„Im scharfen Gang, der selbst gewählt

„Ich will nicht ohne Narben sterben!“, stellt Tyler Durden (Fight Club) fest. Warum Kämpfen in einer weichen, dekadenten Gesellschaft echte Männer formt.


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Zwei Männer am Boden. Ringend, hebelnd, Schläge und Kniestöße austauschend. Blut und Schweiß tropfen auf die Matte der achteckigen, eingezäunten Kampffläche. Bänder sind gerissen, Nasen gebrochen, Rippen geprellt. Einer klopft auf den Boden, der Kampf ist vorbei, der andere ist Sieger. Man reicht sich die Hand, umarmt sich aufs herzlichste. Zwei Männer, die gerade eben noch voll Adrenalin und scheinbarer Zerstörungswut einander mit Hieben und Tritten malträtierten. Der vielleicht härteste Sport unserer Zeit: Mixed Martial Arts, vulgo: Ultimate Fighting.

In einer Zeit wie der unseren, die durch Sicherheit und Überfluss geprägt ist, wirkt Kämpfen auf die meisten Menschen befremdlich, verstörend, ekelerregend, aber doch faszinierend. Was treibt junge Männer an, sich im Ring die Fäuste, Schienbeine, Knie, Ellenbogen an den Kopf zu schlagen? Wozu kämpfen? Eine Begründung könnte sein, dass der Kampf einem Dinge bringt, die in unserer Gesellschaft nicht mehr häufig zu finden sind. Diese wird jeder sportliche Kämpfer erlebt haben, egal, ob er Ringer, Boxer, Judoka, Fechter oder Thaiboxer ist.

Fairness. Der Kampf beginnt unter den fairst möglichen Voraussetzungen. Die Gegner werden nicht zufällig gewürfelt, sondern in allen Sportarten hinsichtlich klar trennbarer Parameter wie Größe, Gewicht, Erfahrung (Anzahl der Kämpfe) und Fertigkeit (Farbe des Gurtes) einander gegenüber gestellt. Ein Grundsatz wahrhaftiger und größtmöglicher Chancengleichheit. Ein Begriff, der in unserer Gesellschaft zwar immer höher gehängt, aber von denselben Leuten durch Quoten mehr und mehr pervertiert wird.

Mut. Wer freiwillig einen Kampf bestreitet, also nicht nur, weil Leib und Leben bedroht sind, benötigt eine gehörige Portion Schneid. Einen Schlag zu kassieren tut weh. Die Schmach einer Niederlage schmerzt vielleicht ungleich mehr, doch wer in den Ring steigt, dessen Körper nimmt zunächst einmal die ultimative Bedrohungssituation war. Der andere ist gegen mich und gewillt, mich zu brechen. In unserer Gesellschaft viel mehr als Mut zählt ihr linker Halbbruder, die Zivilcourage. Diese ist einseitig belegt und nur dann zu beweisen, wenn es „gegen rechts“ aufzustehen gilt, um beim Straßenfest Flagge zu zeigen. Aufzustehen und eine unbequeme Meinung zu äußern, zu helfen, wenn dein Nächster am Bahnhof verprügelt wird, dazu reicht es oft genug leider nicht.

Respekt. Wer einen Kampfsport trainiert, der übt etwas ein, das tendenziell dazu geeignet ist, einem anderen Menschen Verletzungen zuzufügen. Wer im Training wie im Kampf, aber auch außerhalb jeder Sporthalle nicht respektvoll mit seiner Fertigkeit umgeht, ist kein Kämpfer. Jeder halbwegs seriöse Sportverein verpflichtet sich hier einem essentiellen Erziehungsauftrag.

Demut. Wer das erste Mal festgestellt hat, dass er mittels Kopftritt einen Gegner oder Trainingspartner zu Boden bringen kann, wird dennoch auf dem Teppich bleiben: Bis dahin hat er nämlich selbst oft genug festgestellt, dass es immer einen gibt, der besser ist als er selber. Demut, genau wie Respekt sind Tugenden, die mit Dezenz zu tun haben, also der Fähigkeit, sich selbst zurückzunehmen. „Selbstverwirklichung“ als omnipräsente Forderung und steigende Abtreibungsraten sowie der stete Wunsch nach neuen „Superstars“ oder „Topmodels“ zeugen heutzutage eher von steigender Hybris und Selbstüberschätzung.

