Afghanistan – ein geschundenes Land!

Ein Usurpator der Macht, der selbsternannte Kaiser der Franzosen, einer der Grabesträger des Römischen Reiches Deutscher Nation, attackierte vor genau 200 Jahren den größten Feind des Franzosen, das Habsburgerreich. Und zwar mit einem starken Heer aus Italien kommend, überfiel er Kärnten.


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Für Kärnten, heute ein kleines Bundesland der Republik Österreich von ca. 560.000 Einwohnern, markierte dies den Beginn vieler Veränderungen, aber nicht nur für Kärnten, sondern auch für Österreich und Napoleon selbst. Durch die siegreichen Schlachten bei Malborghet und am Predil ermutigt, verpasste er Kärnten eine neue Administration, teilte das Land willkürlich in zwei Kreise, den Villacher und Klagenfurter Kreis. Der Villacher Kreis wurde den Illyrischen Provinzen zugeschlagen und von Laibach/Ljubljana (heute Hauptstadt der Republik Slowenien) aus verwaltet. Der Klagenfurter Kreis verblieb im Habsburgerreich.

Hieraus, aus dieser geschichtlichen Erfahrung entwickelte sich eine besondere, nachhaltig wirkende Kärntner Identität bzw. ein Nationalgefühl. Der Geschichtsverein von Kärnten war und ist der wichtigste Ansprechpartner/ Träger in der Suche bzw. Definition dieser Identität. Diese Kärntner Identität macht auch den Abwehrkampf der Kärntner verständlich, der 1920 zu einer Volksabstimmung führte, wobei Kärnten frei und ungeteilt bei Österreich blieb. Die Ideen des Selbstbestimmungsrechtes der Völker, vom US-amerikanischen Präsidenten Wilson propagiert, fielen bei den Kärntnern auf sehr fruchtbaren Boden und werden in Ehren gehalten.

Was dies mit Afghanistan zu tun hat? Alles! Wir, als Europäer, als Deutsche, als Österreicher, haben militärisch in diesem Land nichts zu suchen. Die Geschichte lehrt uns, dass militärische Interventionen, unter welchem Titel auch geführt, zu nichts anderem führen als hohen Kosten und Elend. Es kann nicht Aufgabe deutscher Soldaten sein, ihr Land am Hindukusch, sprich Afghanistan, zu verteidigen, wie dies ein ehemaliger deutscher Verteidigungsminister postuliert hat. Wenn, dann verteidigen sie Deutschland in Deutschland und nirgendwo anders. Die Geschichte lehrt, dass das afghanische Volk im Stande war und ist, jeden Angreifer bzw. Invasor früher oder später zu vertreiben. Alexander der Große hat dies gespürt wie die mongolischen Heerscharen und in der Folge die Expeditionskorps des Britischen Empires sowie die kommunistischen Machthaber in Moskau.

Einer der Gründe für den zähen Widerstand gegenüber fremden Invasoren oder ausländischen Beglückungsbringern ist diese lange historische Erfahrung, die eine gewisse nationale Identität, trotz aller Unterschiede von Sprache, Herkunft und Glauben im Lande, geschaffen hat, und die es einfach nicht zulässt, dass Fremde über die Afghanen bestimmen. Wenn das Selbstbestimmungsrecht ein Menschenrecht ist und für alle Menschen auf dieser Welt gilt, gilt es auch für die Stämme, die zusammen das afghanische Volk bilden.

Der Westen, vereint hier in den Interventionstruppen der Nato, verschwendet in Afghanistan nur seine militärischen und menschlichen Ressourcen. Der Krieg in Afghanistan hat die Sowjetunion so geschwächt, dass dies auch ein Grund ihres Unterganges war.

David gegen Goliath

Fast dreißig Jahre Krieg haben die soziale Struktur in Afghanistan nachhaltig beschädigt und die Infrastruktur weitgehend zerstört.

Die Länder der Nato, mit einem realem Durchschnittseinkommen von US-$ 35.000 pro Bewohner, bekriegen eines der ärmsten Länder dieser Erde. Afghanistan hat ein reales Durchschnittseinkommen von US-$ 700.

Wahrlich ein ungleicher Kampf, David gegen Goliath! Anscheinend zieht man noch immer nicht die richtigen Lehren aus der Geschichte. Kein Volk mag es nämlich, wenn ein fremdes Volk über sein Schicksal bestimmt. Außerdem hat der Widerstand der Taliban gegen fremde Einflüsse einen tieferen Grund. In seiner langen Geschichte hat das Volk in Afghanistan bisher von fremder Einflussnahme nur Nachteile gehabt. Wie anders ist es zu erklären, dass die Taliban und Al-Quaida so großen Zulauf unter jungen Menschen haben, dass ihre Kampfkraft nicht unter der Auseinandersetzung mit dem Westen leidet, sondern stets stärker wird? Taliban wie Al-Quaida treten für das Selbstbestimmungsrecht ihrer Völker ein. Diese einfache Einsicht ist anscheinend schwer zu vermitteln. Anscheinend verfolgt man lieber eine falsche Politik ganz, als dass man auf halbem Wege umkehrt. Der pakistanische Terror-Experte Ahmed Rashid meint, dass die reale Gefahr von den Taliban in Pakistan ausgeht und nicht von der gleichnamigen Gruppe in Afghanistan.

