Geduld und Einsicht in das Machbare

Die bisherige Euro-Rettungspolitik zeichnet sich aus durch Finanztricks, Rechtsbruch und leichtfertigen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler. Das wird die Krise auf Dauer nicht lösen. Nur lange, mühselige Arbeit in den Nationalstaaten wird das Vertrauen der Bürger in Europa wiederherstellen können. Eine Analyse von Joachim Koch.


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Im Verlauf der Schuldenkrise der überschuldeten Euro-Staaten ist von führenden deutschen Politikern verstärkt gefordert worden, weitere Kompetenzen im Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Haushaltsbereich auf europäische Institutionen zu übertragen. Davon erhofft man sich, dass die Krise der überschuldeten Euro-Staaten leichter zu lösen ist und dass auf diese Weise zukünftig das Entstehen einer solchen Krise verhindert werden kann. Dieses Problem muss nüchtern untersucht werden. Bevor ich mich dem zuwende, möchte ich zunächst darstellen, wie es zur Krise der überschuldeten Euro-Staaten kam, welche Lösungen beschlossen wurden und welche Konsequenzen sie haben.

Auf dem Weg in die Krise

Eine Gesamtdarstellung des Weges zur Krise der überschuldeten Euro-Staaten würde unseren Rahmen sprengen. Deshalb beschränke ich mich auf wesentliche Punkte:

Die Missachtung der Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages – u.a. jährliche Neuverschuldung unter 3% und Gesamtschuldenquote unter 60% des Brutto Inlandsproduktes ( BIP) – begann schon bei der Auswahl der Teilnehmer an der Währungsunion 1998. Italien und Belgien hätten nicht in die Währungsunion aufgenommen werden dürfen, denn ihre Gesamtschuldenquote überstieg 122% ihres BIP und war damit mehr als doppelt so hoch als zulässig. Die Bundesbank und die Bundesregierung lehnten deshalb eine Aufnahme dieser beiden Staaten in die Währungsunion ab. Bundeskanzler Kohl gestand sie schließlich zu, weil der französische Präsident Chirac drohte, dass andernfalls Frankreich der Währungsunion fernbleiben wolle. Die Missachtung der vertraglich vereinbarten Stabilitätskriterien setzte sich fort, als das deutsche und französische Haushaltsdefizit 2002 über 3% stieg und beide Staaten verhinderten, dass Strafmaßnahmen gegen sie ergriffen wurden, obwohl das im Maastricht-Vertrag vorgesehen war.

Verpasste Chancen

Nach der Einführung des Euro sanken die Zinsen für die Teilnehmer der Währungsunion auf ein bisher ungekanntes Niveau. Die finanziell schwachen Euro-Staaten profitierten dabei vom guten Ruf der finanzstarken Länder, wie Deutschland, Österreich, Finnland, den Niederlanden und Luxemburg. Statt diese substantielle Entlastung für die Durchführung von strukturellen Reformen und die Stärkung ihrer Wettbewerbsposition gegenüber dem Ausland zu nutzen, nahmen sie weiter Kredite auf und ließen sie einschließlich der gesparten Zinsen in den Konsum fließen oder in die Finanzierung eines Baubooms. So stiegen die Lohnstückkosten in Griechenland in dieser Zeit um 18 %, während sie in Deutschland real sanken. Diese Vorteile fanden ein Ende, als die von den USA 2007/2008 ausgehende Bankenkrise auch auf Europa überschwappte. Die Kreditgeber wurden sich wieder der Risiken bewusst, die mit der Kreditvergabe an die finanziell schwächeren Euro-Staaten verbunden waren. Deshalb gab es wieder eine Zinsspreizung, die zu erheblich höheren Zinsen und Zinszahlungen für diese Staaten führte.

Wegen des gestiegenen Kreditvolumens war Griechenland Anfang 2010 nicht mehr in der Lage, seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Kreditgebern nachzukommen. Es drohte die Insolvenz. Das ist von der EU-Kommission und der EZB in einem Gutachten vom 2. Mai 2010 bestätigt worden Für einen solchen Fall war in den Verträgen über die Währungsunion keine Vorsorge getroffen. Es wurde die Befürchtung geäußert, dass bei einer Insolvenz und einem nachfolgenden Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion diese zerfallen würde.

Blick auf die Rettungsversuche

Die Bundeskanzlerin hatte zunächst einen Ausschluss überschuldeter Staaten und die Vereinbarung einer Staateninsolvenzverordnung gefordert. Das wurde von den anderen Mitgliedstaaten abgelehnt, und außerdem forderte der amerikanische Finanzminister Geithner eine rasche Lösung.

Auf Antrag Griechenlands vom 2. Mai 2010 haben sich die Euro-Staaten und der Internationale Währungsfonds (IWF) bereit erklärt, Griechenland unter gewissen Konditionen 110 Milliarden Euro als Kredit zu gewähren. Von diesem Betrag entfielen bis zu 80 Milliarden Euro auf die Euro-Staaten (deutscher Anteil 22,4 Milliarden Euro) und 30 Milliarden Euro auf den IWF. Zur Umsetzung der deutschen Verpflichtung wurde das Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz vom 7. Mai 2010 erlassen, mit dem das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt wurde, Gewährleistungen für Kredite an Griechenland bis zu 22,4 Milliarden Euro zu übernehmen.

