Der Bankier

Der Aufstieg der Juden beginnt naturgemäß in ihrem traditionellen Berufszweig: dem Geldwesen. Das für Deutschland klassische Beispiel ist der Bankier Gerson von Bleichröder; der brachte es vom Gehilfen der Rothschilds bis in den Dunstkreis der Macht – als Finanzverwalter, Wirtschaftsberater und Geheimdiplomat Otto von Bismarcks.


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Viel Zeit war noch nicht vergangen seit Ghetto und Berufsbeschränkungen. Erst lange nach dem großen Friedrich, mit den Reformen Steins und Hardenbergs, kommt die gesetzliche Gleichstellung der Juden in Preußen; ein Jahrzehnt später wird in Berlin ein Gerson Bleichröder geboren. Vater Samuel, Geldwechsler, gründet eine Bank und knüpft Kontakt zu den Rothschilds, der berühmten jüdischen Bankiersdynastie, verzweigt in Frankfurt, Wien, Paris, London, Neapel. Bleichröder, im Vergleich dazu ein kleines Licht, vertritt deren Interessen in Berlin und wickelt für sie dort den Wertpapierhandel ab.

Sohn Gerson, der die Firma erbt, wächst über solch bescheidene Dienstbarkeit weit hinaus und wird binnen dreißig Jahren zum bedeutendsten Bankier in Deutschland; wie insgesamt die jüdischen Geldhäuser aufsteigen, durch Fleiß, Geschick; auch innerjüdisches Zusammenhalten. Die expandierende Industrie und der kapitalintensive Eisenbahnbau bieten ein weites Bestätigungsfeld für die Banken; zunehmend auch die Staatsfinanzierung.

Jude und Junker

Die Nähe zum Staat, genauer: zum führenden Staatsmann der Zeit, begründet Bleichröders Sonderstellung. Otto von Bismarck, damals noch Gesandter in St. Petersburg, ist seit Ende der 1850er Bleichröders Kunde. Der verwaltet Bismarcks Konten und investiert sein anfangs spärliches Kapital. Mit den politischen Triumphen und den großen Schenkungen, die ihnen folgen, wächst Bismarcks Vermögen. Bleichröder wirtschaftet umsichtig damit und erzielt solide Renditen.

Er ist aber weit mehr als nur Bismarcks Hausjude und Privatbankier. Die großen Bankhäuser der damaligen Zeit sind auch Informationshändler; ein Wissensvorsprung zur rechten Zeit bedeutet große Gewinnchancen. Bleichröder, von Bismarck mit den neuesten Geheimnissen aus Politik und Diplomatie versorgt, kann solchen Gewinn erzielen; auch für Bismarcks eigene Investitionen. Umgekehrt hat er Zugang zum Informationsnetz der Rothschilds und verschafft Bismarck so manch exklusive Nachricht. Und mehr noch: Wo offizielle Kanäle nicht opportun sind, fungiert Bleichröder als eine Art Geheimdiplomat – oft mit eigener Agenda. Fritz Stern hat das in seiner monumentalen Doppelbiographie gründlich dargestellt. „Bleichröder sprach als Bismarcks Bankier, als Nachrichtenübermittler, dazu ernannt oder aus eigener Initiative, als Bismarcks Beauftragter im Verkehr mit diesem und jenem Staatsmann, als inoffizieller Botschafter ohne Amt, als Repräsentant eigener Interessen oder jener des deutschen Bankwesens überhaupt.“

Bankier des Kaiserreichs

Für Bismarcks historische Großtaten besorgt Bleichröder die finanzielle Seite, so wie Moltke die militärische. Im Verfassungskonflikt 1862 bis 1866 muss Bismarck ohne regulären Haushalt regieren, ist ständig in Geldsorgen; die Kriege gegen Dänen und Österreicher müssen auf verschlungenen Pfaden finanziert werden, durch Verkauf von Staatseigentum am Parlament vorbei. Bleichröder findet Wege. Nach 1866 dann werden die Geheiminstrumente der bismarckischen Außenpolitik von ihm verwaltet, wie der Welfenfonds, aus dem 1870 dem Bayernkönig Ludwig II. Hilfsgelder zufließen, auf dass er dem preußischen Kaisertum seinen Segen gebe. In Krieg und Frieden ist Bleichröder für Bismarck unverzichtbares Instrument. Wobei er als Geschäftsmann friedliche Prosperität vorzieht.

Für seine treuen Dienste erhält Bleichröder vom Staat sichtbare Anerkennung: Kaiserbesuche, Orden, in Preußen als erster seinem Glauben treu gebliebener Jude die Erhebung in den erblichen Adelsstand. Woran ihm, der nicht uneitel ist, einiges liegt. Er revanchiert sich mit wohltätigem Engagement, für Arme, Kriegsgefangene, in Not geratene Freunde des Hofes. Und kann im Gegenzug auf Unterstützung für seine Projekte hoffen: wie sein Engagement für die Rechte von Juden im Ausland, etwa im neu sich gründenden rumänischen Staat. Bismarck setzt hierfür die ganze diplomatische Maschine in Gang. Freilich, als die Rumänen stur bleiben, verliert der Kanzler bald das Interesse. Auf Dauer findet er es doch unter seiner Würde, ohne Eigennutz für andere tätig zu sein.

So bleibt Bleichröders Mühen öfter fruchtlos. Gegen den aufkommenden neuen Antisemitismus der 1880er Jahre unternimmt Bismarck wenig, da er ihm taktisch in den Kram passt. Bismarck selber hatte Juden gegenüber manche ererbte Vorurteile eines pommerschen Landjunkers, schätzte aber intelligenten Umgang und erachtete im übrigen die wohlhabenden Juden als konservative Stütze des preußischen Staates. Doch in seiner engeren Umgebung schon fanden sich rabiate Antisemiten, die über den „Bleichen“ heimlich übel sprachen, seine Dienste in Gelddingen gleichwohl gerne in Anspruch nehmend.

Bleichröder musste das erdulden. Politisch bleibt sein Wirken daher Fragment; ökonomisch, da seine Erben alle nicht sein Format erreichten, eindrucksvoll, aber kurzlebig.

Zum Weiterlesen

Fritz Stern: Gold und Eisen. Bismarck und sein Bankier Bleichröder. C. H. Beck, 2011, 860 S. Erstausgabe 1977


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