Ist die Globalisierung für die Finanzkrise verantwortlich?

Fragen der „Globalisierung“ sind seit 1990 in immer stärkerem Maße in der Öffentlichkeit diskutiert worden. Für die einen ist die Globalisierung eine „Heilslehre“ und für andere ist sie „Teufelszeug“, das für alle wirtschaftlichen Übel der Gegenwart verantwortlich ist, das bekämpft werden und das durch einen stärkeren Einfluss des Staates auf die nationalen Wirtschaften ersetzt werden muss. Seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2007 hat sich die Kritik an der Globalisierung verstärkt, und es wird eine größere Einflussnahme der Staaten auf den Handels- und Finanzverkehr gefordert.


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Was bedeutet Globalisierung?

Der Ausdruck „Globalisierung“ ist relativ jungen Datums. Vor 1990 findet er sich in keinem Lexikon. Seit Anfang der neunziger Jahre machte dieser Begriff eine rasante Karriere. 1993 wird er erst 34 Mal in der FAZ verwendet und im Jahr 2001 schon 1136 Mal. Zunächst müssen wir klarstellen, was dieser Begriff bedeutet. Es gibt keine einheitliche, allgemein anerkannte Definition. Man erfasst wohl die wesentlichen Aspekte dieses Begriffes, wenn man darunter die zunehmende internationale Verflechtung und Durchdringung der Nationalstaaten in den Bereichen  Handel, Industrie, Dienstleistungen, Verkehr, Finanzen, Kultur, Sport, Information und Kommunikation versteht. Weiterhin kann man die Umweltprobleme dazu rechnen, die zwar lokal entstehen, aber teilweise regionale oder sogar globale Auswirkungen haben.

Die enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen Staaten ist besonders augenfällig in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg geworden und verstärkt in den beiden letzten Jahrzehnten. Die internationale wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit war eine bewusste Politik der USA nach dem 2. Weltkrieg, die ihren ersten Ausdruck in der Gründung der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Weltbank) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) 1944 in Bretton Woods fand. In diesen Institutionen haben die USA bis heute eine führende Rolle.

Neben diesen beiden Institutionen war auch eine Internationale Handelsorganisation in der Charta von Havanna vorgesehen, die aber am Veto des US-Senates scheiterte. Sie wurde 1947 durch das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) ersetzt, das in 8 Verhandlungsrunden bis 1995 große Fortschritte bei der Senkung der Zölle und der Beseitigung nichttarifärer Handelshemmnisse erreicht und entscheidende Beiträge zur Liberalisierung des Welthandels geleistet hat. So konnten die Durchschnittszölle von 1947 bis 1994 von 40% auf 4% gesenkt werden. Als Ergebnis der letzten GATT-Verhandlungsrunde wurde 1995 die Welthandelsorganisation (WTO) gegründet, die größere Befugnisse als das GATT bei der Durchsetzung der internationalen Handelsregelungen hat und über ein eigenes Streitschlichtungsorgan verfügt. Liberalisierungsabkommen der WTO erfordern, wie auch früher die des GATT, die Zustimmung aller beteiligten Staaten. Mehrheitsentscheidungen gibt es nicht, so dass Liberalisierungsabkommen nur geschlossen werden können, wenn alle beteiligten Staaten einverstanden sind. Deshalb hat die WTO keine diktatorische Macht, wie Kritiker teilweise behaupten. Sie kann den kleineren Staaten keine Lösungen gegen ihren Willen aufzwingen.

Den entscheidenden Anstoß zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa haben die USA mit dem Marshall-Plan und der Gründung der Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) unter Einbeziehung der Bundesrepublik gegeben. Damit reagierten die USA auf den Ost-West Konflikt und zogen Lehren aus dem Versailler Vertrag, der eine wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa nach dem 1. Weltkrieg verhinderte, dem Nationalismus und Protektionismus Vorschub leistete, die Weltwirtschaftskrise von 1929 mitverursachte und damit Faktoren setzte, die zur Machtergreifung der Nationalsozialisten und zum Ausbruch des 2. Weltkrieges führten.

Die Globalisierung in einzelnen Bereichen

Der bedeutsamste Bereich der Globalisierung ist der internationale Handel, dessen Ursprung weit in die Geschichte zurückreicht. Den Teilnehmern am internationalen Handel hat er immer Wohlstand und Reichtum gebracht. Das gilt für Athen, Karthago, Venedig und Genua ebenso wie für die Hansestädte und die Handelshäuser der Fugger und Welser. Eine erste weltweite Entwicklung hat die Globalisierung  in der Zeit zwischen 1870 und 1914 genommen, in der der internationale Handel ständig wuchs und 1914 einen Anteil von 8% am Welteinkommen erreichte. Anschließend verringerte er sich wegen des 1. Weltkrieges, der wirtschaftsfeindlichen Bestimmungen des Versailler Vertrages und des 2. Weltkrieges drastisch mit erheblichen Wohlstandsverlusten für alle Staaten. Ende der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war er auf den Stand von 1870 zurückgefallen. Erst Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts erreichte er wieder den Stand von 1914. Eine erheblich verstärkte internationale Handelsverflechtung hat in den letzten drei Jahrzehnten stattgefunden. Welche Faktoren haben dazu beigetragen?

Da ist einmal die erhebliche Verbilligung der Transportkosten und die Verkürzung der Transportzeiten zu nennen, die einen verstärkten Rückgriff auf Vor- und Zwischenprodukte aus anderen Ländern erlaubte. Ein weiterer Faktor war die rapide Entwicklung  der Computer und der elektronischen Kommunikationssysteme, insbesondere des Internet. Sie machten es möglich, dass Nachrichten und Informationen zu niedrigen Kosten weltweit zu fast gleicher Zeit verfügbar sind. Der 3. Faktor ist die internationale Verflechtung der Industrie durch Gründung von Tochtergesellschaften und Filialen im Ausland sowie die Liberalisierung der Kapitalmärkte, so dass das für Investitionen notwendige Kapital überall auf der Welt verfügbar wurde.

