Evolution oder Schöpfung?

Die Evolutionslehre gilt gemeinhin als eines der besten Argumente des naturalistischen Atheismus. Aber das ist ein langlebiger Irrtum. Evolution und christliche Schöpfungslehre sind keineswegs unvereinbar, sagt Jörg Schaur.


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schoepfer„There’s probably no god – Now stop worrying and enjoy your life.“ Mit diesem Slogan auf Londons Doppeldecker-Bussen startete der Evolutionsbiologe Richard Dawkins 2010 eine breite Atheismus-Kampagne. Dawkins gehört zu jenen kämpferischen Naturwissenschaftlern, die behaupten, aus dem methodischen Naturalismus, der die Grundlage der Naturwissenschaften bildet, ließe sich zwingend ein weltanschaulicher Naturalismus/Atheismus ableiten. Für ihn steht die Antwort auf die Frage „Evolution und/oder Schöpfung?“ fest: Es gibt nur die Evolution; Schöpfung ist ein frommes Märchen. Genau umgekehrt sehen es die Kreationisten. Für sie gibt es nur die Schöpfung mit Gott als Urheber; Evolution ist eine Hypothese, für die es keine Beweise gibt.

Für mich als Biochemiker einerseits und Christ andererseits sind beide Extremstandpunkte unbefriedigend und ich möchte die These begründen, dass Evolution und Schöpfung zwei zueinander komplementäre Konzepte sind. Ich beziehe mich dabei auf die hervorragende Abhandlung „Evolution und Schöpfung in neuer Sicht“ des Fundamentaltheologen Hans Kessler (Butzon & Berker 2009).

Die biblischen Schöpfungstexte – was sie wollen und was sie nicht wollen

In der Auseinandersetzung zwischen Kreationisten und Atheisten spielen die Schöpfungstexte am Anfang der Bibel eine große Rolle. Beide Gruppen fassen den Text über die Erschaffung der Welt in 7 Tagen als einen naturkundlichen Bericht auf. Die bibelwissenschaftliche Forschung konnte jedoch eindeutig zeigen, dass es sich bei diesem Text um einen Hymnus handelt. Die 7 Tage gehören zur Form des Hymnus (wie 7 Strophen).

Der erste Satz (Genesis 1,1) ist dabei entscheidend: ,,Im Anfang (oder: als Anfang) schuf Gott Himmel und Erde.“ Das ist ein „überschriftartiger Mottosatz“. „Im/als Anfang” ist freilich keine treffende Übersetzung; denn das hebräische Wort meint weniger den zeitlich vergangenen Anfang, als vielmehr den mitgehenden Anfang, der andauert (ähnlich wie lat. principium: Prinzip, Grund, Grundlage).

Genesis 1,1 besagt demnach: Es macht das prinzipielle Wesen der Welt aus, von Gott erschaffen zu sein. Dieser erste und Motto-Satz der Bibel ist der Schlüssel zum Verständnis der Bibel insgesamt.

Was ist der Kernpunkt? Im biblischen Israel ist etwas passiert, das wir in seiner Bedeutung kaum überschätzen können: die Annahme einer gegenüber dem vorhandenen Weltall unterschiedenen (aber nicht von ihr getrennten) unendlichen Wirklichkeit, die gerade nicht außerweltlich, sondern in allem anwesend ist.

Der harte, weltanschauliche Naturalismus – warum er zu kurz greift

Um die Unzulänglichkeit des weltanschaulichen Naturalismus aufzuzeigen, kann man davon ausgehen, dass die Wirklichkeit vieldimensional und aus mehreren Perspektiven zugänglich ist.

Der Philosoph Richard Schaeffler unterscheidet vier strukturverschiedene Erfahrungstypen: wissenschaftliche, ästhetische, moralische und religiöse Erfahrung. Jede ist autonom, aber nicht autark (von der Umgebung unabhängig), sondern auf die andern angewiesen.

Der Physiker Werner Heisenberg sprach von einer Schichtentheorie der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit habe mehrere Schichten. Auf einer untersten Schicht könnten die kausalen Zusammenhänge der Erscheinungen und Abläufe in Raum und Zeit objektiviert werden, dann gebe es darüber andere Schichten usw., und dann sprach er von einer „obersten Schicht der Wirklichkeit …, in der sich der Blick öffnet für jene Teile der Welt, über die nur im Gleichnis gesprochen werden kann“: vor allem über „den letzten Grund der Wirklichkeit“.

