Das Böse im Historienfilm

Ob als substanzloser Mangel an Gutem oder weltbestimmende Grundpotenz – das Böse beschäftigt schon seit Jahrtausenden die Menschheit. Als diffuse gesellschaftliche oder psychologische Kraft, die sich in moralisch falschem Handeln äußert, ist es noch heute im kollektiven Bewusstsein präsent. Hiervon konnte auch der Film nicht unberührt bleiben.


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Filmische Darstellungen des Bösen sind ebenso alt wie das Medium selbst. In praktisch allen Genres vertreten, wird es vor allem im Horror- und im Historienfilm besonders intensiv thematisiert. Hierbei kommt zumeist ein eher klassisch-abendländisches Konzept zur Anwendung. Wie der Teufel müssen bestimmte Figuren als Personifizierung des Bösen herhalten. Der Gegenspieler wird dämonisiert, um ihn vom Helden abzugrenzen. In Form von Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid oder Faulheit äußern sich die negativen Charaktereigenschaften, aus denen sich wie in der Lehre von den sieben Todsünden das böse Handeln ableitet. Gleichzeitig werden die jeweiligen politischen, ideologischen oder militärischen Feinde bis hin zur Stereotypisierung simplifiziert – das Böse wird so aus sich selbst heraus erklärbar. Die Konkretion mündet in solchen Fällen nicht selten in Schwarz-Weiß-Malerei, wie beispielsweise die vielen „bösen Russen“ aus den amerikanischen Filmen des Kalten Krieges unterstreichen.

Personifizierung und Faszination

Wirkte das Böse im Kino lange Zeit eher im Hintergrund, rücken es einige aktuelle Historienfilme ganz gezielt in den Fokus. Diktatoren, Gewaltherrscher und wahnsinnige Militärs erscheinen als komplexe Handlungsträger. Durch bestimmte Verhaltensweisen, wiederkehrende Routinen geprägt, gewinnen sie Tiefe und erscheinen fast wie Alltagsmenschen. Doch sie bleiben Dämonen; den kleinbürgerlichen Marotten zum Trotz besteht, beispielsweise, kein Zweifel an der Bösartigkeit des von Bruno Ganz bis zur Selbstaufgabe verkörperten Hitler in „Der Untergang“ (Oliver Hirschbiegel 2004). Von Darmproblemen geplagt, versinkt der Diktator in seiner eigenen Ideologie. Der Zuschauer empfindet angesichts der aussichtslosen Lage keinerlei Sympathie geschweige denn Mitleid, das stattdessen auf die vergifteten Kinder des Propagandaministers Goebbels projiziert wird. Ganz anders hingegen „Der letzte König von Schottland“ (2006): Kevin Macdonald verdeutlicht in seinem Film über den ugandischen Diktator Idi Amin, wie sehr das Böse und die Lust am Abenteuer miteinander korrespondieren. Zwischen Charisma und dämonischer Brutalität mimt Forest Whitaker den Gewaltherrscher derart überzeugend, dass er auch den Zuschauer in den Bann des Bösen zieht. Der lächelnde Despot, der eine neue Waffe ausprobiert, indem er ein Mitglied seiner Leibgarde erschießt, und nicht davor zurückschreckt, seiner untreuen Geliebten die Gliedmaßen ausreißen zu lassen, wird so zum morbiden Helden. Die Faszination am Bösen erwächst hierbei nicht nur aus der gefahrlosen Normverletzung, sondern auch aus der Sensation der gebotenen Affekte. Der Schurke wird so zum Entertainer, dessen Konterfei ganz wie Filmmonster und Aliens die Poster unserer Wände zieren. Zwar handelt es sich in den seltensten Fällen um eine Verherrlichung der tatsächlichen, in der Realität begangenen Greueltaten, dennoch stößt der filmisch zelebrierte Ausbruch aus gängigen Moralvorstellungen auf Widerstand: Vor allem reale historische Bösewichte sind als Filmfiguren nach wie vor äußerst umstritten, verliert das Böse durch seine Konkretisierung doch potentiell einen Teil seines Schreckens.