Neben vielen anderen Tugenden ist eine allerdings die wichtigste: Verantwortung. Der Kämpfer ist nackt. Nackter noch als der Redner auf der Bühne. Man ist seiner eigenen Fertigkeit ausgeliefert, niemand kann einem helfen und man selbst erhält die ultimative Quittung: die körperliche Versehrtheit. Anders als in unserer alles auffangenden, alles verzeihenden Gesellschaft, in der man selbst, wenn man zu faul oder zu dumm ist, mitgezogen wird, ist man im Kampf selbst verantwortlich. Wer einen Schlag kassiert, der hatte eine schlechte Deckung. Wem die Luft ausgeht, der hat nicht hart genug trainiert. So einfach ist das.

Letztlich ist der ärgste und schwierigste Kampf, den der Sportler zu führen hat, jedoch der mit sich selbst. Wer Kämpfer ist, geht den schwierigen Weg. Kämpfer zu sein bedeutet zu entbehren. Die Treppe zu nehmen, wo andere mit dem Aufzug fahren, zu warten, wo andere losstürmen, sich zu kontrollieren, wo andere ihren Affekten folgen, zu widerstehen, wo Süßkram und Alkohol locken, früh aufzustehen, wo andere liegen bleiben. Das sind die Dinge, die der Kämpfer tut. Kämpfen, um kämpfen zu können.

Kampf als Beruf

Mut, Respekt, Demut und Verantwortung dürfen wohl auch für den beruflichen Kämpfer, den Soldaten, als Tugenden gelten. Mut und Verantwortung ergeben sich von selbst. Demut und Respekt ergeben sich aus der Struktur einer Armee. Diese ist darauf angewiesen, dass Hierarchien respektiert und Befehle ausgeführt werden. Kämpfen zieht sich durch die Menschheitsgeschichte wie ein roter Faden. Jede Gesellschaft hat ihre Kriegerkasten ausgebildet. Zu fast jedem Zeitpunkt und an fast jedem Ort der Geschichte der Menschheit gehörten Soldaten zu den angesehensten Berufsständen schlechthin. Soldaten kam von jeher besonderer Respekt zu, weil sie diejenigen waren, die im Zweifelsfall für die Verteidigung von Haus und Hof oder auch zur Erweiterung von Reich und Ruhm den Kopf herhielten, also wie im Sinne des Sportlers Verantwortung übernahmen und dafür letztlich mit dem ultimativen Preis einstanden.

In unserer Gesellschaft gibt es keine Soldaten. Wenn überhaupt, sind sie „Bürger in Uniform“. Ihr Stand allerdings ist aufgelöst. Poppige Fernsehwerbung, selbstverständlich gendergerecht, bringt uns die Bundeswehr als einen Arbeitgeber wie jeden anderen nahe. Aufrufe linker Spinner „Feste (zu) feiern, wie sie fallen“ (gemeint sind deutsche Soldaten in Afghanistan), oder die legale Verunglimpfung „Soldaten sind Mörder“ regen ohnehin schon lange niemanden mehr auf. Woher dieses Desinteresse, diese Miss- und sogar Verachtung eines Handwerks, das über Generationen und Kulturen hinweg stets ein unantastbares Ansehen gehabt hat?

In Deutschland ist man gerne bei der Hand, mit der Geschichte zu argumentieren. Die Verbrechen des Nationalsozialismus, die so sehr die deutsche Identität bestimmen, wurden eben von Soldaten begangen, egal ob sie nun Wehrmacht oder SS angehörten. Und ja, die oben skizzierte Struktur einer Armee hat dies gewiss mit begünstigt. Doch greift diese Erklärung zu kurz.

Letztlich fußt unsere Ablehnung gegenüber dem Soldatentum auf einem Unverständnis. Wir leben in einer von Überfluss und Dekadenz gekennzeichneten Gesellschaft, die die elementaren Eigenschaften des Dienens und Kämpfens nicht versteht. Der Soldat opfert sich auf. Er ordnet sich unter. Er ist bereit, dem Feind Einhalt zu gebieten, mit Hiob zu sagen: „Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter!“. Eine Gesellschaft, die eher zurückweicht, als den eigenen Standpunkt zu vertreten, die eher den Kompromiss sucht, als die Konfrontation, die paradoxerweise eher das „Ich“ sieht als das „Wir“, muss solchem Ethos mit Unverständnis gegenüber stehen und allzu menschlich ist es ja, abzulehnen, was wir nicht verstehen.

Kampf als Kunst

Die Gemeinsamkeit zwischen sportlichem Kampf und militärischer Auseinandersetzung liegt, vom Gegenstand des Kämpfens einmal abgesehen, darin, dass diese Tätigkeiten faszinieren. Wo immer gekämpft wird, schauen Leute hin. Es mag bizarr, stellenweise sogar pervers anmuten, doch der Kampf zieht uns Menschen in seinen Bann. Ob die Gladiatorenkämpfe im alten Rom, die Schlägerei in der Kneipe nebenan, die Krawalle im Fußballstadion oder der Boxkampf auf RTL.

