Schmerz und Einsicht

Wenn der Alltagsbetrieb hektisch wird, steigt der Bedarf an Entschleunigung: Heraus aus dem Hamsterrad, fort von der Informationsflut, die das Bewusstsein überschwemmt, versuchen, wieder die innere Stimme zu hören. Meditationskurse sind eine Variante hiervon. Ein Erfahrungsbericht.


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Im Sommer 2012 habe ich mich dazu entschlossen, an einem Meditationskurs teilzunehmen. Wieso? Grund hierfür war eigentlich ein Youtube-Video von einem Seminar, in welchem ein Chirurg von seinen Erfahrungen in einem Meditationszentrum erzählte. Er sprach davon, dass er konzentrierter und ruhiger geworden sei, und auch ich wollte etwas für meine persönliche Weiterentwicklung tun und sah darin eine Art Intensivkurs, der mich schnell im Studium und auch persönlich nach vorne bringen würde. Dass man im Rahmen des Kurses wohl in einen recht spartanischen Lebensstil einwilligte, schreckte mich nicht ab. Im August 2012 ging es dann los.

Der erste Tag: Bei der Hinfahrt zum Meditationszentrum ist es vom Gefühl her so wie damals, als ich zur Bundeswehr eingezogen wurde. Man weiß nicht so recht, was einen erwarten wird, und da die Vorstellung, zehn Tage lang komplett von der Außenwelt abgeschieden zu sein, sich der Realität immer mehr annähert, verschwinden alle positiven Komponenten meiner Aufregung.

Dort angekommen, gebe ich alles ab, was mich in irgendeiner Weise ablenken könnte oder mit dem Alltag verbindet: Handy, Portemonnaie und so weiter. Uhren darf man zwar behalten, was aber eigentlich nicht nötig ist, da die einzelnen Punkte des Tagesablaufs durch einen Gong angekündigt werden.

Ich tausche mich mit den anderen Leuten dort aus. Viele verschiedene Gesichter. Normale Menschen, ausgeglichene Menschen, ein wenig zu ruhige Menschen und ich. Ich komme mir ein wenig fremd vor. „Sind das vielleicht alles Freaks?“, fragte ich mich. Nun ja, ich war zumindest von keinem der Teilnehmer in irgendeiner Weise überwältigt hinsichtlich der Ausstrahlung.

Das Gelände selbst war schön, ein sehr ruhiger Ort, ein Ex-Stasi-Ferienhäuschen, von der Dhamma-Vereinigung vor 10 Jahren gekauft. Es ist in Deutschland das erste Meditationszentrum seiner Art, das demnach nur eine sehr begrenzte Anzahl von Kursen anbietet. Für diejenigen, die das erste Mal hier sind, gibt es nur eine Möglichkeit: Ein Zehntageskurs.

Erwartungen

Zu meiner Einstellung: Ich war anfangs fest überzeugt: „Ich werde den Kurs problemlos durchhalten.“ Derjenige, der mir diesen Kurs empfohlen hatte, hatte zwar gewarnt, es sei kein Spaziergang, aber was konnte mir hier schon passieren? 10 Tage rumsitzen und nichts machen – das kann so schrecklich nicht sein. Schließlich war ich bei der Bundeswehr und von dem Augenblick an war ich mir sicher, alles aushalten zu können, frei nach dem Motto: Schlimmeres als die Grundausbildung kann es eigentlich in meinem Leben nicht mehr geben!

Und obwohl das Örtchen so friedlich und harmlos wirkt – rings um das Meditationszentrum ist man von Natur umgeben –, so kann ich dennoch eine gewisse Unruhe in mir spüren. Was wird mit mir sein, wenn ich hier fertig bin? Bin ich danach vielleicht so bereinigt, dass ich gar nichts mehr will? Hab ich dann gar keine Ziele mehr? Dann sitz‘ ich ja vielleicht nur noch rum und mach‘ nichts.

… Und keiner von denen, die schon einmal hier waren, haben mir so richtig vermittelt, was mit mir geschehen wird. Nur dieser eine Satz: Es wird dir auf jeden Fall was bringen. Na gut, dann wollen wir mal, denke ich mir.

Sobald der Kurs beginnt, sind Männer und Frauen getrennt. Es ist absolut verboten, mit den anderen zu kommunizieren, also kein Reden, keine Handzeichen, kein Zettelschreiben und kein Augenkontakt. Jeder arbeitet für sich. Bei wichtigen Fragen kann man sich natürlich an das Management oder an den Meditationslehrer wenden.