Diese rekrutieren sich meist aus weniger gebildeten und armen Bauern, während die pakistanischen Taliban meist aus gebildeten Männern bestehen, die ihre Ausbildung in Koranschulen genossen haben und ein ganz bestimmtes Gesellschaftsmodell aus ideologischer Überzeugung heraus verfolgen. Die Koranschulen sind die Ursache der Radikalisierung. Und diese Koranschulen werden von der Islamischen Gruppierung der Wahhabiten aus Saudi-Arabien finanziert. Viel richtiger und wichtiger wäre es, das Problem in Pakistan mit vereinter Hilfe der UNO und der Nato zu lösen.

Afghanistan hat eine Oberfläche von 652.000 km², damit ist es etwas kleiner als Texas. (Deutschland hat eine Oberfläche von 357.000 km².) Es ist großteils gebirgig, nur 12 % seiner Fläche ist für die Landwirtschaft bzw. für die Ernährung der Bevölkerung geeignet. Die Bevölkerung von 28,4 Millionen besteht aus 42 % Paschtunen, 27 % Tadschiken, 9 % Hazara und 9 % Usbeken, Turkmenen und anderen. 80 % der Bürger sind Sunniten und der übrige Teil Schiiten. 50 % der Bevölkerung spricht Dari (dem Persischen verwandt), 35 % Paschtu und der Rest spricht eine dem Türkischem verwandte Sprache. Die Lebenserwartung ist im Schnitt 45 Jahre, und es werden im Schnitt 6,5 Kinder pro Frau geboren (bei uns in Zentraleuropa ist diese Zahl zwischen 1,2 und 1,4). Die arbeitende Bevölkerung in Afghanistan beträgt 15 Millionen Menschen, wovon 80 % in der Landwirtschaft und anverwandten Bereichen tätig sind, 10 % in der Industrie und 10 % im Dienstleistungsbereich. 53 % der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, definiert nach afghanischen Standards.

Afghanistan ist jedoch reich an Naturschätzen wie Erdgas, Mineralöl, Kohle, Kupfer, Chrom und Eisenerz. Durch die unsichere Lage im Lande kann dieses Potential kaum zum Nutzen des Volkes entwickelt werden. Der einzige Wirtschaftszweig, der wirklich gut gedeiht in diesem Land, ist die Produktion von Mohn, das die Basis ist für Opium, Heroin und seine Derivate.

Nach drei Jahrzehnten Krieg wäre es doch höchste Zeit, nachzudenken und zu analysieren, was schief gelaufen ist. Eine Stammesgesellschaft funktioniert anders, als es den Vorstellungen von Demokraten nach westlichem Muster entspricht. Es hat sich herausgestellt, dass der jetzige Präsident korrupt und ein Wahlfälscher ist und dass die Aufsicht der Vereinten Nationen bei den Wahlen vollständig versagt hat. Obwohl mit gewaltigen finanziellen Mitteln der internationalen Gemeinschaft unterstützt, ist das traurige Resultat bis jetzt ein Afghanistan, das in keiner Weise funktioniert und nicht den an es gestellten Erwartungen entspricht. Das westliche Staatsmodell, das man dieser Stammesgesellschaft übergestülpt hat, hat sich als nicht tragbar erwiesen. Mit Recht kann man sagen, dass es der regierenden Elite in Afghanistan nicht gelungen ist, die Bevölkerung vom Nutzen dieses Modells zu überzeugen.

Ein Grund hierfür ist, dass die Taliban als Aufrührer bzw. Rebellen bei den westlichen Geberländern gelten, während Präsident Karsai und seine Unterstützer als Handlanger der westlichen Interventionstruppen, sprich der USA und anderer, von den Afghanen betrachtet werden. Vernünftig wäre es, wenn Afghanistan eine politische Führung bekäme, die vom Volk getragen wird; dies bedeutet nichts anderes, als dass man mit den Taliban in Verhandlungen tritt.

Die Geschichte sollte hier einen Fingerzeig geben: Nach der ausweglosen militärischen Situation, in die sich die USA in Vietnam manövriert hatten, waren es Präsident Nixon und Secretary of State Kissinger, die das Ruder radikal herumrissen, um schließlich und endlich mit den Vietcong und den Nordvietnamesen zu einem Vergleich zu kommen. Dass dieser Vergleich für die USA zu einem Trauma wurde, kann man nicht den Vietnamesen ankreiden.

Es gibt genug andere Beispiele in der Geschichte, in denen man erst die Rebellen bekriegte und später dann mit ihnen am Verhandlungstisch saß.

