Der Warner

Unter den deutschen Diplomaten des Juli 1914 ist Fürst Lichnowsky der von den Historikern am mildesten beurteilte; der die Gefahr des großen Krieges früh erkannte und ehrlich um den Frieden rang. Doch mit dem englischen Kriegseintritt scheiterte auch seine Mission.


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Nach 1914 ist er nie mehr recht glücklich geworden. Vom späten Lichnowsky gibt Golo Mann ein gutes Zeugnis, der Anfang der 1920er als junger Schüler das Schloss der Familie im schlesischen Kuchelna besuchen konnte und darüber später in seinen Memoiren berichtet. „Über dem ganzen Anwesen lag etwas Melancholisches. Der Fürst wirkte älter, als er war, grau und gebeugt. Niemals kamen Gäste … Im Grunde war Lichnowsky wohl ein einsamer Mann, in seiner Heimat wie in Berlin, wo das Auswärtige Amt seinen langjährigen und lange Zeit führenden Mitarbeiter völlig ignorierte; Walther Rathenau, im Vorjahr ermordet, war als Außenminister der einzige, der den Mut hatte, ihn zu seinen Empfängen zu bitten.“

Die Eliten, des alten Adels wie der neuen Republik, mieden den Mann, der im Krieg als Versager, Flaumacher, nahe am Hochverräter gegolten hatte. In Wahrheit stritt er im Interesse seines Landes gegen den Krieg. Dafür ging er bis an die Grenze seines diplomatischen Auftrags und darüber hinaus.

Botschafter in London

Der diplomatische Auftrag, der ihn für kurze Zeit in den Fokus der Weltgeschichte rückte, war der des deutschen Botschafters in London, vom Herbst 1912 bis zum Sommer 1914. Diplomat war er von Beruf, mit einer durchaus vielversprechenden Karriere mit Stationen unter anderem bei den Verbündeten in Wien und am Bosporus, wo er freilich weder für Habsburg-Österreich noch für den Sultan in Konstantinopel besondere Sympathie entwickelte. Für fast ein Jahrzehnt ruhte die diplomatische Laufbahn und war Lichnowsky journalistisch tätig, ehe ihn der Kaiser, eher als Verlegenheitslösung denn als Wunschkandidat, auf den Posten nach London berief.

Dort bemühte sich der Fürst um eine Verbesserung des angeschlagenen deutsch-englischen Verhältnisses. Durchaus seinen persönlichen Ansichten entsprechend; eine Verständigung mit den Weltmächten England und Russland hielt er für strategisch wichtiger als die Treue zu den sichtbar im Niedergang begriffenen Mächten im Südosten, an die das Reich sich gebunden hatte.

Lichnowsky war auch nicht ohne Erfolge. Mit Sir Edward Grey, dem englischen Außenminister, verstand er sich prächtig und näherte sich allmählich einem Ausgleich der Interessen; das waren kolonialistisch-imperialistische Interessen, auf beiden Seiten, so war der Geist der Zeit. Eine eigene Interessensphäre billigte England dem weltpolitisch ambitionierten Kaiserreich zu; so beim Erwerb portugiesischer Kolonien, worüber man sich im noch Frühsommer 1914 verständigte, so bei der Politik im vorderen Orient, wo sich Deutschland stark engagierte, etwa durch den Bau der Bagdadbahn. Die Flottenpolitik, meinte Lichnowsky, sei für England zwar eine Unannehmlichkeit, aber kein grundsätzliches Hindernis für ein gutes Einvernehmen, da die englische Überlegenheit zur See nicht ernsthaft gefährdet war.

Einsamer Rufer in der Nacht

Trotzdem kam es zwischen beiden Mächten im August 1914 zum Krieg. Nicht der Kolonien wegen und nicht der Flotte wegen; sondern weil ein Konflikt im Südosten Europas eskaliert, an dem weder England noch Deutschland unmittelbar beteiligt sind.

Die Reichsleitung glaubt anfangs, den serbisch-österreichischen Konflikt lokalisieren oder im Fall der Eskalation wenigstens die englische Neutralität gewährleisten zu können. Lichnowsky glaubt das nicht, schon Anfang Juli nicht, als er kurz in Berlin weilt. Obwohl von vielen relevanten Informationen abgeschnitten, sieht er klarer als die Männer an der Spitze. Österreich wird Serbien angreifen. England wird Russland nicht von der Intervention abhalten können. Und im Fall eines Konflikts zwischen Deutschland und Englands französischem Verbündeten wird London in den Krieg eingreifen.

Allein, Lichnowsky ist ohnmächtig. Er ist angewiesen, in London für die deutsche Position zu werben. Das tut er pflichtgemäß; und mehr als pflichtgemäß, beinahe verzweifelt; gibt Grey wohl einen tieferen Einblick in die deutsche Zwangslage, als es einem Diplomaten angeraten gewesen wäre. Nach Berlin richtet er Warnungen, sich keine Illusionen über die englische Haltung zu machen. So am 14. Juli: „Es ist vielmehr anzunehmen, dass die hiesigen Sympathien sich dem Serbentum sofort und in lebhafter Form zuwenden werden, sobald Österreich zur Gewalt greift, und dass die Ermordung des hier schon wegen seiner klerikalen Neigungen wenig beliebten Thronfolgers nur als Vorwald gelten wird, den man benutzt, um den unbequemen Nachbarn zu schädigen.“ Im Lauf der Wochen werden die Warnungen immer schriller und verzweifelter. Am 26. Juli: „Ich möchte dringend davor warnen, an die Möglichkeit einer Lokalisierung auch fernerhin zu glauben und die gehorsamste Bitte aussprechen, unsere Haltung einzig und allein von der Notwendigkeit leiten zu lassen, dem deutschen Volke einen Kampf zu ersparen, bei dem es nichts zu gewinnen und alles zu verlieren hat.“

Die Warnungen dringen nicht durch; die englischen Vorschläge, einer gemeinsamen Vermittlung, einer europäischen Konferenz, werden erst erwogen, als mit der russischen Mobilmachung die Zeit der Verhandlungen vorüber ist und die Militärs das Ruder in die Hand nehmen.

Lichnowsky hatte alles Recht, sich später über die Berliner Politik in der Juli-Krise zu beklagen. Gewiss, er hat sein Licht in der Geschichte durch seinen gar zu hasserfüllten Rückblick auf diese Zeit nachträglich verdunkelt. In einer Denkschrift aus dem Jahr 1916, die gegen seinen Willen öffentlich und damit auch zum Gegenstand der alliierten Propaganda wurde, äußert er sich selbstgerecht und einseitig, malt die Engländer in den hellsten Farben und erklärt die deutschen Politiker und Diplomaten für Schurken oder Trottel, die allein schuld am Kriege seien. Spätere Verbitterung macht seine Haltung in den entscheidenden Tagen freilich nicht falsch.

Mit der Kriegserklärung muss Lichnowsky aus London abreisen. Die Engländer lassen zu seiner Verabschiedung eine Ehrenkompanie aufmarschieren; Premier- und Außenminister verabschieden ihn persönlich. In England wird er in besserer Erinnerung bleiben als in Deutschland.


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