Moskau in Flammen

Es war der Anfang vom Ende: Mit der Invasion des Zarenreichs leitete Kaiser Napoleon seinen eigenen Untergang ein. Ohne den Feind greifen zu können, schmolz seine Grande Armée in der Weite Russlands dahin; seine Herrschaftsträume verglühten schließlich in der Asche von Moskau. In diesen Tagen jährt sich der große Brand der Stadt zum zweihundertsten Mal. Eine Rückschau von Frederik Eisenberger.


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Triumphal hatte er sein sollen, Napoleons Macht über Kontinentaleuropa sichernd, ein glanzvoller Sieg für die größte Armee, die bis zum damaligen Zeitpunkt in Europa aufgestellt worden war: Der Russlandfeldzug Napoleons von 1812. Sein Ende hielt für niemanden Ruhm und Ehre bereit. Von anfänglich 600.000 Mann kehrten nur wenige Zehntausende nach Hause zurück. Napoleons Rückkehr nach Paris hatte mehr den Anschein einer Flucht denn eines glanzvollen Einzuges in die Hauptstadt der mächtigsten Nation auf dem Kontinent.

Da eine Invasion in England nicht realistisch erschien, hatte Napoleon die Briten mit einer Kontinentalsperre, die sich von der spanischen Atlantik- bis zur russischen Ostseeküste erstreckte, zu besiegen versucht. Das mit Frankreich verbundene Russland, wirtschaftlich stark angeschlagen, ließ allerdings seit 1810 wieder britische Handelsschiffe anlanden, was Napoleons Autorität stark angegriffen hatte. Dieser Feldzug sollte aber keine bloße Strafaktion gegen Russland sein, er sollte Napoleons unumschränkte Herrschaft in Europa garantieren.

Vormarsch ins Leere

Die Vorbereitungen auf den Feldzug waren mangelhaft. Zwar standen 600.000 Mann unter Waffen, aber der Großteil der Truppe bestand aus jungen, schlecht ausgerüsteten und ausgebildeten Männern. Um die Moral der einrückenden Armee war es nicht zum Besten bestellt, was auch darauf zurückzuführen war, dass sich die verschiedensten Nationen in ihr mischten. Deutsche, darunter Preußen, Bayern und Sachsen, Italiener, Franzosen stellten entweder eigene Bataillone oder mischten sich in diesen. Selbst bei rein französischen Truppenteilen waren die regionalen Unterschiede immens. So sprachen beispielsweise nicht alle Bretonen oder Provençalen hochfranzösisch.

Einheitliche Karten Russlands gab es auch nicht, alleine die Schreibweise der russischen Städte differierte von Karte zu Karte. Die Voraussetzungen für einen Angriff auf Russland im Juni 1812 waren also denkbar schlecht. Napoleon setzte vor allem auf den psychologischen Effekt.

Zunächst war der Einmarsch trotzdem durchaus von Erfolg geprägt. In Polen und Litauen wurden die Franzosen als Befreier empfangen, hofften beide Nationen doch darauf, von Napoleon wieder als eigenständige Staaten installiert zu werden. Diese Hoffnung zerschlug sich jedoch jäh, als Napoleon mit der Begründung ablehnte, er könne seine Partner Preußen und Österreich nicht derartig vor den Kopf stoßen. Außerdem wollte er zukünftigen französisch-russischen Verhandlungen keinen Riegel vorschieben.

Deswegen kam, für Napoleon keineswegs überraschend, schon kurz nach der Überschreitung der Memel, ein Friedensangebot des russischen Zaren Alexander. Der französische Kaiser vermutete allerdings eine Kriegslist und Schlug dieses Angebot aus – was er später noch bitter bereuen sollte – und marschierte weiter.

Als Napoleon Wilna am 30. Juni einnahm, hatte noch keine einzige Schlacht stattgefunden. Die Verluste allerdings waren bereits so hoch, dass es den Anschein hatte, es hätte bereits eine gegeben. Die mangelhafte Vorbereitung machte sich nun bemerkbar. So war man im französischen Generalsstab von gepflasterten Straßen für den Vormarsch ausgegangen. Man kann sich die Überraschung und Überforderung vorstellen, als die Armee auf Sandpisten stieß, die sich bei Regen in Schlammlöcher und -ströme verwandelten. Bereits zu Anfang der Operation bis zur Einnahme Minks desertierten nach Schätzungen eines polnischen Offiziers von seiner 140köpfigen Kompanie zwanzig bis dreißig Mann. Krankheiten wie Typhus und die Ruhr schwächten die Truppe weiter. „[M]an hatte eher den Eindruck auf der Flucht zu sein als bei einer Invasion.“

