Viel Lärm um nichts

Am 17. Mai 2010 veranstaltete das Bundesbildungsministerium eine nationale Bolognakonferenz in Berlin und reagierte damit auch auf die Proteste gegen die Bildungsreform. Hunderttausende Studenten und Schüler hatten in den vergangenen Jahren auf vielfältige Weise gegen die Bolognareform und den generellen Zustand im derzeitigen Bildungssystem protestiert.


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Auf der Kultusministerkonferenz vom Dezember vergangenen Jahres hatten sich die Minister in Bonn bereits darauf geeinigt, die bestehenden Strukturen, vor allem die Höchststudiendauer, die Prüfungsbelastung und den Hochschulwechsel, kritisch zu hinterfragen. Dabei sollten die Universitäten gemeinsam mit den Studenten an der Flexibilisierung der Studiengänge und an fachspezifischen Lösungen arbeiten. Auch die Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hatte Probleme eingeräumt und wollte nun per Konferenz mit gutem Beispiel vorangehen, um eine Bilanz über die Reform der Reform zu ziehen und dadurch das Kapitel „Umsetzung von Bologna“ endlich zu einem guten Abschluss zu bringen.

Nachdem nun anscheinend der Pulverrauch verflogen ist und bereits erste Friedensverhandlungen angestrengt wurden, soll auch hier ein Strich gezogen und untersucht werden, welche Hoffnungen sich für die Protestler erfüllten und welche Wünsche platzten.

Ein guter Start …

Nach dem gescheiterten bundesweiten Verbotsverfahren von Studiengebühren und der daraus folgenden Einführung ebensolcher, entstanden viele studentische Gruppierungen abseits der klassischen Selbstverwaltungsorgane, die dies zu verhindern suchten. Als gleichzeitig die bisherigen Hochschulstrukturen begannen, sich durch Bologna und andere Reformen ebenfalls zu ändern, wandelte sich auch die Ausrichtung der Gruppen, und man beschloss, den Protest umfassender anzulegen. Ausgehend von der Universität Wien breitete sich die Protestform der Hörsaalbesetzung vor allem im deutschsprachigen Raum aus, in denen basisdemokratische Foren eingerichtet wurden, die eigenständige Forderungen erarbeiteten. Trotz eines starken Zusammengehörigkeitsgefühls untereinander entwickelten sich die einzelnen Protestbewegungen durchaus eigenständig mit einer Fülle an Einzelthemen. Direkt typisch war die regional unterschiedliche Beteiligung anderer Interessensgruppen, wie Schüler, Globalisierungskritiker oder Arbeitslose, die in der Außenwahrnehmung zwar unberücksichtigt blieben, doch es innerhalb der Bewegungen erschwerten, gemeinsame Strukturen und Forderungen herauszubilden.

Auch dadurch fiel es den Medien von Anfang an schwer, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Kombiniert mit einer Ignoranz ob der Komplexität des Themas führte dies in der Berichterstattung zu einer künstlichen Beschränkung auf wenige Schlagworte – Studiengebühren und Bachelorstudium –, die weite Teile vollständig ausklammerten und ein falsches Bild über die Beweggründe des Protests zeichneten.

Die Themenvielfalt umfasste dabei strukturelle Aspekte (z. B. Flexibilisierung der Studienstruktur, Reduzierung der Zahl an Klausuren, Garantie auf Masterstudienplatz), gesellschaftliche (z. B. verstärkte Breitenförderung, weg von einer eltern- und hin zu einer studentenzentrierten finanziellen Förderung) und politische (z. B. verfasste Studentenschaft in Baden-Württemberg und Bayern, Ablehnung der Hochschulräte als Einschränkung der Unabhängigkeit der Hochschulen, Stärkung studentischer Mitbestimmung in den Hochschulen), sowie Regionalspezifisches (z. B. mehr Wohnheimplätze oder größere Seminarräume).

Die erwähnt, wurde diese Komplexität in der Öffentlichkeit nie erkannt. Deutlich wird aber auch, welch große Zahl an Akteuren mit ins Boot geholt werden müsste, um allein das gewachsene Hochschulsystem in Deutschland neu auszurichten und weg von Einzelfallösungen – dem berühmten „Herumdoktern“ – zu kommen.

Anders als zu erwarten fielen die Wünsche aber nicht einfach so unter den Tisch, sondern, ganz im Gegenteil, auf fruchtbaren Boden. Eine große Welle der Sympathie und Unterstützungszusagen von Seiten der Bildungsakteure brach über die überraschten Protestler herein. Viele Studenten wurden direkt verunsichert, da man anscheinend nur offene Türen einrannte. Dass dem nicht so war, zeigte sich in den gemeinsamen Treffen. Die Zustimmung ergab sich gerade aus der Vielzahl an Forderungen, da jeder Akteur diejenigen herauspicken konnte, die ihm am ehesten gefielen. Allen gemein war nur, dass jeder das System verändern und sich dazu der Bewegung bedienen wollte.