Eine pathologische Kraft

Das Zeitalter des Terrorismus ruft wieder in Erinnerung, was schon die Düsternis des Film noir der 1940er und 1950er Jahre vermuten ließ: Das Böse mischt sich als diffuse, pathologische Kraft wie Gift in den Blutkreislauf der Gesellschaft. Neuere Kriegs- und Historienfilme kreieren eine Atmosphäre ständiger Bedrohung, in der die Bevölkerungsmassen selbst zur Gefahr werden. In unvorhersehbaren, eruptiven Entladungen entwickelt sich eine eigene Dynamik, deren Vernichtungskraft zufällige, meist unschuldige Opfer trifft. Seien es die Bombenanschläge in Bagdad, die der Held in Kathryn Bigelows „The Hurt Locker“ (2008) verzweifelt zu verhindern versucht, oder auch der aufgebrachte Mob in Ben Afflecks „Argo“ (2012), der während der Iranischen Revolution von 1979 die amerikanische Botschaft stürmt – das Böse breitet sich aus wie eine Krankheit und kennt weder auf Täter-, noch auf Opferseite mehr Individuen. Zwar können in „Argo“ einige Amerikaner dem ersten Angriff entkommen; der aufflammende Hass, der sich in Form eines durch die neuen Herrscher Teherans forcierten Volksaufstandes manifestiert, erscheint jedoch omnipräsent. Um seine Landsleute zu retten, wendet sich der unorthodoxe CIA-Agent Tony Mendez an einen Hollywoodproduzenten. Die Traumfabrik soll dazu beitragen, die verfolgten Amerikaner außer Landes zu schaffen. Getarnt als Filmteam werden die biederen Botschaftsangestellten zu einem Teil der obszönen, arg menschelnden Glitzerindustrie, die als wirksamer Gegenpol zum völlig humorlosen, durch das Böse unterwanderten Apparat des Ayatollahs fungiert. Doch die Wut der iranischen Revolutionäre bleibt nicht in Gänze unerklärbar. Schon im Prolog wird die amerikanische Unterstützung für das Schreckensregime des Schahs angedeutet und die Erstürmung der Botschaft mit dem Aufenthalt des gestürzten Despoten in den USA verbunden. Die hierzu verwendeten Comicbilder werden wie im Vorspann zur HBO-Serie „The Pacific“ (2010) zu Realfilmbildern transformiert. Die schwarz-weißen Zeichnungen erwachen in mehreren Schritten zum Leben. Koloriert und mit einer entsprechenden Fotografie überblendet, setzt sich das artifizielle Bild schließlich als dokumentarische Sequenz in Bewegung. Der fiktionale Film vermittelt nicht nur zwischen diesen beiden Erinnerungsmedien, sondern weist noch weit über sie hinaus: Stand der Schah noch für das alte, personifizierte Böse, wird er nun von einer scheinbar transzendenten Macht abgelöst. Sowohl die Zeichnungen als auch die Dokumentaraufnahmen werden auf diese Weise disqualifiziert. Nur der fiktionale Film – so scheint es – besitzt die Fähigkeit, die Dynamik und die emotionalen Auswirkungen der neuen Bedrohung greifbar zu machen.

Die Renaissance des Bösen

Die kurze Gegenüberstellung zeigt, dass sich das Medium Film ganz besonders dafür eignet, das Böse als Ursache und gleichsam als Triebfeder gesellschaftlicher, politischer und religiöser Prozesse zu kennzeichnen. Während das Konzept der Personifizierung immer auch faszinative Motive birgt, entwickelt die Darstellung als pathologische Kraft eine gänzlich andere Wirkung: Zwar wird dem Bösen einerseits der Glamour und die Attraktion genommen, andererseits entpuppt es sich als etwas sehr viel Bedrohlicheres. Anstelle des Abbildes einer simplen Stereotypenkonstruktion tritt es als komplexe Anordnung diffuser Affekte zur Auslösung von Angst und Bedrohung in Erscheinung. In dieser Neukonzeption des Bösen findet das Medium Film zu seiner eigentlichen Stärke zurück – dem Potential zur Vermittlung einer intensiven sinnlichen Erfahrung.


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Rasmus Greiner

geb. 1983, Dr. phil., Medienwissenschaftler, VDSt Marburg.

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