedrichs sind im Guten wie im Bösen stark durch Legendenbildung überwuchert worden, mit der sich eine holzschnittartige Reduzierung des großen Königs auf wenige Stichworte verband: den Aufklärer, den Philosophen, den Kriegsherrn. Worin liegt für Sie sein wesentliches Vermächtnis, und war er eigentlich ein typischer Preuße?

Sein Hauptvermächtnis liegt für mich darin, dass er in Wort und Tat sein Vaterland über alles setzte. In seinem Politischen Testament von 1752 schrieb er: „Die erste Bürgerpflicht ist, seinem Vaterland zu dienen. Ich habe sie in allen verschiedenen Lagen meines Lebens zu erfüllen gesucht. Als Träger der höchsten Staatsgewalt habe ich die Gelegenheit und die Mittel gehabt, mich meinen Mitbürgern nützlich zu erweisen.“ Sein Credo ist von späteren Hohenzollernherrschern abgeändert worden, die sich wichtiger als das Vaterland nahmen: Friedrich Wilhelm III. stiftete 1813 das Landwehrkreuz mit der Devise: „Mit Gott für König und Vaterland“. Heutzutage hat es den Anschein, dass wir alles verloren oder – je nach Gesinnung – überwunden haben: Gott, König und Vaterland. An der Spitze steht das Ego, gefolgt von der Partei. Die Frage, ob er ein typischer Preuße war, kann ich nur mit der Gegenfrage beantworten: Was eigentlich ist ein typischer Deutscher?

Preußens Geschichte als Staat endete 1947 mit der Auflösung durch alliiertes Dekret; die Mehrzahl seiner Kernprovinzen wurde in der Kriegs- und Nachkriegszeit durch Flucht und Vertreibung  entvölkert. Wenn es fortbesteht, dann primär als Idee. Was macht für Sie im Kern das geistige Erbe Preußens aus?

Zunächst dies: Die Alliierten lösten am 25. Februar vor 65 Jahren per Dekret 46 einen Staat, der faktisch überhaupt nicht mehr existierte, mit abenteuerlicher Begründung auf. Wenn ich mich nicht irre, waren die UdSSR, USA, Großbritannien und Frankreich gegen DEUTSCHLAND zu Felde gezogen. Preußen spielte dabei kriegerisch, politisch, medial, verbal usw. so gut wie keine Rolle. Dennoch lösten die Regierenden Besatzer am 25. Februar 1947 Preußen und nicht Deutschland auf. Warum dies? Auf eine plausible Antwort warte ich noch heute. Das geistige Erbe Preußens zu umreißen, ist ob seiner Vielgestaltigkeit in Breite und Tiefe sowie der Vielzahl der das Erbe repräsentierenden Persönlichkeiten eigentlich nur in Form einer Enzyklopädie machbar, und zwar mit Abteilungen wie Philosophie, Staatswissenschaft, Kultur, Wissenschaft etc. Zum erweiterten Erbe zähle nicht nur ich uns heute fremd Gewordenes wie Vaterlandsliebe, Selbstlosigkeit, Toleranz, Schlichtheit, Sparsamkeit, Gerechtigkeit, Treue, Gradlinigkeit Pflichtbewusstsein, Stolz vor Königsthronen und nicht zuletzt Ordnungsliebe, Pünktlichkeit und Sauberkeit.

Und wie lebt Ihre Preußische Gesellschaft Berlin-Brandenburg dieses Erbe heute? Wie tragen Sie es in die Zukunft?

In den 16 Jahren ihres Bestehens entwickelte sich die Preußische Gesellschaft von einem „Fähnlein der sieben Aufrechten“ zu einem festen und anerkannten Bestandteil des geistig-kulturellen Leben Berlins. Der Verein versteht sich als Bewahrer, Pfleger und Verbreiter von Preußens Erbe. Dessen Gedankenreichtum, Ideen, Werte und Tugenden als geistig-moralisches Rüstzeug in unserer Zeit nutzen zu helfen, sieht er als seine bestimmende Aufgabe. Das geschieht u. a. mit Gleichgesinnten in monatlichen Vortragsveranstaltungen und Preußenforen sowie in vielen persönlichen Gesprächen, an denen auch Vertreter des diplomatischen Corps regelmäßig teilnehmen. Man glaubt nicht, welch großes Interesse im Ausland an Preußen herrscht! Von besonderer Bedeutung für die Außenwirkung der Preußischen Gesellschaft sind ihre stadtbekannten Neujahrsempfänge, die alljährlich am oder um den 18. Januar oft weit mehr als 1 000 Mitglieder, Freunde und Sympathisanten in ihr Stammquartier zum nachdenklich-vergnüglichen Gedankenaustausch pilgern lassen: ins HILTON am Gendarmenmarkt.