Verbrannte Erde

Die Kampfkraft der russischen Armee hatte man bis zu diesem Zeitpunkt allerhöchstens bei einigen Scharmützeln erahnen können. Als man am 27. Juli den Hauptteil des Gegners erreichte und ein Lager aufschlug, um sich für die Schlacht am nächsten Tag vorzubereiten, musste man am darauf folgenden Morgen enttäuscht feststellen, dass die Russen sich aus dem Staub gemacht hatten. Die Moral der französischen Soldaten war am Boden: „Wäre es nicht so mühsam gewesen, sich Proviant zu verschaffen, und die Hitze nicht so kräftezehrend so wäre diese Invasion nur ein langer, sehr langer und anstrengender Marsch gewesen.“

Das weite russische Land bot kaum die Möglichkeit, sich durch Requirierungen mit dem Nötigsten zu versorgen. Wasser wurde rationiert und – wegen der Ansteckungsgefahr mit Typhus –  mit Essig oder Branntwein desinfiziert. Gerade die Kavallerie hatte darunter stark zu leiden. Die Pferde starben wie die Fliegen; Ende Juli, bei der Einnahme der Stadt Witebsk, fehlte bereits ein Drittel.

Die Versorgungsprobleme betrafen auch die Chirurgen, die kein Verbandsmaterial mehr zur Verfügung hatten, Wunden schließlich mit Papier, Pergament oder Heu verbinden mussten.

Um Zar Alexander unter Druck zu setzen, gab Napoleon am 10. August den Befehl, Witbesk zu verlassen, um Smolensk einzukesseln. Mit Gewaltmärschen zog man vor die Stadt um die – für Napoleon unglaublich wichtige – entscheidende Schlacht zu suchen. Bis auf weitere kleine Scharmützel geschah allerdings nichts.

Napoleon brauchte unbedingt ein Erfolgserlebnis. Eine Überwinterung würde bei diesem kargen Land sehr schwierig werden, und selbst ein nur kleiner Misserfolg würde die Gefolgschaft der Vasallenstaaten, unter anderem Preußen, Österreich und des Rheinbundes, in Frage stellen.

Am 16. August begann dann die Belagerung von Smolensk. Waren die Franzosen zunächst zwar unterlegen, erkannten die Russen alsbald die Unmöglichkeit der Verteidigung der Stadt und steckten sie vollständig in Brand. Beim Einzug in die Stadt mussten sich die Franzosen Taschentücher um die Gesichter binden, da der Gestank von verbranntem Holz, verbrannten und unverbrannten Leichen von Menschen und Pferden unbeschreiblich war – ein wertloser Sieg für Napoleon.

Nach diesem Desaster war auch der russischen Armee klar, dass Napoleon nach Moskau weiterziehen würde. Es war nun auch für sie ratsam, die Entscheidungsschlacht zu suchen.

Allerdings war Zar Alexander kein Militär, weswegen er sich mit einem – aus Russen und Ausländern bestehendem – Generalsstab umgab, der ihm gegensätzliche Empfehlungen aussprach. Alexander, der von Krieg nichts verstand, konnte sich zwischen diesen Ratschlägen niemals entscheiden. Es gab also faktisch keinen Oberbefehlshaber in der russischen Armee.

Keine Entscheidung an der Moskwa

General Kutusow, ein erfahrener, aber mit 72 Jahren schon sehr alter Mann, stellte sich schließlich am 7. September der Grande Armée. In der Schlacht von Borodino standen sich zwei annähernd gleichgroße Armeen gegenüber. Zwar entschieden die Franzosen die Schlacht für sich und die Russen zogen sich nach Moskau zurück, doch die Verluste für beide Seiten waren enorm.

Von 130.000 Soldaten auf beiden Seiten verlor Frankreich bis zu 30.000, die Russen gar bis zu 60.000. Napoleon sagte später über diese Schlacht: „Die an der Moskwa [Napoleons Bezeichnung für diese Schlacht], war eine (von den Schlachten), bei denen man die größten Verdienste erworben und die geringsten Ergebnisse erzielt hatte.“

Danach rückte die französische Armee gen Moskau vor. Am 13. September wurde erstmals über eine Übergabe der Stadt verhandelt. Der Gouverneur Moskaus stellte dabei unter anderem die Forderungen nach menschlicher Behandlung der russischen Verletzten – sollten die Franzosen ablehnen, würde er der Bevölkerung den Befehl geben, ihre Häuser anzuzünden.

Gewiss wollte niemand ein zweites Smolensk – gerade die Franzosen waren darauf bedacht, ein intaktes Moskau einzunehmen, um sich mit Proviant und Kleidung versorgen zu können. Zudem war Moskau zwar nicht mehr politisches, dafür aber religiöses und kulturelles Zentrum des Zarenreiches.