Diese Hilfe wurde auch damit begründet, dass die anderen Euro-Staaten Solidarität mit Griechenland zeigen müssten. Solidarität kann es jedoch nur dort geben, wo jemand unverschuldet in Not geraten ist. Die griechische Schuldenkrise ist aber durch unverantwortliche griechische Politiker verursacht worden. Bevor von ausländischen Staaten Solidarität und Hilfe gefordert wird, wäre es notwendig, dass die Griechen untereinander Solidarität zeigten. Zunächst müsste erst einmal das griechische Auslandsvermögen zur Begleichung der griechischen Schulden herangezogen werden. Es ist nicht einsehbar, dass ausländische Steuerzahler Bürgschaften übernehmen müssen, obwohl ein hohes griechisches Auslandsvermögen vorhanden ist!

Es zeigte sich aber sofort, dass mit dieser Hilfe die Finanzmärkte nicht zu beruhigen waren. Deshalb kam es zum EU-Gipfel vom 9./10. Mai 2010, der die Grundlage für die Einrichtung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) schuf. Gestützt wurden die Beschlüsse auf Art. 122 Abs. 2 AEUV. Danach kann einem Mitgliedstaat, „der aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht ist, unter bestimmten Bedingungen ein finanzieller Beistand der Union gewährt werden“. Der Rat war der Ansicht, dass die außergewöhnliche Situation darin liege, dass die Verschärfung der weltweiten Finanzkrise für mehrere Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe zu einer gravierenden Verschlechterung der Kreditkonditionen geführt habe, die über das hinausgehe, was sich durch wirtschaftliche Fundamentaldaten erklären lasse. Das Gesamtvolumen des ESFS beträgt 750 Milliarden Euro und ermöglicht ein Kreditvolumen von 500 Milliarden Euro. Der deutsche Anteil am Garantievolumen beträgt entsprechend dem Anteil an der EZB von 27% 123 Milliarden Euro. Im Falle unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedarfs kann dieser Betrag um 20% überschritten werden, so dass sich ein maximales Volumen von 148 Milliarden Euro ergibt. Die Laufzeit des EFSF ist auf 3 Jahre beschränkt und läuft Mitte 2013 aus.

Die innerstaatliche Grundlage wurde durch das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines Europäischen Stabilisierungsmechanismus vom 22. Mai 2010 geschaffen. Gegen dieses Gesetz wie auch das Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz wurden Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingelegt, die durch Beschluss vom 7. September 2011 abgewiesen wurden.

Perpetuierung des Ausnahmezustands

Auch danach zeigte sich sehr schnell, dass diese Maßnahmen von den Finanzmärkten als unzureichend angesehen wurden. Auf Drängen der überschuldeten Euro-Staaten und Frankreichs hat die Euro-Gruppe am 21. März 2011 die Eckpunkte für einen dauernden Europäischen Stabilitätsmechanismus vereinbart, denen das europäische Parlament am 23. März 2011 und die Staats- und Regierungschefs am 24./25. März 2011 zugestimmt haben. Der ESM erhöht die Kreditvergabekapazität auf 500 Milliarden Euro. Die Finanzierung setzt sich aus 80 Milliarden Euro eingezahltem Kapital und 620 Milliarden Euro an abrufbaren Kapital und Garantien zusammen. Auf Deutschland entfällt ein Kapitalanteil von 22 Milliarden Euro und 168 Milliarden Euro für das abrufbare Kapital und Gewährleistungen. Das finanzielle Volumen des ESM kann erhöht werden.

Der ESM und der Fiskalpakt, der verbindliche Defizitgrenzen und automatische Korrekturregeln vorsieht, wurden vom Bundestag und Bundesrat am 29. Juni 2012 mit 2/3-Mehrheit gebilligt. Auf Bitte des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Voßkuhle hat der Bundespräsident von einer Unterschrift unter diese Gesetze abgesehen, um dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit zu geben, sie auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Unmittelbar nach Verabschiedung dieser Gesetze sind mehrere Verfassungsbeschwerden eingelegt worden. Darunter ist eine Verfassungsbeschwerde von der Aktion „Mehr Demokratie“, die von der früheren Bundesjustizministerin Prof. Däubler-Gmelin und Prof. Degenhardt begründet worden ist und die von ca. 37.000 Bürgern unterstützt wird. Das Bundesverfassungsgericht wird am 12. September 2012 verkünden, ob es eine einstweilige Anordnung erlässt und damit den deutschen Beitritt zum ESM bis zu einer endgültigen Entscheidung in der Sache hinausschiebt. Sollte das der Fall sein, wird es weltweit einen Sturm der Entrüstung geben.