Das Zimmer teilt man sich mit drei anderen. Es gibt Gemeinschaftsduschen.

Es geht noch am selben Abend um 20 Uhr los: Die erste Meditation. Wir sitzen mit 80 Leuten in einer kleinen Halle, Männer auf der einen, Frauen auf der anderen Seite. Vorne der Meditationslehrer. Jeder hat eine kleine Meditationsmatte zur Verfügung. Meditationskissen und Decken für mehr Sitzkomfort stehen zur Verfügung. Wichtig beim Sitzen ist, dass man bequem, aber aufrecht sitzt.

Es werden zusätzliche Regeln des Zentrums bekanntgegeben: Nicht lügen, nicht töten, nicht stehlen und sexuelle Enthaltsamkeit wahren. Zudem gilt, dass Neulinge die gesamten zehn Tage da zu bleiben haben, da sonst die Meditation ihre Wirkung nicht entfalten könne.

Dann wird die erste Meditation erklärt: Es geht darum, sich seiner Atmung bewusst zu sein. Man soll sie nicht kontrollieren, sondern sie einfach nur beobachten, so wie sie ist. Die Augen soll man geschlossen haben, damit man nicht abgelenkt wird. Die Meditation wird zum einen von einem „Live“-Meditationslehrer geleitet und zum anderen vom auf Tonband aufgezeichneten Meister dieser Meditation, S.N. Goenka.

Obwohl ich mir zwei Kissen und eine Decke zum Polstern mitgenommen habe, wird es schon nach den ersten 15 Minuten schwierig, im Schneidersitz zu verharren. Es tut hier oder da weh. An einer Stelle zieht es, an einer anderen drückt es. Ich versuche, auf den Atem zu achten, und hoffe, dass die Meditation bald vorbei ist. Um 21 Uhr dürfen wir uns zur Ruhe begeben. Es fällt schwer, nichts mehr zu sagen und niemanden anzusehen.

Morgenappell

Am nächsten Tag werden wir um vier Uhr morgens geweckt. Ich bin wieder bei der Bundeswehr! Das einzige, was den Morgen schön macht, ist der klare Sternenhimmel; ansonsten bin ich etwas mürrisch wegen des frühen Aufstehens und habe überhaupt keine Lust. Die Aufgabe für diesen Tag ist die gleiche wie die am Abend davor: Den Atem beobachten. Diesmal stehen zwei Stunden Meditation an, bis es Frühstück gibt. Es ist die Hölle: Nach einer halben Stunde werden die Schmerzen vom Sitzen immer schlimmer. Ich weiß nicht, wie ich das durchhalten soll. Irgendwie schaffe ich es dann doch und bin erleichtert, als wir um 6:30 Uhr frühstücken gehen können. Ich fühle mich nicht sehr wohl in der Pause, das Essen ist zwar gut, aber es herrscht bei mir eine bedrückende Stimmung. Um sieben Uhr geht es weiter.

Und wieder kommen die Schmerzen, dieses Mal noch heftiger. Wenn ich aufstehe, um rauszugehen, kann ich kaum laufen, weil die Beine so sehr wehtun. Ich denke mir, dass das nicht gesund sein kann. Ich mache mich doch kaputt! Es fällt mir wirklich schwer, sich während der Meditation zu konzentrieren wegen der Schmerzen und der vielen zusammenhanglosen Gedanken, die im Sekundentakt hochschnellen.

Irgendwie quäle ich mich bis zum Mittagessen um 12:00 Uhr. Obwohl ich normalerweise nicht vegetarisch esse, schmeckt mir das Essen sehr gut. Da ich weiß, dass es abends keine wirkliche Mahlzeit geben wird, mache ich denn Teller besonders voll, was, wie sich später noch herausstellen wird, ein Fehler ist. Ich lege mich nach dem Essen hin und wünsche mir, die Pause möge doch so lange wie möglich dauern. Doch der Gong kommt, und es geht weiter. Kurz davor frage ich den Meditationslehrer, ob meine Schmerzen medizinisch bedenklich seien, was er verneint.

Es ist die gleiche Aufgabe, wieder gilt es, den Atem zu beobachten, und es stehen nun 4 Stunden Meditation bevor – mit ein paar Pausen dazwischen. Schon nach der ersten halben Stunde fange ich mich an zu fragen, wie ich das schaffen soll. Ich will weg. Nach Hause! Oder meinetwegen wieder zurück zur Bundeswehr, aber ich will diese Schmerzen keine Sekunde länger aushalten. Es tut am Becken weh, an den Knöcheln, den Kniegelenken, hier und da tauchen mal Krämpfe auf und mir ist schlecht, weil ich zu viel gegessen habe. Es ist ein Albtraum. Wenn Pause ist, laufe ich wie ein Roboter, dessen Gelenke eingerostet sind.