Ihre Ansprache auf dem Neujahresempfang der Preußischen Gesellschaft vor einigen Wochen haben sie mit einer beherzten Verteidigung des (mittlerweile zurückgetretenen) Bundespräsidenten Wulff eröffnet und einer heftigen Attacke gegen die „gnadenlose Hetzjagd“ der Medien. Nicht Untertanengeist, aber doch Respekt vor der Obrigkeit und vor öffentlichen Ämtern gehören für Sie zum preußischen Erbe?

Ich halte es mit Johann Friedrich Adolf von der Marwitz (1723 bis 1781), der seinen Abschied aus Friedrichs Armee nahm, um einen Plünderungsbefehl nicht ausführen zu müssen. Auf seinem Grabstein in der Kirche zu Friedersdorf nahe Küstrin steht noch heute zu lesen:

Er sah Friedrichs Heldenzeit
und kämpfte mit ihm
in allen seinen Kriegen
Wählte Ungnade
Wo Gehorsam nicht Ehre brachte

Er praktizierte die von mir bereits erwähnte und von mir hoch geschätzte preußische Tugend: „Stolz vor Königsthronen“. Friedrich der Große hätte Verfehlungen etwa seiner Minister ebenfalls geahndet – seriös, im Stillen. Nie hätte er zugelassen, aus diesem Anlass seinen Staat in den Schmutz treten zu lassen. Etwas Peinlicheres als den Staatsakt Großer Zapfenstreich für das scheidende Staatsoberhaupt vor den Fernsehaugen der Nation und der Welt habe ich noch nicht erlebt. Unfassbar, dass die übertragenden öffentlich-rechtlichen Fernsehleute das Krakeelen und Vuvuzela-Gedröhn nicht runtergeblendet, sondern sogar noch hochgedreht haben. Sie trafen nicht Wulff, sondern den Staat, der an diesem Abend im Beisein der Kanzlerin an Würde verlor. Glaubt jemand ernsthaft, dass Reichskanzler Bismarck bewegungs- und sprachlos geblieben wäre?

Beispiele wie das von Marwitz findet man mehr. Sind trotz aller demokratischen Kontrollfunktionen nicht letztlich Anstand und Ehrgefühl die beste Versicherung gegen den Missbrauch von Macht – in Staat, Wirtschaft oder Medienwelt?

Eine Versicherung gegen den Missbrauch von Macht sah Friedrich der Große in der Grundhaltung, dem Vaterland treu zu dienen, und in strenger Kontrolle der Machtausübenden und aller im Staat. Dennoch war auch er vor den Folgen niederer Gesinnung nicht gefeit.

Wenn Sie heute ein junger deutscher Student danach fragt, was dieses Preußen, vielleicht auch in Person Friedrichs des Großen, ihm für sein Leben mitgeben kann – was würden Sie ihm antworten?

Lassen Sie mich bitte mit der ersten Strophe der Preußen-Hymne antworten, deren Melodie von Mozart regelmäßig vom neuen Glockenspiel der wiederzuerrichtenden Potsdamer Garnisonkirche intoniert wird:

Üb immer Treu und Redlichkeit
Bis an dein kühles Grab,
Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab.

Ergänzen möchte ich diesen weisen Lebens-Rat, den Ludwig Heinrich Christoph Hölty 1775 gab, mit dem kategorischen Imperativ des preußischen Philosophen Immanuel Kant:

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Schließlich rate ich ebenso gern wie dringlich gerade jungen Studenten, auch Kants Definition von Aufklärung zu bedenken, zu verinnerlichen und nach ihr zu handeln. Er schrieb 1784: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude [wage es verständig zu sein]! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Wie an weit verbreiteter Unmündigkeit erkennbar wird, ist das Zeitalter der Aufklärung noch nicht vorbei…

Vielen Dank für das Interview, Herr Präsident Tschapke

 

 

volker tschapkeDipl.-Ing. Volker Tschapke, geb. 1947, arbeitet seit über 35 Jahren in der Bauindustrie und ist in einer Vielzahl von Verbänden aktiv, neben der Preußischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg, deren Präsident er ist, unter anderem in der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen, der IHK Berlin und der Perspektive Berlin-Brandenburg e.V.

Die Preußische Gesellschaft Berlin Brandenburg e.V. setzt sich unter anderem zum Ziel, preußisch-fridericianisches Gedankengut und preußische Tugenden zu bewahren, dem allgemeinen Werteverfall und zunehmender Orientierungslosigkeit der Gesellschaft entgegenzuwirken, Verantwortung, Pflichtbewusstsein und Toleranz ihren hohen Stellenwert als moralische Kategorien zurückzugeben und die Initialzündung für eine geistige Erneuerung Deutschlands zu setzen. Internet: http://preussen.org/

Bilder mit freundlicher Genehmigung der Preußischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg – alle Rechte vorbehalten.


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