Kronprinz Rudolfs Europa und Österreichs Weg

Die in Essen geborene und aufgewachsene und seit vier Jahrzehnten mit zwei Pässen in Wien lebende Historikerin Brigitte Hamann ist durch ihre Schriften über Berta von Suttner, Kaiserin Elisabeth, Kronprinz Rudolf, Hitlers Wien und Hitlers Edeljude bekannt geworden. Der Untertitel „Ein historisches Portrait“ zum Österreich-Band der Reihe „Die Deutschen und ihre Nachbarn“ ist gut gewählt, weil die Schrift bei Personen und Zeitabschnitten, über die sie selbst geforscht und publiziert hat wie ‚Franz Josef und Elisabeth’, ‚Kronprinz Rudolf’, ‚Juden in Wien’ und ‚Die Wiener Moderne’ eine besondere Dichte aufweist.


ALLE Artikel im Netz auf aka-bklaetter.de lesen und auch das Archiv?

Jetzt kostenlos

Anmelden


2010_02_kronprinz_rudolf

Kulturelle Phänomene in dieser Historie werden bewusst einbezogen: Napoleon veranlasst einen Trauergottesdienst für Haydn mit dem Requiem von Mozart, Johann Strauß Vater spielt beim Wiener Kongress auf, sein Sohn schrieb die später verbotenen Walzer ‚Barrikadenlieder’ und ‚Revolutionsmarsch’, während sein Vater Radetzky huldigte – dem Bezwinger der italienischen Aufständischen – mit Nachwirkungen bis heute! Strauß Sohn verhöhnte 1867 in ‚An der schönen blauen Donau’ den fast bankrotten Staat. Franz Josef und sein Onkel Ludwig I. von Bayern ließen gemeinsam den Dom zu Speyer mit den Königsgräbern restaurieren.

Für die zur EU führenden Traditionslinien ist das Portrait von Kronprinz Rudolf von herausragender Bedeutung. Wie seine Mutter war er der Ansicht, dass nicht die Aristokratie, sondern das Bürgertum die Basis für den modernen Staat ist. Nach einer längeren Englandreise schrieb er 1878 eine anonyme Broschüre „Der österreichische Adel und sein constitutioneller Beruf. Mahnruf an die aristokratische Jugend“. Etwa 40 seiner längeren Aufsätze über wirtschaftliche und soziale Themen sind noch erhalten. In dem unter seiner Ägide entstandenen kleinen Blatt „Schwarzgelb. Politisches Journal. Organ für altösterreichische und gesamtdeutsche Ideen“ erschien im Januar 1889 kurz vor seinem Tod ein Leitartikel, der wie ein politisches Vermächtnis klingt: „Die zehn Gebote des Österreichers“.  Kronprinz Rudolf wollte einen liberalen Vielvölkerstaat und vertrat die Grundsätze des später vereinigten Europa: Gleichberechtigung aller beteiligten Staaten, Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und Achtung vor dem jeweils anderen. Da er aber jüdische Gelehrte und Journalisten bevorzugte, wurden seine Ideen zur Zielscheibe der erstarkenden Antisemiten in der judenreichsten Metropole Europas. Auf Vermittlung von Moriz Szeps, des jüdischen Herausgebers des Neuen Wiener Tagblatts, fand 1886 nachts ein geheimes Gespräch mit dem französischen Sozialisten Georges Clemenceau statt, in dem Rudolf sein politisches Programm entwickelte: „Deutschland wird es niemals verstehen, welch ungemeine Bedeutsamkeit und Weisheit es ist, die Deutsche, Slawen, Ungarn, Polen um die Krone gruppiert. Der Staat der Habsburger hat längst, wenn auch in Miniaturform, Victor Hugos Traum der „Vereinigten Staaten von Europa verwirklicht… Deshalb müsste meiner Meinung nach Österreich mit den westlichen Demokratien zusammengehen. Denn dort herrscht noch wahrer Liberalismus – persönliche Freiheit, Verachtung der Rassenidee und des Rassenhasses.“

Als 1907 erstmals gleiche und direkte Wahlen für Männer ab 24 Jahren in der österreichischen Reichshälfte durchgeführt wurden, konnte dies ohne klare Regeln nicht funktionieren. Die Deutschösterreicher verloren ihre bisherige dominierende Stellung; zehn Sprachen waren zwar zugelassen, aber Dolmetscher gab es nicht, protokolliert wurde nur, was Deutsch gesagt wurde. Da es auch keine Beschränkung der Redezeit gab, war der Reichsrat arbeitsunfähig. Der junge arbeitslose Hitler beobachtete dies öfter auf der Zuschauertribüne und zog daraus den Schluss, Parlament und Demokratie abzulehnen. Der Austrofaschismus unter Dollfuß tat dies aber bereits mit dem Ziel, einen starken christlichen, deutschen, antisozialistischen und antisemitischen Staat aufzubauen. Die von den Westalliierten geförderte Auflösung der Donaumonarchie, die für deutschsprachige Bürger der Monarchie bewusst nachteilige Grenzziehung und das Verbot des für das arme Restösterreich notwendigen Anschlusses an den deutschen Wirtschaftsraum trugen wesentlich zur bürgerkriegsartigen Entwicklung bei. Der von großem Jubel bei einer gleichzeitigen Verhaftungswelle begleitete Anschluss im März 1938 wurde 1943 durch die „Moskauer Deklaration“ rückgängig gemacht mit der folgenreichen Formulierung „dass Österreich als erstes freies Land der Hitlerischen Aggression zum Opfer gefallen ist“. Brigitte Hamann berichtet wie sie 1961 ein  „verbissen antideutsches“ Klima an der Wiener Universität erlebte, weil dort gelehrt wurde: „Wir Österreicher waren immer gegen die Nazis und gegen Hitler. Die Deutschen haben uns 1938 brutal überfallen und sind an allem Elend schuld; … nur ältere Geschichtsprofessoren haben klar Stellung bezogen.“

Seit  dem Mauerfall wird sich Österreich wieder seiner historischen Brückenfunktion bewusst. Junge Österreicher lernen Sprachen der Völker der ehemaligen Monarchie. Das einen guten Überblick bietende Bändchen kann nachdrücklich empfohlen werden.

 

Brigitte Hamann: Österreich. Ein historisches Portrait. Aus der Reihe „Die Deutschen und ihre Nachbarn“, hrsg. von Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker. Verlag C.H. Beck 2009, 224 S., 18,- Euro


...mehr Lesen in den akademischen Blättern oder ganze Ausgaben als PDF?


Jetzt hier kostenlos Anmelden

Diethelm Keil

geb. 1928, Dr. phil., VDSt Tübingen.

... alle Beiträge von diesem Autor