Die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung

2009 hat der Bundestag die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen gesetzlich geregelt. Lange ethische und juristische Debatten waren dem vorausgegangen. Auch bei der neuen Regelung heißt es: wachsam sein.


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Für die Patientenverfügung gab es lange keine gesetzliche Regelung. Die Rechtslage war durch die Rechtsprechung bestimmt, die verschiedene Interpretationen ermöglichte und den Richtern einen weiten Spielraum einräumte. Auch die Ärzte fühlten sich frei, Patientenverfügungen zu beachten oder auch nicht. In einer Grundsatzentscheidung vom 17. März 2003 hatte der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes Patientenverfügungen zwar als bindend anerkannt. Zugleich machte er aber die Einschränkung, dass die Patientenverfügung nur dann angewendet werden konnte, wenn das Grundleiden einen irreversiblen und tödlichen Verlauf angenommen hatte. Diese Voraussetzung lag jedoch bei Patienten mit Demenz oder Wachkoma nicht vor, so dass in einer großen Zahl von Fällen das Selbstbestimmungsrecht bei entscheidungsunfähigen Patienten ausgeschlossen war.

Nach dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofes hatte das Bundesministerium der Justiz eine gesetzliche Regelung für notwendig erachtet, einen Entwurf ausgearbeitet und im November 2003 den Justizministerien der Länder sowie den betroffenen Verbänden zur Stellungnahme zugeleitet. In einer Debatte des Bundestages am 10. März 2005 zum Thema „Patientenverfügung“ erklärte die damalige Bundesministerin der Justiz, Frau Zypries, der Entwurf ihres Hauses solle nicht weiter verfolgt werden, da ein interfraktioneller Entwurf unter Leitung des rechtspolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, des Abgeordneten Joachim Stünker, ausgearbeitet und der Fraktionszwang aufgehoben werden solle. Wegen der vorzeitigen Auflösung des Bundestages im Sommer 2005 ist es dazu nicht mehr gekommen.

Die Arbeiten an diesem Komplex wurden dann in der neuen Legislaturperiode von 2005 bis 2009 wieder aufgenommen und führten zu Entwürfen von 3 Gruppen unter Leitung der Abgeordneten Bosbach (CDU), Stünker (SPD) und Zöller (CSU). Außerdem hat die FDP-Fraktion einen Entwurf vorgelegt, der aber nicht ernsthaft verfolgt wurde. Die Diskussionen wurden am 18. Juni 2009 mit Abstimmungen im Plenum des Bundestages abgeschlossen.

Die Entscheidung des Bundestages

Hinter den Kulissen wurde im Bundestag hart um diese Gesetzentwürfe gerungen. Die ursprünglich für Ende Mai 2009 angesetzte Entscheidung wurde noch einmal verschoben, und es war einige Zeit unklar, ob der Bundestag noch vor Ablauf seiner Wahlperiode im Herbst 2009 entscheiden könne. Zwischen dem zuerst vorgesehen Termin Ende Mai 2009 für die Behandlung dieser Gesetzentwürfe und dem endgültigen Termin am 18. Juni 2009 wurde noch von einer Gruppe um den Abgeordneten Hubert Hüppe (CDU/CSU) ein Antrag mit dem Titel „Gesetzliche Überregulierung der Patientenverfügung vermeiden“ eingebracht. Sein Ziel war es, eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung überhaupt zu unterlassen. Dieser Antrag wurde jedoch zu Beginn der Abstimmungen mit der Mehrheit des Bundestages abgelehnt. Zuvor gab es eine engagierte und kenntnisreiche Debatte der Hauptprotagonisten. In den folgenden Einzelabstimmungen erhielt der Zöller-Entwurf 77 Ja-Stimmen, der Bosbach-Entwurf 220 Ja-Stimmen und der Stünker-Entwurf 320 Ja-Stimmen, unter denen sich nur eine Stimme aus der CDU/CSU, d. h. von der CSU-Abgeordneten Wöhrl, befand.

