Anmerkungen zu Afghanistan

„Kennense Afghanistan? Det jeht Sie Aff’ganischt an!“ – so witzelte das Berliner Trottoir in den 20er Jahren, als Aman Ullah, König von Afghanistan, den selten gewordenen Glanz eines Staatsbesuchs in die Hauptstadt des Weltkrieg-I-Verlierers brachte.


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Nix Genaues weiß man auch heute nicht: Böse Taliban, Brunnen und Straßen bauen, junge Mädchen in die Schulen. Doch plötzlich Tote. „Ihr Tod war nicht vergeblich“, hieß und heißt es regierungsamtlich, genauso wie 1943 beim Ende der 6. Armee in Stalingrad. Der Traditionssatz hat einen wahren Kern. Jeder Krieg hat einen Zweck, und sei es die Bereicherungsabsicht des Söldners. Dient der Tod im Kampf der Zweckerfüllung, ist er tatsächlich nicht vergeblich. Zur Rechtfertigung militärischer Gewalt werden vor allem in Demokratien, die auf Zustimmung der Bevölkerung angewiesen sind, gern akzeptable Gründe genannt, wie Ausbreitung von Demokratie und Menschenrechten, Schutz von Minderheiten und vor Massenvernichtungswaffen. Wortgeklingel, das nicht der Erhellung, sondern der Verdunklung dient.

Die Weltmeere bedecken 71 Prozent der Erde. Seeherrschaft ist daher Weltherrschaft. Zum Erhalt ihrer Seeherrschaft sind die Seemächte bestrebt, große Landmächte vom Zugang zu den Meeren abzuschneiden. Dies erklärt die Politik der Hauptseemacht England, heute im Bund mit den USA, über Jahrhunderte: die Gründung Belgiens (gegen Frankreich), die Unterstützung des Freiheitskampfes der Griechen (gegen das Osmanische Reich) und schließlich die Politik gegenüber der größten europäischen Landmacht, Russland, im Krimkrieg und nach dem 1. Weltkrieg durch die Abtrennung Finnlands, der Baltischen Staaten und der Ukraine, welcher Vorgang sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion maßstäblich wiederholte. Drei verlustreiche und letztlich erfolglose Kriege führten die Engländer mit indischen Hilfstruppen im 19. Jahrhundert, um Russland den Zugang zum Indischen Ozean zu verwehren.

Und heute? Strategische Machtinteressen sind langlebiger als schönfärberische Kriegsgrundbeschreibungen. Wieder geht es in Afghanistan darum, Russland und auch dem mächtig werdenden China, mit seinen im Vergleich zu Land und Menschenmassen kurzen Küstenlinien, den Zugang zu den warmen Meeren zu verwehren. Zwar ist Afghanistan kein Küstenanrainer, doch bietet sein Besitz leichten Zugang zu den warmen Meeren über die Provinz Belutschistan des stets instabilen Pakistan. Also der 4. Afghanistankrieg der neuen Seemächte USA und Großbritannien, nicht mit indischen, sondern nun mit europäischen Hilfstruppen, darunter auch deutschen. Und von fern erinnert es gar an den Einsatz deutscher Soldaten an der Seite Großbritanniens im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, mit dem Unterschied, dass damals die Briten den Einsatz fremder Soldaten bezahlten, während heute die Deutschen die Kosten ihrer Mitwirkung selbst tragen – bisher ca. 6,2 Mrd. Euro. Und noch ein Unterschied: Im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg wurde nicht behauptet, es ginge um den Schulbesuch minderjähriger Mädchen.

„Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“ – griffig im Stil der Schönfärber. Aber Peter Struck hat abgekupfert. Als 1852 Sardinien-Piemont mit Frankreichs Unterstützung gegen Österreich um die Lombardei zu Felde zog, fürchtete man in Deutschland von einem so erstarkten Frankreich neue Begehrlichkeiten am Rhein, und die Presse schrieb, um den zögerlichen Preußenkönig zur Waffenhilfe für Österreich zu bewegen: „Der Rhein wird auch am Po verteidigt.“ Wie man sieht, eine zeitüberdauernd wirkmächtige Parole, die einfallsreicher Politik noch mannigfaltige Anwendungsmöglichkeiten bieten kann. Vielleicht wird eines Tages Bremerhaven an den Shetland-Inseln verteidigt, Andernach in Honduras und Bad Tölz nahe den Quellen des Blauen Nils.


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