Der Umweg über die Zentralbanken

Neben den Instrumenten der Rettungsschirmpolitik muss auch noch auf zwei andere Wege eingegangen werden, auf denen den überschuldeten Euro-Staaten geholfen wird bzw. auf denen sie sich Kredite beschaffen:

Der erste ist der Ankauf von Staatsanleihen dieser Staaten durch die Europäische Zentralbank, der seit dem 10. Mai 2010 stattfindet. Nach Artikel 21 Abs. 1 der Satzung des europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank ist es ihnen verboten, „unmittelbar“ Schuldtitel von Mitgliedstaaten oder deren öffentlichen Stellen zu erwerben. Die EZB hat entgegen dieser Vorschrift bisher 211 Milliarden Euro Staatsanleihen der überschuldeten Euro-Staaten erworben. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass diese Vorschrift nur den „unmittelbaren“ Erwerb solcher Staatsanleihen bei deren Begebung verbiete, jedoch nicht den „mittelbaren“ Erwerb auf dem Sekundärmarkt. Unverständlich ist, dass die Bundesregierung und der Bundestag in ihren Stellungnahmen zu den Verfassungsbeschwerden gegen die erste Griechenlandhilfe und den EFSF diese Praxis billigen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 7. September 2011 nichts gegen diese Praxis eingewandt, obwohl es damit seiner Auffassung, dass jede Haftungsübernahme für die Schulden anderer Euro-Staaten der Genehmigung des Bundestages bedürfe, widerspricht (vgl. Ziff. 65, 84 und 129 dieser Entscheidung). Damit ist es deutschen Mitgliedern im Rat der EZB praktisch unmöglich gemacht worden, sich gegen diese Praxis zu wenden. Dass Bundesbankpräsident Weidmann es dennoch tut, ist ihm hoch anzurechnen. Dass die Bundeskanzlerin jetzt seine Haltung unterstützt, kann die Stellungnahme der Bundesregierung und den dadurch angerichteten Schaden nicht ungeschehen machen.

Der zweite Weg ist das sog. Target-2-System, das vom Münchener Volkswirtschaftsprofessor Sinn erstmals thematisiert wurde. Es ist eine elektronische Plattform, mit der Zahlungen von Geschäftsbanken im europäischen Wirtschaftsraum und Zentralbanken des Eurosystem miteinander verrechnet werden. Seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 nahmen die Nettoforderungen der Bundesbank im Rahmen dieses Systems stark zu, und die Zunahme beschleunigte sich auch: Ende 2006 betrugen die Nettoforderungen der Bundesbank noch 18 Milliarden Euro, Ende 2008 waren es schon 129 Milliarden Euro und bis März 2012 war der Forderungssaldo auf 550 Milliarden Euro gestiegen (vgl. Thilo Sarrazin, „Europa braucht den Euro nicht“, S. 127). Gegen das Anwachsen dieses Saldos ist die Bundesbank machtlos. Sie kann auch die Salden des Target-2-Systems nicht fällig stellen. Falls ein Euro-Staat aus der Währungsunion ausscheidet oder die Währungsunion zerfällt, drohen der Bundesbank erhebliche Ausfälle. Auch diese Kredite entstehen ohne Zustimmung des Bundestages.

Weiteres aus der Zauberkiste

Über die bereits beschlossenen Hilfsmaßnahmen hinaus wird auch noch eine Debatte über weitere Instrumente zur Bekämpfung der Schuldenkrise der überschuldeten Euro-Staaten geführt. Sie sollen hier nur aufgeführt werden, um zu zeigen, was noch auf uns zukommen kann. Da sind als erstes die Euro-Bonds zu nennen, für die die Euro-Staaten gesamtschuldnerisch haften sollen. Weiter wird der unbegrenzte Ankauf von Staatsanleihen der überschuldeten Euro-Staaten durch die EZB gefordert. In der Diskussion wird auch der Vorschlag des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nach Einrichtung eines europäischen Schuldentilgungsfonds erörtert, in den die Euro-Staaten ihre über 60% des BIP hinaus gehenden Schulden einbringen sollen, um so eine gemeinsame Haftung zu begründen. In Kürze wird Binnenmarktkommissar Barnier Vorschläge über eine gemeinsame Aufsicht aller europäischen Banken und eine gemeinsame Einlagensicherung vorlegen.

Der Erfolg bleibt aus

Durch die Rettungsschirmpolitik sind Milliardenbeträge in die überschuldeten Euro-Staaten geflossen, die Mittel aus der Griechenlandhilfe und dem EFSF bekommen haben (Griechenland, Irland, Portugal und Spanien). Im Gegenzug mussten sich die Empfängerländer zu drastischen Spar- und Umstrukturierungsprogrammen verpflichten, deren Umsetzung von der sog. Troika, d. h. Vertretern der EU-Kommission, der EZB und des IWF, überprüft werden. Außerdem waren die Ankäufe von Staatsanleihen der überschuldeten Euro-Staaten durch die EZB sowie die Nutzung des Target-Systems eine substanzielle Hilfe für diese Staaten. Hat sich ihre finanzielle Situation inzwischen merkbar gebessert und konnte sie das?