Die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung

Die vom Bundestag verabschiedete gesetzliche Regelung bezieht sich nur auf die Regelung der formalen Aspekte der Patientenverfügung. Die inhaltlichen Aspekte der Patientenverfügung werden in dem Gesetz nicht behandelt und bleiben vollständig in der Sphäre des Verfassers einer Patientenverfügung. Er ist also völlig frei, den Inhalt seiner Patientenverfügung  nach seinen Vorstellungen und Bedürfnissen zu gestalten.

1. Im § 1901a BGB  wird der Begriff der Patientenverfügung definiert und festgelegt, dass sie schriftlich abgefasst werden soll. Wenn der Zeitpunkt ihrer Anwendung gekommen ist, soll der Betreuer oder Bevollmächtigte prüfen, ob ihre Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist das der Fall, ist dem Willen des Betreuten Geltung zu verschaffen.

Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation nicht zu, hat der Betreuer oder Bevollmächtigte unter Beachtung des mutmaßlichen Willens des Betreuten zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme einwilligt oder sie untersagt. Es folgen dann Aussagen über die Ermittlung des mutmaßlichen Willens.

Abschließend wird festgelegt, dass diese Vorschriften unabhängig von der Art und dem Stadium der Erkrankung gelten und dass niemand zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet werden kann.

2. Im § 1901b BGB wird der behandelnde Arzt verpflichtet zu prüfen, welche ärztlichen Maßnahmen im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert sind. Anschließend soll er die indizierten Maßnahmen mit dem Betreuer bzw. Bevollmächtigten unter Berücksichtigung des Patientenwillens erörtern. Außerdem soll nahen Angehörigen oder sonstigen Vertrauenspersonen des Patienten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, sofern das ohne erhebliche Verzögerung möglich ist. Diesen Personenkreis einzubeziehen ist sinnvoll, um späteren Auseinandersetzungen in der Familie vorzubeugen. Dass das Pflegepersonal nicht in diesen Kreis einbezogen wird, wie das im Bosbach-Entwurf der Fall war, ist gerechtfertigt, da es in der Regel eigene Interessen haben kann, die nicht mit denen des Patienten übereinstimmen.

3. Im § 1904 BGB wird festgelegt, unter welchen Voraussetzungen die Einwilligung oder Nichteinwilligung des Betreuers oder Bevollmächtigten der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf. Das ist der Fall, wenn die Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauenden gesundheitlichen Schaden erleidet. Das Vormundschaftsgericht hat die Maßnahme zu genehmigen, wenn sie dem Willen des Betreuten entspricht. Eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung ist nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer oder Bevollmächtigtem und dem behandelnden Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Maßnahme dem Willen des Betreuten entspricht. Der Bevollmächtigte kann jedoch nur handeln, wenn die Vollmacht diese Maßnahmen ausdrücklich umfasst und schriftlich erteilt ist.

Ausdrücklich möchte ich noch einmal auf folgendes hinweisen: Falls keine Patientenverfügung vorliegt oder ihr Inhalt nicht auf die gegebene Situation zutrifft, hat der Betreuer bzw. der Bevollmächtigte die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten zu ermitteln und auf dieser Grundlage zu entscheiden. Das ist, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, jedoch selbst für einen nahen Angehörigen sehr schwierig und für einen außenstehenden Dritten in der Regel unmöglich. Auf diesen Fall sollte man es möglichst nicht ankommen lassen, sondern ihn durch Erstellung einer Patientenverfügung vermeiden.