Dieses Mal ist der Ton des Gongs so erleichternd und erlösend. Es gibt eine Pause. Ein bisschen Tee und ein Paar Früchte stehen zum Verzehr bereit. Ich gehe ein wenig spazieren und lege mich in die Sonne, um mich auszuruhen. Obwohl ich den ganzen Tag eigentlich nur sitze und den Atem beobachte, bin ich todmüde. Es schießen mir tausend Gedanken durch den Kopf. Ich fange an, über mein soziales Umfeld nachzudenken. Über den Sinn dieser oder jener Bekanntschaft. Ab und zu denke ich über Physik nach. Und um die Frage, die sich wohl die meisten stellen, zu beantworten: Nein, ich habe noch nicht über sexuelle Dinge nachgedacht. Das kommt später noch. Keine Sorge, ich werde nicht zu sehr ins Detail gehen.

Bewusst-Sein

Der Rest des Tages vergeht eigentlich recht entspannt. Es gibt noch ein wenig Meditation und einen einstündigen Vortrag, der den Sinn der Meditation erklärt. Der Vortrag stellt sich als recht motivierend heraus, da der Meditationslehrer genau zu wissen scheint, dass man Schmerzen hat und was einem so durch den Kopf geht, und er erklärt, welchen Sinn das Ganze hat.

Das Beobachten des Atems dient dazu, überhaupt erst einmal seine Wahrnehmung zu schärfen. Die Fähigkeit, Dinge wahrzunehmen, die sich in unserem Inneren abspielen, geht uns im Alltag aufgrund der vielen zufließenden Informationen und Reize schlichtweg verloren. Bei Dir nicht, würdest Du sagen? Dann beantworte mir mal folgende Frage: Was fühlst Du gerade auf deiner Stirn? Irgendwelche Empfindungen? Versuch das mal fünf Minuten lang zu beobachten, ohne an etwas anderes zu denken. Ich zweifle schwer daran, dass es gelingen wird.

Bei den Vorträgen schwingt hier und da ein wenig buddhistische Philosophie mit. Sie anzunehmen, ist für die Meditation jedoch nicht erforderlich.

Nun gut, der Vorgang der Wahrnehmungsschärfung soll insgesamt drei Tage andauern. Mir fällt es mit der Zeit leichter, die Schmerzen auszuhalten, nicht zuletzt weil ich den Fersensitz für mich entdeckt habe.

Am vierten Tag erfährt man dann endlich den Sinn der ganzen Wahrnehmungsgeschichte: Es beginnt nun die eigentliche Meditation, bei welcher es darum geht, seinen kompletten Körper systematisch nach Empfindungen zu „scannen“. Die Sensitivität hierfür erreicht man erst nach den drei Vorbereitungstagen.

Und wer an dieser Stelle gedacht hatte, die Schmerzen langsam im Griff zu haben, der hatte sich wahrlich geirrt, denn jetzt ging es erst richtig los. Hinzu kam, dass es pro Tag nun drei Meditationseinheiten gab, bei denen man ein Stunde lang verharren sollte, ohne sich zu bewegen. Unter keinen Umständen sollte man während dieser Sitzungen die Halle verlassen.

Am Anfang ist es irgendwie nervig, weil ich nicht sonderlich viel fühlen kann, was aber wahrscheinlich daran liegt, dass ich unbedingt etwas Besonderes fühlen will. Ich vergesse dabei, dass Schmerz auch eine Empfindung ist. Als ich jedoch mit der Zeit konzentrierter werde, scheint mein Körper komplett verrückt zu spielen. Obwohl sich die atmosphärischen Bedingungen nicht merklich verändert haben, wird mir bei jeder Meditationseinheit richtig heiß. Ich schwitze so heftig, als würde ich gerade intensiv Sport machen. Seltsame Empfindungen kommen in meinem ganzen Körper auf. Mal hier ein Kribbeln, mal hat man das Gefühl, eine Ameisenkolonie überquert den Rücken oder es werden plötzlich Stellen am Körper kalt oder taub, welche dann aber wieder zurückkehren. Die Mediziner unter uns würden jetzt wohl sagen: Ja natürlich, wenn man eine Stunde sitzt, ohne sich zu bewegen, dann werden natürlich manche Körperteile schlechter durchblutet als andere.

