Alt trifft Neu

Mit vollem Programm und reichlich Besuch feierte der VDH Budapest sein zehntes Stiftungsfest. Rund um den 3. Oktober.


ALLE Artikel im Netz auf aka-bklaetter.de lesen und auch das Archiv?

Jetzt kostenlos

Anmelden


HeldenplatzZehn Jahre. Kaum ein Flügelschlag für Chronos, den Schöpfer und Zeitgott. Mehr ein Blinzeln. Kein Alter eigentlich auch für eine Studentenverbindung, wo man auf Dauer baut und seine Ursprünge üblicherweise ins neunzehnte Jahrhundert datiert. Zwanzig Semester. Mit der Studentenbrille gesehen ein so kurzer Zeitraum freilich auch wieder nicht. Zwei, drei Aktivengenerationen; wer mithalf bei der Gründung, steht heute im Beruf und blickt als Veteran auf die jungen Leute.

Heldenverehrung

Gewiss, im Vergleich zu seiner Stadt ist der VDH Budapest sehr jung. Doch auch die Stadt ist so alt nicht, wie beim ersten Anblick man vermuten möchte. Eine der Erkenntnisse für die zahlreichen Gäste aus den touristischen Tagen, die von den Budapestern zum Auftakt des Stiftungsfests großzügig organisiert waren.

Die Stadtführung mit Dóra Frey und Gábor Kecskeméti führte notwendig zu vielen Prachtbauten, an denen Budapest so reich ist: Heldenplatz, Burgbau im Stadtwald, Basilika des Heiligen Stephan mit der verehrten Reliquie; über die Kettenbrücke, auf den Burgberg hinauf, zum Prinz-Eugen-Standbild, dem Turul-Adler mit den mächtigen Schwingen, zu Sándorpalais, Matthiaskirche, Fischerbastei; und wieder hinunter zur Donau ins Parlament, voll Samt und Blattgold und Ornamenten, mit der streng bewachten Stephanskrone unter der Kuppel. Viel davon sieht nach Mittelalter aus. Tatsächlich stammt das meiste aus dem letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts, der Zeit des Historismus; Neoromanik überwiegend, mit neogotischen Einsprengseln. Der ungarische Nationalismus erwachte damals neu, nachdem man innerhalb der Habsburgermonarchie zur Selbstverwaltung gelangt war, in großzügigen Grenzen über sich und Teile der Nachbarvölker herrschte und diesem Status mit Prunk und Pracht Ausdruck verlieh. Das schönste Gebäude erhielten die Parlamentskammern, Ausdruck der Selbstregierung; und überall findet man Bauten für den Nationalhelden aus vorhabsburgischer, vortürkischer Zeit, Szent István, den Gründervater, Ungarns ersten christlichen König um das Jahr Tausend.

Die Donau entlang

014Dem Taufvater jenes Stephans des Heiligen, St. Adalbert von Prag, ist die Kathedrale in Esztergom (Gran) geweiht, größte Kirche Ungarns und eigentlicher Sitz des Kardinal-Erzbischofs und Fürstprimas, caput, mater et magistra ecclesiarum hungariae. Dorthin, an die heutige slowakische Grenze, wo die Maria-Valeria-Brücke die Donau quert, führte die Reisegruppe der zweite Tag. Eine gute Strecke Weg mit dem Bus, über Landstraße, durch kleine Städte und Ortschaften. Kurz Station gemacht wird in Werischwar, um Errungenschaften der ungarndeutschen Minderheitenpolitik zu begutachten. Mehrsprachige Orts-, Haus- und Straßenschilder, in Ungarisch, Hochdeutsch und phonetischem Schwäbisch, Rathaus, Bürgerdienst, Jagdhandel und Friedrich-Schiller-Gymnasium, Schwabenhäuser in traditioneller Bauweise.

018Mittagsrast wird eingelegt in den Hügeln über Esztergom mit herrlichem Blick aufs Donautal. Es geht steil hinauf; einmal muss der Bus aufgeben, kehrtmachen und einen Umweg suchen. Aber es lohnt sich. Vom Berggasthof hinunter geht der Blick in die Ferne. Ähnlich schön etwas später die Aussicht auf das Donauknie, wo der Fluss von Ost nach Süd abbiegt, bei Visegrád, deutsch Plintenburg. In der Burg dort hatten sich im vierzehnten Jahrhundert die Könige von Ungarn, Polen und Böhmen versammelt, um eine gemeinsame Strategie gegen habsburgische Zollpolitik zu entwickeln.

Zurück in der Stadt

St.-Stephans-BasilikaEine Zeitreise ganz eigener Art erlebt, wer sich durch und unter Budapest bewegt. Manche U-Bahn-Strecken stammen noch aus Habsburger Zeit, knapp unter der Erde, mit engen Tunneln und Waggons. Eine Linie weiter wechselt man zu sowjetischer Betonbauweise, und noch etwas später in EU-finanzierte Postmoderne.

