Sozialstaat – eine Institution im Umbruch

Der VDSt zu Bonn hat sich im Sommersemester 2014 dem Thema Sozialpolitik gewidmet und eine gut besuchte Vortragsreihe organisiert. Im Fokus standen besonders sozial gerechte Bildungspolitik und Chancengleichheit.


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S175_Sozialstaat_1Als Referenten geladen waren die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Katja Dörner (MdB), die CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Claudia Lücking-Michel sowie der Geschäftsführer der Diakonie Bonn, Ulrich Hamacher.

Soziale Brennpunkte

Ulrich Hamacher stellte uns im ersten Vortrag des Semesters die Situation im Bonner Raum dar. Die Diakonie betreibt, neben einer Vielzahl anderer sozialer Einrichtungen, auch Betreuungsangebote für Schulkinder – besonders in sozialen Brennpunkten.

Dabei kam zum Beispiel zur Sprache, wie schwer die Einhaltung eines geregelten Tagesablaufs für Kinder ist, deren Eltern Schichtarbeiter sind. Daneben ist gerade im Grundschulalter das schlechte Sprachniveau einiger Schüler problematisch. Dies betreffe jedoch keinesfalls ausschließlich Kinder aus Zuwandererfamilien, sondern sei ein Problem in verschiedensten Bevölkerungsschichten; auch wenn Kinder vor dem Fernseher „geparkt“ oder mit Spielen an PC oder Tablets ruhiggestellt werden, leide die Sprachentwicklung. Weiterhin standen im Fokus der Diskussion Jugendliche, welche schon früh obdachlos und drogenabhängig werden, schrumpfende Budgets der kommunalen Hilfseinrichtungen sowie die Unterfinanzierung von Schulen.

Frühkindliche Förderung

Aus Sicht von Katja Dörner, die den zweiten Vortrag des Semesters hielt, scheitern viele Programme zur Förderung von Chancengerechtigkeit an zu großer Bürokratie. Als Beispiel nannte die Referentin die Bildungsgutscheine aus der Ära von der Leyen. Mangelnde Aufklärung über Angebote sowie komplizierte Anträge führten dazu, dass man ausgerechnet jene Eltern nicht erreiche, deren Kinder Förderung besonders notwendig bräuchten. Zudem werde oft zu wenig bzw. falsch gefördert. Dazu zählte sie unter anderem auch die „Herdprämie“, welche falsche Anreize setze.

Als wichtig erachtete sie weiterhin, dass frühkindliche Bildung stärker gefördert werden müsse und Kinder so lange wie möglich gemeinsam lernen sollten. Dabei führte sie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem März 2008 an, welche den besonderen Stellenwert frühkindlicher Bildung unterstreiche. Zitat daraus: „Der Studie zufolge hat die frühkindliche Bildung einen hohen Einfluss auf den späteren Bildungsweg. Für den Durchschnitt der Kinder aus den untersuchten Jahrgängen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen, von 36 Prozent auf rund 50 Prozent, wenn sie vorher eine Krippe besucht haben. Für benachteiligte Kinder liegt die Verbesserung der Bildungschancen durch einen Krippenbesuch noch höher. Von diesen Kindern gehen rund zwei Drittel mehr aufs Gymnasium.“

Strittige Priorisierung

Auch für Dr. Claudia Lücking-Michel war gerade die frühe Bildung von Kindern wichtig. Deutschlands einzige Ressource sei gute Bildung; Zugang hierzu müsse jedem möglich sein. Hierbei kritisierte sie auch die Landesregierung in Düsseldorf, welche durch schlechte Haushaltspolitik und falsche Prioritäten für eine Unterfinanzierung von Bildungseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen sorge.

Daneben wies sie darauf hin, dass nicht ausschließlich der Bildungshintergrund des Elternhauses eine Rolle in Hinsicht auf Chancen im Bildungsweg spiele. Auch in einem Akademikerhaushalt könne es leicht passieren, dass Kinder aufgrund von Zeitmangel der Eltern nicht genug gefördert würden. Weiterhin plädierte sie für ein mehrgliedriges Schulsystem, in welchem jeder Schüler seinen Bedürfnissen entsprechend gefördert werden könne.

Als zukünftig wachsendes Problem ordnete sie den Fachkräftemangel in Deutschland ein, der alle Branchen betreffe und eine zunehmende Herausforderung auch für unsere Wirtschaft darstelle. Während der Diskussion erläuterte die CDU-Abgeordnete dann die kommende BAFöG-Reform und sprach sich ebenfalls gegen das Betreuungsgeld aus.

In Summe sehen also trotz unterschiedlicher Fraktionszugehörigkeit beide Politikerinnen Defizite in unserem Bildungssystem und würden dieses nicht als chancengerecht einordnen. Dennoch merkten beide an, dass Deutschland sich auf einem guten Weg befände und das gesetzlich festgeschriebene Recht auf einen „Kita-Platz“ ein bedeutender Schritt gewesen sei.


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Michael Mölders

geb. 1992, Volkswirt, VDSt Bonn.

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