Tödliches Kommando: The Hurt Locker

Wenn der Ausnahmezustand zur Routine wird – Kinostart am 13.08.2009
Genau ein Jahr wurde Kathryn Bigelows Film über den Alltag eines Sprengmittelräumkommandos der US-Armee am Golf zurückgehalten. Der Aktualität des Themas tut dies jedoch keinen Abbruch. Die Gewalt im Irak scheint sich Mitte 2009 sogar wieder zu verstärken. Fast täglich gehen neue Schreckensmeldungen über Bombenanschläge mit Dutzenden von Todesopfern um die Welt.


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Nach nur sechs Kriegswochen erklärte US-Präsident George W. Bush am 1. Mai 2003 anlässlich seines Besuchs auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln feierlich das Ende der Hauptkampfhandlungen im Irak. Doch er täuschte sich: Der eigentliche Krieg hatte gerade erst begonnen und sollte die bislang geringen amerikanischen Verluste rapide in die Höhe treiben. Der Konflikt entwickelte sich zu einem neuen, asymmetrischen Krieg, in dem die alten Regeln nicht mehr galten. Dabei stand nicht mehr die offene militärische Konfrontation, sondern der Angriff aus dem Hinterhalt – vor allem auf so genannte weiche Ziele wie Zivilisten und Nachschubkonvois – im Vordergrund. Besonders im Irak und in Afghanistan gingen die Aufständischen zu einer indirekten Kriegsführung mittels ferngezündeter Sprengsätze, so genannter Improvised Explosive Devices (IED), über, die an viel befahrenen Straßen und belebten Plätzen installiert wurden und noch immer werden. Die Aufgabe des Sprengmittelräumkommandos in The Hurt Locker ist es, diese tödlichen Waffen unschädlich zu machen. Als während eines Einsatzes der Leiter des Spezialistenteams durch die Explosion einer Bombe getötet wird, erhalten die überlebenden Soldaten mit Staff Sergeant William James einen neuen Vorgesetzten. Dieser zeichnet sich nicht nur durch sein Können, sondern auch durch seine todesverachtende Gelassenheit aus, mit der er sich und seine Kameraden wiederholt in Gefahr bringt. Die daraus resultierenden Konflikte zwischen den Soldaten erschweren den ohnehin nervenaufreibenden Alltag und lassen die Soldaten umso mehr die Rückkehr in die Heimat ersehnen.

 

Der Irakkrieg verkauft sich schlecht

Mitte 2008, in einer Zeit, in der eine nicht abreißen wollende Flut an Meldungen den Fernsehzuschauer täglich an die unrühmliche Entwicklung im Irak erinnerte, erschien die Geschichte von The Hurt Locker offenbar untauglich als gewinnbringendes Unterhaltungsprodukt. Zu übersättigt war die massenmediale Gesellschaft mit Bildern vom Golf. Der Kinostart des Films wurde aus diesem Grund um genau ein Jahr verschoben. Auch die beiden gnadenlos gefloppten, kritischen Irak-Kriegsfilme Redacted und Battle for Haditha bestärkten den Eindruck, dass zumindest das amerikanische Publikum im Kino vom Irak-Debakel verschont bleiben wollte. Nach der Farce um die inszenierte Rettung von Private Jessica Lynch, die 2003 mit Waffengewalt aus einem unbewachten irakischen Krankenhaus ‘befreit’ wurde, waren auch Kriegshelden zunächst nicht mehr gefragt. Erst jetzt, sechs Jahre später, wagt der Verleih Concorde Film mit The Hurt Locker die Vermarktung des bislang kaum beachteten Kampfes gegen einen unsichtbaren – und dadurch umso tödlicheren – Gegner, der den Irak und die US-Streitkräfte in Atem hält. Dabei glorifiziert der Film jedoch keine klassischen Kriegerfiguren, sondern porträtiert in fast dokumentarischem Gestus die Arbeit hochspezialisierter Profis, die wie Helden wirken, einfach weil sie ihren Job machen.

