Kleine Kulturgeschichte der Zigarre

Rauchen als Kulturgut: Die richtige Zigarre signalisiert Stil und Niveau; obwohl der Qualmstengel historisch durchaus ein Gut für verschiedenste Schichten war – Politiker und Studenten, Kaiserinnen und Revolutionäre.


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Als im August 1948 Politiker, Beamte und Juristen auf der Herreninsel im Chiemsee die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland formulierten, die im später verabschiedeten Grundgesetz ihren Niederschlag fanden, gehörten zur Entlohnung auch Sachleistungen; nämlich Tag für Tag ein Liter Bier, eine halbe Flasche Wein und drei Zigarren.

Wer das Wirtschaftswunder der Bundesrepublik Deutschland visualisieren will, greift am einfachsten zu Ludwig Erhard mit seiner omnipräsenten Zigarre.

50 Jahre nach Herrenchiemsee begann die Amtszeit des als Cohiba-Kanzlers in die Geschichte eingegangenen Gerhard Schröder, und in den ersten Tagen der schwarz-gelben Koalition ließ sich Wirtschaftsminister Brüderle im Stile Ludwig Erhards mit einer Zigarre abbilden.

Vier Ereignisse aus der jüngeren Geschichte des Tabakkonsums, der schon bei den alten Ägyptern nachgewiesen wurde, wenn auch die pflanzliche Quelle damals eine andere gewesen sein mag. In den Kulturen der Mayas und Inkas ist das Rauchen ebenso selbstverständlicher Alltag gewesen wie bei den Indianern, bei denen Kolumbus und seine Mitfahrer es Ende des 15. Jahrhunderts entdeckten. Sie brachten die Tabakpflanze mit nach Europa und legten damit die Basis für Dauerdiskussionen und Streit zwischen Tabakgegnern und Tabakgenießern. In den folgenden zwei Jahrhunderten wurde Tabak zunächst als Heilmittel angewandt und fand dann in Form von Schnupf-, Kau- und Pfeifentabak an den Adelshöfen Europas seine Freunde und Freundinnen.

1788 gründete der Unternehmer Hinrich Schlottmann in Hamburg die erste deutsche Zigarrenfabrik. Seine Kunden waren aufgrund der verhältnismäßig hohen Preise für Zigarren nur in wohlhabenden Kreisen zu finden. Wer es zu etwas gebracht hatte, rauchte Zigarren. Das währte so lange, bis man in Bremen eine „Volkszigarre“ kreierte – geschmacklich akzeptabel und erschwinglich für die weniger Begüterten.

Statussymbol

Sage mir, was du rauchst, und ich sage dir, wer du bist – der Hang der sozialen Oberschicht, sich von der Masse durch eine teure Zigarre abzugrenzen, war sicherlich mit einer der Gründe, die die „Havanna“ zu einem Mythos machten, der noch heute ungebrochen ist.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts finden wir die ersten Hinweise auf die aus Tabak gerollten Zylinder, die als Zigarre Verbreitung finden. 1809 werden sie erstmals im Brockhaus erwähnt. Bei Studenten finden sie neben den Pfeifen ihre Freunde, so dass schon bald an den Universitäten der Spruch kursiert: „Böse Menschen und Narren rauchen keine Zigarren“.

Rauchen gehörte zum Alltag. Der Tabakgenuss wurde so beliebt, dass alsbald von der Obrigkeit zügelloses Treiben und zwanglose Sitten beobachtet wurden, denen man Einhalt gebieten musste. Die Rauchgegner taten ein Übriges, um dem Rauchen ein Ende zu setzen. Am 8. Juni 1810 erging daher für die Haupt- und Residenzstadt Berlin ein allgemeines Rauchverbot.

„Da das öffentliche Tabakrauchen auf den Straßen und Promenaden ebenso unanständig als gefährlich und dem Charakter gebildeter, ordnungsvoller Städte entgegen ist, so wird dasselbe nicht nur für Berlin, sondern auch für Charlottenburg und den Thiergarten hierdurch aufs strengste untersagt, und darf an letztgenannten beiden Orten nur vor den Thüren der Häuser von dort Sitzenden und Stehenden statt finden.”

Rauchverbot im Berliner Tiergarten – einschneidender und täglich seh- und spürbarer konnte man damals kaum Druck auf das gemeine Volk ausüben. Die Herrschaften und höheren Stände rauchten in ihren Salons unbekümmert weiter.

38 Jahre, also etwas mehr als eine Generation, sollte das Verbot Bestand haben, um dann mit dem Kampfruf „Rauchfreiheit an allen Orten“ entscheidender Bestandteil der Revolutionsforderungen von 1848 zu werden.