Die Staaten, die die Rettungsschirme in Anspruch genommen haben, taten dies, weil sie auf den Finanzmärkten für ihre Anleihen zu hohe Zinsen zahlen mussten oder wegen des Ausfallrisikos keine Anleihen mehr platzieren konnten. Sie benötigten jedoch neue Kredite, um fällig werdende Kredite zurückzahlen zu können. Andernfalls wären sie insolvent geworden, und dann hätten sie aus dem Euro ausscheiden müssen. Das sollte unter allen Umständen vermieden werden.

Die Kredite, die diese Staaten von den Rettungsschirmen bekommen haben, mussten von ihnen für die Rückzahlung fällig werdender Kredite eingesetzt werden. Das bedeutete einmal, dass die bisherigen privaten Gläubiger, wie Banken, Versicherungen und Privatpersonen, durch öffentliche Gläubiger, d. h. letztlich durch deren Steuerzahler ersetzt wurden. Zum anderen bedeutet es aber, dass sich an ihrer Verschuldung nichts geändert hat. Im Gegenteil, ihre Schulden sind weiter gewachsen, da ihre Haushalte weiterhin defizitär waren und deshalb neue Schulden zum Haushaltsausgleich aufgenommen werden mussten.

Durch die den Hilfeempfängern auferlegten Sparmaßnahmen war ihre Wirtschaftsentwicklung negativ. Das verursachte Rückgänge bei den Steuereinnahmen und damit weitere Haushaltsdefizite. Das zeigt, dass eine Bereinigung der Schuldensituation der überschuldeten Euro-Staaten auf diesem Weg nicht möglich ist. Dafür ist ein mehr oder weniger hoher Schuldenschnitt, d. h. ein Haircut, notwendig. Bei Griechenland hat bereits teilweise ein erster Schuldenschnitt in Höhe von 100 Milliarden Euro stattgefunden, aber das hat bei weitem nicht ausgereicht, um den griechischen Schuldenstand auf ein tragbares Maß zurückzuführen.

Das Land steht weiterhin am Rande des Abgrunds und stürzt hinein, wenn es keine weiteren Hilfsgelder bekommt. Die Politiker drücken sich noch um eine Entscheidung. Erst soll der nächste Bericht der Troika abgewartet werden. Wer es jetzt schon wagt, offen über ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro zu sprechen, wird gebrandmarkt. Ich halte das für die einzig mögliche Lösung, um zu einer Bereinigung des griechischen Schuldenproblems und zur Schaffung einer tragfähigen wirtschaftlichen Basis zu kommen.

Von den anderen Hilfsempfängern scheint es bisher nur Irland gelungen zu sein, sich auf eine tragfähige finanzielle Basis zuzubewegen. Ob es endgültig gelingt, wird davon abhängen, ob es eine sich andeutende negative Konjunkturentwicklung ohne zu große Rückschläge überstehen kann.

Wer rettet die Retter?

Angesichts der überwiegend negativen Ergebnisse der bisherigen Politik der Rettungsschirme muss die Frage gestellt werden, ob diese Politik vertretbar ist oder alle Euro-Staaten letztlich in den Abgrund der Überschuldung stürzen lässt?

Zur Beantwortung dieser Frage muss man sich vergegenwärtigen, um welche Summen es geht.

Die Gesamtschuldensumme der überschuldeten Euro-Staaten (Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien) beträgt nach Aussagen von Prof. Sinn insgesamt 3,35 Billionen Euro (vgl. Ifo Working Paper No. 131, S. 26). Zu dieser Gruppe könnte noch Frankreich hinzukommen, das Schulden von rund 2 Billionen Euro hat. Um das zu vermeiden, müsste es eine strenge Sparpolitik verfolgen. Wenn der neue französische Staatspräsident seine Wahlversprechen einlöst, bewegt sich die französische Politik aber in die entgegengesetzte Richtung! Wenn man diese Schuldensumme einordnen will, muss man zum Vergleich das deutsche BIP von rund 2,5 Billionen Euro und den Bundeshaushalt in Höhe von 300 Milliarden Euro heranziehen. Dann ist unschwer zu erkennen, dass Deutschland nicht in der Lage ist, so hohe Summen für Hilfen an die überschuldeten Euro-Staaten bereitzustellen, wie sie erforderlich sind, um sie vor der Insolvenz zu bewahren.

Bei diesen Summen sind die Schulden der Banken dieser Staaten, die nach Aussagen von Prof. Sinn mehr als 9 Billionen Euro (vgl. a.a.O.) betragen, noch nicht berücksichtigt. Auch ihnen soll bei ihrer Refinanzierung durch Kredite des EFSF und des ESM geholfen werden. Bei den spanischen Banken ist ein erster Schritt getan. Für ihre Refinanzierung sind 100 Milliarden Euro bereitgestellt worden. Der Bundestag hat dem in einer Sondersitzung am 19. Juli 2012 mit 2/3-Mehrheit zugestimmt.