Wo Menschen sich schlagen, schauen andere Menschen zu. In der Regel unreflektiert, vielleicht durch Triebe gelenkt. Aber mit dem Gefühl, dass in dieser bizarren, unverständlichen Tätigkeit eine verborgene Schönheit liegt. Nicht anders ist es bei jeder anderen Kunst. Wie viele Besucher eines Konzerts oder einer Oper im örtlichen Stadttheater sind in der Lage, eine Partitur zu lesen? Welcher durchschnittliche Theaterbesucher kann ein klassisches Drama von einem bürgerlichen Trauerspiel unterscheiden? Wie viele Betrachter der Mona Lisa könnten dieses Bildnis wohl überhaupt einer Epoche zuordnen? Und dennoch: Bei diesen Kunstwerken fühlen wir uns angezogen von ihrer oberflächlichen Schönheit. Dringen wir tiefer in sie ein, erwerben wir ein differenziertes Verständnis, reift auch unser Genuss, wir eignen uns das Kunstwerk an und geben ihm einen Raum in unserem Leben. Mit wachsendem, tieferen Verständnis steigt auch unser intellektuelles Vergnügen daran.

Dies trifft auch beim Kampfe zu. Wer das erste Mal in seinem Leben einen Thaiboxkampf gesehen hat, der mag sich fragen, warum man sich dort gegen die Beine tritt. Wer allerdings Bewegungsabläufe analysiert, der versteht, welch enorme Kraft ein Beintritt mit korrekter Hüftdrehung entwickeln kann. Viel deutlicher bei den „Mixed Martial Arts“, die auf den unkundigen Betrachter wirken müssen wie eine Prügelei schlimmster Sorte. Da wird getreten, geschlagen, gestoßen, gerissen. Auch hier hilft uns die Analyse. Um einen wirkungsvollen Schlag auszuführen, braucht es eine treffende Kombination aus korrektem Bewegungsablauf, vorheriger Körpertäuschung, antizipierter Reaktion des Gegners, darauf abgestimmter Deckung. Verlagert sich der Kampf auf den Boden, wird er sogar noch interessanter. Jede Drehung eines Körpergliedes verändert die Kampfsituation. Was wie wildes Gerangel aussieht, ist das Ringen um die bessere Position, dem Schachspiel nicht unähnlich. Wer die bessere Position hat, kann letztendlich vielleicht den besseren Griff ansetzen, um seinen Gegner zur Aufgabe zu zwingen. Je höher der Grad an Reflexion, an Analyse und Verständnis, desto tiefer das Verständnis für die wahre Schönheit einer Kunst.

Von allen Künsten kommt die Musik dem Kämpfen vielleicht am nächsten. Musik besteht letztlich aus Tönen und Rhythmus. Beim Kämpfen geht es darum, den eigenen Rhythmus zu erhalten und den des Gegners zu stören. Wem es am Ende gelingt, seine Symphonie zu komponieren und zu spielen, der gewinnt.

Der Kämpfer ist ein bestimmter Typ. Als Künstler hätte er auch Maler, Dichter oder Sänger werden können. Doch welche Wahl hat er gehabt? Niemand würde einem Mozart geraten haben zu malen, niemand einem Schiller, er hätte Bildhauer werden sollen. Und so vereint den Kämpfer das mit jedem anderen Künstler, was ihn ausmacht: Der Zwang zu tun, was er tun muss, um er zu sein.

Ein Maler kann nicht anders als zu malen. Es gehört fest zu seiner Identität, alles andere hintanzustellen. Meist sieht man ihn mit vollgekleckstem Hemd. Der Dichter ist stets gedankenverloren, in einer anderen Welt. Und der Kämpfer muss eben kämpfen. Wer einmal die Möglichkeit gefunden hat, sich malend auszudrücken, wird immer wieder malen, weil er nicht anders kann. Er bittet dafür nicht um Verständnis und niemand versteht ihn wohl, der nicht vielleicht selber seine eigene, unverstandene Passion besitzt. Nur hier ist er lebendig. Nur hier ist er er selbst. Nur hier spürt er Lebendigkeit, Sterblichkeit, Ewigkeit. Genau, wie der Kämpfer. Hinter ein Paar Handschuhe geduckt, den nächsten Schlag vorausahnend.


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Gregor Burchardt

geb. 1986, Germanist und Historiker, VDSt Breslau-Bochum.

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