Only connect

Gedankensplitter zum wiedererschienenen Film „Wiedersehen in Howards End“ nach dem Roman von E. M. Forster


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e.m. forster

Romanautor E.M. Forster

Kaum länger als eine Stunde dauert die Fahrt mit dem Bus von Heathrow nach Oxford. Im doppelten Licht der Dämmerung ist die Magdalen Bridge überquert. Der Turm und die Mauern, Zacken und Zinnen von Magdalen College heben sich dunkel gegenüber dem letzten Schein des Himmels ab. Die Fratzen der Gargoyles an den Wänden, mehr zu erahnen als zu erkennen. Viele Fenster erleuchtet, im warmen Licht die Regale der Bibliothek. Ein Blick hinein in den Innenhof durch die Porter’s Lodge. Ein Eindruck von Umfriedung, Ruhe und unangestrengtem Gesammeltsein – während im gleichen Augenblick über die High Street ein geradezu unendlicher Verkehr fließt.

Deutsch-britische Begegnungen

Am Magdalen College studiert in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts ein junger Mann, der durch den Familiennamen Schlegel sich als Deutscher zu erkennen gibt, auch wenn sein Vater, ein idealistischer Professor, Nietzsches Diktum von der Exstirpation des deutschen Geistes zugunsten des Deutschen Reiches sich zu Herzen nehmend, das wilhelminische Deutschland seiner Zeit verlassen hat und mit seiner Familie seit längerem in die Heimat seiner Frau, England, übersiedelt ist. So jedenfalls berichtet es uns der Gewährsmann der Geschichte, der Erzähler E.M.Forster, dessen Roman Howards End von 1910 gerade verfilmt worden ist. Tibby Schlegel, im positiven Klischee des ernsthaften, der Wissenschaft zugewandten deutschen Studenten (mit Nickelbrille) gezeichnet, löst ohne sein Wollen die Katastrophe im Roman aus, als er den Namen des „Verführers“ seiner ledigen Schwester Helen, die ein Kind erwartet, preisgibt, so dass dieser, mit seinem Vergehen konfrontiert, bei einer körperlichen Attacke einen Herzanfall erleidet und stirbt. Das bringt den Täter – nein, nicht einen Schlegel – sondern Charles Wilcox, den Sohn aus erster Ehe von Henry Wilcox (Anthony Hopkins), ins Gefängnis und den Vater, einen Magnaten im englischen Afrika-Geschäft, in den gesellschaftlichen Ruin. Henry Wilcox war verwitwet und ist seit kurzer Zeit mit Margaret Schlegel (Emma Thompson), der älteren Tochter, in zweiter Ehe verheiratet. Kurz gesagt: Howards End erzählt vom Aufeinandertreffen zweier wesensmäßig verschiedener Familien. Eine typisch deutsche und eine typisch englische Familie, so ist es des Autors Wille. Howards End ist in der Tat E.M. Forsters „Anglo-German novel“. Da sind zum einen die Schlegels, eingebürgerte Deutsche und vom Erzähler mit allen Attributen des deutschen Bildungsbürgertums versehen. Die Hauptfiguren, die beiden Schwestern Helen und Margaret, sind bei aller Gemeinsamkeit recht unterschiedlich. Sie sind beide gebildet, intellektuell und emanzipiert. Musik, Kunst, Philosophie und Literatur bilden das Fundament ihrer Lebensart, sehr im Gegensatz zu der englischen Oberschicht, der Familie Wilcox, der sie begegnen.

Konträre Figuren

Helen ist dabei die Idealistische, die in ihrem Gefühl für Gerechtigkeit Unbedingte, die Schwärmerische, ja die Weltfremde, die sich Leonard Bast, ihrem Schützling aus der unteren Angestelltenschicht, in einer sentimentalen Stunde hingibt. Leonard Bast möchte seinem armseligen Leben entkommen. Bildung scheint ihm ebenso Bedürfnis zu sein wie Mittel, den einfachen, beengenden Verhältnissen zu entfliehen. Was er in seiner englischen Umgebung, in der die Klassenzugehörigkeit das Leben ein für allemal bestimmt, nicht findet, erhält er von den Schwestern Schlegel: freundliches Verständnis und Förderung. In Helen Schlegel hat E.M. Forster einen Charakter des „guten Deutschen“ gezeichnet, den mitmenschliches Fühlen und anteilnehmende Wärme über alle Klassenschranken hinweg auszeichnet. Nicht ohne Ironie übrigens, die die Figur des angestrengt guten Menschen immer provoziert. Der „gute Deutsche“ – eine zeitlose Figur, so scheint es. Eine Figur, die dem englischen Temperament mit seinem pragmatischen Lebenssinn wegen der luftigen Wolkigkeit der Gedanken, der unerschütterlichen Festigkeit der Prinzipien und der frohgemuten Nichtachtung gesellschaftlicher Institutionen und Realitäten bis auf den heutigen Tag nur mit Irritationen wahrnehmbar ist. Ja, phantasieren wir ruhig. Helen Schlegel, um achtzig Jahre versetzt, würde heute unzweifelhaft, so sieht es mild-ironisch der britische Blick, dem Kartellverband der „guten Deutschen“ in einer Friedens-, Öko- oder anderen Bewegung angehören. Die reizende Helena Bonham-Carter stattet im Film die Figur der Helen jedoch mit jenem unwiderstehlichen Charme aus, der ihre komisch-sonderbaren Charakterzüge (fast) vergessen lässt.

