Unterschwellig skeptisch

Gesprächsreihe zum Thema Integration
Puria S. ist 23 Jahre alt und ist in Hamburg als Sohn iranischer Eltern geboren und aufgewachsen. Er besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft. Nach seinem Wehrdienst studiert er nun Rechtswissenschaft an der Universität Hamburg. Seine Eltern kamen 1986 aus Teheran nach Deutschland. Sein Vater betreibt ein Elektrogeschäft, und seine Mutter ist Geschäftsführerin einer Bäckerei. Im Iran waren beide kaufmännische Büroangestellte und gehörten der Mittelschicht an.


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Wie war Dein bisheriger Bildungsweg?

Auf das Abitur im Jahre 2009 am Kaiser-Friedrich-Gymnasium folgte der Wehrdienst, anschließend nahm ich im Frühjahr 2010 das Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Hamburg auf.

Fühlst Du Dich gut integriert?

Ich bin in Hamburg geboren und aufgewachsen und habe sehr vieles der deutschen Mentalität verinnerlicht. Mein Freundeskreis ist gemischt, es sind sowohl Deutsche als auch Migranten darunter. Die freiheitliche Demokratie und die Liberalität hier kommt mir in vielen Bereichen entgegen, so kann ich mich frei entfalten und auch meine Religion ausüben.

Bist Du religiös?

Ja, ich bin – ganz bewusst – schiitischer Moslem, wobei ich glaube, eher traditioneller zu sein als meine Eltern. Ich übe meine Religion aktiv aus, wozu beispielsweise das fünfmalige tägliche Beten gehört. Ich trinke auch keinen Alkohol und gehe selten auf Parties, Schweinefleisch ist natürlich auch Tabu. Allerdings kommt es auch vor, dass ich mich dazu verleiten lasse mal ein Glas guten Wein mitzutrinken oder auf eine gute Feier mitzukommen. Ich halte es mit Goethes „Es irrt der Mensch, solang er strebt“, und das ist nicht nur ein christlicher Gedanke. Wenn ich zum Beispiel den ganzen Tag keine Gelegenheit zum Beten habe, kann ich das auch am Abend nachholen. Wenn man zum Beispiel während des Fastens viel arbeiten muss, dann kann man auch etwas trinken oder essen, um nicht zu erkranken. Der Koran und die Religion sehen für solche Situationen immer Ausnahmen vor. Wenn das Beten in der Öffentlichkeit verboten würde (und der Islam schreibt es vor, sich an die Gesetze des Landes zu halten, in dem man lebt), dann würde ich es eben zu Hause nachholen, und wäre es auch nur noch eine Stunde am Tag, in der ich es machen dürfte. Würde es allerdings ganz verboten, könnte ich in diesem Land nicht mehr leben und müsste es verlassen, aber keinesfalls „bekehren“, wie es einige annehmen. Ich halte den Islam bei der „richtigen“ Auslegung daher für eine relativ liberale Religion, und ich bin froh, dass ich in einem freien Land lebe, in dem ich meine Religion so frei ausleben kann. Das ist nicht überall der Fall.

Was ist Dein Erfolgsrezept?

Zu meinem Erfolg haben mit Sicherheit meine Eltern, aber auch nicht zuletzt meine Religion beigetragen. Meine Eltern förderten immer meine Bildung und wollten, dass ich eine akademische Ausbildung erhalte. Nicht zuletzt deshalb, weil ich dadurch später eine gute Arbeitsstelle bekommen kann und finanziell abgesichert bin. Sie taten und tun auch viel dafür.

Als guter Gläubiger bin ich ferner durch meine Religion dazu angehalten, möglichst viel Wissen zu erwerben, um etwas im Leben zu erreichen und ein geachtetes Mitglied der Gesellschaft zu werden. Es sind also nicht nur materielle Gesichtspunkte, sondern auch ideologische. Nur so kann ich dieser Gesellschaft auch etwas zurück geben.

Mit welchen Widerständen hattest Du zu kämpfen?

Durch mein orientalisches Aussehen wurde ich sehr oft vorverurteilt. Insbesondere hielt man mich für intellektuell unterlegen und der Unterschicht zugehörig. Auch in der Schule gab es keine Gleichbehandlung. Die Aussage der Lehrer: „Naja, Du sprichst ja zu Hause kein Deutsch“, währende ich akzentfrei Deutsch sprach, war symptomatisch.

Wirst Du heute noch mit Vorurteilen konfrontiert? Welche Vorurteile sind es?

Diskobesuche finden ihr jähes Ende oft bereits vor der Tür des Klubs. Trotz ordentlicher Kleidung und akzentfreier Sprache bleiben die beschriebenen Probleme. Auch wegen meines iranischen Namens werde ich vorverurteilt. Manchmal gibt es aber auch positive Erlebnisse, besonderes Interesse seitens der Gesprächspartner.

Hast Du Vorurteile gegenüber anderen Migranten oder Deutschen?

Gegenüber Migranten habe ich manchmal die gängigen Vorurteile, die medial geprägt sind und die auch jeder andere hat. Auch gegenüber anderen Muslimen, davor ist niemand gefeit. Von den Deutschen hat sich bei mir ein ambivalentes Bild entwickelt – oberflächlich zunächst sehr nett, unterschwellig aber oft distanziert und skeptisch. Die Deutschen legen zu wenig Aufgeschlossenheit Fremden gegenüber an den Tag.

Fühlst Du Dich deutsch, gemischt oder als Iraner?

Ich fühlte mich lange Zeit deutsch, schließlich bin ich hier geboren und aufgewachsen. Meine Freunde sagen manchmal, ich sei „deutscher als die Deutschen“. Nachdem ich aber von weiten Teilen der Gesellschaft nicht als Deutscher angenommen wurde, habe ich beschlossen, dass ich nicht ganz deutsch sein kann. Iraner bin ich aber noch weniger, das ist also eine sehr schwierige Frage.

Was wünschst Du Dir von der deutschen Gesellschaft und Deinen Mitmenschen?

Ich wünsche mir eine vorbehaltlose Annahme derjeniger, die angenommen werden wollen und sich darum bemühen. Ich würde gerne auf der Straße gehen und nicht als etwas Exotisches angestarrt werden, einfach nur das Gefühl haben, dass es den Menschen um mich herum egal ist. Dazu wünsche ich mir Gleichbehandlung, die allerdings nicht einseitig ist – es soll also auch keine „Extrawurst“ zum Beispiel für Muslime geben. Wenn beispielsweise irgendwo die demokratische Mehrheit gegen den Bau einer Moschee ist, dann muss sich auch ein gläubiger Muslim dieser demokratischen Entscheidung beugen. Wir leben schließlich in einem mehrheitlich christlichen Land, und nicht die Moschee ist die Verbindung zu Gott, sondern das Herz.


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Pavel Usvatov

geb. 1983, Jurist, VDSt Straßburg-Hamburg-Rostock.

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