Nach der Gründung der Bundesrepublik 1949 sorgte Ludwig Erhard dafür, dass die deutsche Wirtschaftspolitik eine liberale Außenhandelspolitik verfolgte. Die Folge war, dass die deutschen Exporte und Importe ständig stiegen und in der Regel beachtliche Exportüberschüsse erzielt wurden. Heute erlösen deutsche Unternehmen fast jeden dritten Euro durch den Export von Waren und Dienstleistungen und jeder vierte Arbeitsplatz hängt vom Außenhandel ab. Welche Ergebnisse diese Außenhandelsorientierung gebracht hat, ist für jeden unvoreingenommenen Beobachter der Wirtschaftsszene offen sichtbar. Bis zum Jahre 2008 war der Export eine Stütze unserer Wirtschaft. Die Exporte sind ständig gestiegen, haben jeweils neue Rekorde erreicht. Das Gleiche gilt für die Außenhandelsüberschüsse. Unser Wohlstand beruht zum wesentlichen Teil auf unserer Außenhandelsorientierung. Eine weitgehend geschlossene Wirtschaft hätte uns nicht einen solchen Wirtschaftsaufschwung gebracht, zumal wir auf Rohstoffimporte angewiesen sind. Die starke Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft zeigt in der jetzigen Finanz- und Wirtschaftskrise erstmals negative Seiten, da die einbrechenden Exporte einen beträchtlichen Rückgang unserer Industrieproduktion mit der Folge von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit verursachen.

Kein Phänomen nur der Industrieländer

Was sich am Beispiel der Bundesrepublik gezeigt hat, gilt auch für die Staaten, die sich früher oder später dem liberalen Welthandel geöffnet und die Zölle und sonstigen Handelshemmnisse stetig abgebaut haben. Die Exporte der Nationalstaaten sind seit 1950 mit einer Rate von etwa 6% jährlich gestiegen, d.h. von rd. 62 Mrd. $ auf 16 Billionen $ im Jahre 2008, d.h. um das 260-fache. Dabei ist insbesondere die Außenhandelsverflechtung zwischen den Industrieländern gewachsen. Aber auch eine Reihe von Entwicklungsländern ist in diesen Prozess hineingewachsen. Dazu gehören China, das uns 2009 als Exportweltmeister abgelöst hat, Taiwan, Südkorea, Singapur, Malaysia, Philippinen, Vietnam, Indonesien, Indien, Mexiko, Brasilien, Uganda, Marokko. In diesen Ländern betrug das durchschnittliche wirtschaftliche Wachstum in den neunziger Jahren 6%, während es in den Industrieländern durchschnittlich nur 2% erreichte. In diesen neuen „Globalisierungsländern“ sank die Zahl der Armen; zugleich wuchsen die Zahl der Schulkinder und ihre Verweildauer auf den Schulen. Auch die gesundheitliche Situation verbesserte sich merklich. Bemerkenswert ist auch, dass der internationale Handel stärker gestiegen ist als die Produktion von Gütern.

Es muss aber auch festgestellt werden, dass viele arme Länder nicht am Globalisierungsprozess im Handelsbereich teilgenommen haben und immer marginaler für die Weltwirtschaft wurden, mit der Folge, dass dort die Einkommen sinken und die Armut steigt. Man fragt natürlich, woran es liegt, dass es einigen Ländern gelingt, sich zunehmend am Welthandel zu beteiligen, während andere außerhalb dieses Prozesses bleiben. Sind hier irgendwelche bösen Mächte am Werk, die ein Interesse daran haben die Armen arm zu halten? Das ist nicht der Fall, denn von einem wachsenden Welthandel profitieren alle teilnehmenden Länder und vor allem die Industrieländer (IL), die Investitionsgüter herstellen und vertreiben. Die Verantwortung dafür liegt in der Regel bei den betroffenen Ländern selbst, weil sie ihre Wirtschaftssysteme nicht liberalisiert und kaum für ausländische Investitionen geöffnet haben. Ein weiterer Grund ist die Unfähigkeit ihrer Regierungen eine effiziente Verwaltung aufzubauen und die Korruption einzuschränken.

Ein wichtiger Grund, warum sich manche Entwicklungsländer (EL) nicht in den Welthandel integrieren können, ist aber von den IL zu verantworten. Sie halten ihre Märkte für Agrarprodukte, bei denen die EL wettbewerbsfähig sind, u. a. durch Zölle von durchschnittlich 27%, verschlossen. Einer der Hauptsünder in diesem Bereich ist die EU, die durch ihre Agrarmarktordnungen mit ihren hohen Subventionszahlungen und der Erhebung von Abschöpfungsbeträgen auf Importwaren zum Ausgleich der Preisdifferenz zwischen den Weltmarktpreisen und Binnenmarktpreisen das Eindringen von Agrarprodukten auf den Binnenmarkt fast unmöglich macht. Darüber hinaus hat die EU den EL auch noch viele Märkte in Drittländern weggenommen, indem sie bei Agrarausfuhren  durch Exporterstattungen die Exportpreise auf „Weltmarktpreisniveau“ hinuntersubventioniert und dadurch ein Preisniveau geschaffen hat, dass für viele EL nicht mehr ausreichend war. Zu den großen Sündern gehören auch die USA, die ihrem Agrarsektor hohe Subventionen gewähren. Man schätzt, dass den EL allein auf den Agrarmärkten jährlich ein Exportvolumen von 100 Mrd. $ entgangen ist. Das entspricht dem doppelten Betrag, den die EL jährlich als offizielle Entwicklungshilfe von den IL erhalten! Die Differenzen im Agrarbereich haben bisher einen erfolgreichen Abschluss der seit 2001 laufenden „Doharunde“ der WTO zur weiteren Senkung von Zöllen und anderer Handelshemmnisse verhindert. Dabei wäre in der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Situation eine weitere Liberalisierung des Welthandels dringend erforderlich.

