Es häuft sich

Nach dem Rücktritt von Horst Köhler konzentrierte sich die öffentliche Diskussion auf die historische Einmaligkeit dieses Vorgangs des abrupten Rücktritts eines Bundespräsidenten. Aus dem Fokus geriet dabei, dass Deutschland mit dem ehemaligen IWF-Chef nach Roland Koch binnen einer Woche den zweiten Wirtschafts- und Finanzpolitiker in führender Position verlor.


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Dieser Fachzirkel der Politiker, in Deutschland ohnehin augenfällig dünner besetzt als andere, leidet an zunehmender Auszehrung. Die Liste der Ausgeschiedenen wird immer länger: Friedrich Merz verdient sein Geld schon lange wieder als Wirtschaftsjurist; Oswald Metzger flüchtete gar aus seiner Partei; Hermann Otto Solms, renommiertester Finanzfachmann der FDP, ging beim großen Stühlerücken leer aus und fand sich im Halbexil des Bundestagspräsidiums wieder; Günther Oettinger im Dreiviertelexil in Brüssel; der beliebte Peer Steinbrück verließ nach der Bundestagswahl alle seine Parteiämter und schreibt nun sein Buch. Und nun also erst Koch, dann Köhler.

Man mag mutmaßen, dass diese Kaste von Politikern leichter loslassen kann als andere, einen anderen beruflichen, einen pragmatischeren Hintergrund hat, bessere Kontakte für das Leben danach, vielleicht auch mehr Hoffnung, auch mit etwas anderem als der Politik ordentliches Geld zu verdienen. Man mag auch im einen oder anderen Einzelfall persönliche Gründe suchen, taktische Karriereüberlegungen vielleicht im Falle Koch, emotionale Verletzung im Falle Köhler.

Affekt wider das Ökonomische

Das alleine erklärt das Dahinschwinden dieser Sorte Politiker aber nicht. Wirtschafts- und Finanzpolitik sind Minenfelder, weit mehr als andere Politikbereiche. Gewiss: Horst Köhler ist vordergründig über eine Äußerung zum Afghanistan-Einsatz gestolpert. Aber nicht über Aussagen zum Einsatz an sich, militärfachlich unsinnige Sprüche oder eine fehlgeleitete Blut-und-Boden-Rede. Sondern über die mehr als zaghafte Andeutung, bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr spielten auch wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle.

Damit rührte der Bundespräsident an einem gefährlichen Tabu; einerseits der Lieblingsspielwiese aller linken und rechten Verschwörungstheoretiker, für die der Westen ohnehin nur für Rohstoffe und Firmeninteressen Kriege führt, andererseits der grotesken Furcht der verantwortlichen Politiker, den Hunger nach diesem unglaublich einfachen Erklärungsmuster für die komplizierte Welt durch gar zu eindeutige Aussagen zu bedienen. Denn „wirtschaftliches Interesse“ gilt per se als zweifelhaft und latent unanständig.

Dabei hat Köhler nichts anderes gesagt als eine Selbstverständlichkeit, Sicherheitspolitik ist in letzter Konsequenz immer auch Wirtschaftspolitik; Entwicklungspolitik übrigens auch. Gerade ein ökonomisch so sehr mit der übrigen Welt vernetztes Land wie Deutschland hat Interesse an Stabilität und Wohlgedeihen anderer Weltregionen. Egoismus und Altruismus sind hier keine Gegensätze, sondern wirken in die gleiche Richtung. Diese Art weitblickender Rationalität ist die höchste, kunstfertigste Form, die realexistierende Politik überhaupt annehmen kann; sie nutzt den betroffenen Ländern weit mehr als überfließende Humanität. Und wer sie verschweigt, wie das politische Berlin, das Köhler für seine harmlosen Sätze grillte, so wie es den neuen Entwicklungsminister grillte, als der laut zu denken wagte, Entwicklungs- und Außenwirtschaftspolitik seien nicht notwendigerweise Gegensätze, schadet letztlich der Akzeptanz der eigenen Politik.

Erklärer sind gefragt

Nun – Afghanistan ist weit, die Realität dort mag man ausblenden können. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik im eigenen Hause nicht, jedenfalls nicht auf Dauer; und gerade in diesen Wochen nicht, wo das überschuldete Europa an die Konsolidierung seiner Hauhalte herangehen muss, auch und gerade der Zahlmeister Deutschland. Noch ist die Diskussion abstrakt und sind darum die Zustimmungsraten für das Sparen groß. Aber das Heulen und Zähneklappern steht erst bevor, wenn Finanzminister Schäuble seine Giftliste vorzeigen muss. Dann werden Politiker vonnöten sein, die dem Volk das Unbequeme, aber Notwendige erklären und vermitteln können. Denn sie werden alle wieder da sein, die Journalisten, die jedes Zitat fünffach umwenden, bis das maximale Empörungspotential entfaltet ist, und die selbsternannten Verteidiger der Menschlichkeit, für die jede Ausgabenkürzung im Innern so sehr ein soziales Verbrechen ist wie jeder Bundeswehrsoldat im Ausland per se ein Besatzer. Wo sind nun diese Erklärer? Horst Köhler, das muss man leider ehrlich sagen, war keiner, und Roland Koch war auch keiner.

Peer Steinbrück, der einer hätte werden können, hat vor der Bundestagwahl im letzten Jahr eine inzwischen legendäre Pressekonferenz gegeben, in der er humorvoll darlegte, warum er zu Steuererhöhungsdebatten nichts sagen werde: Nichts dagegen aus haushaltspolitischer Verantwortung; nichts Konkretes dafür, weil er wisse, dass er dann politisch geschlachtet und jeder Vorschlag mit Sicherheit zerredet werde. Darum, meinte er ganz ehrlich, bleibe er bei nebulösen Bekenntnissen zu den Sanierungsnotwendigkeiten.

Wahrscheinlich muss die Lage wirklich schlimm werden, bis auch nur die mutigsten Politiker es schaffen, aus diesem Schema des Verschweigens auszubrechen. Aber keine Sorge: Bald wird es so weit sein.


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