Waffen gegen die moderne Welt

Der Konservative ist mit seiner Zeit noch leidlich zufrieden, wenn manches auch ihm gegen den Strich geht. Einen Schritt weiter geht der Reaktionär: Er will das Rad zurückdrehen und plant im Stillen die Gegenrevolution. Der Versuch einer persönlichen Standortbestimmung von Gregor Burchardt.


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S109_Waffen_1Wir schreiben das Jahr 2015 nach Christus. Ganz Deutschland ist modern. Ganz Deutschland? Wenn selbst die große „Volkspartei“ mit dem „C“, die einst einem Dregger oder Kanther politische Heimat war, sich bewusst von jenem Menetekel fernzuhalten bemüht ist, das da „konservativ“ heißt und lieber „moderne Großstadtpartei“ sein möchte, dann muss man sich fragen, wo er denn nun lebt, wie er denn nun aussieht und was ihn ausmacht, diesen „Konservativen“. Ich bekenne: Ich bin ein Klischee, ein konservatives Klischee, und ich bin bereit, mein gallisches Dorf zu verteidigen.

Ich stehe morgens auf. Lieber früher als später. Es ist mir wichtiger, etwas zu erleben, als den ganzen Tag zu „chillen“, übrigens ein Wort, das ich wie kaum ein anderes in Form und Inhalt verabscheue. Ich frühstücke Vollkornbrot, manchmal Haferflocken und Kaffee. Das alles zu Hause. Ich kaufe mir nicht unterwegs einen Beigel oder einen Donut, den ich mit einem coffee-macchiato-mit-hazelnutflafor-to-go herunterspüle.

Meinen Vollbart stutze ich mit einer Bartschere, seine Konturen rasiere ich mit einem Messer. Altmodisch, vielleicht. Aber präziser und gründlicher. Und ja: Es kostet Zeit. Meine Haare trage ich zu einem ordentlichen Scheitel, keine Surferfrisur kann mit dieser zeitlos-eleganten Haartracht mithalten. Zur Arbeit fahre ich mit Hemd und Jackett. Dass ich glaube erwähnen zu müssen, dass ich dazu freilich keine Turnschuhe trage, deutet auf die Mode dieses scheußlichen Nichtgeschmacks hin. Das ist eben der Unterschied zwischen Stil und Style. Offenbar hebe ich mich mit dieser Dienstkleidung etwas ab. Neckische Kommentare dazu sind an der Tagesordnung, ich empfinde sie als versteckte Anerkennung.

Mit Zeitlosigkeit gegen modernen Schnickschnack

Alles, was ich bisher beschrieben habe, sind äußere Ausprägungen einer inneren Haltung. Ich ziehe grundsätzlich Altes Neuem vor. Dinge, die gefühlte Jahrtausende gut waren, werfe ich nicht um, weil es nun etwas gibt, das neuer ist. Meine Musik höre ich vorzugsweise über Vinylschallplatten. Und zwar ganze Alben am Stück! Dazu rauche ich gerne zum Genuss eine Pfeife. Den kurzen Nikotinkick der Zigarette verabscheue ich in Geruch und Geschmack. Ich liebe eben die Dinge, die etwas Zeit brauchen und eine gewisse Ausdauer.

Die dahintersteckende Haltung kann man kämpferisch „antimodern“ nennen, wenn „modern“ als ein positiv besetztes Wort zu gelten hat. Das Hergebrachte, Traditionelle hat für mich einen Wert. Es ist gewachsen, weil Menschen es immer wieder für gut befunden und an die nächste Generation weitergereicht haben. Vermutlich ist daran dann notwendigerweise etwas gut. Ich befürchte, dass es verlorengeht, wenn wir es grundlos gegen etwas nur vermeintlich Besseres austauschen. Entwickeln, ja. Der Plattenspieler darf durchaus einen USB-Anschluss haben. Die praktischen Vorteile einer digitalen Audio-Datei sind auch mir bewusst. Doch zunächst gilt bei mir das Prinzip: „Ästhetik vor Praxis“.

Hütet euch vor Dekor-Konservativen und Trotteln!

Ein ketzerischer, aber populärer Vorwurf lautet, konservativ zu sein bedeute, zu versuchen, das, was man hat, nur möglichst langsam zu verlieren. Darin schwimmen zwei Kernaussagen mit. Einmal die Idee, es handele sich beim Konservativen um nicht mehr als einen persönlichen Besitzstandsverwalter. Und ja, bei vielen Menschen kann man (pseudo-) konservative Züge erkennen, die darauf hindeuten. Ein besonders in Großstädten anzutreffender Menschentyp, der gerne ein Reihenhaus besitzt, SUV fährt, im Bioladen einkauft, natürlich Grün wählt und seine Kinder Chinesisch lernen lässt, würde einen Pakt mit dem Teufel eingehen, um seinen materiellen Wohlstand zu verteidigen. Das hält ihn bei weitem nicht davon ab, gesellschaftsverändernde Projekte wie z. B. Gender-Mainstreaming oder die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems grundsätzlich zu befürworten. Den eigenen Spross schickt er freilich dennoch auf das Gymnasium mit dem bilingualen Zweig.