Die EL, die verstärkt am Welthandel teilnehmen, tun das auch aufgrund der Tatsache, dass sie sich für ausländische Investitionen geöffnet haben und zunehmend Fertigwaren herstellen und exportieren. Das hat dazu geführt, dass sich der Anteil der Fertigwaren an den Exporten der EL von 1980 bis 2008 von 25% auf über 80 % erhöht hat. Heute stellen sie bereits ein Drittel aller Fertigwarenexporte. Infolgedessen ist der Anteil der Rohstoffe an den Exporten der EL beträchtlich zurückgegangen, obwohl er in absoluten Zahlen nicht merklich gesunken  ist. Für die Einbeziehung der EL in den Globalisierungsprozess sind ausländische Direktinvestitionen von großer Wichtigkeit. Nur sie ermöglichen es den EL, den Industrialisierungsprozess zu beginnen oder den Rückstand in diesem Bereich aufzuholen.

Investoren gesucht

Direktinvestitionen in dritten Ländern sind keine Erfindung unserer Zeit. Es hat sie schon früher gegeben, besonders in der Form von Handelsniederlassungen. Investitionen in ausländische Produktionsstätten wurden erst sinnvoll, wenn Auslandsmärkte eine gewisse Größe erreicht hatten und es rentabler geworden war, im Gebiet des Auslandsmarktes selbst zu produzieren oder wenn Auslandsmärkte von dem neuen Produktionsstandort leichter zugänglich waren. Die Auslandsinvestitionen folgten deshalb zunächst einmal den Handelsbeziehungen. Das hatte zur Folge, dass Ziele von Auslandsinvestitionen die Länder waren, mit denen bereits ein reger Handelsaustausch stattfand. Infolgedessen waren die Hauptinvestitionsländer, abgesehen von Projekten der Erschließung von Rohstoffvorkommen, die von der Lage der Rohstoffvorkommen abhängig sind, die übrigen Industrieländer. Heute sind es auch die Schwellenländer, wie China, Indien, Brasilien, Mexiko und andere.

Ein allgemeines Abkommen, wie z.B. das GATT, zur Regelung von Fragen, die sich im Zusammenhang mit ausländischen Direktinvestitionen ergeben, wie z.B. Schutz vor Enteignung oder Inländerbehandlung, gibt es bisher nicht. Von 1995 bis 1999 hat die OECD versucht, ein multilaterales Abkommen über Investitionen (MAI) auszuarbeiten, das dann als Grundlage für Verhandlungen im Rahmen der WTO dienen sollte. Dieser Versuch ist, obwohl nur Länder am Verhandlungstisch saßen, die weitgehend gleiche Interessen hatten, nach zähen Verhandlungen gescheitert.

Um diese Materien nicht völlig im freien Raum zu lassen, hat die OECD zusammen mit der Industrie und den Gewerkschaften unverbindliche Leitsätze für multinationale Unternehmen entwickelt, die einen Katalog von Verhaltensempfehlungen der Regierungen an Auslandsinvestoren enthalten. Sie decken fast die gesamte Bandbreite unternehmerischen Handelns ab, wie z.B. Informations- und Offenlegungspolitik, Beziehungen zu den Mitarbeitern und Sozialpartnern, Umweltschutz, Korruptionsbekämpfung, Berücksichtigung von Verbraucherinteressen, Technologietransfer, Wettbewerbsverhalten und Besteuerung. Die Beachtung dieser Richtlinien wird in regelmäßigen Abständen auf nationaler Ebene überprüft.

Solange kein internationales Investitionsabkommen besteht, sind für diesen Bereich bilaterale Abkommen maßgebend. Die Bundesrepublik hat mit den meisten EL, d.h. etwa 120, bilaterale Investitionsschutz und -förderverträge abgeschlossen, die vor allem einen Schutz gegen Enteignung und internationale Schiedsverfahren in Streitfällen vorsehen. Für deutsche Unternehmen besteht auch noch die Möglichkeit, sich gegen die politischen Risiken bei Investitionen in EL zu versichern. Diese Versicherung wird von der Bundesregierung getragen, wie auch die Hermesbürgschaften für Exportkredite.

Die EL waren in der Vergangenheit teilweise sehr zurückhaltend mit der Zulassung ausländischer Direktinvestitionen. Sie betrieben sehr viel Propaganda gegen die sog. transnationalen Unternehmen. Auf der Basis der Beschlüsse der IV. Sondergeneralversammlung der VN vom Mai 1974 setzten sie 1975 im Rahmen der VN die Einrichtung einer Kommission für transnationale Unternehmen mit 48 Mitgliedsstaaten und eines Zentrums für transnationale Unternehmen durch. Ihre wichtigste Aufgabe sollte es sein, einen Kodex für transnationale Unternehmen auszuarbeiten. Er sollte die Tätigkeiten transnationaler Unternehmen in EL streng reglementieren und den EL entscheidenden Einfluss auf die Tochterunternehmen und Filialen transnationaler Unternehmen in ihren Ländern sichern. Außerdem sollte das Zentrum EL Hilfe bei Problemen mit transnationalen Unternehmen gewähren. Die entsprechenden Forderung der EL wurden von den kommunistischen Staaten voll unterstützt. Eine Einigung über einen solchen Kodex konnte nie erreicht werden.

Nach 1990 wandelten sich die Aufgaben des Zentrums. Jetzt erwarteten die EL und die ehemaligen kommunistischen Staaten Hilfe bei der Ausgestaltung liberaler Investitionsgesetze und der Ansiedlung von multinationalen Unternehmen.

So wichtig ausländisches Kapital für die Gründung neuer Unternehmen ist, so problematisch kann die unbegrenzte Zulassung des Aufkaufs einheimischer Unternehmen durch ausländische Investoren sein. So lange es darum geht, Produktionsstätten zu erwerben und fortzuführen, um einen besseren Zugang zu bestimmten Märkten zu haben, ist dagegen nichts einzuwenden. Problematisch wird es, wenn ausländische Staatsunternehmen oder reine Finanzinvestoren Unternehmen erwerben. Den letzteren geht es oft um schnelle Gewinne durch Filetierung der gekauften Unternehmen und Weiterverkauf von Einzelteilen. Das kann der Markt nicht verhindern. Deshalb muss überlegt werden, ob der Aufkauf von bestehenden Unternehmen durch ausländische Investoren nicht von einer staatlichen Genehmigung abhängig gemacht werden sollte.