Doch warum macht man das Ganze überhaupt? Ist das ein Programm für Masochisten oder so was?

Nun es gibt mehrere Aspekte, die jeweils einen praktischen Sinn haben. Dadurch, dass der Input durch die Außenwelt vergleichsweise gering ausfällt, gewinnen die Vorgänge im Inneren sowie im Unterbewusstsein abgespeicherte Informationen an Bedeutung.

Aktion und Reaktion

Hierzu ein kleines Beispiel: Nehmen wir an, es wird jemand körperlich verletzt. Er hat Schmerzen, das ist ihm unangenehm und entwickelt Abneigung gegen den Schmerz. Diese Information wird mit einer Wertung abgespeichert: Schmerz ist nicht gut. Wenn jemand persönlich angegriffen wird und sich dadurch verletzt fühlt, passiert das Gleiche. Es ist sogar nachgewiesen, dass sowohl im Fall von physischem Schmerz als auch bei „psychischem“ Schmerz das gleiche Zentrum im Gehirn aktiv ist. Informationen werden also mit Wertung abgespeichert. Tritt die Situation erneut ein, folgt eine entsprechende Reaktion: Abneigung oder Verlangen. Wenn es also möglich ist, durch äußere Einwirkung Gefühle hervorzurufen, warum sollte es dann nicht möglich sein, Empfindungen über das Unterbewusstsein hervorzurufen? Also Placebo-Empfindungen, wenn man so will, deren Ursache keine äußere Einwirkung, sondern eine Anregung aus dem Inneren ist. Rein physikalisch gesehen spricht nichts gegen diesen Prozess, da Schmerz oder angenehme Empfindungen sowieso nichts anderes sind als Interpretationen von Nervenimpulsen im Gehirn. Man kann also Schmerz fühlen, obwohl an der betroffenen Stelle „nichts ist“.

Bei der Vipassana-Meditation geht man von folgender Wirkung aus: Dadurch, dass man seinen Körper auf Empfindungen „abscannt“, die gerade in diesem Moment ablaufen, greift man auf das Unterbewusstsein zu und schafft die Möglichkeit alte Verhaltensmuster zu lösen. Dieser Prozess ist jedoch mit dem Hervorrufen von Empfindungen verbunden, was der Grund dafür ist, dass sich während der Meditation so seltsame Dinge im Körper abspielen.

Einen wissenschaftlichen Nachweis kann ich hierzu nicht erbringen, möchte aber dennoch zu einem kleinen Selbstversuch einladen: Versuch das nächste Mal, wenn du in einer Situation bist, wo du dich besonders ärgerst oder wo dir etwas peinlich ist oder vielleicht wo du sehr fröhlich bist in deinen Körper hinein zu fühlen. Was spürst du? Ein Kribbeln? Wird dir plötzlich warm? Was auch immer es ist, der Ursprung dieser Empfindungen ist auf jeden Fall keine äußere Einwirkung.

Man lernt also, negative Verhaltensmuster zu beseitigen. Schritt für Schritt.

Zum anderen fördert man seine eigene Entschlossenheit, wenn man die einstündigen Sitzungen diszipliniert absolviert. Das wichtigste ist aber, zu lernen, sich das Reagieren abzutrainieren. Es geht darum, die Reaktionen Abneigung und Verlangen abzulegen. Auch hier ein kleines Beispiel: Wir haben ja bald wieder Sommer und dann kommen die ganzen Mückenstiche. Die jucken ja immer so entsetzlich, nicht wahr? Denkst du bewusst drüber nach, wenn anfängst dich am Mückenstich zu kratzen? Wohl kaum. Du reagierst einfach nur. Mit Abneigung. Du willst nicht, dass es juckt, also kratzt du, unbewusst.

Und das ist nur eines von sehr vielen Beispielen, denn diese unbewusste Reaktion findet man nicht nur bei körperlichen Empfindungen, sondern auch bei allen anderen Situationen, die bereits dem Bewertungsprozess unseres Gehirns unterzogen wurden. Fängt jemand an, uns zu beschimpfen, so wird dies als persönlicher Angriff gedeutet und es wird sofort zurückgefeuert. Es ist eine Reaktion.

Und genau das gilt es bei der Meditation auf der erfahrungsmäßigen Ebene zu lernen: Nicht zu reagieren mit Ablehnung oder Verlangen.