Der andere mitschwingende Vorwurf ist der, dass der Konservative ein ängstlicher Typ sei, der nicht akzeptieren könne, dass sich das Rad der Entwicklung weiterdreht, und sich an das Eigene so lange klammert, bis es ihm in den Händen zerronnen ist. An dieser Stelle scheint es mir sinnvoll, einen Blick darauf zu werfen, was es dem Wortsinn nach bedeutet, konservativ zu sein. In Langenscheidts Großem Schulwörterbuch des Lateinischen finden wir unter con-servo nicht nur „etw. (auf)bewahren, erhalten […] beibehalten, aufrecht od. in Geltung erhalten“, sondern auch „(vor dem Untergang) bewahren, retten, im Stande erhalten […] am Leben lassen od. begnadigen“. Wohl wahr: Bestünde die Welt nur aus ängstlichen Bewahrern, gäbe es keine Entwicklung und ein erdachter, allzu konservativer Urvater hätte womöglich die Einhegung des Feuers als modernen Hokuspokus zu verhindern versucht. Um was es dem Konservativen geht, ist jedoch nicht das bloße Ablehnen einer Entwicklung, weil es eine Entwicklung ist. Er ist ein „Am-Leben-Erhalter“ und möchte Überliefertes davor bewahren, zerstört zu werden, weil es überliefert wird.

Das unterscheidet den Konservativen von dem Typen, den Günter Scholdt „behelfsmäßig“ einen „Progressist[en]“ (1) nannte. Der Progressist denkt die Welt von der Utopie her. Sie muss „gleich“ und „frei“ und „bunt“ und „gerecht“ und „sozial“ sein. Und das alles, einer Utopie gemäß, perfekt. Jede real existierende Gesellschaftsordnung muss, an einer solchen Utopie gemessen, zwangsläufig scheitern und für unzureichend befunden werden. Daher ist die Welt für den Progressisten ein Ort stetiger, notwendiger Umgestaltung. Radikale und gemäßigte oder liberale Progressisten unterscheiden sich hierbei lediglich in der Wahl ihrer Mittel. Während der eine das Gebäude mit der Abrissbirne einreißen möchte, zieht der andere einen Stein nach dem anderen heraus. Das Ergebnis ist dasselbe.

Der Konservative hat einen anderen Blick auf die Welt. Er erkennt an, dass sie unvollkommen ist, denn er weiß, dass die Vollkommenheit dem Göttlichen vorbehalten ist. Insofern ist dem Konservativen eine bestehende, funktionierende Ordnung erst einmal gut genug. Reformen dürfen punktuell und zielgerichtet durchgeführt werden, solange das Bestehen der gewachsenen Ordnung nicht grundsätzlich gefährdet wird. Daher hält er an Dingen fest, die gewachsen sind und Stabilität verleihen. Er scheut sich daher nicht, mit Begriffen wie „Ordnung“, „Volk“, „Nation“, „Kirche“ und „Gott“ umzugehen und diese zu verteidigen. In diesem Sinne ist „ein Konservativer, der immer noch CDU wählt, entweder gar kein Konservativer oder ein sehr einfältiger“. (2) Denn die „moderne Großstadtpartei“ nutzt solche Begriffe allenfalls noch als Worthülse.

Zurückdrehen, standhalten, kämpfen.

Wenn, wie eingangs angedeutet, ganz Gallien von den Römern besetzt ist, was soll dann der Konservative tun? Wenn wir uns wirklich in einem Zustand befinden, dass wir erstens einer Übermacht entgegenstehen und dass es zweitens kaum noch etwas gibt, das zu bewahren sich lohnte, sollen wir uns dann hingeben, Legionäre werden und umstoßen, was ohnehin schon fällt? In einigen bierselig-zynischen Momenten habe ich, wie viele meiner Art sicher auch, dieses Modell durchgespielt. Doch die Geschichte lehrt uns: Auch Romas Zeiten gingen vorbei, und die Sympathien sind klar beim lieben Helden Asterix. Doch wird das Pendel der Geschichte nicht von allein wieder in unsere Richtung schlagen. Wir müssen uns täglich darum bemühen. Bewahren, was bewahrt werden kann, und notfalls „reagieren“, also „zurück-bewegen“. Überlassen wir das gefühlte „Konservativ-Sein“ meinetwegen den grünwählenden Helikopter-Eltern oder Porsche fahrenden Altkommunisten. Gehen wir einen Schritt weiter und seien wir reaktionär! Drehen wir die Schrauben zurück, wo immer wir können!

Der wahrhaft Konservative tut dies ohnehin. Er muss sich angesichts der Wirrungen unserer Zeit kämpferisch geben und den Widerständen trotzen, oder er hat sich bereits geschlagen gegeben: „Ich bin also mittlerweile fest davon überzeugt, dass jeder, der ernsthaft am Zustand unserer Nation leidet, diesen bitteren Konsequenzen nicht auszuweichen vermag. […] Wer also sein Leben lang an sozialer Ächtung und Anfeindung vorbeisteuert, war zu geschickt für das, was unsere Zeit braucht: weniger Schläue, mehr Mut, weniger Glätte, mehr Kante.“ (3)

In diesem Sinne werde ich weiterhin lieber zu gut als zu schlecht gekleidet sein, meinen Scheitel weiterhin lieber zu streng als zu lässig kämmen. Ich werde weiterhin darauf verzichten, von „Lernenden“ oder „SuS“ zu sprechen, sondern „Schüler“ sagen. Ich werde weiterhin fragen, was politische Modebegriffe genau bedeuten und ggf. die Lügen, die dahinter verborgen werden, bekämpfen. Ich werde die Nation verteidigen und Gott. Und wenn alle guten, schönen und wahren Dinge doch untergehen und ich mit ihnen, dann nicht gebückt durch die Hintertür hinausschleichend, sondern aufrecht gehend, in Anstand und Würde, eine Pfeife schmauchend. Konservativ.

Anmerkungen

(1) Günter Scholdt: Das konservative Prinzip, Schnellroda 2011.

(2) Manfred Kleine-Hartlage: Warum ich kein Linker mehr bin, Schnellroda 2012

(3) Götz Kubitschek: Provokation, Schnellroda 2007.

 


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Gregor Burchardt

geb. 1986, Germanist und Historiker, VDSt Breslau-Bochum.

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