Tabakrevolution

Eine historische und politische Bedeutung erhielt das Rauchen am 19. März 1848. Im Verlaufe der Märzrevolution war es zu Unruhen und Straßenkämpfen in Berlin gekommen. Die Truppen verließen auf Befehl des Königs die Stadt. Eine große Menschenmenge versammelte sich auf dem Schlossplatz und präsentierte die vielen Leichen der Straßenkämpfe, da der König sich selber ein Bild machen sollte. Dieser versteckte sich jedoch im Schloss. Die Masse bereitete den Sturm auf das Schloss vor – ohne Rücksicht auf das dort stationierte Wachbataillon, welches geblieben war und zweifelsohne geschossen hätte. Da stellte sich Fürst Lichnowsky auf einen Tisch und erklärte, Seine Majestät habe alle Forderungen der Revolutionäre bewilligt und man möge nach Hause gehen. Der folgende Dialog ist in die Geschichtsbücher eingegangen:

Auf die Frage, ob denn auch wirklich alle Forderungen erfüllt würden, antwortete er:

„Ja, alles, meine Herren!”
„Ooch det Roochen?”
„Ja, auch das Rauchen.”
„Ooch im Tierjarten?”
„Ja, auch im Tiergarten darf geraucht werden, meine Herren.”
„Na, denn können wir ja zu Hause jehn.”

Sechs Tage später erschien der königliche Erlass, mit dem das gesamte Rauchverbot aufgehoben wurde.

Verlässliche Zahlen über das prozentuale Verhältnis zwischen Rauchern und Nichtrauchern aus dieser Zeit gibt es nicht. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der in der Geschichtsschreibung und der Literatur Zigarren auftauchen, sowie die einigermaßen verlässlichen Import- und Bestandslisten der Zigarrenhändler lassen vermuten, dass das heute in Deutschland herrschende Verhältnis von 25 zu 75 damals eher bei 50 zu 50 lag. Aus der Literatur, von Reiseerzählungen und Novellen wissen wir, dass so manche soziale Kommunikation damit begann, sich eine Zigarre anzuzünden. Der größte Zigarrenhändler Berlins, und davon gab es immerhin über 5000 in den 1920er Jahren, hatte in seinem Ladengeschäft einen größeren Bestand an Zigarren als heute der Alleinimporteur für kubanische Zigarren in Deutschland.

Emanzipation

Tabak, vor allen Dingen in Form einer Zigarre, wurde auch ein Symbol der Frauenrechtlerinnen und derjenigen, die gesellschaftliche Änderungen für erforderlich hielten. Schriftstellerinnen wie George Sand oder die Kaiserin Elisabeth von Österreich (Sissi) rauchten ostentativ Zigarren und bereiteten damit der sozialpolitischen Fragestellung Ende des 19. Jahrhunderts den Boden, ob denn eine Frau rauchen dürfe. So manche Frauenrechtlerin griff im 19. Jahrhundert zur Zigarre oder Zigarette nach dem Motto: „Es schmeckt mir zwar nicht sonderlich, doch ich emanzipiere mich.“ Und so dürfte es kein Zufall sein, dass mit der fortschreitenden Emanzipation der Frauen um die Jahrhundertwende und dem damit verbundenen Zigarrenkonsum das Selbstbewusstsein stieg, was letztlich zum Frauenwahlrecht ab 1918 führte.

Einfluss hatte das Zigarrerauchen auch auf die Kleidung. Da naturreiner Tabak auch über die Jahrhunderte seinen Duft nicht verändert hat, können wir davon ausgehen, dass Zigarrenduft, damals wie heute, nicht von jedermann goutiert wurde. Die Herren zogen sich folglich nach dem Abendessen in die Raucherräume zurück. Und damit der Zigarrenduft nicht allzu sehr in die allgemeine Kleidung eindrang, erfand man in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Jacke, die man zum Rauchen anzog – den Smoking. Als Gesellschaftsanzug noch heute ein Muss.

Die Zigarre hat etwas Revolutionäres und Demokratisches zugleich. Geraucht wird sie vom einfachen Arbeiter bis hin zum Staatslenker, Intellektuellen oder Militär. Und sie war spätestens seit den Rauchverboten auch ein kleines Signal für den Widerstand gegen einen allzu mächtigen Staat.

Was den heute in den Vordergrund gedrängten Gesundheitsaspekt des Rauchens anbetrifft, erinnern wir uns an die Erkenntnis des Paracelsus: Alles ist Gift, es kommt nur auf die Menge an.


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Gerhard Heimsath

geb. 1954, Zigarrenforscher. www.artofsmoke.de

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