Warschauer Pakt II

Der chinesische Boom treibt westliche Investoren in Scharen nach Asien. Aber der Aufstieg des Ostens ist längst nicht mehr nur ökonomisch. Schon seit zehn Jahren formen sich neue Militärallianzen, wie die Shanghai Cooperation Organization.


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Mit dem Militärmanöver „Friedensmission 2010“ zeigte die relativ junge Shanghai Cooperation Organizsation ihre militärischen Fähigkeiten. Doch wohin steuert die Organisation? Wird es ein Bündnis von Weltrang? Richtet es sich gegen die westliche Dominanz?

Die Welt des vergangenen 20. Jahrhunderts ist im Wandel, und mit ihr ändert sich auch das Gefüge der internationalen Beziehungen. Der unipolare Moment der Vereinigten Staaten weicht einer multipolaren Ordnung. Neue Machtzentren entstehen zu Beginn  eines neuen Zeitalters. Eine Wiederbelebung des Great Game zwischen den Großmachten entsteht, und in diesem Kontext gründet sich in der Region Zentralasien, die von Sir Halford Mackinder aufgrund ihrer geopolitischen Relevanz als Heartland bezeichnet wurde, eine neue internationale Regierungsorganisation, die Shanghai Cooperation Organization (SCO), dessen Ausmaß, Entwicklung und Potenzial noch nicht abzusehen ist.

Vorgeschichte der zentralasiatischen Organisation

Um ein tieferes Verständnis über die SCO zu erhalten, gilt es ihre Entstehung und Geschichte zu verstehen. Die Gründung der SCO war im Jahr 2001, jedoch gehen ihre Ursprünge auf die frühen 90er-Jahre zurück. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die damit verbundene Zersplitterung eines Reiches ließ Sorgen um die gemeinsamen Grenzen zu anderen Akteuren wachsen. Besonders die Grenze zu China bereitete der Russischen Föderation Kopfzerbrechen, da Territorialstreitigkeiten entlang der gemeinsamen Berührungspunkten keine Seltenheit waren. Gleichzeitig sorgten sich die jungen zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan um ihre neue Unabhängigkeit, so dass die Grenzregionen zwischen den Staaten durch starke militärische Präsenz gekennzeichnet waren. Zur Beilegung dieser sicherheitspolitischen Probleme unterzeichneten die zentralasiatischen Staaten (ohne Usbekistan) sowie Russland und China 1996 und 1997 zwei Verträge zur Reduzierung der Truppenkontingente an den gemeinsamen Grenzen und zur Schlichtung von Grenzstreitigkeiten. Durch den ersten Vertrag, der in Shanghai unterschrieben wurde, prägte ein Name diese neue Gruppe: die Shanghai Five.

Entstehung eines neuen Bündnisses

Der lose Zusammenschluss der Shanghai Five erwies sich in seinen jährlichen Treffen und Verhandlungen als fähig, die ihm aufgetragenen Problemfelder anzugehen, so dass durch diesen positiven Effekt auf die Region Usbekistan 2001 um Aufnahme in die Gruppe bat. Dem wurde rasch zugestimmt, jedoch wurde den Mitgliedern klar, dass ein festerer institutioneller Rahmen notwendig sein würde. Daher beschlossen sie im Juni 2001, die SCO ins Leben zu rufen, um die bestehende Zusammenarbeit zu verstärken und weitere Politikfelder zu bearbeiten. Dies zeigte sich umgehend in der gemeinsamen Konvention der SCO zur Bekämpfung der drei neuen Hauptprobleme, denen neben den Grenz- und Territorialstreitigkeiten die herausragende Rolle zuteil wurde: Terrorismus, Separatismus und Extremismus.

Errungenschaften der neuen Organisation

Neben den jährlich stattfindenden Gipfeltreffen der SCO etablierten die Mitgliedstaaten zur Institutionalisierung weitere Strukturen für die Zusammenarbeit. Zuerst wurde 2004 ein Sekretariat in Peking eingerichtet. Zur Bekämpfung der drei von der SCO zu besonderer Bedeutung hervorgehobene Grundübel (Terrorismus, Separatismus und Extremismus) errichteten die beteiligten Staaten einige Monate später im selben Jahr ein regionales Anti-Terror Zentrum in Tashkent, Uebekistan, um die Arbeit der SCO zu optimieren und geheimdienstlichen Austausch zu erleichtern. Außerdem entstanden seit der Gründung der SCO weitere Einrichtungen, die eine zunehmende Interdependenz zwischen den Mitglieder erkennen liessen: das SCO Business Council, das SCO Interbank Konsortium, ein SCO Forum, ein SCO Energieclub als auch eine SCO Jugendorganisation.

