Wir waren Fluchthelfer

Die Aktionen waren im Geist der nationalen Solidarität, mit Hilfe breiter Mitmenschlichkeit entstanden und durchgeführt worden. Für uns war und blieb der 1949 entstandene verhasste Staat die sowjetische Besatzungszone – SBZ. Wir handelten im vollen Bewusstsein gegen die kommunistische Herrschaft.


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Telefonat mit Klaus Fleischmann, Alter Herr VDSt Berlin
Es begann in der Zeit 62/63. Ich kam vom VDSt Hamburg und wechselte an die Freie Universität Berlin. Bis Ende 68. Das war damals eine aufregende, turbulente Zeit. Jene Jahre, in denen wir versuchten, die Menschen aus Ost-Berlin herauszuholen. Kleine Gruppen von Studenten; VDSter waren auch dabei. In der ersten Phase haben wir Pässe gefälscht mit entsprechenden Bildern, die uns aus Ost-Berlin zugespielt wurden. Haben sie nach Ost-Berlin geschmuggelt. Ich trug meinen eigenen und ein oder zwei weitere dabei, die gehörten Kommilitonen. Sie dienten den Flüchtigen als Ausreisepass. Du musstest aufpassen, der Aufenthalt in Ost-Berlin war zeitlich begrenzt. Schnell musste es gehen. Die Pässe wurden übergeben an junge Leute von drüben. Einmal haben sie mich gefilzt, bis auf die Unterhose – ich hatte nichts dabei. Zu dieser Zeit waren alle Studenten für das SED-Regime verdächtig.

Einmal hatte ich den Auftrag ganz weit rein nach Ost-Berlin zu fahren. In eine Hochhaussiedlung. Zwei Stunden hat die Fahrt gedauert. Auf der Rückfahrt war es schon dunkel. Die Nerven waren im höchsten Maße angespannt. Ich hatte die Nacht zuvor nicht schlafen können. Jede Fahrt in den Ostsektor hätte auch eine Falle sein können. Als der Weg über die Sektorengrenze immer schwerer wurde, setzte die zweite Phase ein. Wir versuchten Flüchtlinge mit dem Auto oder mit der Bahn raus zu holen. Jetzt ging die Route über die Leipziger Messe. Wieder mit gefälschten Pässen. Wir wendeten uns an die Parteien in West-Berlin, uns zu unterstützen. Die SPD lehnte sie gleich ab. Die CDU wollte offiziell nichts damit zu tun haben, hat aber Kontakte zu einflussreichen Personen vermittelt. Wir bekamen den Kontakt zu einem Geschäftsmann aus dem Rheinland. Er hatte gute Kontakte zu Handelsfirmen und in die Führungsspitzen der SED, auch in Moskau. Wenn mal einer erwischt wurde, hatte er verhandelt. Dramatisch wurde es, als unser Mann nachts auf offener Straße in Leipzig erschossen wurde – das muss 64 oder 65 gewesen sein. Das Schlupfloch Leipziger Messe wurde bald geschlossen, so begann die dritte Phase. Interessant war damals auch, dass Amerikaner dabei waren. Vermutlich waren es Leute der CIA. Diese haben sich dann auch bei den Tunnelbau-Aktionen beteiligt. Das war dann schon was anderes, dafür brauchte man Geld, wir haben sie mit der „Infrastruktur“ unterstützt. In der Regel waren wir junge Männer, Frauen waren selten dabei. Die Tunnelaktionen nahmen langsam ab, da Verhaftungen in Ost-Berlin zunahmen und auch Tote forderten. Auch unsere Unternehmungen wurden immer schwieriger, als die SED ihre Spione an die FU schickte.

In der letzten Phase haben Bbr. W. G. und ich über die Transitstrecke Berlin – Saßnitz, auf der internationale Züge nach Skandinavien fuhren, Bücher in die SBZ geschmuggelt, um den geistigen Widerstand zu unterstützen. Von Spenden, auch vom VDSt, kauften wir historisch-politische und systemkritische Werke – sie waren begehrt. Die Enttäuschung der Studenten über die fehlende Unterstützung der eigenen Parteien, die Erkenntnis, dass sich die eigene Politik vor der Verantwortung um die Not der Verfolgten in der Zone drückte, wog tief. Gleichzeitig wurde die Lehre und die Durchsetzung des sog. Neomarxismus, in den philosophischen Seminaren von Prof. Liebers durchgedrückt, die die Veränderung des politischen Bewusstseins der Studenten im Denken und Fühlen herbeiführen sollte. Ich war bei Prof. Hinrich. Die innere Situation der Studenten der Freien Universität steuerte auf eine Zerreißprobe hin. Sie führte zu Unruhen und Auflösungserscheinungen der FU. An Stelle des Studiums trat nun die Parole: „Jetzt muss sich alles ändern.“ Viele Deutsche waren dagegen, auch der VDSt Berlin. Die Situation um die Lage der Deutschen in Ost-Berlin und Mittel-Deutschland geriet immer mehr in den Hintergrund. Im Mittelpunkt stand nun die Kritik am Großkapital, am Imperialismus der USA und Faschismus in der BRD. Hier schwangen sie sich dann auf, Dutschke, Teufel und die anderen, das waren meine Kommilitonen. Das waren die Vorläufer der APO. Da die Mehrzahl der Studenten, auch der VDSt, mit dieser Entwicklung nicht einverstanden waren, sondern studieren wollten, kam es in der Zeit 66/67 zu immer größeren Spannungen zwischen den Studenten. Es bildeten sich radikale Gruppen um Dutschke und Teufel. Es war klar, dass die SED als Gegner der Bundesrepublik hier ihre Finger im Spiel hatte. Ich erinnere mich, als wir zu einer Großveranstaltung nach Hannover gefahren sind, sind Rudi Dutschke und seine Freunde ohne Kontrolle durchgereist. Ich selbst bin dann nur noch mit der Maschine nach Berlin eingeflogen, wir hatten Angst verhaftet zu werden. Erst 83 oder 84 habe ich den ersten Transit über Helmstedt mit dem Wagen gewagt. Die ganze Sache verlief informell. Umgeben vom Schleier der Verschwiegenheit und geheimnisumwogen. Uns war damals klar, dass wir uns einem persönlichen Risiko aussetzten. Warum? Weil wir als Deutsche nicht bereit waren, dass unsere Landsleute vor dem kommunistischen System zu Grunde gehen. Die Aktionen waren im Geist der nationalen Solidarität, mit Hilfe breiter Mitmenschlichkeit entstanden und durchgeführt worden. Für uns war und blieb der 1949 entstandene verhasste Staat die sowjetische Besatzungszone – SBZ. Wir handelten im vollen Bewusstsein gegen die kommunistische Herrschaft.
Wir waren keine Abenteurer.


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