Verfehlte Drogenpolitik

Einer der großen Fehler, die die US-amerikanische Politik kennzeichnen, ist ihr schon seit drei Jahrzehnten geführter „war on drugs“, der das Problem des Drogenmissbrauchs jedoch in keiner Weise zurückgedrängt bzw. gebändigt hat, sondern eher im Gegenteil nicht nur zu riesigen Folgekosten im eigenen Land und weltweit geführt hat. Eine Folge unter vielen dieser Politik ist, dass die USA heute sowohl absolut wie relativ die größte Gefängnispopulation in der Welt haben. In den vergangenen dreißig Jahren haben die USA für diese total verfehlte Politik jährlich rund US-$ 30 Milliarden ausgegeben. Vielen Ländern in der Welt wurde und wird durch diese Politik immenser Schaden zugefügt. Eines der Opfer ist Afghanistan. Ich verstehe nicht, warum es in den USA so wenige Stimmen gibt, die eine Veränderung dieser verfehlten Politik fordern. Selbst die chinesische Führung unter Deng Xiaoping war nach 29 Jahren Erfahrung mit dem kommunistischen Experiment bereit, Veränderungen zuzulassen und eine neue, intelligentere Politik zu beginnen.

Wenn man weiß, dass 80 % der arbeitenden Bevölkerung in Afghanistan in der Landwirtschaft tätig ist, wenn man weiters weiß, dass eines der Hauptprodukte Mohn ist, und wenn man dann die Taliban als Rebellen bzw. Drogenkartell brandmarkt, dann ist der gordische Knoten perfekt. 1994 wurden auf 71.000 Hektar Ackerland ca. 4.000 Tonnen Opium produziert. 2009 werden auf 123.000 Hektar Land ca. 7.000 Tonnen Opium produziert. In 2007 waren diese Zahlen 193.000 Hektar und ca. 8.300 Tonnen Opium. Die Taliban hatten, solange sie an der Macht waren, aufgrund ihrer Drogenpolitik die Produktion bis zum Jahre 2001 praktisch auf null zurückgebracht. Durch das militärische Eingreifen der Nato in Afghanistan ist diese Produktion wieder auf ein hohes Niveau gestiegen. Die Gewinnspannen in diesem Geschäft sind für die Händler riesig (die einfachen Bauern profitieren jedoch am wenigsten hiervon). Die Taliban finanzieren jetzt mit den Gewinnen ihren Krieg gegen die Interventionstruppen. Bis jetzt ist es den internationalen Geberländern nicht gelungen den Bauern in Afghanistan alternative Verdienstmöglichkeiten anzubieten. Da die afghanischen Drogenkartelle – afghanische Politiker und „war lords“ spielen dabei eine große Rolle – durch die horrenden Gewinne die Produktion von Mohn auf hohem Niveau halten können und die Nato-Truppen gegen diese Aktivitäten praktisch nichts unternehmen, werden Länder wie Russland und China schwer in Mitleidenschaft gezogen. Vor nicht allzu langer Zeit hat sich der russische Außenminister bei der Nato über ihre laxe Haltung hinsichtlich des Drogenhandels in Afghanistan beschwert. In China werden wieder Erinnerungen an die Opiumkriege im 19. Jahrhundert wach, weil man hinter dieser laxen Haltung eine bewusste Politik der US-Amerikaner vermutet, um China und seiner Bevölkerung zu schaden.

Müssen wir in Europa diese Wahnsinnspolitik der US-Amerikaner mittragen? Meine Antwort ist NEIN. Anstatt Truppen und Kriegsmaterial nach Afghanistan zu senden, wäre es vernünftiger, wenn die Europäische Gemeinschaft die gesamte Mohnernte in Afghanistan aufkauft und diesen Stoff der deutschen, französischen oder schweizerischen chemischen Industrie zu weiteren Verwertung übergibt. Erfahrung, wie man die Landwirtschaft eines Landes unterstützen kann, hat Europa bzw. Deutschland oder Frankreich zur Genüge. Die Gewinne, die sich hieraus erzielen lassen, könnte man dann mit dem afghanischen Volk teilen und dazu verwenden, die desolate Infrastruktur des Landes wieder herzurichten.

Zuallererst müssten jedoch die Vereinigten Staaten ihren total verfehlten „war on drugs“ aufgeben, die Produktion und den Handel von Drogen legalisieren und diese damit aus dem kriminellen Kreislauf herausholen. Dann müssten die Taliban und andere Gruppen in Afghanistan als Verhandlungspartner ernst genommen und eine Regierungsform geschaffen werden, mit der die Afghanen in Frieden leben können.

Eine Weiterführung der gegenwärtigen Politik wird nur zu einer weiteren Verschwendung von menschlichen und materiellen Ressourcen in unseren Ländern wie in Afghanistan führen und keine für alle Parteien akzeptable Lösung bringen.


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Bertram Schurian

geb. 1942, VDSt Wien "Philadelphia".

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