Die Wahl der Perspektive und Methodik präformiert die Ergebnisse; sie leitet auch das, was man bei Beobachtungen sieht. Die Naturwissenschaft bezieht eine objektivierende Beobachter-Perspektive. Sie untersucht regelhafte (gesetzmäßige) Funktionszusammenhänge zwischen endlichen Ursachen, z. B. die Mechanismen und Faktoren der Evolution. Sie fragt nicht, was etwas ist, sondern – mit der Absicht, in den Lauf der Dinge eingreifen zu können – danach, wie die Dinge auseinander entstehen und wie sie funktionieren.

Wie stehen nun die Ebenen oder Schichten zueinander? Die jeweils untere Ebene ist, ohne ihre Gesetzlichkeit zu verlieren, dienend integriert in die höhere Ebene, die nicht auf jene reduzierbar ist, auf der vielmehr neue Gesetzmäßigkeiten hinzukommen.

So bildet das auf der jeweils höheren (etwa biologischen, psychischen, mentalen) Ebene bestehende Gefüge für die jeweils ein- und untergeordnete (etwa physikalisch-chemische) Schicht den jeweils umfassenderen und maßgebenden Rahmen. Im Vergleich gesprochen: Das Klavierstück bildet den maßgebenden Rahmen dafür, wie die Klaviatur verwendet wird.

dawkins_introWo über letzte Fragen entschieden wird (ob atheistisch, deistisch, theistisch oder sonstwie), geschieht dies immer in einem – meist unbemerkten – sinndeutenden Vorgriff auf das Ganze der Wirklichkeit, im Vorgriff auf eine unbemerkt schon vorausgesetzte Weltanschauung oder Metaphysik, also auf einen transzendentalen Interpretationsrahmen, und der ist immer eine mehr oder weniger gut begründete Option.

Zum christlichen Verständnis von Gott und Schöpfung

Der Philosoph Johann Gottlieb Fichte hat eine fundamentale Kritik formuliert gegen die vulgäre Schultheologie des 19. Jahrhunderts, die Gott deistisch als weltjenseitige Person und Schöpfung als willkürliche Setzung nach dem handwerklichen Modell des Wirkens nach außen dachte und so Gott zur externen ersten Ursache bzw. zum Werkmacher reduzierte, der in der Welt nicht vorkommt (und damit nicht Unendlichkeit ist).

Fichte sagte: „Die Annahme einer Schöpfung“ ist „der absolute Grundirrtum aller falschen Metaphysik und Religionslehre“, ,,denn eine Schöpfung lässt sich gar nicht ordentlich denken.”

Wenn man Schöpfung wie die von Fichte mit Recht kritisierte Schultheologie versteht, dann lässt Schöpfung sich in der Tat nicht ordentlich denken. Anders verhält es sich, wenn man „Schöpfung“ als absolut unvergleichbare Ursprungsrelation oder transzendentale Bedingung versteht; ein so gefasster Schöpfungsbegriff wird von Fichtes Kritik nicht getroffen.

Was man von Gott im Rahmen eines sogenannten Pan-en-theismus sagen kann, ist:

(a) Er ist noch größer als der gewaltige Kosmos und transzendiert alles (übersteigt und umfasst alles).
(b) Er ist uns näher und innerlicher als unser Innerstes und allem immanent (in allem ganz tief verborgen als das, was allem Sein verleiht).
(c) Und wenn man wirklich ernst nehmen will, dass Gott der Urgrund der Welt, also auch der Urgrund von personalen Wesen wie uns Menschen ist, dann wird man zugleich festhalten müssen, dass er auch die Qualität des Personalen, Beziehungsfähigen in sich hat.

Der biblisch-christliche Schöpfungsglaube denkt Gott als den, der das Geschaffene freigibt, es bejaht und dialogisch begleitet. Das äußerste uns mögliche Deutungsmodell für diese transzendental-göttliche Freigabe ist die personale Beziehung, die sich zurücknehmende und so den anderen freigebende Liebe. Gott zwingt die Dinge nicht in eine bestimmte Richtung, sondern lädt ein, wirbt, lockt. Alles in der Welt vom Urknall an geschieht in einer ständigen Interaktion zwischen Gott (als ermöglichendem Grund) und den (freigegebenen) Geschöpfen, in einem mehr oder weniger gut gelingenden und oft auch misslingenden „Dialog”.

