Handarbeit Gottes

Religion und Naturwissenschaft haben gemeinsame Ursprünge. Auch heute müssen sie kein Gegensatz sein, wenn sie ihre Grenzen respektieren. Naturwissenschaft ist Erkenntnis der göttlichen Schöpfung; zugleich versagen ihre Schlussweisen bei Aussagen über Gott und über Wert und Würde des Menschen.


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Die ersten institutionellen Orte des Wissenserwerbes und der Wissensvermittlung waren die antiken Tempel mit ihren „Lebenshäusern“, den Ausbildungsstätten für Priester, Schriftgelehrte und Ärzte mit ihren Nilometern und Sternwarten. Der Wahl des Kultortes lag eine in der Kultlegende bezeugte Manifestation einer Gottheit zugrunde. Der Kult wurde reguliert und bestimmt durch einen Mythos (eine Erzählung). Für die Menschen der Gegenwart ist das Wort Mythos gleichbedeutend mit „irrational“. Dieses Vorurteil entspricht jedoch keinesfalls dem Wesen des Mythos. Er stellt in seinem Kern einen durchaus rationalen ersten Versuch menschlicher Welterklärung und Weltbemächtigung dar. Den Phänomenen der Natur wurde ein Geschehen in der Welt der Götter unterlegt, das sie erklärte und deutete. Umgekehrt ließ der Ablauf bestimmter Naturerscheinungen Rückschluss auf himmlische Ereignisse zu. So sahen die alten Ägypter hinter dem Fallen und Steigen der Nilflut Tod und Auferstehung des Osiris. Sie begrüßten deshalb das Steigen des Wassers mit dem Ruf: „Er ist auferstanden!“ Ähnliches gilt für die Beobachtung der Gestirne bei den alten Babyloniern. Auf diese Weise führte der Mythos zur Naturbeobachtung. „Erste Nachthälfte Venus war acht Finger unter Beta Tauri und bewegte sich vier Finger gen Osten“, heißt es in einem babylonischen Text aus dem Jahre 419 v. Chr. (1)

Erst und Dann

Ihrem Wesen und dem leitenden Interesse nach waren die Mythen zyklisch. Also ahistorisch und auf Wiederholung angelegt. Seinen Niederschlag fand dieser Sachverhalt in dem die Zeit einteilenden Kalender. Aufbauend auf den Naturbeobachtungen der Priester gliederte er das Jahr und das Leben der Menschen, so wie die Tempel selbst Mittelpunkte des umliegenden Landes waren. Erst die biblischen Schöpfungsgeschichten denken die Entstehung der Welt als einmaliges Ereignis, führen den Gedanken der Geschichte als eines Erst und Dann und eines zielgerichteten Prozesses in die Beobachtung der Natur ein. Intensive Beobachtung der Natur führte schließlich zur Erfassung, Benennung und Katalogisierung einzelner Phänomene: am Anfang war das Lexikon. Spuren solcher Bemühungen sind sowohl im 104. Psalm als auch im ersten der zwei biblischen Schöpfungsberichte, dem priester-schriftlichen 7-Tage-Bericht fassbar. Er ist zwar selbst kein wissenschaftliches Dokument, sondern als Glaubenszeugnis zu verstehen, greift aber auf altorientalische Wissensbemühungen zurück und setzt sie voraus. Bemerkenswert ist der vollständige Verzicht auf „Vor-Welt-Spekulationen“ – wie wir sie etwa noch im Gilgamesch-Epos und im akkadischen Enuma-Elisch (als oben) finden und die Konzentration auf die vorfindliche Wirklichkeit, sowie die radikale Säkularisierung der Welt. Sonne und Mond werden nicht als göttliche Manifestationen, sondern nur als Lichtquellen verstanden.

