Adeste fideles

Äußerlich konnte die Schrumpfung der Kirchen und der Rückgang der Gläubigkeit in Deutschland dem Weihnachtsfest bislang wenig anhaben; es wird hell und freudig begangen wie eh und je. Doch kann das noch lange so bleiben?


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640px-Lorenzo_di_Credi-Geburt_ChristiEs ist nur auf den ersten Blick erstaunlich, dass Weihnachten als ursprünglich christliches Fest auch in Zeiten der Säkularisierung, will sagen: der zunehmenden Entchristlichung und Ausbreitung von Atheismus und Neuheidentum, an Beliebtheit im Volk nicht oder kaum eingebüßt hat. Dies freilich nicht so sehr deshalb, weil die vielen kirchenfernen Pro-forma-Christen zur Weihnachtszeit das schlechte Gewissen plagte, sondern eher, weil mittlerweile der Einzelhandel die Kirchen als Hauptprotagonist der Weihnachtszeit abgelöst und die Deutungshoheit darüber in der Alltagswelt der Menschen übernommen hat.

Dass die Pfarrer ehrlicherweise wenig Grund hätten, gegen den Konsumismus anzupredigen, ist ebenso offenkundig. Zu Augenscheinlich trägt die Bescherung dazu bei, das Fest für die Menschen und vor allem für die Kinder attraktiv zu halten. Richtiger als nur Weihnachten nimmt man im übrigen besser die ganze Adventszeit in den Fokus, denn Heiligabend selbst ist rasch vorüber; erst durch die Vorfreude und langsam gesteigerte Erwartung gewinnt das Fest seinen ganzen Reiz.

So gesehen ist Weihnachten mehr als nur Konsum. Es ist die ganze Atmosphäre von Glühweih und Christstollen, Krippenspiel und Gesang, von Kerzenlicht, Lametta und Glitzersternen, die man mit einem der schönen deutschen Worte, für die es in anderen Sprachen keine adäquate Entsprechung gibt, besinnlich nennt. Dies, davon kann man ausgehen, wird nicht aussterben. Zu genial ist die Einrichtung, in der trübsten und dunkelsten Jahreszeit ein so frohes, leuchtendes Fest zu begehen. Mindestens als kollektives Antidepressivum für die Winterzeit wird die Weihnachtsatmosphäre überleben.

Ob sich diese Atmosphäre von der christlichen Botschaft ganz ablösen lässt, ist eine offene Frage. Vergangene Umformungsversuche, wie die Jahresendfeiern im realexistierenden Sozialismus, taugten allenfalls zur Karikatur, und die Bemühungen radikaler Laizisten, etwa den Weihnachtsschmuck aus öffentlichen Gebäuden herauszuhalten, wirken bislang auch eher belustigend als bedrohlich; freilich nehmen sie zu.

Noch aber bleibt Weihnachten ein Volksfest. Es hat eine eigentümliche Attraktivität, die auch manchen Ungläubigen im Dezember in die Kirche führt. Anders als das in der kirchlichen Festtagshierarchie eigentlich höher rangierende Osterfest im Frühjahr, von Karfreitag, dem Kreuzigungstag, bis Ostermontag, dem Auferstehungstag. Trotz des guten Endes ist die Geschichte von Marter und Tod Jesu am Kreuz zu grausam, zu blutig, um Menschen heutigen Geistes anzuziehen; und im übrigen nicht kindgerecht, weshalb Ostern im Volksbrauch mit Eiern und Hasen inzwischen eher zum neuheidnischen Fest geworden ist.

Weihnachten ist anders. Natürlich hat es, religionsgeschichtlich, auch seine Schattenseiten. Bis man zur allgemeingültigen Deutung gelangte – etwa in Sachen Jungfrauengeburt und Gottessohnschaft Jesu – ist die frühe Kirchengeschichte voller Streit und auch blutiger Auseinandersetzung. Aber die Weihnachtsgeschichte, wie sie heute noch erzählt wird, gehört zu den stärksten Stellen in der christlichen Überlieferung.

Am Anfang steht ein Skandalon: Gott wird Mensch. Wie die Erzählung von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen im Buch Genesis ist auch dies gelegentlich als menschliche Selbstüberhöhung und Anmaßung verstanden worden. Welch merkwürdige Religion, in der Gott es nötig hat, den Mensch nach seinem Bild zu formen und gar selbst menschliche Gestalt anzunehmen. In Wahrheit aber wird das christliche Gottesbild dadurch voller und runder; Gott ist nicht ein blasses, zweidimensionales Abstraktum, das als Weltenbaumeister irgendwann am Anfang steht, er macht sich selbst zum Teil seiner Welt, hat Anteil an ihrem Schicksal, durchlebt Licht und Schatten, Glück und Freude und Leiden und Tod. Nur so ist der liebende, verzeihende Gott des Neuen Testaments erklärbar.

Das zweite Skandalon besteht darin, wie Gott Mensch wird. Nicht als mächtige Herrschergestalt, nicht mit Blitz und Donner und als Führer eines himmlischen Heeres. Sondern als kleines, verletzliches Kind, Sohn einer Zimmermannsfamilie, im Stall, nicht im Palast. Und alle kommen herbei, dem Kinde zu huldigen: Engel, Landvolk, Könige aus fernen Ländern. Diese radikale Umkehrung aller Verhältnisse, von Groß und Klein, Macht und Schwäche, Reichtum und Armut, bildet den Auftakt zum Lebensweg Jesu, den die Evangelien schildern: nicht eines Eroberers, sondern eines friedlichen Predigers, der seinen Feinden Liebe und Vergebung entgegenbringt und nicht Gewalt. Diese Botschaft bleibt, trotz aller Schattenseiten der Kirchengeschichte, die sie verdunkeln, unverändert machtvoll für alle, die ein Ohr für sie haben.

Bleibt davon noch etwas in unseren Weihnachtsfesten, in Schmuck und Bauten, Liedern und Geschichten? Bislang ja; bislang ist der Generationenbruch aber auch noch nicht vollzogen, ist die übergroße Mehrheit noch in christlichen Elternhäusern aufgewachsen und, obwohl kirchenfremd, von ferne her noch von den alten Bräuchen geprägt. Ob die Weihnachtsbotschaft auch in zwanzig, dreißig Jahren noch mehr sein wird als eine Kitschfassade für ein fröhliches Lichterfest? Wie gesagt: Die Frage ist offen.


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