Der globale Finanzmarkt

Die von USA und Großbritannien betriebene Liberalisierung der Kapitalmärkte ist angesichts der täglichen Umsätze von mehr als 2 Billionen $ auf den internationalen Finanzmärkten und der Abkoppelung dieser Umsätze von der Realwirtschaft, d.h. von der Finanzierung des internationalen Handelsverkehrs und der internationalen Investitionen, anders zu beurteilen als die Liberalisierung des Handelsverkehrs und der Investitionen. Hinzu kommt, dass Finanzprodukte geschaffen und in Umlauf gebracht worden sind, deren Werthaltigkeit zweifelhaft ist, wie der Handel mit verbrieften Krediten gezeigt hat.

Bei der Beurteilung der internationalen Finanzmärkte  sollten wir zunächst einmal sehen, dass  sie einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung leisten. Sie unterstützen die Finanzierung des internationalen Handels- und Dienstleistungsverkehr, des internationalen Kapitalverkehrs mit Aktien und festverzinslichen Werten, von öffentlichen und privaten Investitionen und damit die langfristige private Vermögensbildung von Individuen, Haushalten und Unternehmen. Sie spielen eine wesentliche Rolle bei der Entwicklungsfinanzierung in Ländern der Dritten Welt. Damit sie diese wichtigen Funktionen erfüllen können, bedürfen sie einer institutionell gesicherten Regulierung. Aufgrund des Druckes der USA und Großbritanniens, die an einer ungehinderten Tätigkeit ihrer Finanzindustrie und der Bewahrung ihrer Vormachtstellung bei der Erbringung von Finanzdienstleistungen interessiert sind, hat es bisher an der notwendigen Regulierung der internationalen Finanzmärkte gefehlt. Das hat zur Ausbreitung der amerikanischen Finanzkrise auf andere Länder wesentlich beigetragen. Auf dem G20-Gipfel in London konnte durch das Zusammenwirken von Frankreich, China und Deutschland gegen die Absichten der USA und Großbritanniens durchgesetzt werden, dass Regeln für die internationalen Finanzmärkte erstellt werden. Die Ergebnisse des G20-Gipfels in Pittsburgh zeigen jedoch, dass eine Umsetzung der Beschlüsse über eine Regulierung der internationalen Finanzmärkte sehr schwierig und langwierig ist. Der Beschluss über die Begrenzung der Manager-Boni durch die Mitgliedstaaten reicht dafür nicht aus.

Andererseits dürfen wir die zahlreichen Beispiele für gezielte Spekulationen gegen einzelne Währungen nicht außer Acht lassen. Am bekanntesten ist die Spekulation von George Soros gegen das britische Pfund, als sein Wechselkurs noch in der europäischen Währungsschlange  gebunden war. Soros hat damals große Kredite in Pfund Sterling aufgenommen, sie in andere Währungen umgetauscht und damit solchen Druck ausgeübt, dass die Bank von England das Pfund Sterling abwerten musste. Er hat dadurch ein Millionenvermögen gewonnen. Dieses Beispiel zeigt, dass vor allem kleinere Länder mit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs vorsichtig sein sollten.

Wenn sie sich für die Liberalisierung des Kapitalverkehrs entscheiden, sollten sie ein Instrumentarium bereithalten, das es ihnen erlaubt, erfolgreich jegliche Spekulation gegen ihre Währung unterbinden zu können. Außerdem sollten sie bei der Aufnahme von Fremdwährungskrediten Vorsorge treffen. Es sollte geprüft werden, ob die für Zins- und Amortisationszahlungen notwendigen Devisen vorhanden sind oder erwirtschaftet werden können. Diese vorbeugende Kontrolle sollte von der Zentralbank oder einer anderen staatlichen Stelle ausgeübt werden. Voraussetzung für die Genehmigung der Aufnahme von Fremdwährungskrediten sollte sein, dass sie für rentable Investitionsvorhaben bestimmt sind. Dagegen sollten keine Kredite zur Finanzierung von Konsumausgaben aufgenommen oder gewährt werden. Diese Regel wird leider häufig missachtet, und führt bei vielen Schuldnern und Ländern wegen steigender Lasten in heimischer Währung zu großen Schwierigkeiten. Dieses Problem kann gegenwärtig in mehreren Beitrittsländern der EU beobachtet werden.

Um die internationalen Finanztransaktionen zu erschweren und insbesondere Spekulanten abzuschrecken, ist vor einigen Jahren von dem amerikanischen Volkswirt Tobin vorgeschlagen worden, eine Steuer auf internationale Finanztransaktionen zu erheben. Sie wird nach ihrem Erfinder „Tobin-Steuer“ genannt. Sie soll insbesondere kurzfristige Finanztransaktionen verteuern und damit unattraktiv machen. Der Vorschlag wird jetzt wieder diskutiert, um die Akteure an den internationalen Finanzmärkten an den Kosten für die staatlichen Stützungsmaßnahmen zur Verhinderung eines Zusammenbruchs des Finanzsystems zu beteiligen und den Steuerzahler zu entlasten.

Gegen diesen Vorschlag bestehen erhebliche sachliche, aber auch verfahrensmäßige Bedenken. Mit einer solchen Steuer kann man nicht alleine die Transaktionen von Spekulanten erfassen, sondern man muß sie auf alle internationalen Finanztransaktionen ohne Rücksicht auf ihren Zweck erheben, wie z.B. solche, die der Finanzierung des internationalen Handels- und Dienstleistungsverkehrs, der Zahlung von Zinsen und Dividenden, der Überweisung von Gewinnen und Lizenzgebühren oder internationalen Investitionen dienen. Da eine solche Steuer von den Banken ihren Kunden belastet würden, würde man auch Verbraucher,  Kreditnehmer und Unternehmen treffen, deren Finanztransaktionen nichts mit Spekulation zu tun haben, sondern ihrem normalen Geschäftverkehr dienen. Sie würden für etwas haftbar gemacht, was sie nicht verursacht haben. Außerdem müssten sich an einer solchen Steuer alle Länder ohne Ausnahme beteiligen, um jegliche Schlupflöcher auszuschließen. Dass das zu erreichen ist, halte ich für ausgeschlossen.