Summa summarum liegt der größte Erfolg der Bildungsproteste des Jahres 2009 schlicht in ihrer Größe und ihrem Umfang.  Es ist gelungen, das Thema „Bildung“ sehr breit in die Allgemeinheit zu tragen, sowie ein Bildungsproblembewusstsein zu schaffen, das viele Menschen zum Nachdenken gebracht hat.

Ein gutes Ende?

Als vorläufiges Ende konkreter Ergebnisse muss dennoch die angesprochene Bolognakonferenz vom 17. Mai gelten. Und wie erwähnt fällt dieses Fazit nüchterner aus – zeigten sich doch nur die üblichen Reaktionen der Bildungspolitik. Der einzige Unterschied bestand darin, dass die Beteiligten diesmal enger beieinander saßen: Die Hochschulen verlangten mehr Geld, die Politik betonte Fortschritte, die Wirtschaft forderte besser qualifizierte Absolventen, und die Studenten protestierten, je nach politischer Ausrichtung gegen die schlechte Betreuung, den Prüfungsterror oder die „Kommerzialisierung“ der Hochschulen. Trotz der aggressiven Unterstützungsbekundungen hatte sich also nichts geändert. Das angebliche Wohlwollen der Bildungsakteure war in Wahrheit nichts anderes gewesen als ein Schutzreflex und ein Schwarzer-Peter-Spiel, um ja nicht in die Verantwortung genommen zu werden.

Ein ernsthaftes Interesse einiger Teilnehmer am Gipfel muss sowieso bezweifelt werden. Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD), der laut Tagesordnung ein Resümee der Veranstaltung ziehen sollte, erschien erst am Mittag, während der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU), die Tagung zur gleichen Zeit verließ. Für einen Skandal sorgten noch zwei linke Studenten, als sie unter viel Getöse ebenfalls verschwanden. Dass sich die Studenten selbst um ihre Chancen bringen, indem sie sich als zerstritten und teilweise nicht verhandlungsfähig präsentieren, ist offensichtlich. Doch ließe sich dies nur durch die Schaffung eines professionalisierten Verbandes lösen – ähnlich den Gewerkschaften –, was aber eine enorme Aufwertung des Studenten als gleichberechtigter Akteur bedeuten würde. Bis jetzt gibt es nur politische studentische Gruppierungen und einen freien Zusammenschluss, dem jedoch viele Hochschulen nicht angehören. Daher ist es nur verständlich, wenn sich die Mehrheit der Studenten von den Beteiligten an der Bolognakonferenz nicht vertreten fühlte und den Eindruck hat, dass lediglich „irgendwer“ eingeladen wurde. Solange es jedoch keinen solchen Verband gibt, müssen die Bildungsakteure also mit einer großen, undifferenzierten, unzufriedenen Masse auskommen, deren Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, beständig wächst.

Vielleicht doch noch

Die wichtigere Frage jedoch ist die, wie es sein kann, dass die Positionen der Akteure überhaupt so weit voneinander entfernt sind, man sich anscheinend stets darum bemühte, sich voneinander abzugrenzen, und keinen Dialog suchte.

Wenngleich diese Erkenntnis und die Ergebnislosigkeit der Konferenz zu verheerenden Bewertungen führte, man von einer „Alibi-Veranstaltung“, einer „PR-Inszenierung“ oder einer „Schavan-Show“ sprach, kann eine abschließende Betrachtung immer noch positiv ausfallen. Zum einen war es der allererste Versuch, die Studenten selbst in die Bolognareform mit einzubinden. Und zum anderen kann sich die Konstellation von hoffentlich jährlich wiederholten Konferenzen unter der Schirmherrschaft des Bundesbildungsministeriums mit der Beteiligung aller wichtigen Gruppen als segensreich erweisen. Sie bietet die einmalige Chance, das Schwarzer-Peter-Spiel der Akteure zu beenden und gemeinsame Visionen zu erarbeiten. Sollten die Akteure allerdings weiterhin nicht zu einem Austausch und zu Kompromissen bereit sein, gerät diese Veranstaltung zu einer Farce.

Die Kernprobleme sind jedenfalls seit langem bekannt und immer noch ungelöst. Hinter dem Schlagwort „Proteste gegen Bologna“ verbergen sich in Wahrheit uralte Konflikte, vor allem der Dauerbrenner einer ausreichenden finanziellen Ausstattung der Lehre und das immer bedeutender werdende Thema der sozialen Gerechtigkeit. Deutlich wird dies erneut aus dem Bildungsbericht 2010, der unter anderem eine starke Verzahnung von Sozialpolitik und Bildungspolitik fordert. „Am Ende [werden wir nur dann] richtig erfolgreich […] sein, wenn die unterschiedlichen Politikbereiche an der Stelle wirklich ineinandergreifen.“ (Doris Ahnen, Autorin Bildungsbericht 2010)


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Philipp Haug

geb. 1984, Ethnologe, VDSt Bonn.

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