Bei der Beurteilung der deutschen Hilfsmöglichkeiten muss auch berücksichtigt werden, dass die deutschen Schulden bereits 2 Billionen Euro übersteigen und der Bundeshaushalt nur durch die Aufnahme von Krediten ausgeglichen werden kann. Wird Deutschland aus den bisher übernommenen Bürgschaften in Anspruch genommen, können diese zusätzlichen Ausgaben nur durch neue Kredite erfüllt werden. Der Gesamtschuldenstand Deutschlands beträgt inzwischen 85% des BIP und übersteigt damit die nach dem Maastricht-Vertrag zulässige Verschuldensgrenze von 60% erheblich. Bei einem weiteren Anstieg dieses Schuldenstandes dürfte Deutschland bald sein AAA-Rating verlieren und müsste damit höhere Zinsen für neue Schulden zahlen. Bei einem deutschen Schuldenstand von 2 Billionen Euro erfordert jede Zinserhöhung um 1% zusätzliche Zinszahlungen von jährlich 20 Milliarden Euro. Das würde die öffentlichen Haushalte weiter belasten und uns schneller in die Überschuldung führen. Die Politiker müssen sich also überlegen, wie sie diese Aussicht vermeiden können. Mit einer Fortführung der bisherigen Politik der Rettungsschirme ist das nicht möglich. Sie führt uns geradewegs in den finanziellen Abgrund.

Die Stunde der Zentralisten

Alle maßgeblichen deutschen Politiker ziehen aus der gegenwärtigen Krise der überschuldeten Euro-Staaten die Schlussfolgerung, dass zur Überwindung der Krise und zur Vermeidung der Wiederholung solcher Krisen es notwendig ist, weitere Kompetenzen im Wirtschafts-, Finanz-, Haushalts- und Steuerbereich auf europäische Institutionen zu übertragen. Wie das im Einzelnen geschehen soll, haben sie bisher nicht dargelegt. Deshalb kann ich dazu keine Einzelheiten darlegen. Bemerkenswert ist jedoch, dass nach einem Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 31. August 2012, sich elf Stiftungen und viele Prominente aus Politik und Wirtschaft in einer Anzeigenkampagne für Europa einsetzen wollen. Der ehemalige Bundeskanzler Schmidt verkündet in einer Anzeige: „Wir Europäer können im globalisierten Wettbewerb nur gemeinsam bestehen.“ Die europäische Einheit sei „im ureigenen deutschen Interesse“. Gesine Schwan, Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten 2004 und 2009, fürchtet die Rückkehr nationaler Vorurteile und hat den Eindruck, dass in Deutschland eine Diskussion über Europa geführt wird, die sie erschreckt.

In dieselbe Richtung gehen Äußerungen des früheren außenpolitischen Sprechers der CDU/CSU Bundestagsfraktion Karl Lamers in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 1./2. September 2012. Das Bundesverfassungsgericht habe im Ergebnis zwar alle EU-Verträge akzeptiert, „aber immer in einem unguten Ton und oft mit unguten Auflagen und mit einem nationalen Unterton. Das Bundesverfassungsgericht hat die Skepsis der Deutschen gegenüber Europa verstärkt. Karlsruhe hat eine skeptische Europa-Haltung in Deutschland salonfähig gemacht.“

Diese Kampagne und solche Äußerungen erwecken den Eindruck, dass Emotionen für Europa erzeugt werden sollen, aber nicht, dass hier nüchtern diskutiert und das Für und Wider des europäischen Einigungsprozesses und seiner einzelnen Schritte objektiv abgewogen werden sollen. Das ist jedoch nötig, und das Abwürgen einer sachlichen Debatte durch den Vorwurf, nationale Argumente zu verwenden, ist mit aller Schärfe abzulehnen. In dieser Debatte geht es zwar zunächst um Deutschland, aber auch um Europa und einen Weg, Fehler in der europäischen Entwicklung aufzuzeigen, um einen gangbaren und nachhaltigen Weg für eine gesunde weitere Entwicklung Europas vorzuschlagen. Man muss dabei bedenken, dass für die weitere Entwicklung tragfähige Fundamente des europäischen Hauses erforderlich sind. Dazu gehört auch ein wirtschaftlich und finanziell gesundes Deutschland. Wer diese Basis zerstört, handelt gegen europäische Interessen und zerstört am Ende nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa.

Im Folgenden versuche ich darzulegen, ob die jetzigen Fundamente des europäischen Hauses tragfähig sind und einen Weiterbau durch neue Integrationsschritte erlauben oder ob es nicht zunächst einmal notwendig ist, für tragfähige Fundamente zu sorgen.

