Deutsche Einwanderung in Brasilien

Ein fast vergessenes Kapitel unserer Geschichte: Millionen Deutsche wanderten im 19. Jahrhundert nach Brasilien aus. Den Einfluss der deutschen Besiedlung spürt man in Südbrasilien bis heute.


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Die deutsche Einwanderung in Brasilien beginnt im Jahr 1824, kurz nachdem sich Brasilien von Portugal löste. An der Spitze der neuen Monarchie standen Dom Pedro I. von Portugal und Maria Leopoldine von Österreich. Die Ansiedlung deutscher Arbeiter verfolgte das Ziel, die wenig besiedelte Region Südbrasilien gegen Ansprüche Spaniens zu sichern. Dass es Deutsche waren, die dafür ausgewählt wurden, ist auf die Kaiserin zurückzuführen. Ihr war die soziale Struktur zuwider: portugiesische Großgrundbesitzer, die die Arbeit auf den Feldern von Sklaven aus Schwarzafrika und Indianern verrichten ließen. Man spekuliert, dass sie eine Europäisierung der Bevölkerung anstoßen wollte.

Aus den deutschen Ländern ließen sich viele zur Auswanderung bewegen, denn sie waren arm, kriegsmüde und chancenlos. Brasilien bot die Chance auf einen Neuanfang, fern von Krieg und Hunger. Die Bedingungen wirkten günstig: Übernahme von Reisekosten, kostenlose Grundstücke bis 70 Hektar, Starthilfe, Saatgut, Werkzeuge, Freiheit und freie Religionsausübung. Tatsächlich fiel die Hilfe dürftig aus, und die Pioniere waren auf sich selbst gestellt, um im Dschungel zu überleben: ein dichter, feuchter, schwüler Urwald, der Boden ein Dickicht von Büschen und Ästen und Gefahren wie zahlreiche Giftschlangen, Spinnen, Skorpione und Indianer.

Immer tiefer in den Schneisen wurde Brandrodung zur Urbarmachung des Landes eingesetzt, die Wildnis zurückgeschlagen. Nach vielen Jahren harter Arbeit war der Sieg über der Natur vollbracht. Die Bauern erreichten einen gewissen Wohlstand und errichteten damit Schulen, Kirchen und Vereine.

Die deutsche Sprache erhielt sich im Hinterland Brasiliens über viele Jahre. Es bildeten sich durch die geographische Abschottung Sprachinseln, in denen hauptsächlich Hunsrückisch und Pommeranisch gesprochen wurde. Der Dialekt unterlag Änderungen, bedingt durch die fremde Umgebung. So wurden Wörter übernommen, die es zur Zeit der Auswanderung nicht gab oder die vergessen wurden. Portugiesische Verben werden nach deutschen Regeln konjugiert (bspw. offendieren aus ofender statt beleidigen); Substantive können eine typische Endung erhalten (bspw. guri-chen statt Junge). Subtiler ist der Lehngebrauch der Syntaxe (bspw. träumen mit aus sonhar com statt träumen von).

Die Bauern, sofern sie es überhaupt taten, sprachen Portugiesisch mit einer starken Färbung, die inzwischen typisch für die Volksgruppe geworden ist. Den meisten ist nun Portugiesisch geläufig. Es werden beide Sprachen zur Kommunikation eingesetzt: oft als Wiederholung einer Aussage, oft auch innerhalb eines Satzes.

Entscheidend für den Erhalt der deutschen Sprache war die Abschottung. Ebenso wichtig waren Schule, Kirche und Vereine, später auch Zeitungen, Bücher und Kalender. Mit der Sprache wurde auch die Kultur erhalten: Liedgut, Sprüche und Tugenden (besonders Fleiß und Ordnung). Sprache und Kultur gehen Hand in Hand, denn ohne die bekannten Ausdrücke lassen sich bestimmte Werte nicht ohne weiteres übermitteln; so sollte es auch kommen.

Niedergang der deutschen Minderheit

haendler zu pferd brasilienDie Erfolgsgeschichte der deutschen Einwanderung in Brasilien wurde plötzlich zum Stocken gebracht. 1937 ließ der Putschist Vargas das Parlament auflösen und regierte acht Jahre als Diktator. Er hatte die Vision eines nationalen Staates, bewohnt von einem brasilianischen Mischvolk. Wegen einer vermuteten Gefahr, die die deutschen Bauern dieser Vision darstellten (sowie italienische und japanische Volksgruppen), setzte er sie zunehmend unter Druck. Er ließ alle Parteien verbieten und es besonders die wenigen Anhänger der Nazis spüren, die auch in Brasilien mit Hetzparolen gegen die lokale Bevölkerung Hass schürten.

Vargas betrieb eine zunehmend aggressivere Assimilierungspolitik. Zuerst durften neue Siedlungen nur noch aus einer heterogenen Bevölkerung entstehen. Später ließ er ausländische Besitzer von Industrie und Handel enteignen – es kam zu Ausschreitungen und Plünderungen, besonders dort, wo sich andere Volksgruppen in der Mehrheit befanden. Schließlich kam es zum Verbot, Deutsch in der Öffentlichkeit zu sprechen. Das war der härteste Schlag gegen die Volksgruppe. Die Unterrichtssprache der meisten Schulen des Landes wurde von einem Tag auf den anderen verboten, Zeitungen eingestellt, Bücher beschlagnahmt, und es kam zur Verhaftungen und Internierungen.

Aus brasilianischer Sicht kassierten die Deutschen die Retoure für ihre hochmütige, verschlossene Haltung. Enteignet, ohne Führung und ohne Sprache war es um die deutsche Minderheit schlecht bestellt. Aus Angst vor Repressalien brachten viele Eltern ihren Kindern die deutsche Sprache nicht bei. Es folgte ein Generationenbruch, der heute deutlich zu spüren ist. Die Erschließung der vorher isolierten Gegenden mit Straßen, das Fernsehen und die Landflucht gaben der einst florierenden Bauernkultur den Gnadenstoß.

Deutschtum heute

Heute leben die meisten Bewohner Brasiliens in der Stadt und viele, die in der Stadt ihr Glück versuchen, erachten den aus dem Land hergebrachten Dialekt als abzuwerfende Last, für die man sich schämt – eine traurige Entwicklung. Heute beherrschen nur wenige junge Leute die deutsche Sprache; meist tun es nur noch ihre Großeltern.

Die deutsche Minderheit stellt einen beachtlichen Teil der Bevölkerung Südbrasiliens dar. Der Bevölkerungsteil wird auf 10–20 % der südlichsten Bundesländer geschätzt (bis zu 5 Millionen Menschen), ca. 1–2 % der Bevölkerung Brasiliens.

Die ländliche Bevölkerung ist durch geringe Lebensmittelpreise in der Regel verarmt. Nicht viele konnten mit dem Techniksprung des letzten Jahrhunderts mithalten. In der Stadt gibt es Deutsche in allen sozialen Schichten.

Zu den Errungenschaften der Pioniere gehören die Urbarmachung riesiger Landstriche und der Bau zahlreicher Siedlungen. Sie förderten den Ausbau des Schul- und Vereinswesens und brachten den Protestantismus nach Brasilien. ihr Einfluss in Südbrasilien ist von entscheidender Bedeutung.


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