„Ein Leben zwischen Wissenschaft und Politik“

Johann Gustav Droysen als politisierender Historiker prägte mit anderen Professoren seiner Zunft den Zeitgeist im neunzehnten Jahrhundert. Wilfried Nippel widmet dem Hellenisten und Borussisten eine Biographie – mit Mängeln.


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Über den im hinterpommerschen Städtchen Treptow an der Rega am 6. Juli 1808 geborenen und in Berlin am 19. Juni 1884 gestorbenen politischen Historiker Johann Gustav Droysen gibt es eine stattliche Zahl glänzender biographischer Studien in Aufsatzform, etwa – ich greife wahllos heraus – von Otto Hintze, Friedrich Meinecke, Hellmut Berve, Karl Christ und Hans Jochim Gehrke aus den Jahren 1903, 1929, 1931 1972 und 1989. Während die beiden Letzteren mehr oder weniger zu unserer Generation zählen, gehören die drei zuerst Genannten zur Generation unserer geistigen Väter und Großväter. Während die genannten drei Altmeister und ihre Werke bis heute auf die Geschichtswissenschaft großen Einfluss haben, trifft dies auf Johann Gustav Droysen nicht zu. Sein Einfluss endete schon relativ kurze Zeit nach seinem Tod. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sein Werk „Historik. Vorlesungen über Enzyklopädie und Methodologie der Geschichte“, hrsg. v. Rudolf Hübner, München und Berlin 1937, im Jahre 1977 eine achte Auflage erfuhr wie in demselben Jahr 1977, fortgeführt 2007 und 2008, eine neue kritische Ausgabe erfuhr. Das Werk ist für die Geschichte der Theorie der Geschichtswissenschaft und als Begründung der Eigenständigkeit und Eigenarten der Geisteswissenschaften auch heute noch von einer gewissen Bedeutung. – Ein wirklicher Bedarf für die hier anzuzeigende Biographie des an der Humboldt-Universität zu Berlin lehrenden Althistorikers Nippel bestand also nicht wirklich. Gleichwohl ist das Werk durchaus lesenswert, auch wenn es Mängel aufweist.

Der Sohn des Pommernlandes wurde 1835 Professor in Berlin, 1840 in Kiel, 1851 in Jena in Wartestellung auf einen Lehrstuhl an der renommierten Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, auf den er dann 1859 endlich berufen wurde. – Als Kieler Professor nahm er 1848 als begeisterter deutscher Patriot an dem Aufstand gegen die Politik Dänemarks teil und wurde in das Frankfurter Paulskirchen-Parlament gewählt, in die erste deutsche Nationalversammlung. Dort war er der einflussreiche Schriftführer des Verfassungsausschusses und gehörte der Erbkaiserlichen Partei an, die die kleindeutsche Lösung der deutschen Frage unter der Führung des Königreichs Preußen anstrebte, also Pläne hegte, wie sie in ähnlicher Form nach drei Kriegen durch Bismarcks kluge Realpolitik herbeigeführt wurde. 1850 schon endete das direkte politische Engagement des Historikers.

Als Historiker war Droysen zuerst der Alten Geschichte zugetan und verpflichtet; erst in Kiel wandte er sich durch die Politik der neueren Geschichte zu. – Mit seinen frühen Werken „Geschichte Alexanders des Großen“, 1833, und „Geschichte des Hellenismus“, 2 Bände 1836 und 1843 (zusammen mit der Alexander-Biographie eine dreibändige erheblich überarbeitete Neuauflage 1877/78, Neudruck 1980), prägte Droysen den Begriff des Hellenismus. – Seine große „Geschichte der preußischen Politik“, fünf Teile in 14 Bänden, 1855 bis 1886, blieb unvollendet und bricht mit dem Jahr 1756 ab. In ihr versuchte ihr Verfasser durchaus quellennah, im höchsten Maße kenntnisreich und mit enormem Fleiß den Nachweis zu erbringen, dass Brandenburg-Preußen etwa seit der Regierungszeit des Großen Kurfürsten (1640–1688) eine historische Mission, einen „deutschen Beruf“ gehabt habe, nämlich auf die Bismarcksche Reichsgründung der Jahre 1866 bis 1871 hinzuarbeiten. Diese Droysenschen Thesen wurden schon Ende des 19. Jahrhunderts widerlegt, und zwar ausgerechnet durch Schüler von ihm, zum Beispiel den bedeutenden Reinhold Koser (1852–1914) in seiner monumentalen und noch heute gültigen Biographie Friedrichs des Großen in den Jahren 1893 bis 1914 (5. Auflage posthum 1921–1925, Neudruck 1963). Auch wenn sie noch lange Erfolge feierte und mitunter unerfreuliche Nachwirkungen zeigte, war die von Droysen begründete Schule der sogenannten borussistischen Geschichtsschreibung im Kern schon wenige Jahre nach dem Tod ihres Meisters widerlegt, überwunden und selbst Geschichte geworden. Man kann das als tragisch werten, muss es aber nicht. Tragisch hingegen war auf jeden Fall, dass des „alten“ Droysen Sohn Gustav Droysen, der in Halle Geschichte lehrte, ein allerhöchstens mittelmäßiger Vertreter der Zunft war und im wissenschaftlichen Schatten des zu seinen Lebzeiten übermächtigen Vaters nicht gedeihen konnte. Er versuchte sich auch an einer Biographie über den Vater, die aber schon mit dem Jahr 1848 abbricht.

Alle Stationen des erfolgreichen Gelehrtenlebens werden in dem Buch anschaulich, lebendig und zuverlässig nachgezeichnet. Man kann es gut lesen. – Nippel aber geht es letztlich weniger um eine wirkliche Biographie als um die Kritik an der bis heute überwiegenden letztlich positiven Darstellung des Gelehrten. Deshalb kritisiert und entlarvt Nippel weitgehend durchaus zutreffend und aus den Quellen belegt dessen Pathos, seinen Hang zur Intrige, sein Ausweichen vor öffentlicher Verantwortung und seinen  stark ausgeprägten Ehrgeiz. Das geschieht aber leider in der Haltung eines anklagenden Staatsanwaltes und wirkt bisweilen vielleicht sogar eher billig. Es fehlt das Bemühen, Droysen aus seiner Zeit und mit deren Maßstäben zu verstehen.

 

Wilfried Nippel: „Johann Gustav Droysen“: Ein Leben zwischen Wissenschaft und Politik, Verlag C. H. Beck, München 2008. 446 S., geb., 24,90 Euro


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Ludwig Biewer

geb. 1949, Dr. phil., Historiker, Archivar, VDSt Marburg und Königsberg-Mainz.

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