GREENWASHING

Grün: Das ist längst nicht mehr Sache einer bestimmten Partei, sondern zu einem allgemeinen Begriff geworden, in dem verschiedene Aspekte opalisieren. Umweltfreundlich oder -bewusst, gesund, nachhaltig, artgerecht und wer weiß noch was. In jedem Fall nichts, dass ein vernünftiger Mensch ablehnen würde.
Insofern sorgt man besser dafür, dass alles schön „grün gewaschen“ wird.


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Als im Jahr 1983 die Grünen zum ersten Malin den Deutschen Bundestag einzogen unddie ökologische Bewegung sich von einerSubkultur zu einer ernstzunehmendenpolitischen Strömung entwickelte, war „Bio“noch etwas für Ökos. Gerne machte man sichlustig über verwilderte, Wollpullover tragende Menschen in Birkenstock-Latschen, dieihre Lebensmittel lieber in „esoterisch“ angehauchten Läden statt im Discounter kauften.Man musste schon leidensfähig sein, wennman sich bewusst ernähren wollte. Das Gemüse war teuer und sah obendrein nochkomisch aus, und die Verlockungen konventioneller Nahrung waren passé. Während dernormale Bürger zur Vesper Torte und Gebäckreichen konnte, musste der prä-historischeÖko auf staubige Dinkelkekse zurückgreifen.Bei Kaffee musste der Wille zum guten Lebenbesonders stark sein: Aus der Traum von„Dallmayr“, „Tschibo“ und„Jacobs Krönung“.Erlaubt waren fair gehandelte Bohnen ausdem „Eine-Welt“-Laden.Diese kleine Polemik ließe sich endlos weiterschreiben. Zutreffend ist sie in derGegenwartschon lange nicht mehr. Wer offenen Augesdurch den Supermarkt geht, wird feststellen,dass der bewusste und gesunde Lebensstil voll im Trend ist. Die Deutschen wollennachhaltig, umweltschonend und artgerechtsein. Im Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaftgeben 91 Prozent der Befragten an, dassErnährung vor allem gesund sein soll. DasBewusstsein dafür, dass zu viel Zucker undFette ungesund sind, ist den Ergebnissenzufolge hoch ausgeprägt. Daher stehen dieDeutschen Fertigprodukten eher ablehnendgegenüber.

BIO IST BIO, IST BIO?

Dieses Potential hat die Wirtschaft längst erkannt. Über 100 Ökolabels und Biosiegel gibt es heutzutage. Sie sollen dem Verbraucher anzeigen, dass er guten Gewissens zugreifen kann, wenn er auf nachhaltige Produktion und einen gesunden Lebensstil Wert legt. Möchte ein Hersteller eines dieser Siegel nutzen, verpflichtet er sich dazu, bestimmte Kriterien und Standards einzuhalten. Das klingt logisch, doch der Teufel steckt wie immer im Detail. Die Vielfalt an Gütesiegeln geht einher mit einer schier unendlichen Variation an Regeln für die Hersteller. Während das deutsche „Bio-Siegel“ angibt, das Anbieter auf die Verwendung von Geschmacksverstärkern, künstlichen Aromen und Farbstoffen verzichten und bei Tieren nur ökologisches Futter verwendet werden darf, achtet „Bioland“ vor allem auf die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit. Die Marke „demeter“ wiederum geht auf die Idee der Anthroposophie zurück. Verbraucher finden sich in diesem Wirrwarr nur schlecht zurecht. Einige nichtstaatliche Biosiegel gehen zudem nur sehr intransparent mit ihren eigenen Standards um. So ist zum Beispiel nicht immer klar, wo bestimmte Lebensmittel produziert wurden. Weil die Nachfrage hoch ist, kann es durchaus passieren, dass die vermeintlich nachhaltig produzierte Tomate aus spanischen Gewächshäusern kommt und nicht nur einen langen Transportweg hinter sich hat, sondern auch umweltschädlich angebaut wurde. Phänomene dieser Art sind kein Zufall. GREENWASHING ALS MASCHE

Viele Unternehmen haben längst erkannt, dassman am grünen Hype verdienen kann, ohne vieländern zu müssen. Um mehr Umsatz zu machenpräsentieren sie ihre Produkte nachhaltig undgesund, obwohl sie es nicht sind. Dieses Phä-nomen wird von Kritikern als »Greenwashing«beschrieben. Unternehmen erhoffen sich davoneinerseits ein grünes Image. Andererseits möchteman sich neue Käuferschichten erschließen, ohneetwas an der Herstellung ändern zu müssen. Einesder bekanntesten Beispiele ist die Fast-food-KetteMcDonald’s. Im Jahr 2009 entschied sich das Unternehmen dazu, sein Logo zu ändern. Man strichdie rote Farbe, weil die Gefahr bestand, dass Kunden sie als Warnsignal für ungesundes Essen verstehen konnten. Stattdessen setzte man das ikonische M auf einen grünen Grund. Den Wechselverkaufte man als Bekenntnis zum Umweltschutz.Zehn Jahre später setzt man nun auch auf veganeProdukte. Hier zeigt sich ein weiterer Aspekt desGreenwashings. Einige Produkte einer Marke werden bewusst nachhaltig hergestellt und öffentlichkeitswirksam vermarktet. Das Unternehmen kannso seine Nachhaltigkeit betonen, obwohl es dasKerngeschäft unangetastet lässt. So wirbt das Unternehmen Rügenwalder Mühle ganz unverhohlenmit dessen „Beitrag zum Klimaschutz“, wenn esseinen vegetarischen Fleischersatz anpreist.Genau so verhält es sich, wenn immer neue Gü-tesiegel auf den Markt gespült werden. Auf denersten Blick ist nicht ersichtlich, was gut und wasschlecht ist.