Manche würden jetzt vielleicht sagen: Wenn ich nach nichts mehr verlange, dann liege ich ja den ganzen Tag nur noch rum und mache nichts. Natürlich kann Verlangen ein Antrieb sein. Jedoch führt dies nur so lange zu Zufriedenheit, wie man das Objekt der Begierde bekommt. Man ist dadurch abhängig von äußeren Umständen und Gefangener seiner Reaktionsmuster. Ist dieses Verlangen erst einmal weg, kann man mit einem klaren Kopf darüber nachdenken, was man wirklich will.

Übergang

Doch nun zurück zum restlichen Ablauf des Kurses. Es gibt keinen Tag, an dem es wirklich leicht ist, die Meditation durchzuhalten. Ich werde jedoch zunehmend konzentrierter. Ich bin stolz auf mich, wenn ich die einstündige Sitzung durchhalte, denn ich merke, dass dies nur von mir abhängt. Kein äußerer Zustand kann mich daran hindern, denn Schmerzen gehen, wenn ich nicht auf sie reagiere. Keine Empfindung hält ewig an. Es ist alles vergänglich – eine weitere Erkenntnis.

Der letzte Tag ist eine Art Resozialisierungstag, der einen sanften Übergang in die „reale“ Welt ermöglichen soll. Aus diesem Grund ist das Redeverbot aufgehoben, und alle beben vor Aufregung, da sie unbedingt ihre Erfahrungen austauschen wollen. Ich habe bisher selten so viele, so fröhliche Menschen gesehen.

Nun wollen einige vielleicht wissen, was es mir wirklich gebracht hat. Bin ich jetzt ein Typ, der immer auf Wolke sieben schwebt und sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt? Natürlich nicht. Auch ich erwische mich immer noch dabei, wie ich mal patzig zu jemandem bin oder wie ich Abneigung gegenüber jemandem empfinde. Als merklichen Effekt ließe sich an dieser Stelle noch aufführen, dass ich sehr viel entspannter beim Schreiben von Klausuren geworden bin. Für mich ist dies jedoch nicht die wichtigste Konsequenz gewesen. Von viel größerer Bedeutung ist, dass ich zum einen immer wieder die Möglichkeit habe, am Ende des Tages abzuschalten oder potentiellen Stresssituationen vorzubeugen. Ist der Stress erst einmal aufgekommen, muss man sich dessen erst bewusst werden, bevor man die erlernte Technik anwenden kann. Zusätzlich kann ich sagen, dass ich, seitdem ich dort gewesen bin, begonnen habe, anspruchsvoller zu leben. Ich versuche täglich, den vergangenen Tag zu dokumentieren, um mir so häufiger meiner Fehler bewusst zu werden. Man erkennt auch, dass man Dinge auf der erfahrungsmäßigen Ebene lernen muss. Man muss erfahren, wie es ist, nicht auf Schmerzen zu reagieren und auszuharren. Es reicht nicht, zu verstehen. Genauso wie es nicht in der Fahrschule reicht, für die Theorie-Prüfung zu lernen. Genauso wie man durch Rumphilosophieren im stillen Kämmerlein nicht weise wird.

Das ist zumindest der Effekt, den es bei mir bewirkt hat.

Generell muss ich sagen, dass das eine der wertvollsten Erfahrungen in meinem Leben war. Jeder scheint dort seine persönliche Lektion zu bekommen. Meine war die, dass der Weg der Veränderung ein sehr langer ist und es keine Super-Veränderungs-Intensiv-Kurse gibt, die innerhalb einer Woche einen komplett anderen Menschen aus einem machen.

Bemerkenswert finde ich im übrigen die Tatsache, dass sich das Meditationszentrum nur durch Spenden und freiwillige Helfer aufrechterhält. Innerhalb von zehn Tagen sind die meisten von der Idee dieses Meditationszentrums überzeugt und bieten ihre Hilfe an, weil auch ihnen geholfen wurde. (Ja, ich spende auch).

Nun gut, ich hab‘ viel erzählt und dennoch reicht es nicht, um das, was ich dort erlebt habe zu beschreiben. Manch einer wird es interessant finden. Manch einer wird es lächerlich finden. Es ist nun jedem selbst überlassen, ob er es für nötig hält, zehn Tage dafür zu investieren, um mal etwas Neues auszuprobieren. Ich persönlich bin der Meinung, dass jeder, der durch politisches oder soziales Engagement etwas verändern möchte, an einem solchen Kurs teilnehmen sollte. Meine Begründung hierfür: „Gib einem Mann einen Fisch, und du ernährst ihn für einen Tag. Lehre einen Mann zu fischen, und du ernährst ihn für sein Leben.“


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Roman Mannweiler

geb. 1990, Physiker, VDSt Straßburg-Hamburg-Rostock.

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