Polens EU-Ostpolitik

Im neuen, größeren Europa bestimmen nicht mehr Deutschland und Frankreich alleine die strategische Richtung der Union. Die Sichtweisen der großen EU-Mitglieder sind aber keineswegs identisch. Frankreich zum Beispiel blickt auf das Mittelmeer. Polen blickt ganz eindeutig nach Osten.


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Im Jahr 2009 traf sich zum ersten Mal seit 2004 das polnisch-russische Komitee zur strategischen Zusammenarbeit. Diplomaten aus beiden Ländern bezeichneten dies als eine Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen. Zugleich aber trennt Polen und Russland der Blick auf Energie, Geschichte und die Zukunft ihrer Nachbarn. Von Polens Standpunkt aus gibt es in der EU zu wenig Solidarität und Einheitlichkeit in der Russland-Politik. Marcin Wojciechowski, ein langjähriger Korrespondent der linksliberalen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ in Moskau, schrieb einmal:

„Es wundert mich, dass, wenn Obama Russland die Hand reicht und dabei Beifall von Franzosen, Deutschen und Italienern bekommt, in Polen die Angst aufwacht, dass der Westen uns wieder mal verrät. Der Westen sind heute auch wir. Ein mit den USA und dem Westen eng zusammenarbeitendes Russland wird nicht so bleiben, wie es heute ist, es wird nicht lediglich eine Fassade der Demokratie sein. Ein stärker mit dem Westen verbundenes Russland wird sich auch freundlicher gegenüber Polen und seinen anderen Nachbarn verhalten.“

Wie sehr sich Polen „verraten“ fühlen kann, mag nur ein Beispiel aus der Diskussion um die Ostsee-Pipeline zeigen. 2006 verglich der damalige polnische Verteidigungsminister Radoslaw Sikorski den deutsch-russischen Vertrag über den Bau der Gas-Pipeline mit dem Ribbentrop-Molotow-Pakt von 1939, wofür er sich später entschuldigen musste. Adam Krzeminski, langjähriger Deutschlandexperte der Warschauer Wochenzeitung „Polityka“, plädierte schon bald nach dem Fall der Mauer bei einer deutsch-polnischen Tagung in Görlitz für die Überwindung des polnischen historischen Traumas aus der Lage zwischen Deutschland und Russland. Bis heute sind da Defizite sichtbar.

Restart-Politik

Im März 2009 erhielt Sergej Lawrow, russischer Außenminister, von seiner US-Kollegin Hillary Clinton als Geschenk einen Restart-Knopf, als Symbol einer Neuöffnung in den russisch-amerikanischen Beziehungen. Für eine solche Restart-Politik plädiert der oben bereits erwähnte Wojciechowski. Prof. Roman Kuzniar wiederum, Berater des polnischen Verteidigungsministers, sieht eine Neuöffnung, darunter der EU, gegenüber Russland unter drei Bedingungen. Erstens solle eine gemeinsame Politik gegenüber Russland konsequenter und solider sein. Man dürfe nicht dieselben Fehler wiederholen, wie z. B. George W. Bush, der beim Blick in Putins Augen einen Demokraten entdeckte, oder Tony Blair, der über Putin ähnlich wie Margaret Thatcher über Gorbatschow meinte, dass man mit ihm Geschäfte machen könne. Als Washington hinsichtlich eines Krieges mit dem Irak Europa in Bessere und Schlechtere teilte, hätten Chirac und Schröder keine Hemmungen mehr gehabt, sich gemeinsam mit Putin gegen den Krieg zu stellen – fasst Kuzniar zusammen. Zweitens solle die Welt gegenüber Russland vereinigt werden. Kuzniar hält das für leichter mit Blick auf die neue US-Regierung. Drittens, meint er, solle der Westen endlich aufhören, so zu tun oder gar daran zu glauben, als ob er Russland brauchte. In Wirklichkeit sei es umgekehrt – Russland brauche den Westen. Russland sei zu schwach, um eine reale Gefahr für die westliche Welt darzustellen, und der Prozess der Schwächung seiner Position sei noch nicht zu Ende. Russlands Rhetorik dürfe man nicht mit seinen realen Möglichkeiten verwechseln. Wenn es um Gas und Öl gehe, trotz der polnischen Ängste, pflege Russland das Bild eines glaubwürdigen Lieferanten und finde keinen besseren Kunden als Europa; ohne die Einnahmen daraus drohe ihm tatsächlich der Bankrott. Die Finanzkrise von 2008 habe Russland wesentlich geschwächt und gezeigt, wie zerbrechlich seine Weltherrscher-Rhetorik sei. Zusammenfassend meint Kuzniar, dass die westliche Welt Russland allmählich an ihre Seite ziehen solle, weil sich das aus verschiedenen Gründen lohne – hinsichtlich der Rohstoffe, der Sicherheit oder des menschlichen Potenzials.

Ostpolitik auf Polnisch

Polen engagiert sich für eine Integration ausgewählter Länder der ehemaligen Sowjetunion, an erster Stelle der Ukraine, in die westeuropäischen Strukturen, ferner für ihre Mitgliedschaft in der EU und der NATO. In der Zwischenzeit möchte Polen auf der europäischen Ebene institutionelle Rahmen dafür schaffen, was eine Annäherung der Länder an die EU erleichtert hätte. In der Russland-Politik will Polen den negativen Ruf Russlands in der EU einschränken – Russland sollte nicht mehr die EU-Mitgliedsstaaten in Russophile und Russophobe spalten. Dies sollte zu einer eher kritischen Betrachtung Russlands durch Westeuropa führen, die Verhältnisse nicht mehr unter der Bedingung Russia first aufzubauen, und schließlich zu einer gemeinsamen einheitlichen Russland-Politik, in welcher Polen einen wesentlichen Anteil haben würde.

Ein wichtiger Bestandteil der polnischen Sicht der EU-Ostpolitik ist die Überzeugung, dass die osteuropäischen Länder eine alternative, von Russland unabhängige Energiequelle sein können. Warschaus strategisches Ziel bleibt nach wie vor, eine infrastrukturelle Verbindung zwischen der EU und dem Kaspischen Meer aufzubauen, die das russische Territorium umgehen würde. Polen ist davon überzeugt, dass die Schlüsselelemente bei der Annäherung dieser Länder an die EU die Stärkung ihrer Souveränität, Modernisierung und Demokratisierung sind, infolge deren diese Länder eine prowestliche Orientierung in der Außenpolitik annehmen würden. In diesem Zusammenhang legt man einen besonderen Wert auf Weißrussland und eine Demokratisierung des dortigen politischen Systems.

Hinsichtlich der von Adam Krzeminski angekündigten Verschiebung der zivilisatorischen Zentren nach Osten ist eine gemeinsame, einheitliche und konsequente Ostpolitik innerhalb der EU nicht nur von Vorteil, sondern auch nötig. Die schlimmste Lösung wäre, die östlichen Nachbarn in ein zivilisatorisches Reservat zu treiben.


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Thomas Kosyk

geb. 1982, Politologe, VDH Oppeln.

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