Kritik an der Globalisierung

Kritik an der Globalisierung wird vor allem von Parteien des linken Spektrums, Gewerkschaften, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen, wie z.B. Attac geäußert. Teilweise bedeutet diese Kritik einen Angriff auf die liberale Weltwirtschaftsordnung, die mit dem Ziel verbunden ist, den Regierungen größeren Einfluss auf die Wirtschaft einzuräumen. Teilweise wird die Globalisierung auch für Entwicklungen verantwortlich gemacht, die nichts mit der Globalisierung zu tun haben. Dadurch soll von Fehlern der verantwortlichen Regierungen abgelenkt werden. Zu den Kritikpunkten gehören u.a.:

  • Einengung oder gar Verlust des Gestaltungsspielraumes demokratischer Regierungen und Übergang entsprechender Kompetenzen auf demokratisch nicht legitimierte Wirtschaftsunternehmen;
  • Einengung der Verhandlungsmacht von Gewerkschaften.

Die Behauptung, dass durch die Globalisierung die Gestaltungsspielräume demokratisch gewählter Regierungen unzulässig eingeschränkt werden, ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Natürlich setzt die Globalisierung  Daten, die die nationalen Regierungen bei der Abfassung ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik berücksichtigen müssen, wie sie auch die Gegebenheiten der nationalen Wirtschaft bei ihrem Handeln nicht einfach übergehen können. Jedoch werden die Regierungen im Rahmen der Globalisierung nicht handlungsunfähig. Im Gegenteil, sie sind in vielen Bereichen sogar stärker gefordert als früher; nur müssen sie andere Gegebenheiten berücksichtigen. Sie müssen dafür sorgen, dass die Wirtschaften ihrer Länder Rahmenbedingungen haben, die es ihnen erlauben, sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten und nicht schutzlos den Auswirkungen der Globalisierung ausgesetzt zu sein. Das ist nicht durch Protektionismus zu erreichen.

Deshalb bestehen für die nationalen Regierungen zahlreiche Handlungspflichten. Für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes im Rahmen der Globalisierung geht es vor allen Dingen um hochqualifizierte Manager, Wissenschaftler und Arbeitskräfte. Es kommt nicht allein auf die Arbeitskosten und Steuern einschließlich der Abgaben für die Sozialversicherung an, sondern es spielen dabei auch eine Reihe anderer Faktoren eine entscheidende Rolle. Dazu gehören Arbeitsklima, die soziale Sicherheit, die öffentliche Sicherheit, die Infrastruktur, das kulturelle Angebot, das gesamte Ausbildungssystem von den Grundschulen bis zu den Universitäten und einschließlich der betrieblichen Ausbildung, das Gesundheitswesen, die Wohnverhältnisse, das öffentliche Verkehrssystem und ein funktionierendes, aber nicht zu bürokratisches Verwaltungs- und Rechtssystem. Die Regierungen müssen in all diesen Bereichen für die notwendigen Anpassungen sorgen und insbesondere die Eingriffe der Verwaltung in die Wirtschaft auf das notwendige Minimum beschränken, um die Wettbewerbsfähigkeit ihres Landes zu erhalten und, falls notwendig, noch zu verbessern. Werden diese Aufgaben vernachlässigt, weil Regierungen öffentliche Mittel für überproportionale Verwaltungen oder  für „soziale“ oder konsumptive Zwecke ausgeben oder umverteilen, wird die Zukunftsfähigkeit ihres Landes gefährdet. Wichtig ist auch, dass ausreichende Mittel für die notwendigen Investitionen bereitgestellt werden. Wir dürfen nicht aus der Substanz leben, wie es die DDR getan hat und deshalb gescheitert ist. Hapert es in diesen Bereichen, hat darunter vor allem die junge Generation zu leiden.

Verfehlte Ausgabenpolitik

Besonders wird die Einengung des Gestaltungsspielraums beim Steuersystem durch den Zwang zur steuerlichen Entlastung von Kapitalerträgnissen kritisiert. Wir müssen aber sehen, dass die Defizite der öffentlichen Haushalte nicht auf fehlenden Einnahmen, sondern auf zu hohen Ausgaben für Zwecke beruhen, die wir uns nicht leisten können und die zur Erhaltung unseres Lebensstandards nicht notwendig sind. Wir leisten uns z.B. einen viel zu großen öffentlichen Dienst, viel zu viel Verwaltungseingriffe in die Wirtschaft und das Leben der Bürger sowie viel zu hohe soziale Aufwendungen. Wir müssen deshalb erst einmal an Einsparungen im konsumptiven Bereich und bei der Umverteilung denken, bevor neue Ideen über mögliche Steuer- und Abgabenerhöhungen in die Welt gesetzt werden. Öffentliche Hilfe darf nur dort eingesetzt werden, wo Probleme trotz der gezeigten Eigenverantwortung nicht vom Einzelnen gelöst werden können.