DER MARKT REGELT

Natürlich ist Bio den Gesetzen des Marktesunterworfen. Weil die Nachfrage da ist, wirdAngebot geschaffen. Wer nicht differenzierenkann, hat halt Pech, könnte man meinen. DerMechanismus des Greenwashing greift jedochsehr tief. An vielen Stellen vermittelt die Werbung die Vorstellung von ökologischer Feldwirtschaft, von glücklichen Kühen und nachhaltigerProduktion. Dabei wird verschwiegen, dassauch zertifizierte Betriebe Tausende Tiere aufihrem Hof haben. Das Label „Freilandhaltung“schützt zum Beispiel nicht davor, dass Hühnerauf engstem Raume gehalten werden. EinigeSiegel bieten zwar strenge Kriterien, allerdingsverschweigen sie oft die Arbeitsbedingungenund Handelsbeziehungen, die mit der Massenproduktion einhergehen.Längst ist die Branche von Skandalen erfüllt. Wersich die Mühe macht, findet genügend Beispieledafür, dass Bio oft nicht mehr als reine Illusionist. Trotzdem boomt der Markt. Die Gründe dafürsind vielfältig.

BIO ALS ERSATZRELIGION

Das Streben nach Gesundheit hat vielfältige soziologische und psychologische Folgen.Kritiker sehen darin gar eine Ersatzreligion, mitder die Menschen das metaphysische Vakuumder Gegenwart füllen möchten. Viele stellenihr eigenes Leben in den Hintergrund, weil siedurchgehend damit beschäftigt sind, gesundzu bleiben. Gesundheit ist für viele nicht mehrder Rahmen eines erfüllten Lebens, sondernzentraler Sinninhalt.Der Psychologe Martin Lütz kommentiert diesenTrend polemisch. Zugespitzt formulierte er in einem Interview, dass viele Menschen alles dafürtun würden, um ein paar Monate länger lebenzu können. Sollte ein Wissenschaftler am 1. Aprilin einer Zeitung schreiben, dass man statistischgesehen eine höhere Lebenserwartung hätte,wenn man jeden Tag eine halbe Stunde um eineEiche renne, „dann werden sie bald keine Eichemehr finden, um die nicht irgendein Idiot imKreis läuft.“1Das Problem liegt also nicht nur bei den Unternehmen, die den Trend dankend aufgenommen haben, sondern auch beim unkritischenVerbraucher. Um das Phänomen Greenwashing zu verstehen, darf man also nicht nur dieMechanismen der Werbung anprangern. DieIllusion günstiger Lebensmittel, die ökologischwertvoll produziert wurden, liegt tiefer. Sie ist nurmöglich, weil der Blick auf die Realität verstellt ist.

DIE OFFENBARE IDEOLOGIE

Will man dieses Phänomen verstehen, lohnt es sich, die These vom Gesundheitswahn als Ersatzreligion einmal weiterzuspinnen. Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek erblickt in dieser Haltung zum Leben eine Ideologie, die wie ein moderner Ablasshandel funktioniert. Früher hatten Ideologien die Aufgabe, triebhafte Neigungen durch eine offizielle Botschaft zu verdecken. Doch in der Gegenwart funktioniert dieses Verhältnis genau umgekehrt. Die Ideologie lockt direkt mit dem Vergnügen. Was früher verpönt war, gehört heute zur offiziellen Erzählung. Žižek verdeutlicht seine These anhand einer veganen Fairtrade- Schokolade. Man denkt, dass man das Produkt genießen kann und gleichzeitig der Umwelt hilft. Die Ideologie dahinter jedoch ist, dass man immer noch konsumorientiert ist. Anstatt wirklich etwas zu tun, kauft man die Schokolade, zahlt etwas mehr und glaubt, seine Pflicht gegen- über der Welt getan zu haben. Das politische Interesse geht dadurch verloren. Der Verbraucher entkleidet sich seinem Anliegen, in dem er die Schokolade auf das Kassenband legt. Žižek betont damit, dass das Phänomen Bio von zwei Seiten betrachtet werden kann. Interessiert sich der Verbraucher nicht wirklich für die ideologische Komponente, können noch so viele Skandale die Gütesiegel in Verruf bringen. Wichtig ist auch, dass es vielen nicht darum geht, die Welt zu verbessern. Der Kauf einer vermeintlich nachhaltig produzierten Ware dient dem guten Gewissen des Kunden und sonst niemandem. Immerhin sollen Bio-Produkte nicht nur gesund sein. Wer sich in ihrem Besitz weiß, gehört zum grünen Hype. Ein moralisches Argument für all jene, die sich dieser Bewegung widersetzen, bekommt man dabei gleich mitgeliefert. Wer sich wirklich für „genfreies“ Essen interessiert, oder sich dafür einsetzen möchte, dass männliche Küken nicht geschreddert werden, sollte sich politisch dafür einsetzen, statt nur ein gutes Gewissen zu kaufen.

 


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