Macht und Methode

Geld regiert die Welt, aber in den ökonomischen Grundmodellen kommt es kaum vor. Andreas Bruckner erklärt, warum das so ist, und wieso das Geld dennoch wichtige volks-wirtschaftliche Funktionen hat.


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Geld als Warengutschein

Die Existenz des Geldes in der modernen Volkswirtschaft beginnt für den Neuling in eben jener Wissenschaft mit einer Enttäuschung: es hat gar keinen Platz darin. In den Grundmodellen der Volkswirtschaftslehre kommt es nicht vor. Dort, so lernen die Studenten, investieren die Wirtschaftssubjekte das Geld direkt in Kapital und Konsum – denn das eine wirft zumindest Rendite und das andere direkten Nutzen ab. Seine Wertaufbewahrungsfunktion hat das Geld – auch dank Inflation – tatsächlich los. Historisch im wahrsten Sinne verbrieft bleibt aber seine Zahlungsmittel- und Wertmessfunktion. Erstere erspart uns den direkten Tauschhandel von Produkt gegen Produkt und erleichtert so enorm den Handel in einer arbeitsteiligen Gesellschaft; letztere vermeidet den Umgang mit unzähligen relativen Preisen und ermöglicht so die Quantifizierung und folglich Rechtssicherheit des Eigentums. Geld ist Schmiermittel realwirtschaftlicher Aktivitäten. Doch für diese reine Vermittlerfunktion braucht es kein ökonomisches Modell.

Geld als Ware

Diese neutrale Funktion ändert sich freilich schlagartig, seitdem Geld nicht mehr theoretisch vollständig in Goldmünzen umgetauscht werden kann. Die letzten Reste einer solchen Einlösungspflicht sind anfangs der 1970er Jahre dahingefallen. Nun kann die Zentralbank ohne Rücksicht auf Reserven den Geschäftsbanken Papiergeld und Buchgeld in beliebiger Menge zur Verfügung stellen. Dieses Geld ist wert-, aber nicht nutzlos, denn die Banken geben es im Normalfall durch Gewährung von Krediten weiter. Die Banken werden so Produzenten von Geld; und Geld wird eine Ware. Nun wird das Geld auch in der Wirtschaftstheorie interessant. Es entstehen zahlreiche geldtheoretische und geldpolitische Überlegungen, auf denen der moderne Finanzmarkt basiert. Geld erhält darin die entscheidende Funktion als Wachstumsmotor. Kurz umrissen funktioniert dieser so: Die Unternehmen, die das Geld erhalten, investieren es, um damit Produktionsleistungen zu kaufen – Arbeitsleistungen, Energie, Rohstoffe – und mit diesen die Produktion zu erhöhen. Auf diese Weise wird das neu geschöpfte Geld wieder einlösbar; zwar nicht in Gold, aber in zusätzlich produzierte Güter. Dies ist der Weg, auf dem das Bruttoinlandsprodukt wächst. Auf diese Weise entwickelt sich der Wirtschaftskreislauf zu einer Wachstumsspirale, indem das Wachstum der Produktion mit Hilfe der Geldschöpfung die Voraussetzung dafür schafft, dass Gewinne entstehen, und mit den Gewinnen wieder die Voraussetzung dafür, dass Geld als Kapital eingesetzt und so ein weiteres Wachstum möglich wird.

Dieser Wachstumsfunktion liegt die Geldwertstabilität zu Grunde. Denn sind die Preise stabil, laufen Unternehmen und Verbraucher nicht Gefahr, Veränderungen des allgemeinen Preisniveaus fälschlicherweise als relative Preisänderungen zu deuten, und können fundiertere Konsum-, Investitions- und Beschäftigungsentscheidungen treffen. Ein stabiles Preisniveau vermeidet so die Fehlallokation von Ressourcen. Das der Europäischen Zentralbank aufgetragene Inflationsziel von 2 % ist insbesondere dem Umstand geschuldet, dass die Inflationsentwicklung tendenziell um 1 bis 1,5 Prozentpunkte pro Jahr überschätzt wird. Diese systematische Überschätzung der Inflation beruht auf einer systematischen Unterschätzung der realen Entwicklung von Einkommen, Produktivität und Wachstum sowie des Qualitätsfortschritts bei Produkten.