Atheistische Metaphysik

„Die Materie ist unendlich und ewig, sie ist unzerstörbar, kann auch nicht aus dem Nichts geschaffen werden“, lautet das Glaubensbekenntnis materialistischer Philosophie nach einer Aussage Robert Havemanns. (2) Das ist wohlmerklich ein Glaubensbekenntnis und kein Ergebnis wissenschaftlicher Forschung, auch wenn es aus dem Munde eines Wissenschaftlers stammt. „Ewig“ ist ein Gottesprädikat der traditionellen Metaphysik. Wer so redet, für den wird die Materie selbst zu einem Gott. Der Mensch braucht ein „Mehr als Welt“, um ein „Mehr an Welt“ zu gewinnen. Ohne dieses „Mehr als Welt“ wird die Welt selbst zu einem „Mehr als Welt“ und ihre vermeintlichen ewigen Gesetze zu Götzen.

Schöpfer und Schöpfung

„Es macht Sinn, zu fragen, ob das Universum Anzeichen einer geplanten Schöpfung zeigt … es wäre herrlich, würde man in den Naturgeschehen einen von einem besorgten Schöpfer entworfenen Plan entdecken, in dem Menschen eine Sonderrolle zukommt. Der Zweifel, dass wir einen solchen Plan nicht finden werden, stimmt traurig“, meint der atheistische Wissenschaftler Steven Weinberg. Auf der anderen Seite kann auch der Christ Blaise Pascal sagen: „Die Natur bietet zu viele Spuren, um Gott schlechterdings zu leugnen, und zu wenige, um ganz sicher zu sein.“ Mit diesen Worten beschreibt er die Situation des Menschen in der Welt auf eine Weise, die dem sehr nahe kommt, was der Apostel Paulus im Römerbrief feststellt, wenn er sagt: „Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist eine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung ersehen aus seinen Werken, wenn man sie wahrnimmt“ (Römer 1, Vers 19+20). Dabei ist zwischen dem Schöpfer und der Schöpfung zu unterscheiden, ohne das eine vom anderen zu trennen. So wenig wie ein Künstler mit einem Werk, ist Gott mit seiner Schöpfung identisch. Obwohl natürlich im einen wie im anderen Fall das Werk etwas über den Meister aussagt. Die Naturwissenschaft hat es immer nur mit der Schöpfung zu tun. Da Gott kein Schauspieler auf der Bühne der Welt ist, sondern der Autor und Produzent, kann die Wissenschaft so tief in den Weltraum eindringen, wie es möglich ist, oder auch in den Mikrokosmos, ohne dabei Gottes jemals angesichtig zu werden. Sie bekommt es immer nur mit einer Schöpfung zu tun. „Gott ist nicht ein ausgereckt, lang, breit, dick, hoch Wesen … sondern ein übernatürlich unerforschliches Wesen, das zugleich in jedem Körnlein ganz und gar und dennoch in allen und über allen und außer allen Kreaturen sei … Nichts ist so klein, Gott ist noch kleiner, nichts ist so groß, Gott ist noch größer, nichts ist so kurz, Gott ist noch kürzer“, schreibt Martin Luther. (3)