 

Die Tücken des asymmetrischen Kampfes

Schon zu Beginn der Handlung wird klar, dass der gefeierte Strategiewechsel nach dem Antritt von General Davis H. Patraeus Anfang 2007 auch seine Schattenseiten hat: So verfügte Patraeus unter anderem, lieber einmal weniger zu schießen als Unschuldige zu töten, um den Volkszorn im Irak einzudämmen. Dass diese Entscheidung auch das Leben der eigenen Soldaten gefährden kann, macht Kathryn Bigelow in The Hurt Locker bereits mit Hilfe der Eingangssequenz deutlich: Als ein Roboter, der eine Sprengladung an einer IED anbringen soll, versagt, muss einer der Bombenspezialisten selbst übernehmen und nähert sich bis auf wenige Meter dem Sprengkörper. Einer der Soldaten, die währenddessen die Umgebung absichern, beobachtet dabei einen Einheimischen, der nervös sein Handy zückt. Möchte er nur Verwandte warnen, oder möchte er gar die Bombe zünden? Soll der Soldat schießen oder abwarten? Schießen hieße, vielleicht einem Kameraden das Leben zu retten, aber genauso gut könnte mit dem Schuss ein unschuldiger Zivilist getötet werden. Viele Faktoren für eine Entscheidung, die in wenigen Millisekunden getroffen werden muss. Schließlich hält sich der Soldat an Patraeus` Einsatzbefehl und wartet ab. Doch was Leben retten und das ramponierte Image der US-Armee im Irak verbessern soll, ist in diesem Fall die falsche Entscheidung: Die Bombe explodiert und der Soldat muss zusehen, wie sein Kamerad stirbt. Obwohl er nicht wissen konnte, dass er diesmal hätte  schießen müssen, wird er sich die Schuld für den Tod seines Freundes geben. Das nächste Mal wird er anders handeln. – Aber wird der Getroffene dann vielleicht ein Unschuldiger sein? Bigelows Film beginnt blutig, doch stellt der tödliche Ausgang eines Einsatzes schon längst den Alltag des Krieges im Irak dar. Jenseits großer Schlachten bleibt für den einfachen Soldaten kaum Zeit für politische Bedenken oder aufgesetzten Heroismus. Der Film konzentriert sich dabei voll auf die amerikanischen Protagonisten. Das irakische Volk wirkt aus der Perspektive der US-Militärs, in die auch der Zuschauer gedrängt wird, fremd und potentiell gefährlich. Lediglich ein kleiner Junge, der DVDs verkauft, wird für Sgt. James, den Ersatzmann für den gefallenen Bombenspezialisten, zu einer Projektionsfläche für das, wofür er eigentlich kämpft.

Kriegsbilder zwischen Youtube und Hollywood

Auch The Hurt Locker bedient sich streckenweise der Optik von Youtube-Videos, die den Irakkrieg mittlerweile kennzeichnet. Bigelow nutzt diesen, den Eindruck von Authentizität erweckenden Effekt jedoch weniger aufdringlich als es beispielsweise in Redacted der Fall ist. So sind die verwackelten, unscharfen Bilder stets motiviert als subjektive Perspektiven von Roboter- oder Helmkameras und brechen nicht mehr störend aus der ansonsten verwendeten, konventionellen Filmästhetik hervor. Eine nervöse Handkamera dominiert den Film und überträgt die Anspannung der Soldaten förmlich auf den Zuschauer. Den bekannten Bildfragmenten aus den Nachrichten wird auf diese Weise eine Geschichte gegeben, die fast täglichen Verlustmeldungen werden mit Gesichtern versehen und der beklemmend enge Entscheidungsspielraum des Soldaten im Einsatz macht die noch immer hohe Rate ziviler Opfer nachvollziehbar, ohne sie zu entschuldigen.

 

Der Krieg macht krank

Auch wenn der individuelle Beitrag der Soldaten gewürdigt wird, verherrlicht der Film den Krieg keineswegs. Vielmehr zeigt er die verheerenden Auswirkungen, wenn äußerste Gewalt zum Normalfall und dann als solcher vergessen wird. Dabei werden auch die psychischen Folgen auf den Einzelnen beleuchtet; sei es die pathologisch anmutende Sammlung von Bombenteilen, die Sgt. James anlegt und wovon jedes Exponat ihn fast getötet hätte, oder die Kontaktunfähigkeit der Soldaten nach ihrer Rückkehr in die Heimat. Auch die demonstrative Gelassenheit von Sgt. James geht schließlich verloren, als der kleine Junge mit den DVDs spurlos verschwindet. Bigelow macht anhand dieser Episode den Irakkrieg geradezu spürbar. Anders jedoch als etwa Ridley Scott in Black Hawk Down geschieht dies nicht mittels ultrarealistischer Kämpfe, die die Körperlichkeit des Krieges auf den Rezipienten übertragen, sondern durch eine nicht enden wollende Anspannung, die dem Zuschauer Folgendes verdeutlicht: Die Kriege im Irak und in Afghanistan scheinen für die westliche Gesellschaft zu etwas genauso Alltäglichem geworden zu sein, wie für Sgt. James die Sprengsätze, die er entschärft. Doch weniger gefährlich werden sie dadurch wohl kaum.


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Rasmus Greiner

geb. 1983, Dr. phil., Medienwissenschaftler, VDSt Marburg.

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