Partnerschaften der SCO

Die SCO erhielt von den Vereinten Nationen 2004 den Beobachterstatus, so dass die SCO bei der Generalversammlung der Weltorganisation partizipieren kann, jedoch kein Stimmrecht hat. Diese Form der Akkreditierung war ein wichtiger Schritt, da die Internationale Gemeinschaft die SCO von einer losen Vereinigung zur relevanten Organisation aufwertet. Neben den Vereinten Nationen konnte die SCO auch auf dem asiatischen Parkett glänzen, denn 2005 wurden partnerschaftliche Verträge mit ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) geschlossen.

Gleichzeitig wurden weitere Länder der Region auf die Organisation aufmerksam, so dass nach erfolgreichem Antrag die Mongolei 2004 den Beobachterstatus für die SCO erhielt. Weitere Kandidaten ließen nicht lange auf sich warten, denn der Iran, Pakistan und Indien erhielten ein Jahr später ebenfalls diesen Status. Gleichzeitig wurde noch eine weitere Form der Zusammenarbeit mit anderen Staaten etabliert, unter diese auch die Kooperation mit ASEAN und der GUS fällt: der Status des Dialogpartners. In diese Kategorie fallen Weißrussland und Sri Lanka. Die Abstufung zwischen Beobachter und Dialogpartner ist verbunden mit dem Zugang zu den verschiedenen Treffen samt Rederecht. Japan, Israel, die Türkei und auch die Vereinigten Staaten haben bisher erfolglos Interesse an diesem Status bekundet.

Prinzipen der SCO

Die SCO basiert neben der Bekämpfung von Terrorismus, Separatismus und religiösem Extremismus auf verschiedenen Prinzipien im Umgang miteinander, die in der Satzung der Organisation aufgeführt werden. Vertiefend wird die gegenseitige Stärkung der eigenen Souveränität beteuert, die besondere Relevanz in der stark autokratisch geprägten Region hat. Diese Beteuerung lässt sich auch aufgrund der Erfahrungen mit den Farbrevolutionen in anderen angrenzenden Regionen, die sichtlich von westlichen Regierungen unterstützt wurde, verstehen. Darauf beruhend werden die Unabhängigkeit und die territoriale Integrität hervorgehoben. Weiterhin wird durch die Satzung der SCO unter den Mitgliedern festgelegt, dass man eine gemeinsame Politik der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und die Ablehnung von militärischer Nutzung in den internationalen Beziehungen vertritt. Dies wird durch ein weiteres Prinzip begleitet, das ausdrückt, dass die SCO nicht gegen ein anderes Bündnis, andere Staaten oder andere internationale Organisationen gerichtet ist.

Warschauer Pakt II

Die nicht-aggressive Ausrichtung der SCO schien bei vielen Beobachtern nicht der Wahrheit zu entsprechen, so dass ein Berater des damaligen US-Präsidentschaftskandidaten McCain, Robert Kagan, von einer sino-russischen Wiederbelebung des Warschauer-Paktes sprach. Die Anzeichen für einen Gegenpart in diese Richtung sind nicht von der Hand zu weisen, da besonders der Vorherrschaft der USA als auch deren militärischer Präsenz in Zentralasien durch die SCO entgegengewirkt werden soll. Außerdem dient die SCO zur Absicherung sowohl gegen den (humanitären) Interventionismus der USA als auch deren Demokratisierungsbemühungen in anderen Ländern. Verstärkend kommt hinzu, dass Russland und China in ihrem angrenzenden Umfeld ihren Einfluss geltend machen wollen, so dass weitere Kräfte stets unwillkommen sind. Das Streben nach Hegemonie scheint weiterhin ein Nullsummenspiel der Großmächte zu bleiben, dessen Mittel nur durch Kooperation mit anderen Staaten ergänzt wird.

