Über Adiletten und Finanzmärkte

Defekte Bremsen, klemmende Gaspedale und ausgerissene Antriebswellen sowie 34 tote Autofahrer. Toyota, der weltgrößte Autobauer, ruft 8,5 Millionen Fahrzeuge zurück. Brandgefahr wegen defekter Fensterheber, Honda muss über 650.000 Fahrzeuge wieder in die Werkstätten zurück holen. Auch VW bleibt nicht verschont, obwohl es sich „nur“ um 200.000 Autos handelt. Und bei eineinhalb Jahre alten Adiletten löst sich die Klebstelle auf. Früher hielten sie 20 Jahre.


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Über die Adiletten

Was ist bloß mit den Herstellern los? Die Antwort liegt auf der Hand: Es wird an jeder Ecke gespart. Früher sparte der Mensch, wenn ein Gut knapp war oder wenn er sich etwas besonders Wertvolles leisten wollte, was er nicht auf einmal bezahlen konnte. Diese Sparermentalität ist jedoch den modernen Wirtschaftsakteuren fremd, denn sie sparen nicht, weil es ihnen an etwas fehlt. Sie steigern ihren Gewinn von Jahr zu Jahr, und man müsste meinen, dass das Sparen nicht notwendig wäre. Das sehen die Bosse aber anders, denn nur ein Unternehmen, das den Gewinn ständig maximiert, gilt auch als ein erfolgreiches Unternehmen. Gewinn um des Gewinns willen. Adiletten, die 20 Jahre halten, sind deshalb kontraproduktiv, und es ist viel besser, wenn der Kunde alle zwei Jahre die Ware neu kaufen muss – so kann der Gewinn weiter gesteigert werden.

Das Groteske dabei ist, dass der Konsument dieses Vorgehen mittlerweile für völlig normal hält. Es ist „normal“, dass ein Elektrogerät einen Tag nach Ablauf der Gewährleistungsfrist kaputt geht, und niemand mehr regt sich darüber auf, dass Hemd oder Hose gerade mal eine Saison überstehen und dann durch neue ersetzt werden müssen. Es wird geklebt und genietet, und wenn es ausnahmsweise mal verschraubt wird, so werden die Flanken des Kopfes bei Schlitzschrauben in der Gegenrichtung abgeschrägt, damit der Schraubendreher abrutscht und die Sache nicht mehr repariert werden kann. Die Wegwerfmentalität hat sich endgültig durchgesetzt, und Qualität ist der Quantität gewichen.

Über die Finanzmärkte

Die Aktie war ursprünglich eine Urkunde, die ihren Inhaber als Gesellschafter, also  Miteigentümer der Aktiengesellschaft, auswies. Sie war der Inbegriff der Rechte und Pflichten des Aktionärs, womit auch seine Verantwortung für das Unternehmen einherging. Es standen nicht nur die Dividende und der kurzfristige Gewinn im Vordergrund, sondern eine langfristige Investition und der dauerhafte Erfolg des Unternehmens. Nur dann, wenn das Unternehmen über längere Zeit erfolgreich war, gab es auch eine Gewinnausschüttung. Eigentum verpflichtet, und die Aktionäre waren sich dessen bewusst.

Die Lage hat sich seitdem massiv geändert, den Aktionären geht es nicht mehr um den Erfolg des Unternehmens. Die Aktien werden nicht mehr als Eigentumsanteile betrachtet, sondern als Spekulationsobjekte, die im Stundentakt gekauft und wieder abgestoßen werden. Der langfristige Erfolg des Unternehmens spielt keine Rolle mehr. Die Banken, deren ursprüngliche Aufgabe die Kreditversorgung der Unternehmer war, haben ihre Rolle als Geldgeber schon längst aufgegeben, denn bloß mit den Zinseinnahmen auf Kredite lassen sich der ausschweifende Lebensstil und die Millionengehälter der Manager nicht finanzieren. Die Geldhäuser haben sich zu Zockern entwickelt, die wahllos gewinnversprechende Unternehmensanteile kaufen, nur um sie gewinnbringend kurze Zeit später an andere Banken zu verscherbeln. Doch auch die Unternehmer selbst lassen sich das leichte Geld nicht nehmen und pokern kräftig mit (z. B. die Porsche AG, die sich am VW verschluckt hat), statt sich auf ihre eigentliche Aufgabe zu konzentrieren, nämlich die Produktion von qualitativen Waren und Dienstleistungen.

Ein Besinnen auf die Werte wie Qualität und Verantwortung würde uns allen gut stehen, und der Begriff „Wiederverwendung“ muss abermals den Weg in unseren Sprachschatz finden.


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Pavel Usvatov

geb. 1983, Jurist, VDSt Straßburg-Hamburg-Rostock.

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