Dimensionen der Wirklichkeit

Ein Wanderer sieht von weitem ein Feuer, er fragt sich, was los sei, warum brennt es. Drei Antworten sind möglich: 1. Sauerstoff und Kohlenstoff haben sich vereinigt. 2. Irgendetwas oder irgendjemand hat Feuer gemacht. 3. Es ist Martinstag, deshalb brennt das Feuer. Obwohl jede Antwort verschieden ist, sind oder können sie alle drei richtig sein, beleuchten dasselbe Phänomen unter einem anderen Gesichtspunkt: wie, warum, wozu. Wie und warum etwas ist, kann die Naturwissenschaft erforschen. Die Frage nach dem Wozu entzieht sich ihrem Zugriff. Sie gibt uns Mittel, aber keine Ziele. Zwecke, aber keinen Sinn. „Die Frage nach einer Schöpfung ist eine metaphysische, sie reicht über die Physik hinaus … Wissenschaft beschränkt sich selbst, indem sie sich nur mit bestimmten Arten der Erfahrung beschäftigt. (4) Ich kann den Kuchen auf dem Kaffeetisch beschreiben, fotografieren, wiegen, messen, auf seine Bestandteile analysieren und die Art seiner Herstellung erforschen. Wer und warum ihn gebacken hat, werde ich auf diese Weise nicht erfahren. Dass muss entweder der Betreffende selbst oder jemand, der ihn kennt, verraten. Gerade als Schöpfung Gottes ist die Welt dem Erforschen und Begreifen des Menschen ebenso zugänglich, wie auch wert und würdig. Für Kopernikus war die Natur Gottes Tempel. Kepler verstand die Ergebnisse der Forschung als Lob Gottes: „Ich habe die Herrlichkeit deiner Werke den Menschen kundgetan.“ Für Newton, der ebenso viel Zeit mit der Lektüre der Bibel wie mit der Lösung mathematischer Probleme verbrachte, hat Gott die Welt nach mathematischen Gesichtspunkten erschaffen. Als Wissenschaftler habe man die große Gnade, durch die eigene Forschung Einblick in diesen göttlichen Schöpfungsplan zu nehmen. Schöpfung ist Erlösung vom Nichtsein (warum überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts). Erlösung ist Neuschöpfung. Durch diesen Glauben wird die sichtbare Welt zwar relativiert, jedoch nicht entwertet. Sie ist und bleibt Schöpfung, also von Gott gewollt und geliebt.

Nach dem Bilde Gottes

Und was ist der Mensch in dieser Welt? Alles nur Physik und Chemie? Eine Ansammlung von Zellen? Eine Biomaschine? Ein nackter Affe? Ein einsamer Geigenspieler am Rande des Universums, das taub und gleichgültig ist gegen sein Spiel, seine Hoffnungen und Ängste, ebenso wie seine Leiden und seine Schuld? (5) Aus der Verhaltensforschung wissen wir, dass ein Löwe, der einen anderen vertreibt und sein Rudel übernimmt, alle Jungtiere, die die Weibchen mit seinem Vorgänger haben, tötet. Die Weibchen sollen möglichst schnell von ihm schwanger werden, seinen Nachwuchs aufziehen. Darf also auch ein Mann, der eine Frau heiratet, die bereits mit einem anderen Mann Kinder hat, diese töten oder auch nur schikanieren? Aus dem Sein folgt jedenfalls hier für den Menschen kein Sollen. Was also ist der Mensch und wer ist ein Mensch? Wir sind geschaffen nach dem Bilde Gottes (daher unser Wort „Bildung“). Jeder von uns ist einmalig, ein Original, Handarbeit Gottes und daher unendlich wertvoll. Es gibt keine Menschen erster und zweiter Klasse, es gibt gewisse unveräußerliche Rechte, die jeder von uns hat, vom ersten Augenblick seiner Existenz an. Vor allem das Recht, zu sein, zu leben, zu werden, was er ist – ein Mensch. „Alles Sein ist kostbar und gut, daher ist alles und jeder, was/der ist nicht ohne Wert. Nichts (und niemand) kann sein, ohne etwas wert zu sein.“ (Nikolaus von Kues)

 

Anmerkungen

(1) Die Entschlüsselung eines antiken Computers, Spektrum der Wissenschaft 5/10, S. 64

(2) Robert Havemann, Dialektik ohne Dogma? RoRoRo aktuell 1976, S. 53

(3) Gerhard Ebelins, Luther: Einführung in sein Denken. Reden von Gott, S. 305 JBC Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

(4) John Polkinghome, Bild der Wissenschaft 12/99, Gott und Welt, S. 50

(5) J. Monod in: Zufall und Notwendigkeit, München 1971


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Knut Henke

geb. 1951, Pfarrer i. R., VDSt Berlin & Charlottenburg.

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