Das Gesetz verschafft Patientenverfügungen volle Anerkennung und verpflichtet Gerichte, Betreuer, Bevollmächtigte und Ärzte, sie umzusetzen. Das ist ein entscheidender Fortschritt gegenüber der bisherigen Rechtslage, die allein durch interpretationsfähige Gerichtsentscheidungen geprägt war. Da das Gesetz keine Aussagen zum Inhalt von Patientenverfügungen enthält, sondern ihn völlig in das Belieben des Verfassers stellt, bleibt es ihm überlassen, den Inhalt seiner Patientenverfügung nach seinen Vorstellungen und Bedürfnissen zu gestalten. Deshalb brauchen bestehende Patientenverfügungen auch nicht geändert zu werden. Sie können so bleiben, wie sie sind. Sie brauchen nach diesem Gesetz auch nicht nach Ablauf einer Frist erneut bestätigt zu werden. Es bleibt auch jedem überlassen, ob er eine Patientenverfügung erstellen will oder nicht. Es besteht in dieser Hinsicht kein Zwang.

Notwendige Vorkehrungen neben der Patientenverfügung

So wichtig die Abfassung einer Patientenverfügung ist, um sicherzustellen, dass kein übertriebener medizinischer Aufwand betrieben wird und Leiden nicht unnötig verlängert werden, sind noch weitere Vorsorgemaßnahmen erforderlich, um zu verhindern, dass Fremde als Betreuer mit der Betreuung eines entscheidungsunfähigen Angehörigen vom Vormundschaftsgericht betraut werden und dadurch beträchtliche Kosten anfallen. Außerdem können in diesen Fällen erhebliche und unerfreuliche Auseinandersetzungen mit dem Vormundschaftsgericht entstehen, dessen Genehmigung für viele Entscheidungen des Betreuers zu gesundheitlichen Fragen und Vermögensverfügungen erforderlich ist. Ich habe in dieser Hinsicht sehr unerfreuliche Erfahrungen als ehrenamtlicher Betreuer meines Schwagers gesammelt. Obwohl er im Januar 2005 gestorben ist, bin ich bis jetzt noch mit der Auseinandersetzung über ungerechtfertigte  Gerichtskosten befasst. Das Amtsgericht Bielefeld hatte an Kosten für das Betreuungsverfahren, Gutachten und den Verfahrenspfleger knapp 4.000,- € angesetzt.

1. Der sicherste Weg, um die Einschaltung des Vormundschaftsgerichts und eines Betreuers, sei es ein berufsmäßiger oder ein ehrenamtlicher, zu vermeiden, ist die Erteilung einer Vorsorgevollmacht, die einmal für die allgemeinen Rechtsgeschäfte gilt sowie Entscheidungen über die ärztliche Behandlung und die Unterbringung des Betreuten, auch wenn sie mit Freiheitsentzug verbunden ist, umfasst. In der Vollmacht sollte auch auf die Patientenverfügung verwiesen und der Bevollmächtigte angewiesen werden, sie im Ernstfall durchzusetzen.

Nach § 1904 Abs. 4 BGB reicht es, dass eine solche Vollmacht schriftlich erteilt ist. Gleichwohl sollte überlegt werden, ob es nicht vorteilhafter ist, diese Vollmacht notariell beurkunden zu lassen. Eine notariell beurkundete Vollmacht ist notwendig, wenn im Rahmen der Vermögensfürsorge Verfügungen über Immobilien zu treffen sind. Wenn keine Vollmacht für Verfügungen über Konten bei den kontoführenden Banken erteilt worden ist, ist eine notariell beurkundete Vollmacht vorteilhaft. Die notarielle Beurkundung einer Vollmacht verursacht zwar Kosten, aber diese sind einmalig und im Vergleich zu den Kosten, die durch die Bestellung eines Betreuers durch das Vormundschaftsgericht anfallen, relativ gering.