Aus der Vergangenheit lernen

Beim Aufbau der Währungsunion und der Erweiterung der EU sind entscheidende Fehler gemacht worden, die keine stabilen Fundamente entstehen ließen, sondern nur brüchige Grundmauern erlaubten:

Bei der Auswahl der Mitglieder Währungsunion im Mai 1998 sind die vertraglich vereinbarten Stabilitätskriterien nicht eingehalten worden. Sie bedeutete einen Vertragsbruch und damit auch einen Bruch des Vertrauens, das als Basis einer solchen Gemeinschaft unerlässlich ist. Solche Vertragsbrüche setzten sich fort und kulminierten im Bruch des Art. 125 Abs. 1 AEUV, der die Haftung für die Schulden anderer Mitgliedstaaten ausschloss. Diese Vorschrift wurde jedoch von den deutschen Politikern als Argument benutzt, um die Deutschen davon zu überzeugen, dass der Euro ebenso gut sein werde wie die D-Mark. Der Bruch dieses Versprechens durch die Rettungsschirmpolitik hat das Vertrauen der Deutschen in Europa entscheidend erschüttert. Dieses Vertrauen kann nicht durch Pro-Europa-Kampagnen wiedergewonnen werden. Dazu muss über einen längeren Zeitraum hinweg eindeutig gezeigt werden, dass vertragliche Abmachungen im europäischen Rahmen unbedingt eingehalten werden. Wie wichtig die Einhaltung des europäischen Rechts ist, hat der frühere Bundesverfassungsrichter Prof. Paul Kirchhof in einem Artikel „Verfassungsnot!“ in der FAZ vom 12. Juli 2012 überzeugend dargelegt. Er zieht u. a. das folgende Fazit: „Ohne Recht gibt es keinen Frieden. Wir würden zum Faustrecht, zum Kampf aller gegen alle zurückkehren. Ohne Recht als Voraussetzung für jede Hoheitsausübung gibt es keinen modernen Verfassungsstaat, keine Europäische Union. Ohne Recht fehlt dem politischen Mandat seine Grundlage. Rat, Kommission und ihr Präsident, Parlament und Europäischer Gerichtshof wären ohne Legitimation und rechtlich definierte Aufträge. Regierungschefs, Minister, Abgeordnete dürften öffentlich debattieren, aber nicht für die Bürger entscheiden.“

Einen weiteren schwerwiegenden Vertrauensbruch stellte der Ankauf von Staatsanleihen der überschuldeten Euro-Staaten durch die EZB unter Bruch von Art. 123 Abs. 1 AEUV und Art. 21 Abs. 1 der Satzung des europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank dar. Dieser Vertragsbruch hat das Vertrauen der Deutschen in die Währungsunion weiter zerstört und wird so lange andauern, bis dieser Vertragsbruch endgültig eingestellt ist. Danach sieht es aber derzeit nicht aus, sondern diese Praxis wird nach den Ankündigungen des Präsidenten der EZB Draghi weitergeführt.

Ein weiterer gravierender Fehler beim Bau des europäischen Hauses war die übereilte Erweiterung der EU um Staaten, die die Voraussetzungen einer vollen Mitgliedschaft in der EU noch nicht erfüllten. Ihre Wirtschaften und Infrastrukturen waren noch zu schwach, um sich voll dem innereuropäischen Wettbewerb stellen zu können. Auch ihre Verwaltungsstrukturen entsprachen nicht den Erfordernissen eines modernen Staates und waren noch zu sehr von Klientelpolitik und Korruption geprägt. Ich denke hier besonders an Rumänien und Bulgarien, aber vor allen Dingen an Griechenland, das seit 1981 Mitglied der EG/EU ist und seither 123 Milliarden Euro aus europäischen Fonds erhalten hat. Im Dezember 2012 hat die OECD einen Bericht über die griechische Zentralverwaltung veröffentlicht. Der Bericht legt dar, dass sie völlig übersetzt ist, keine arbeitsfähigen Strukturen aufweist und nur über unzureichende Kenntnisse der Verhältnisse im Lande verfügt, so dass Entscheidungen meist keine tragfähige Grundlage haben. Es bestehen keine Kataster und Grundbücher, so dass die Verwaltung keinen Überblick über den Grundbesitz und seine Eigentümer hat. Die Finanzverwaltung befindet sich in einem beklagenswerten Zustand, so dass die Steuererhebung schwierig oder sogar unmöglich ist.

Die Liste der Fehler ließe sich noch fortsetzen, aber die zuvor genannten Fehler sind so gravierend und zeigen allein schon, wie brüchig die europäischen Fundamente sind. Diese Fehler müssen erst einmal beseitigt werden. Das ist nicht in kurzer Zeit möglich, sondern erfordert einen längeren Zeitraum. Außerdem muss nachgewiesen werden, dass die Reparaturen dauerhaft funktionieren und nicht nur für einen kurzen Stichtag gedacht sind, wie bei der Erfüllung der Stabilitätskriterien durch die zukünftigen Mitglieder der Währungsunion.