Und da ist Margaret, die ältere Schwester. Sie ist überlegt und ruhig, von offener Wesensart und konstanter Freundlichkeit, dabei souverän und von tiefem Verständnis für menschliche Bedingtheiten erfüllt, was sie nicht hindert, sowohl das Verdrängte auszusprechen als auch auf Ausgleich bedacht zu sein. Sie könnte, wenn sie nicht E.M. Forster erfunden hätte, auch eine Figur aus einem Roman von Theodor Fontane sein, eine Wahlverwandte vielleicht von Corinna Schmidt (auch eine Professorentochter) in Frau Jenny Treibel. Wäre nicht auch an Elizabeth Bennet in Pride und Prejudice von Jane Austen zu denken, die sich ihren Mann ebenso sanft wie zielstrebig „erzieht“, bevor sie ihn nimmt?

Seit dem Beginn ihrer Bekanntschaft in Howards End, dem Landsitz der Familie Wilcox in der Nähe von London, kreuzen sich die Wege der beiden Familien immer wieder. Ruth Wilcox, die erste Frau von Henry Wilcox, die schwer krank ist, lernt die beiden Schwestern vor ihrem Tod noch kennen. Sie versteht, was die anderen nicht sehen. Es ist Margaret, zu der sie, liebenswürdig und empfindsam wie sie ist, eine besondere Zuneigung faßt. Ihr möchte sie Howards End nach ihrem Tod vererben, denn der Landsitz gehört ihr. Doch ihr Mann, die zwei Söhne und die Tochter vernichten einen entsprechenden Zettel, auf dem sie, auf dem Totenbett, ihren letzten Willen festgehalten hat. Ihre Manöver der Abwehr sind umsonst. Margaret Schlegel ist die Frau, die ohne etwas zu tun und ohne etwas zu beanspruchen, tief in das Leben der Familie Wilcox eingreift.

Eine Ära klingt aus

Henry Wilcox und, vor allem, seine Kinder sehen Margaret und Helen Schlegel als Eindringlinge an, die den Familienfrieden stören. Ihr Anderssein erzeugt Befremdung, die kultivierte geistige Lebenshaltung sogar Spott, wenn nicht Häme. Doch die Häme offenbart nur den armseligen Zustand der Kinder dieser Oberschicht. Sie sind materialistisch, machtgierig, borniert, zynisch und ausschließlich egozentriert – es sind die Yuppies des Edwardian Age. Auf den Lippen tragen sie deklamatorisch die Prinzipien einer philiströsen puritanischen Moral. (Und die Sprüche der Yuppies von damals klingen nicht besser als die Sprüche der Yuppies von heute.) Bei den Einladungen im Haus der Familie Wilcox sind aber auch chauvinistische Töne unüberhörbar. Das Anderssein der Schlegels und ihre Herkunft fallen ins Raster der nun gängigen Deutschlandwahrnehmung und wirken bedrohlich. Wir befinden uns in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg.

Es ist Henry Wilcox, der Tycoon und Mann des Empire, der durch Margaret Schlegel erkennt, was einem durch und durch veräußerlichten Leben verlorengeht. Er faßt eine tiefe, jedoch völlig un-sentimentale Zuneigung zu Margaret. Diese nimmt seinen unvermittelt vorgebrachten Heiratsantrag an. Auch für sie ein Schritt aus ihrem bisherigen Lebenszusammenhang, der, in diesem Lichte gese-hen, ein Schritt aus der selbstgewählten gesellschaftlichen Isolation ist und, wie jede Veränderung, von Unsicherheit und Ambivalenz geprägt ist. Indem Henry Wilcox und Margaret Schlegel die Veränderung zulassen und in einem geradezu biblischen Sinn und nicht ohne Schmerzen den anderen „erkennen“, bringen sie zwei Lebensweisen in Einklang, die, nach der Ansicht des Autors, erst den ganzen Menschen ausmachen. Lebensweisen, die einander bedürfen und in diesem Roman am Beispiel einer typisch englischen und einer typisch deutschen Familie gezeigt werden.