Als der Evakuierungsbefehl an die Bevölkerung erging, rückten kurz darauf die Franzosen in die Stadt ein, wo sie Nahrungsmittel, Wasser und Schnaps in Unmengen vorfanden. Nach langen Entbehrungen begann ein Saufgelage sondergleichen, Plünderungen waren keine Seltenheit, und so übersahen die französischen Generäle in diesem heillosen Durcheinander einige kleine russische Gruppen, die sich mit Fackeln daran machten, Moskau in Flammen aufgehen zu lassen.

Am 14. September wurden die ersten Brände bemerkt, in der Nacht zum 15. September brannte das „Kitai Gorod“, das Chinesenviertel, komplett nieder: Moskau stand in Flammen.

Schuldhaftes Zögern

Napoleon beschäftigte sich aber kaum mit den Bränden, er war vielmehr verwirrt, da er noch keine Angebote eines Friedensschlusses von Zar Alexander empfangen hatte. Verwunderlich ist dies nicht: General Kutusow hatte dem Zar einen Sieg bei Borodino gemeldet, die Nachricht von der Einnahme Moskaus erreichte Alexander gar erst am 24. September. Erst als das Feuer am 16. September unmittelbar den Gouverneurspalast in Moskau bedrohte, ließ Napoleon eine 15-köpfige Patrouille aufstellen, die der Flammen Herr werden sollte – vergeblich.

Denn in dieser Nacht zog ein Wind auf, der den Flammen neue Nahrung gab: die aus Holz erbauten Viertel Moskaus brannten lichterloh. Der Feuersturm in Moskau wird wohl vergleichbar gewesen sein mit jenem, der 120 Jahre später Dresden in Schutt und Asche legte.

Erst am 18. September begann es schließlich doch noch zu regnen, und der Wind flaute ab. Nichtsdestoweniger sprechen zeitgenössische Schätzungen davon, dass vier Fünftel der Stadt zerstört waren. Von vorher über 2.000 Kirchen standen noch (immerhin) 800, von 10.000 Gebäuden waren noch höchstens 2.000 bewohnbar.

Napoleon bemühte sich weiterhin um einen Frieden, doch Alexander, der sich schon seit längerem in St. Petersburg aufhielt, lehnte diesen – beraten durch seinen Generalsstab – kategorisch ab. Zudem waren die Kommunikationslinien schlecht, was eine weitere Verständigung erschwerte.

Napoleon sah sehr wohl, dass eine Überwinterung in Moskau nicht in Frage kam, um aber seinen Rückzug ehrenvoll zu gestalten, brauchte er unbedingt einen Friedensvertrag.

Über einen Monat war man nun schon in Moskau und keinen Schritt weiter als zuvor. Als es am 13. Oktober zum ersten Mal schneite und die Temperaturen rapide fielen, bereiteten sich die wenigsten auf einen Abmarsch vor – zu groß waren die Schnapsvorräte in den moskowitischen Kellern. Erst am 19. Oktober rückte die Grande Armée aus Moskau aus. Vorbereitet auf einen Rückzug durch Schlamm, Schnee und Eis war man nicht.

Katastrophe auf dem Rückzug

Der sonst so sichere und somnabul erfolgreiche französische Kaiser wirkte aufgewühlt, gehetzt und desinteressiert am Leiden seiner Soldaten – Alexander reagierte nicht auf Verhandlungsgesuche, die Eroberung Moskaus hatte nicht den gewünschten Erfolg. Das Einzige was Napoleon blieb, war eine rasche Rückkehr nach Paris. Der Rückzug wurde durch gelegentliche Angriffe der Kosakenkavallerie des russischen Heeres erschwert, selbst das Leben des Kaisers selbst stand auf dem Spiel. Den schnell vorrückenden und ebenso schnell wieder verschwindenden Kosaken hatten die Franzosen wenig entgegen zu setzen.

Am 8. Dezember – Napoleon hatte Paris in seinem Schlitten schon längst erreicht – kamen die ersten französischen Truppen in Wilna an. Von militärischer Ordnung oder Disziplin war nichts mehr zu bemerken: die Stadt wurde geplündert, wiederum fanden Trinkgelage statt. Schließlich griffen russische Truppen die Stadt an; weniger denn 10.000 kaiserliche Soldaten konnten am 13. Dezember die Memel überschreiten.

Der Russlandfeldzug, der zu Napoleons Sternstunde hatte werden sollen, war der Anfang vom Ende seiner Herrschaft. Seine Grande Armée war geschlagen, eine neue konnte er nicht rekrutieren, und in den Vasallenstaaten begann sich Widerstand zu regen. Dieser gipfelte schließlich in der Völkerschlacht bei Leipzig, der Schlacht von Waterloo und Napoleons Verbannung nach St. Helena.

Über den Russlandfeldzug und das Katz-und-Maus-Spiel mit der russischen Armee sagte Napoleon später: „Alexander und ich, wir waren wie zwei Maulhelden, die zwar keine Lust haben, sich zu schlagen, aber sich gegenseitig erschrecken wollen.“


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