Zu berücksichtigen ist  auch, dass der Ehepartner nicht einfach als Vertreter des anderen Ehepartners auftreten kann. Er bedarf dazu einer Vollmacht oder er muss vom Vormundschaftsgericht als Betreuer eingesetzt werden. Deshalb empfiehlt es sich, dass sich Eheleute in einer Vollmacht gegenseitig als Bevollmächtigte einsetzen und dass sie darüber hinaus ihre Kinder oder einen Dritten auch als Bevollmächtigte einsetzen, um für jeden Eventualfall vorzusorgen. Wenn man verhindern will, dass der Bevollmächtigte vorzeitig von der erteilten Vollmacht Gebrauch macht, braucht man sie ihm nicht direkt auszuhändigen, sondern kann sie selbst aufbewahren und Vorsorge treffen, dass er sie im Ernstfall erhält und dann agieren kann. Er sollte jedoch über das Vorliegen der Vollmacht unterrichtet sein und wissen, wer sie ihm gegebenenfalls aushändigt oder wo er sie finden kann. Die Vollmacht sollte auch über den Tod hinaus gelten, da nach dem Tod zahlreiche Verfügungen zu treffen sind und der überlebende Ehegatte oder die Erben Schwierigkeiten haben könnten, mit der Situation angemessen fertig zu werden.

2. Eine weitere Möglichkeit, die Auswahl eines Betreuers zu beeinflussen, ist die Abfassung einer Betreuungsverfügung. Darin kann festgelegt werden, wer Betreuer werden und wer es auf keinen Fall werden soll. Nach § 1897 Abs. 4 BGB soll das Gericht dem Vorschlag folgen, wenn es dem Wohl des Vorschlagenden nicht zuwiderläuft. Werden keine Vorschläge zur Auswahl eines Betreuers gemacht, so soll das Gericht bei der Auswahl des Betreuers auf die verwandtschaftlichen und sonstigen persönlichen Bindungen des zu Betreuenden, insbesondere auf die Bindungen zu Eltern, Kindern und zum Ehegatten, sowie auf die Gefahr von Interessenkonflikten Rücksicht nehmen. Ehrenamtliche Betreuer haben grundsätzlich Vorrang vor berufsmäßigen Betreuern.

Wegen der mit einer Betreuung verbundenen Probleme mit dem Betreuer und dem Vormundschaftsgericht sollte man versuchen, diese Lösung zu vermeiden und möglichst jemanden finden, den man bevollmächtigen kann, seine Angelegenheiten auszuführen, wenn man selbst nicht mehr entscheidungsfähig ist. Der Rückgriff auf einen Betreuer sollte nur der letzte Ausweg sein. Gegen den Rückgriff auf einen Betreuer sprechen nicht nur die damit verbundenen Kosten, sondern auch die Gefahr, dass er nicht sorgfältig mit dem vorhandenen Vermögen umgeht. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele, die teilweise in den Medien aufgegriffen wurden. Auch die Überwachung der Vermögensverfügungen eines Betreuers durch das Vormundschaftsgericht ist kein absoluter Schutz vor unangemessenen Entscheidungen. Die Rechtspfleger, die solche Geschäfte zu genehmigen haben, sind oft unzureichend für den Umgang mit wirtschaftlichen und finanziellen Geschäften vorgebildet.

Schlussbemerkungen

Dieser Fragenbereich erscheint auf den ersten Blick hauptsächlich für ältere Menschen von Bedeutung zu sein. Dabei wird jedoch übersehen, dass Eltern nicht mehr für ihre Kinder entscheiden können, wenn diese volljährig geworden sind. Werden sie nach dem 18. Geburtstag durch einen Unfall oder ein anderes Ereignis entscheidungsunfähig, dann wird das Vormundschaftsgericht tätig und setzt die Betreuungsmaschinerie mit allen dargestellten Konsequenzen in Gang. Das kann nur verhindert werden, wenn rechtzeitig eine Patientenverfügung erstellt und eine Vollmacht erteilt wird. Deshalb sollte sich jeder, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, überlegen, ob er nicht für einen solchen Ernstfall vorsorgen sollte.


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Joachim Koch

geb. 1934, Ministerialrat a. D., VDSt Münster.

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