Für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrieprodukte auf den Weltmärkten sind neben anderen Faktoren, wie Qualität, Neuheit, Wartung, Lieferzeit, auch die Preise von großer Bedeutung. Das bedeutet, dass unsere Unternehmen die Lohnkosten, die einen wesentlichen Bestandteil des Endpreises bilden, nicht beliebig steigern können, sondern auf die Preisverhältnisse auf dem Weltmarkt Rücksicht nehmen müssen. Insofern sind den Forderungen der Gewerkschaften nach Lohnerhöhungen oder Arbeitszeitverkürzungen durch die Globalisierung Grenzen gesetzt. Überfordern sie die Unternehmen bei den Lohnabschlüssen, dann führt das zu Absatzeinbußen mit der möglichen Konsequenz von Entlassungen oder von Betriebsschließungen. Eine andere Gefahr ist, dass die Unternehmen bei einem zu hohen Lohnniveau im Inland Produktionen ins Ausland verlagern, weil dort die Lohnkosten  wesentlich niedriger sind. Auch das führt zu Arbeitsplatzverlusten im Inland. Es ist deshalb nicht zu leugnen, dass die Globalisierung zur Einschränkung der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften führt. Ist diese Konsequenz so gravierend, dass deshalb die Globalisierung abzulehnen ist? Ich meine nein, denn die Globalisierung mit der engen Außenhandelsverflechtung hat uns ein Wohlstands- und Lohnniveau gebracht, das vor 60 Jahren unvorstellbar war. Würden wir uns der Globalisierung entziehen und zu einer autarken Wirtschaft zurückkehren, würde unser Wohlstandsniveau beträchtlich sinken und unser soziales Sicherungssystem so überfordert werden, dass es drastisch eingeschränkt werden müsste. Das kann keiner wollen. Es ist bei weitem vorzuziehen, dass wir Bestandteil der globalisierten Wirtschaft bleiben, unser hohes Wohlstandsniveau behalten, aber gleichzeitig bereit sind, beim Lohnniveau und den Leistungen des Systems der sozialen Sicherheit freiwillig notwendige Einschränkungen hinzunehmen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit  auf dem Weltmarkt zu behalten. Wir müssen unsere konsumptiven Ausgaben einschränken und die Investitionsausgaben erhöhen.

Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise

Wenn man die Verbindung zwischen Globalisierung und Finanz- und Wirtschaftskrise beurteilen will, muss man zunächst analysieren, wodurch die Krise ausgelöst worden ist und ob ein Zusammenhang zwischen der Ursache und der Globalisierung besteht.

An erster Stelle für die Ursachen der Finanzkrise ist die Hypotheken- und Immobilienkrise in den USA zu nennen. Was war passiert? Zu Beginn der 90er Jahre in der Amtszeit von Präsident Clinton war es der Wunsch der amerikanischen Politik, dass möglichst jeder Amerikaner ohne Rücksicht auf seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse Hauseigentümer werden sollte. Entsprechend wurden die beiden quasi-staatlichen Hypothekenagenturen, Freddie Mac und Fannie Mae, aufgefordert ihre Vergabestandards hinsichtlich der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Immobilienerwerber und Hypothekenschuldner herabzusetzen. Der Immobilienerwerb konnte zu 100% durch Hypotheken finanziert werden und es wurde nicht überprüft, ob die Einkommensverhältnisse es dem Hypothekenschuldner ermöglichte, seinen Zins- und Tilgungsverpflichtungen dauerhaft nachzukommen. So entstand der Subprime-Markt, d.h. ein Markt für Hypotheken, die den bisherigen strengeren Anforderungen nicht entsprachen. Dadurch nahm das Volumen der Hypotheken drastisch zu. Allein zwischen 2005 und 2006 wurden in den USA Hypotheken in Höhe von ca. 5 Billionen $ vergeben. Entsprechend stark wuchs die Immobiliennachfrage. Die daraus folgende starke Wertsteigerung der Immobilien und der Status der Immobilienfinanzierer als halbstaatliche Institutionen ermöglichte es ihnen, bestmögliche Bonitätsbewertungen durch die amerikanischen Ratingagenturen zu bekommen. Damit konnten beide Finanzinstitute  ihre Anleihen auf den Kapitalmärkten leicht platzieren und die vergebenen Hypotheken günstig verbriefen. Mit der massiven Ausweitung der Hypothekenvergabe und ihrer Verbriefung entstand ein staatlich gestütztes Schneeballsystem, das auf der Zahlungsfähigkeit der Kreditnehmer und der erwarteten Wertsteigerung der Immobilien basierte. Dieses System musste in Schwierigkeiten geraten, als die Zinsen wegen der Inflationsgefahr erhöht wurden. Das passierte dann auch 2005. Danach konnten Kreditnehmer die zinsvariablen Hypotheken nicht mehr bedienen. Außerdem stiegen die Kosten der Refinanzierung für die Hypotheken-gläubiger, die teilweise kurzfristige Kredite aufgenommen hatten.

Wie konnte es passieren, dass dieser inneramerikanische Vorgang Auswirkungen auf andere Länder bekam? Dafür ist ursächlich, dass die „faulen“ Hypothekenkredite mit anderen Krediten mehr oder weniger guter Bonität verbrieft und mit dem „Gütesiegel“ amerikanischer Ratingagenturen versehen weltweit verkauft wurden. Ausländische Banken haben sich beim Erwerb solcher verbriefter Kredite auf die Bonitätsprüfung der amerikanischen Ratingagenturen verlassen und nicht selber überprüft, was die erworbenen Papiere beinhalteten und wie werthaltig sie waren. Hinzu kam in manchen Fällen, dass der Kaufpreis dieser Papiere mit kurzfristigen Krediten finanziert wurde, obwohl die erworbenen Papiere eine mittel- bis längerfristige Laufzeit hatten. Damit wurde die Grundregel der Fristenkongruenz zwischen Finanzierungsmitteln und Ausleihungen gröblich verletzt.

Für das Übergreifen der Finanzkrise auf Deutschland sind nicht allein die Bankmanager verantwortlich, sondern auch die Finanzmarktpolitik der Bundesregierung seit 1999. Sie ist dafür verantwortlich, dass wichtige Schutzvorschriften im Bereich der Bewertungs-, Bilanzierungs-, Steuer- und Anlageregelungen abgeschafft worden sind.

Das hat unter der rot-grünen Regierung 1999 begonnen und ist unter der Großen Koalition fortgesetzt worden. In ihrem Koalitionsvertrag von Oktober 2005 wurde  im Kapitel „Finanzmarktpolitik“ vereinbart, dass

  • Produktinnovationen und neue Vertriebswege nachdrücklich unterstützt
  • der Verbriefungsmarkt ausgebaut und
  • überflüssige Regulierungen abgebaut werden sollen.