Spielte in diesem Regime der Finanzsektor eine wesentliche Vermittlerrolle, blieb seine Rolle doch eine dienende. Doch das Geld als Ware ermöglicht auch den spekulativen Kauf und Handel. Geld wird spätestens ab den 1980er Jahren „selbstreferentiell“ vermehrt, also durch häufigen Tausch einer bestimmten Geldform (eines Finanzinstruments) gegen eine andere. Geld wird zum Selbstzweck. Wenn sich das Geld durch einen Wertpapier- oder Aktientrend nach oben vermehrt, so werden alle Besitzer jener Finanzinstrumente reicher und niemand wird ärmer. Es entstehen also neben der zeitlichen Bereitstellung von Geld für Unternehmen zur Investition auch Bewertungsgewinne. Allerdings hat diese wundersame Geldvermehrung einen Haken: Geht der Boom über den realwirtschaftlich zu rechtfertigenden Preis hinaus, kehrt früher oder später ein Abwärtstrend ein, durch den die anfänglichen Bewertungsgewinne wieder eliminiert werden. So entstehen Gewinner und Verlierer.

Geld als Klassenmerkmal

Je nach Aufteilung der Gewinner und Verlierer kommt dem Geld immer auch eine Umverteilungsfunktion zu. So mancher redet von Geld, wenn er in Wirklichkeit Kapital, Liquidität oder Eigentum meint, doch Einkommen – sei es aus Kapitalerträgen oder Arbeit – ist erst einmal Geld, und verfügbare Reserven davon bestimmen auch heute noch zum Großteil die Aufteilung der Gesellschaft in (Einkommens-) Klassen. Innerhalb eines Landes braucht es eine gewisse Ungleichheit, damit die Menschen Anreize haben, hart zu arbeiten, zu lernen, Firmen zu gründen etc. Ungleichheit ist eine Voraussetzung für die Leistungsgesellschaft. Wie so oft gilt auch hier: Die Menge macht das Gift. Zuviel Ungleichheit lähmt. Dann behindert sie Entwicklung, wenn Talent verschwendet wird. Es entsteht eine zu große Klasse derer, die es sich leisten können, ohne Arbeit zu leben. Das kann dazu führen, dass diese Leute keinen Beitrag zur Erwirtschaftung des Nationaleinkommens leisten, aber erhöhten Einfluss nehmen durch ihren Steueranteil, durch Interessenvertretung und ihre Kaufkraft. Insbesondere wenn die Zugehörigkeit zu diesen Klassen über Generationen hin quasi erblich ist, entsteht ein Gefühl der Ungerechtigkeit, wird bei Geringverdienern das Interesse am Geld der anderen geschürt, kann es zu sozialen Konflikten kommen.

Geld als Gefühl

Und damit wären wir beim wohl prominentesten Faktor des Geldes in unserer heutigen Gesellschaft: Geld gilt für viele als Gradmesser des Lebens. Da es sich so (schrecklich) einfach auf eine Summe bringen lässt, wird es allzu gerne und allzu schnell als Stellvertreter für ganz andere Dinge verwendet: Einmal steht es für Erfolg, ein anderes Mal für Sicherheit. Es dient zur Anerkennung und Bestätigung. Geld ruft Gefühle wie Stolz oder Neid hervor und beeinflusst so, wie wir andere Menschen bewerten. Und volkswirtschaftlich wohlwollend betrachtet steckt hinter einem funktionierenden Geldsystem auch ein Gefühl: das Vertrauen in das System. Die Funktionsfähigkeit einer Währung, die wie der Euro weitgehend aus Papier- und Buchgeld besteht, fußt vor allem auf Vertrauen. Man muss dem Zahlungsversprechen, und ferner dem System, das dahintersteckt, Glauben schenken. Nur wer glaubt, sein Geld sei morgen auch noch etwas wert, wird es halten und vermehren wollen. Diese Fixierung auf Geld trägt so zum Zusammenhalt der Gesellschaft bei. Doch das findet nur mittelbar Ausdruck in realwirtschaftlichen Größen. Eine in sich geschlossene Geldtheorie wird sich die Volkswirtschaft also auch weiterhin schuldig bleiben müssen – zum Leidwesen der jungen Studenten.


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Andreas Bruckner

geb. 1985, Volkswirt, VDSt München.

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