E.M. Forster hat dem Roman das Motto „Only connect“ mitgegeben. Die Überwindung der Ge-gensätze unter Menschen ist möglich – durch Liebe. Im Raum gesellschaftlicher Institutionen heißt Liebe Ehe.

Tu, felix Britannia, nube! Von dieser impliziten Aufforderung, sich zu öffnen (denn Verstehen ist ohne Liebe nicht möglich, behauptet der Humanist E.M. Forster), will freilich die Generation der Kinder nichts wissen. Die andere Lebenssphäre bleibt fremd, das Fremde wird zunehmend aggressiv zurück-gewiesen. In den Schützengräben von Flandern rechnet man ein paar Jahre später miteinander ab. Howards End hat kein Happy End.

E.M. Forsters Wunsch „Only connect” ist im Feuer des Krieges verglüht. Der „German Cousin“ ist tot. Deutsches und Englisches treten immer mehr auseinander. Die Beziehung ist bis zu diesem Tage nie mehr frei von Misstrauen und verzerrender Wahrnehmung. Margaret Schlegel ist die letzte Figur einer Deutschen/eines Deutschen in einem bedeutenderen Werk der englischen Literatur dieses Jahrhunderts, die mit Sympathie gezeichnet ist. „Only disconnect“ ist die destruktive Parole des Jahrhunderts.

Exil

Die Lodge des Magdalen College ist im dunklen Holz vergangener Jahrhunderte gehalten; dunkel, wie eh und je, auch die Anzüge der College Porter, die erste Anlaufstelle für alle Begehren, die in das College führen. Das Holz der Theke ist von massiver Solidität, an manchen Stellen schon etwas abgegriffen. Unschwer, sich vorzustellen, dass davor auch Oscar Wilde stand, als er vor über hundert Jahren in das College einzog. Eine Generation später geht durch diese Tore und Türen Tibby Schlegel. Ein junger Mann mit ernstem Gesicht, sensiblen Zügen und der Liebe zur Wissenschaft im Herzen.

Dann, wieder eine Generation später, als die Frage, ob Wesensmerkmale deutscher und britischer Traditionen sich nicht ergänzen könnten, nur noch impertinent erscheint, so impertinent, dass der be-rühmte und unvergessene Maurice Bowra, Literaturwissenschaftler und Warden des Wadham College, Oxford, selbst aus den Versen Rainer Maria Rilkes vor allem den Stechschritt preußischer Re-gimenter heraushört – ja in dieser Zeit kommen andere Deutsche, Verwandte im Geiste. (Manchmal tragen sie auch Nickelbrillen.) Ausgespuckt sind sie von ihrem Vaterland, vertrieben aus Mitteleuropa, gestrandet durch einen Zufall. In der Hand Koffer, und das Gesicht gehetzt. Es sind Intellektuelle, Wissenschaftler, Künstler, die während des Dritten Reiches in Oxford Zuflucht suchen und Hilfe finden.

Unter ihnen, am Magdalen College, Franz Baermann Steiner, deutschsprachiger Jude aus Prag. Ethnologe, Linguist, Aphoristiker, Freund von H.G.Adler und Iris Murdoch. Verehrer Kafkas und ironischer Beobachter der englischen Kafka-Rezeption.

Siegbert Salomon Prawer, von den Nazis in die Flucht getrieben, ist Professor emeritus für deutsche Literatur an der Universität Oxford. Im Film „Wiedersehen in Howards End” spielt er den älteren, grauhaarigen Gentleman (mit der Löwenmähne), der sich in der Beethoven-Szene zu Wort meldet. Seine Schwester, Ruth Jhabvala Prawer, eine bekannte Schriftstellerin, hat schließlich das Drehbuch zum Film geschrieben. Im realen Leben war S.S. Prawer noch vor kurzem bei den Degree Ceremonies der Universität im Sheldonian Theatre zu bewundern, wenn er mit Witz und Charme für sein College, das Queen’s College, im Oxforder Gelehrtenlatein das Wort ergreift: „Only connect.”

Es ist der Schein der Lampe aus der Porter’s Lodge, den der Reisende wieder erhascht, als er die Magdalen Bridge erneut überquert, um „the city of dreaming spires“ zu verlassen. Unter ihm der Fluss und die Wiesen mit ihrem schwachen Grün.

 

Der Film: Wiedersehen in Howards End
Darsteller: Anthony Hopkins, Emma Thompson, Vanessa Redgrave, Helena Bonham Carter
Regisseur: James Ivory
Komponist: Richard Robbins
Autoren: E.M. Forster, Ruth Prawer Jhabvala
(Wieder) Erscheinungstermin: 18. März 2010
Produktionsjahr: 1999
Spieldauer: 136 Minuten


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Dieter Jakob

geb. 1941, Anglist und Germanist, VDSt Erlangen.

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