Außerdem hat der Bundesminister der Finanzen Peer Steinbrück in einem Artikel „Was darf die deutsche Kreditwirtschaft von der neuen Bundesregierung erwarten?“ in der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen vom Januar 2006 für die neue Finanzmarktpolitik der Großen Koalition geworben. Er wollte u.a. bestehende Grenzen beim Erwerb von Asset Backed Securities in den Anlagebestimmungen von Versicherungen, Pensionsfonds und Investmentfonds überprüfen und gegebenenfalls ändern. Auch der heutige Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen Jörg Asmussen hat sich im gleichen Sinne in einem Artikel „Verbriefungen aus der Sicht des Bundesfinanzministeriums“ in der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen vom 26. September 2006 geäußert. Hinzu kommt die Rolle der Bundesregierung bei der True Sale International GmbH, einer Einrichtung der Banken, die sich um den Ausbau des Verbriefungsmarktes, den Handel mit ABS-Papieren und die Auslagerung der Risiken in Zweckgesellschaften kümmert. In ihrem Gesellschafterbeirat ist Jörg Asmussen, vertreten.

Außerdem darf nicht vergessen werden, dass sich Landesbanken und die IKB als Tochter der staatseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erheblich bei verbrieften Krediten engagiert und damit Milliardenverluste für den Steuerzahler verursacht haben. Hier haben die Politiker in den Aufsichtsgremien eine unheilvolle Rolle gespielt.

Als weitere Ursache für die Finanzkrise kam das übermäßige Engagement von Banken im Bereich der sog. Derivate hinzu. Hier konnten durch den Einsatz geringer Eigenmittel  erhebliche Gewinne erzielt werden, die es den Banken erlaubten, eine Eigenkapitalrendite von 25% zu erzielen. Dass mit den Derivaten aber auch überproportionale Risiken verbunden sind, wurde geflissentlich ausgeblendet. Zu den Derivaten gehören Zertifikate, Optionen, Futures und die Credit Default Swaps (CDS), d.h. Versicherungen für den Ausfall von Krediten. In diesem Bereich haben Finanzinstitutionen Risiken angehäuft, deren Umfang noch teilweise unbekannt ist. Deshalb kann es dort noch unliebsame Überraschungen geben.

Amerika, Schuldner der Welt

Ein weiterer Risikofaktor in der gegenwärtigen Finanzkrise ist das Weltwährungssystem wegen der gewaltigen Guthaben ausländischer Zentralbanken und sonstiger Institutionen in US-$ und der entsprechenden Schuldnerposition der USA.

Das gegenwärtige Weltwährungssystem wurde 1944 in Bretton Woods (USA) zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Weltbank) geschaffen. Leitwährung wurde der US-$, der mit dem Versprechen der US-Regierung versehen war, 35,- US-$ gegen 1 Unze Gold einzutauschen. Bis Mitte der 60er Jahre wurde von der Dollarlücke gesprochen, d.h. dass die Teilnehmer am internationalen Handels- und Zahlungsverkehrs  nie über genügend US-$ zur Finanzierung ihrer internationalen Transaktionen verfügen würden. Das änderte sich mit dem Eintritt der USA in den Vietnamkrieg. Die USA konnten diesen Krieg nicht aus dem normalen Steueraufkommen und nationalen Ersparnissen finanzieren, sondern mussten dafür Kredite im Ausland aufnehmen. Dadurch entstand die Gefahr, dass durch Einwechslung ausländischer Dollarguthaben in Gold die US-Goldbestände schrumpfen und schließlich ganz in den Besitz ausländischer Zentralbanken übergehen konnten. 1971 widerrief Präsident Nixon deshalb die Goldeinlösungspflicht des US-$. Das führte zu flexiblen Wechselkursen und einer beträchtlichen Abwertung des US-$, der aber Reservewährung blieb. Gleichzeitig erlaubte es dieses System den USA, sich unbegrenzt im Ausland zu verschulden und auf dessen Kosten einen Lebensstandard aufrecht zu erhalten, der durch die amerikanische Wirtschaftsleistung nicht gerechtfertigt war.

Trotz der beträchtlichen Abwertung des US-$ gelang es den USA nicht, ihre Leistungsbilanz auszugleichen. Ihr Außenhandelsdefizit wuchs ständig und war meistens von einem mehr oder weniger großen Haushaltsdefizit begleitet. Diese Defizite konnten nur durch Kreditaufnahmen im Ausland ausgeglichen werden. Kreditgeber waren und sind vor allem die Notenbanken der Länder mit großen Zahlungsbilanzüberschüssen, wie China, Japan,  Taiwan, die Ölexportländer oder Deutschland.

Im Gegenzug haben diese Länder $-Guthaben angehäuft, deren Umfang eine Gefahr für den Wert des US-$ ist. Es genügt allein schon, dass diese Länder neue Überschüsse nicht mehr in US-Schatzpapieren anlegen, um den Wert des $ sinken zu lassen. Eine Katastrophe wäre es, wenn sie $-Guthaben in andere Währungen verlagerten. Davon hält sie ab, dass ein sinkender Wert des $ auch zu einem sinkenden Wert ihrer $-Guthaben führt. Das möchten sie natürlich vermeiden und operieren infolgedessen mit größter Vorsicht.

Deshalb wird das Thema einer Reform des Weltwährungssystems nur zaghaft angesprochen. Die Chinesen haben es vor dem G-20-Gipfel in London getan und eine Ablösung des $ als Reservewährung durch Sonderziehungsrechte vorgeschlagen. Das Gleiche haben die Staatschefs von Russland, China, Indien Brasilien auf einem Gipfeltreffen in Jekaterinburg am 16. Juni 2009 gefordert. Die Sonderziehungsrechte sind ein Kunstprodukt, das vom IWF Ende der 60-er Jahre geschaffen  wurde und dessen Wert sich nach einem Währungskorb bestehend aus US-$, Euro, Yen und Pfund, richtet. Ich habe Zweifel, ob das ein sachlich gangbarerer Weg ist. Die USA werden sich auch mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen eine Ablösung des $ als Reservewährung wehren, da ihnen damit ein entscheidendes Machtmittel genommen würde und sie sich nicht mehr unbegrenzt im Ausland verschulden könnten.