Lokal handeln

Eine weitere unabdingbare Voraussetzung für die Übertragung zusätzlicher Kompetenzen im Wirtschafts-, Finanz-, Haushalts- und Steuerbereich auf europäische Institutionen ist, dass in den betreffenden Mitgliedstaaten Verwaltungsstrukturen existieren, die eine einheitliche Durchsetzung der gemeinschaftlichen Beschlüsse garantieren. Dass das bei Griechenland nicht der Fall ist, habe ich bereits dargelegt. Aber auch bei anderen Ländern dürften Zweifel bestehen, ob die Verwaltungen sich an Gesetze halten oder ob sie nicht eine bestimmte Klientel bevorzugen oder für Bestechung offen sind. Zu denken ist hier an Italien, wo die Mafia in bestimmten Gebieten einen bestimmenden Einfluss hat. Wer einmal im Ausland gelebt hat, weiß, dass in anderen Ländern Gesetze nicht unbedingt eingehalten werden, als Kannvorschriften betrachtet oder ganz missachtet werden.

Diese Strukturen können nicht von einer europäischen Institution geschaffen werden. Das ist ureigene Aufgabe der einzelnen Mitgliedstaaten. Das hat selbst Jörg Asmussen, der als Nachfolger von Jürgen Stark von Deutschland in das Direktorium der EZB entsandt worden ist, in der Sendung „Im Dialog“ am 29. Juni 2012 bei Phönix gesagt: Die einzelnen Mitgliedsländer müssen ihre Hausaufgaben selber machen. Reformen sind Aufgabe der einzelnen Staaten selbst und können nicht durch Handeln eines anderen Staates oder europäischer Institutionen ausgeführt werden. Deutlicher kann das nicht gesagt werden.

Es stellt sich auch noch die Frage, ob eine europäische Institution wirklich in der Lage sein wird, eine bessere und nachhaltigere Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik zu führen, als es die Mitgliedstaaten es bisher getan haben. Da die Mitgliedstaaten auf diese Institution entscheidenden Einfluss haben werden, ist zu befürchten, dass sie auch in diesem Rahmen ihre bisherige Politik fortsetzen, die europäische Institution entsprechend beeinflussen und wir vom Regen in die Traufe kommen werden. Am Beispiel der überschuldeten Euro-Staaten sehen wir, mit welchen Widerständen die Regierungen zu kämpfen haben, die versuchen, schmerzhafte Reformen durchzusetzen. Am Beispiel Griechenlands und Italiens zeigt sich, dass die Widerstände noch wachsen, wenn eine ausländische Macht für einschneidende Reformen verantwortlich gemacht werden kann und welche Emotionen das bei den Betroffenen weckt.

Das Beispiel der EZB zeigt mehr als deutlich, dass sich die Vertreter der einzelnen Staaten im Rat der EZB nicht an das europäische Recht halten, sondern sich bei den Entscheidungen an den Interessen des Entsendestaates orientieren. Ein eindeutiges Beispiel dafür ist, dass Bundesbankpräsident Weidmann mit seiner Opposition gegen den Ankauf von Staatsanleihen der überschuldeten Euro-Staaten völlig isoliert ist, obwohl seine Position dem europäischen Recht entspricht. Sein Vorgänger, Bundesbankpräsident Axel Weber, und der frühere Chefvolkswirt der EZB, Jürgen Stark, sind wegen ihrer Isolierung und der Aussichtlosigkeit ihrer Opposition gegen diese rechtswidrige Handlungsweise des EZB-Rates zurückgetreten. Wer glaubt, dass eine für eine gemeinsame europäische Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Haushaltspolitik zuständige Institution anders als der Rat der EZB vertragskonform handeln wird, ist ein gefährlicher Illusionist. Er muss doch sehen, wie Bundesbankpräsident Weidmann und die Bundesregierung von den Regierungen der überschuldeten Euro-Staaten gedrängt werden, dem unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen der überschuldeten Euro-Staaten zuzustimmen oder dem Verkauf von Euro-Bonds.

Die Deutschen müssen gefragt werden

Die Vorgänge im Rat der EZB bei Beschlüssen über den Ankauf von Staatsanleihen der überschuldeten Euro-Staaten haben deutlich gezeigt, dass die deutschen Interessen vom Bundesbankpräsidenten nicht angemessen wahrgenommen werden können. Obwohl die Bundesbank 27% des Kapitals der EZB stellt, hat der deutsche Vertreter nur eine Stimme wie alle anderen Präsidenten der Nationalbanken der Mitgliedstaaten der Währungsunion. Damit kann er ohne Schwierigkeiten überstimmt werden, zumal die Mehrheit der Mitglieder der EZB zu den sog. Südländern gehören und ein Interesse daran haben, die Schuldenpolitik ihrer Regierung nicht zu konterkarieren, sondern möglichst zu erleichtern und zu unterstützen.