Friedensmission 2010

Verstärkt wird dieser Gedanke durch die regelmäßig stattfindenden Manöver, die stets den prägenden Namen „Friedensmission“ erhalten. Die erste dieser Übungen fand 2005 mit einem riesigen militärischen Aufgebot der Mitglieder statt, und erinnerte eher an Übungen aus dem Kalten Krieg als an die geübte Bekämpfung von Terroristen bzw. Separatisten. Die darauf folgenden Missionen im Jahre 2008 und zuletzt 2010 konnten eher dieser Interpretation entsprechen. Deshalb kann der 2005 aufkommenden Sorge einer militärischen Aufwertung der SCO heute nicht mehr entsprochen werden bzw. diese muss relativiert werden. Auch die sich verschlechternde sicherheitspolitische Lage in der Region scheint der militärischen Präsenz des Westens, dessen Rückzug noch 2005 gefordert wurde, wieder mehr Akzeptanz zu verschaffen.

Spannungsverhältnis zwischen Russland und China

Ein weiterer kritischer Faktor der SCO bleiben die beiden Hauptprotagonisten der Organisation, da die zwei Großmächte, Russland und China, unterschiedliche Interessen für die Region mitbringen. Russland versucht weiterhin seinen ursprünglichen Einfluss in dem eigenen Hinterhof beizubehalten. Gleichzeitig ist Russland bemüht, die SCO auch weiter militärisch auszubauen, was dem Bestreben der chinesischen Regierung auf Entspannung mit den verschiedenen Akteuren in der Region zuwiderläuft. China hingegen versucht hauptsächlich wirtschaftliche Aspekte und die Bekämpfung der drei Grundübel als Schwerpunkte der SCO zu fokussieren. Dies wird besonders augenscheinlich, da China eigene Unruhe-Provinzen an den Grenzen seiner zentralasiatischen Nachbarn besitzt. Beide Mächte sind bemüht, durch die SCO die Gegenseite zu kontrollieren bzw. einzuhegen. Die Entwicklung der SCO hängt von den Interessen Russlands und Chinas ab, deren Verhältnis zueinander vermutlich die Form der Festigung der SCO bestimmen wird.

Interessen der kleineren Mitgliedsländer

Ähnliches gilt für die übrigen, kleinen Mitglieder der SCO,  Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan, die ihre eigenen Interessen in der Organisation haben. Zum einen versuchen die Staaten die beiden Großmächte durch die SCO gegeneinander auszuspielen und ihre Unabhängigkeit zu stärken. Dadurch soll ein Aufreiben der Staaten zwischen Russland und China verhindert werden. Auf der anderen Seite profitieren die zentralasiatischen Staaten zunehmend von der Kooperation, da die Zusammenarbeit die wirtschaftliche Entwicklung und Investitions- und Energievereinbarungen in Zentralasien durch die SCO fördert. Sie stehen jedoch ebenfalls im Spannungsverhältnis mit China und Russland, da sie für ihre eigene Fortentwicklung, und auch als Gegengewicht zu den übermächtigen Nachbarn, die Kooperation mit westlichen Staaten und Zusammenschlüssen, wie den USA, der EU aber auch dem NATO-Partnership-for-Peace-Programm, an dem alle zentralasiatischen Staaten teilnehmen, suchen.

Mögliche Weiterentwicklung

Es stellt sich eindeutig heraus, dass zwar eine bedachte Haltung zum westlichen Einfluss in der Region in der SCO, besonders bei den Hauptakteuren, zutrifft, allerdings auch eine Lockerung zu spüren ist. Eine internationale Organisation, die in einer sehr relevanten Region beheimatet ist, dessen Mitgliedsstaaten ein Drittel der Weltbevölkerung umfassen und ein Viertel der Erdmasse bedecken, kann nicht vernachlässigt werden, wie dies bisher in den meisten Regierungszentralen geschehen ist. Die SCO wird sich in der nächsten Zeit zwar erst innerlich konsolidieren und ihre Strukturen festigen müssen, bevor die Mitgliedsstaaten durch Vollmitgliedschaften von Beobachtern neue Unruhen in die Organisation importieren. Wohin allerdings die Reise der SCO geht, bleibt auch nach 10 Jahren ihrer Gründung vorerst ungewiss.


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