Antisemitismus und der VDSt

In den 1870er Jahren entstand ein neuer Antisemitismus im Deutschen Reich. Der moderne Antisemitismus hat seine Ursprünge im mittelalterlich-christlichen Antijudaismus, unterschied sich davon allerdings in vielen Bereichen. Ausgehend vom Vorwurf, die Juden seien Schuld an Jesu Tod, wurde seit frühchristlichen Zeiten ein Narrativ gepflegt, welches die Klassiker der antijüdischen Verschwörungstheorien bedient.


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In den 1870er Jahren entstand ein neuer Antisemitismus im Deutschen Reich. Der moderne Antisemitismus hat seine Ursprünge im mittelalterlich-christlichen Antijudaismus, unterschied sich davon allerdings in vielen Bereichen. Ausgehend vom Vorwurf, die Juden seien Schuld an Jesu Tod, wurde seit frühchristlichen Zeiten ein Narrativ gepflegt, welches die Klassiker der antijüdischen Verschwörungstheorien bedient. So findet sich bereits seit dem 13. Jahrhundert der Mythos der Jüdischen Weltverschwörung, wie auch die Dämonisierung der Juden, die Ritualmordlegenden, der Vorwurf des Hostienfrevels und die Verbindung mit epidemischen Erscheinungen, etwa der Pest, Brunnenvergiftungen aber auch der Vorwurf der Hexerei und Ketzerei. Diese Mythen sorgten in der Geschichte für die beispiellose Unterdrückung der Juden in Europa. Hierbei sind die Gründe für derlei Mythen in Reflexions- und Legitimationsproblemen des Christentums selbst zu suchen und trafen das Judentum eher zufällig. Mit der Entwicklung des modernen Antisemitismus ging auch die Entkopplung des Hasses von jüdisch-christlichen Konflikten einher und hatte letztlich nichts mehr mit realen Juden, sondern einem Aberglauben an die vermeintlich geheimnisvolle Andersheit der Juden zu tun. Der Antisemitismus war eine soziale Bewegung der Moderne, welche mit der Entstehung der Nationalstaaten am Ende des 19. Jahrhunderts, einherging und gegen die Emanzipation der jüdischen Bevölkerung in ebenjenen Nationalstaaten gerichtet war. Ein wichtiger Akteur des modernen Antisemitismus war der deutsche Historiker Heinrich von Treitschke, welcher mit dem des Satz „Die Juden sind unser Unglück“, in den 1870er und 80er Jahren, die Agitation gegen Juden im jungen Deutschen Kaiserreich betrieb und regen Zulauf bekam. Gemeinsam mit dem preußischen Hofprediger Adolf Stoecker waren sie die beiden prägstensten Figuren des deutschen Antisemitismus im Kaiserreich. Die Motivation Treitschkes, Stoeckers und ihrer Anhänger zog sich aus der antiemazipatorischen Bewegung, der inneren Reichsgründung sowie alter antijüdischer Stereotypen. Juden galten als das vermeintlich Andere, als ein Symbol für die Hemmnisse der Nationalstaatswerdungen in Europa und besonders in Deutschland. Sie wurden für alles Schlechte verantwortlich gemacht.

„Die Entstehung der Vereine Deutscher Studenten in der antisemitischen Bewegung“, lautet der Titel eines Aufsatzes von Friedrich Ernst von Schwerin im 1931 erschienenen Buch „Beiträge zur Geschichte des Kyffhäuserverbandes der Vereine Deutscher Studenten“ zusammen mit dem ebenfalls enthaltenen Artikel „Adolf Stoecker und die Vereine Deutscher Studenten“ von Reinhard Mumm, beleuchtet er die Bedeuteung welche der Antisemitismus für die Gründung der ersten Vereine Deutscher Studenten hatte. Diese, Texte geben einen direkten Einblick in die Geisteshaltung mancher VDSter dieser Epoche.