Die Evolution im Rahmen des Schöpfungsglaubens

Im Rahmen des christlichen Schöpfungsglaubens lässt sich das Wirken der kosmischen Kräfte und Größen als ein von Gott ermöglichtes Eigenwirken verstehen: Gott lässt seinen Geschöpfen – in sich – Raum, lässt sie selbst sein, agieren, sich im Rahmen der jeweils erreichten Vorgegebenheiten in eigener Kraft entfalten und organisieren. Pierre Teilhard de Chardin hat das auf die berühmte Formel gebracht: „Gott macht, dass die Dinge sich selber machen.”

Was ist der hinreichende Grund für den Übergang zu einer neuen Systemebene der Evolution? Karl Rahner hat darauf geantwortet: Gott ermöglicht das eigenständige Wirken der geschöpflichen Kräfte, setzt sie in ihrer autonomen Eigenaktivität frei und befähigt sie zur Selbsttranszendenz auf Neues hin.

Eines der Hauptargumente der atheistischen Naturalisten lautet, dass in der Evolution Zufälle eine entscheidende Rolle spielen und dass dies einem Schöpferwirken Gottes radikal widerspreche.

Die Betrachtungsweise des Schöpfungsglaubens sieht jedoch auf einer anderen, umfassenderen Ebene Verbindungslinien und Sinnzusammenhänge zwischen jenen Ereignissen, welche auf der biologischen Betrachtungsebene als zufällig und planlos erscheinen. Zufall und Zweck/Ziel schließen sich dann nicht notwendig und immer aus. Das kann man sich schon an ganz einfachen Beispielen klarmachen:

Wenn jemand in einem völlig dunklen Zimmer nach dem Lichtschalter sucht, kann er diesen Zweck nur dadurch erreichen, dass er lange genug scheinbar planlos herumtastet und irgendwann zufällig den Schalter trifft.

Könnte jemand anderer, der nichts vom Lichtschalter und von der Absicht wüsste, ihn (etwa per Infrarotlicht) bei seinem Herumtasten beobachten, so würde er dieses als zufällig und sinnlos beurteilen.

Der Physiker Reinhart Kögerler weist darauf hin, dass objektiver Zufall in mehreren Phasen der Evolution eine zentrale Rolle gespielt hat bzw. spielt, etwa bei der Entstehung von Mutationen im Rahmen der Duplikation der Träger des genetischen Codes. Ist damit ein planendes, vorhersehendes Schöpferhandeln Gottes ausgeschlossen?

Ja – dann, wenn wir Schöpfung verstehen als permanenten formenden oder steuernden Eingriff Gottes von außen; aber nein – dann, wenn wir davon ausgehen, dass Gott die Gesetze der Natur, also auch die den Zufall (über die Wahrscheinlichkeiten) steuernden Gesetze, erdacht hat; und zwar so erdacht und eingerichtet hat, dass in der Natur genug Raum für Zufälligkeiten bestehen bleibt, dass aber dennoch im Rahmen dieser Gesetze die staunenswerte Herausbildung von Strukturen (von selbst) möglich wurde.

Denn die Evolution ist – wie heutige Astrophysik, Geowissenschaft und Evolutionsbiologie vielfach zeigen – vom Urknall an immer wieder voll extremer Unwahrscheinlichkeiten, ohne welche Leben auf unserer Erde nie möglich geworden wäre.

Die Astrophysiker sagen, dass sich in den ersten Nanosekunden nach dem Urknall die Naturkonstanten herausgebildet haben, die seitdem gelten: die Lichtgeschwindigkeit, die Gravitationskonstante usw., alle mit einem ganz bestimmten Wert. Hätte auch nur eine dieser Naturkonstanten sich bei einem geringfügig anderen Wert eingependelt, so wäre im Kosmos nie Leben möglich geworden. Dass all diese diversen Naturkonstanten sich mit genau diesen Werten herausgebildet haben, das ist extrem unwahrscheinlich gewesen: 10-40 bis 10-80, eine unvorstellbar kleine Zahl.

Wer will, kann in dieser Feinabstimmung eine fügende „Hand” sehen (aber zwingend ist das nicht); der Glaube an einen Schöpfergott ist hier eine gute Erklärung. Wer also auf Gott setzt, trifft eine Wahl, die nicht bewiesen, wohl aber vor der Vernunft verantwortet werden kann.


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Jörg Schaur

geb. 1940, Professor für Biochemie, VDSt Graz.

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