Aus diesen Erfahrungen muß Deutschland lernen und bei einer möglichen Errichtung einer europäischen Institution zur Durchführung einer gemeinschaftlichen Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Haushaltpolitik darauf dringen, dass keine Beschlüsse ohne deutsche Zustimmung gefasst werden können, die die deutschen Interessen verletzen und zu Zahlungen an andere Mitgliedsstaaten führen können. Deshalb muss die Bundesregierung versuchen, um die dargestellten Mängel bei der Beschlussfassung der EZB zu korrigieren und die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank entsprechend zu ändern.

Zuletzt ist noch zu fragen, ob die anderen Mitgliedstaaten der Währungsunion überhaupt bereit sind, weitere Kompetenzen auf eine europäische Institution zu übertragen, um eine gemeinschaftliche Wirtschafts-, Finanz-, Steuer und Haushaltspolitik zu ermöglichen? Das sind wirkliche Kernbereiche der nationalen Souveränität und es deshalb sehr fraglich, ob die Mitgliedsstaaten der Währungsunion dazu schon bereit sind. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 4. September 2012 sondiert das Kanzleramt bei den Partnern in der EU, wie sie zu einer neuen Reform stehen und wie weit sie zu gehen bereit sind. Einzelheiten werden nicht mitgeteilt, so dass eine Beurteilung nicht möglich ist.

Eine solche Kompetenzübertragung sollte von den Bevölkerungen aller teilnehmenden Staaten gebilligt werden. Die Referenden in Frankreich und den Niederlanden über den Verfassungsvertrag lässt eine Zustimmung fraglich erscheinen.

Vorsicht vor schnellen Lösungen

Da die Krise der überschuldeten Euro-Staaten nicht durch die Fortführung der Politik der Rettungsschirme und auch nicht durch die Übertragung von Kompetenzen im Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Haushaltsbereich auf eine europäische Institution gelöst werden kann, muss eine andere Lösung gesucht werden, wenn nicht das gesamte europäische Haus mit unabsehbaren Konsequenzen für alle Bewohner zusammenstürzen soll, weil die finanziellen Lasten nicht mehr tragbar sind.

Eine tragfähige Lösung kann nur darin bestehen, dass jeder Mitgliedstaat erst einmal sein eigenes Haus in Ordnung bringt. Gelingt ihm das nicht und wird er insolvent, so dass er aus der Währungsunion ausscheiden muss, ist das kein allgemeines Unglück. Es bedeutet entgegen der Angstparolen der Politiker kein Ende der Währungsunion. Die verbleibenden Mitglieder der Währungsunion werden alles tun, um in der Währungsunion verbleiben zu können. Sie werden aus eigenem Antrieb die notwendigen Reformen durchführen und nicht unter dem Zwang einer ausländischen Troika. Die Vorteile, die ein stabiler Euro bietet, werden Antrieb genug sein, um entsprechende Anstrengungen zu unternehmen. Durch das Ausscheiden eines insolventen Euro-Staates aus der Währungsunion wird der Euro gestärkt, da für die anderen Mitglieder dauerhaft untragbare Lasten entfallen.

Die Insolvenz eines überschuldeten Euro-Staates und sein Ausscheiden aus der Währungsunion signalisiert den Akteuren auf den Finanzmärkten, dass sich Spekulationen gegen einzelne Euro-Staaten nicht lohnen, weil die anderen Euro-Staaten im Fall der Insolvenz eines Mitgliedes nicht mehr bereit sind, dem schlechten Geld noch gutes hinterher zu werfen. Das signalisiert das auch den Banken, dass sie im Fall der Insolvenz eines Euro-Staates für ihre leichtfertige Kreditgewährung selber haften müssen. Werden sie dadurch nicht zu mehr Vorsicht bei der Kreditgewährung an Euro-Staaten gezwungen und verlieren sie dadurch nicht ihre Macht, die übrigen Euro-Staaten erpressen zu können?

Auch die Aussage, „wenn der Euro zerbricht, zerbricht die EU“ ist reine Angstmacherei. Alle Mitgliedstaaten der EU sind sich der Vorteile bewusst, die ihnen die Mitgliedschaft in der EU bietet. Diese Vorteile werden sie nicht leichtfertig durch eine Re-Nationalisierung der dauerhaft tragfähigen Integrationsergebnisse aufs Spiel setzen. Zu deren Bewahrung werden sie sich für den Weiterbau des europäischen Hauses und mit dafür sorgen, dass es tragfähige Fundamente bekommt. Dazu gehören funktionsfähige Verwaltungsstrukturen und eine ausreichende wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Die Erfüllung dieser Aufgaben obliegt den einzelnen Mitgliedstaaten. Die europäischen Institutionen können ihnen dabei nur helfen, sie aber nicht übernehmen.

Der Bau Europas erfordert viel Geduld und Einsicht in das Machbare. Politiker lassen diese erforderlichen Eigenschaften oft vermissen. Sie wollen schnelle Ergebnisse. Außerdem sollten sie ein Wort Schillers beherzigen, wonach Idealisten immer in der Gefahr sind, an ihrem Idealismus zugrunde zu gehen.


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Joachim Koch

geb. 1934, Ministerialrat a. D., VDSt Münster.

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