Wie lange kann diese Entwicklung noch fortdauern, ohne dass ernsthafte Gegenmaßnahmen getroffen werden? Eines Tages muss gehandelt werden oder der Markt erzwingt eine Lösung. Eine Lösung wird alle berühren, denn eine Abwertung des US-$ verändert die Wettbewerbsposition aller Länder. Außerdem erfordert sie spürbare Abschreibungen bei den Besitzern von Dollarguthaben. Einer Abwertung des US-$ könnte durch Erhöhung der Zinsen in den USA und die Anziehung ausländischen Kapitals begegnet werden. Damit kämen jedoch viele $-Schuldner in den USA und anderen Ländern in finanzielle Schwierigkeiten. Das würde die Konjunktur nicht nur in den USA, sondern auch in anderen Wirtschaftsräumen beeinträchtigen. Außerdem würden die Zinslasten für die durch ungeheure Kredite finanzierten Konjunkturprogramme in unfinanzierbare Höhen getrieben. Die aktuellen Probleme würden weiter verschärft. Wir sitzen hier in einer Falle, die allein durch verantwortungslose Politiker und Notenbanker geschaffen worden ist. Sie haben es versäumt, rechtzeitig gegenzusteuern.

Dieser Überblick zeigt, dass die Finanzkrise und in ihrem Gefolge die Wirtschaftskrise nicht durch die Globalisierung verursacht worden sind, sondern durch nationale Akteure. Ihre Ausbreitung ist zwar durch die Globalisierung und mangelnde Regulierung der Finanzmärkte begünstigt worden. Das rechtfertigt aber nicht, die Globalisierung für die Finanz- und Wirtschaftskrise verantwortlich zu machen. Deshalb sollte sie nicht in Frage gestellt werden. Dadurch würde nur mehr Schaden als Nutzen verursacht. Notwendig ist es allerdings, Regulierungen für das Funktionieren der Finanzmärkte auszuarbeiten und in Kraft zu setzen.

Mögliche Gegenmaßnahmen

Bei den Gegenmaßnahmen gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise muss man zwischen den beiden Bereichen unterscheiden.

Ein Zusammenbruch des Finanzsystems in einzelnen Ländern hätte katastrophale Folgen für die gesamte Wirtschaft und muss unbedingt verhindert werden. Deshalb sind staatliche Stützungsmaßnahmen für in Schwierigkeiten geratene Banken erforderlich und gutzuheißen. Allerdings sollten die Manager, die für das Desaster bei den einzelnen Finanzinstitutionen verantwortlich sind, zur Verantwortung gezogen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Konsequenzen ihres Versagens nicht nur ihre Institute treffen, sondern viele Sparer und Anleger um ihr Vermögen und ihre Altersversorgung bringen.  Leider werden die verantwortlichen Manager nicht oder nur unzureichend zur Verantwortung gezogen. Grund dafür dürfte sein, dass nicht nur Manager der privaten Banken betroffen sind, sondern auch die Manager öffentlicher Banken, wie in Deutschland die Landesbanken, sowie Politiker in den Aufsichtsorganen dieser Institute.

Anders sieht es bei den Produktionseinbrüchen der Industrie aus. Die Industriemanager sind nicht für den Ausbruch der Wirtschaftskrise verantwortlich. Sie ist Folge der Finanzkrise. In Deutschland liegt ihre Ursache im Wesentlichen im abrupten Einbruch der Auslandsnachfrage und des Exportes. Der Ausfall dieser Nachfrage kann nur zu einem geringen Teil durch zusätzliche Inlandsnachfrage ersetzt werden. Dagegen helfen inländische Konjunkturprogramme wenig; sie können die ausfallende Auslandsnachfrage nicht ersetzen.  Deshalb ist die Zurückhaltung der deutschen Bundesregierung gegenüber weiteren Konjunkturprogrammen gerechtfertigt. Wenn amerikanische Volkswirte uns auffordern, weitere Konjunkturprogramme aufzulegen, können sie nicht auf Ergebnisse einer sachlichen Analyse verweisen. Ich vermute, dass sie damit andere Ziele verfolgen und uns in ebensolche Schwierigkeiten bringen wollen, wie sie die USA vor sich haben. Auch die amerikanischen gewaltigen Konjunkturprogramme werden nicht die gewünschten Erfolge haben. Ihre Finanzierung durch frisch gedrucktes Geld wird nur die Inflation antreiben und zu einer Entwicklung führen, wie Deutschland sie von 1919 bis 1923 erlebt hat. Auf eine Wiederholung dieser Erfahrung können wir gern verzichten. Wir sollten dabei auch berücksichtigen, dass diese Entwicklung neben dem Versailler Diktat eine Ursache für das Erstarken des Nationalsozialismus war. Den gleichen Fehler sollten wir nicht ein zweites Mal begehen.

Abschließend ist die Frage zu stellen, was können wir tun, um die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise in Grenzen zu halten, ohne unsere Kinder und Enkel durch die Aufnahme von Schulden zu belasten, die sie tilgen und dadurch ihren Lebensstandard in unvertretbarer Weise einschränken müssen. Wenn wir das vermeiden wollen, müssen wir unseren Lebensstandard einschränken und die Lasten des Einbruchs der Wirtschaftstätigkeit auf uns nehmen, soweit das ohne gefährliche soziale Spannungen möglich ist. Das würde voraussichtlich dazu führen, dass wir gestärkt aus der Krise herausgehen können. Die Frage ist nur, ob unsere Politiker bereit und in der Lage sind, einen solch schwierigen und anspruchsvollen Kurs zu steuern, der Einschnitte bei den großen Ausgabeblöcken des Haushalts, d. h. bei den Sozialausgaben und Zinsen erfordert. Da bleibt uns nur die Hoffnung.


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Joachim Koch

geb. 1934, Ministerialrat a. D., VDSt Münster.

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