Die Beiträge von Mumm und Schwerin greifen alle klassischen Stereotypen und Verschwörungstheorien völlig unreflektiert auf. Beide waren in den 1880er Jahren im VDSt Berlin aktiv, dessen Ehrenmitglied Heinrich von Treitschke war. Sie standen in engem, persönlichen Kontakt zu Treitschke und vorallem Stoecker. Schwerin wurde in dessen Haus erzogen und Mumm heiratete dessen Ziehtochter und Nichte. Stoecker war ein regelmäßiger Gast auf Veranstaltungen des VDSt Berlin sowie Ehrenmitglied des VDSt Greifswald, sein Sohn wurde ebenfalls VDSter. Neben der Bismarckverehrung war der Jubel auf Treitschke und Stoecker für einige Vereine Deutscher Studenten konstituierend. Mumm und Schwerin wiederholten in ihren Texten die klassisch antisemitischen Vorwürfe und liefern so ein glaubhaftes Bild der Gesinnung der jungen VDSt-Bünde. Jegliche Probleme des jungen Kaiserreiches gingen laut ihnen auf Juden zurück. Ein Bündnis aus Großkapital, Banken, „Mammonismus“ der Presse und liberalen Persönlichkeiten sollte von den Juden gesteuert, versuchen die Macht des Kaisers und Bismarcks zu untergraben.

Fakt ist, dass die ersten Vereine Deutscher Studenten in Berlin, Breslau, Leipzig, Charlottenburg und Halle aus Kommitees zur Verbreitung der Antisemitenpetition an deutschen Hochschulen entstanden. Diese Komitees gingen auf eine Idee des Antisemiten Bernhard Förster, des Schwagers Friedrich Nietzsches zurück, welcher den Einfluss der Juden im Reich begrenzen wollte und hierzu eine die Antisemitenpetition initierte. Die von Treitschke und Stoecker sekundierte Petition war an die Reichsregierung gerichtet und forderte unter Anderem die Entfernung von Juden aus dem Richteramt, den Lehrkörpern, anderen hohen Staatsämtern sowie die Begrenzung der Einwanderung von Juden in das Deutsche Reich. Innerhalb weniger Monate der Jahre 1880/1881 wurden 260000 Unterschriften gesammelt.

Für die zumeist deutschnational eingestellten Vereine Deutscher Studenten  bildete der Antisemitismus somit eine der Gründungssäulen. Wenn auch dessen Bedeutung mit der Zeit abnahm und diesem intern teilweise heftig widersprochen wurde, blieb dieses Gedankengut lange innerhalb des Kyffhäuserverbandes geduldet, wie allein die Beiträge von Mumm und Schwerin oder auch die Mitwirkung anderer VDSters innerhalb des Nationalsozialismus belegen. Erst nach dem Ende des Dritten Reiches fand eine konsequente Aufarbeitung und Abkehr von der eigenen Geschichte statt. Stellvertretend können hier die Worte Bundesbruder Herrman Ehlers aus dem Jahre 1953 gelten:

„Was hat der Kyffhäuserverband der Vereine Deutscher Studenten durch die Art der Ablehnung des Judentums, wie er sie vertreten hat, zu dieser Tragödie beigetragen? Um diese Frage kommen wir nicht herum. Ich bin weit davon entfernt, eine falsche Gleichsetzung vorzunehmen und zu meinen, dass irgendeiner der Männer, die 1881 aus einer bestimmten und einsehbaren volklichen und politischen Situation heraus ein antisemitisches Programm aufstellten, das, was sich in den Vernichtungslagern des Dritten Reiches abgespielt hat, gewollt oder auch nur geahnt hätte. Aber es ist die Frage zu stellen, ob nicht in unserer Geschichte irgendwo ein Rinnsal ist, das in den großen Strom hineingemündet ist und mit ihm zu dem geführt hat, was geschehen ist.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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