Den Epochenwechsel erlebt die Reisegruppe mehrfach beim Abendprogramm. Räumlich in der Stadt verteilt wie auch inhaltlich vielfältig. Ein Abend ist im Haus der Ungarndeutschen der Bierkultur gewidmet. Ottó Kelemen, vom VDH zum Bundesbraumeister geadelt, stellt besondere Brauerzeugnisse vor und lädt zum Kosten ein. Der nächste Abend führt zunächst ins Café Céntral, eines der traditionellen Kaffeehäuser aus der k. u. k. Zeit, in dem sich gern die Intellektuellen versammelten, Professoren, Literaten, Komponisten. Heute sitzt man mit Smartphone oder Tablet am Tisch, wenn man Sachertorte oder Tiramisu zu Kaffee und Eisschokolade genießt. Nach dem noblen Café geht es rustikaler weiter: „Abbruchkneipentour“ – will meinen: Besuch sogenannter Abbruchkneipen, Studentenlokale, die sich in abrissreifen Halbruinen eingenistet haben. Um die fünfzig zählt man schon in der Stadt. Wer den Abend gesitteter zubringen möchte, nimmt den Weg in die Oper, Così fan tutte.

25 Jahre Wende – Mitteleuropatagung zur Volksgruppenpolitik

Die Verlustrate ist dennoch gering, als es am nächsten Tag zum inhaltlichen Teil der Tagung geht. Passend zum Datum – 3. Oktober – wird ein Rückblick geworfen auf den Umbruchprozess von 1989/90, den man in Deutschland gerne unter dem Blickwinkel der Wiedervereinigung sieht, der aber auch für die Staaten Ostmitteleuropas fundamentalen Wandel bedeutete. Zwei Vorträge mit Diskussion bilden den Kern: Otto Heinek, Vorsitzender der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, beleuchtet speziell die Entwicklung seiner Volksgruppe seit der Wendezeit; Koloman Brenner, Sprachwissenschaftler an der ELTE-Universität und Vorsitzender der AGDM, versucht sich in einem Überblick über die Entwicklung der deutschen Minderheiten in Ost- und Mitteleuropa generell, im Sudetenland, im Donauraum, in Siebenbürgen, in den Karpaten und bis hin nach Russland.

Sprache_2Für die Ungarndeutschen brachte die Wendezeit viel Gutes, wenn auch anfangs vorbei an den Verbandsstrukturen, mit neu aufblühendem Vereinswesen. Einen runden Tisch der Minderheiten, mit Polen, Armeniern, Ruthenen, gibt es früh. Die neue, demokratische ungarische Regierung zeigt sich entgegenkommend. Da auch Ungarn außerhalb der Trianon-Grenzen leben und man auf Minderheitenrechte für sie Wert legt, kann die Regierung umgekehrt die Minderheiten im eigenen Land nicht ignorieren. Die letzte große Novelle des Minderheitengesetzes – 2005 – sieht u. a. Finanzierungsgarantien für Minderheitenschulen vor. Im internationalen Vergleich gibt es an manchen Stellen aber noch Potential. Das deutsche Schulsystem in Rumänien z. B. ist immer noch vorbildlich – trotz des weitgehenden Exodus der deutschsprachigen Bevölkerung; Selbstverwaltung gibt es in Ungarn zwar, aber keine garantierte parlamentarische Repräsentanz, frei von Sperrklauseln. So dass die Ungarndeutschen mit noch 150–200.000 bei zehn Millionen Ungarn noch keine feste Stimme in Budapest haben. Eine starke deutsche Gesinnung findet sich aber beim Kern der Volksgruppe. Und der positive Wille, die Sprache auch in größerem Umfang neu zu beleben.

Seid gegrüßt, Ihr deutschen Brüder

020Von der Belebung studentischer Traditionen war viel die Rede beim Festkommers gegen Ende des Festes, im Saal des katholischen St.-Margareta-Gymnasiums unter dem wachsamen Blick von Papst und Erzbischof. Festredner und an der Klarinette auch die Festmusik war Viktor Pócsik als Gründungsmitglied des VDH. Er erzählte in der Rückschau vom Willen, der die jungen Studenten 2005 beseelt hatte, sich als Ungarndeutsche zu institutionalisieren. Und vom Konzept der Studentenverbindung, das, durch Diethelm Keil eingebracht, ihnen alsbald behagte. Mittlerweile steht der Bund stolz da; trotz noch kleiner Altherrenschaft wird der Aufbau einer Bundesetage in Angriff genommen. Einen guten Namen hat der VDH sich schon gemacht – mit eigenem Braumeister und Couleurhandel. Abzulesen auch an der bunten Gästeschar. Viele aus dem VVDSt, aber auch von Corps und CV; geographisch gestreut, Kopenhagen im Norden, Aachen, Karlsruhe im Westen, Berlin, Freiberg bis nach Oppeln im Osten, nach Südost hin Wien und Fünfkirchen und natürlich Budapest selbst.

Die Gäste brachten viele gute Wünsche mit – und nahmen den Wunsch mit nach Hause, bei einem der nächsten Male wieder dabei zu sein, wenn auf dem Kommers die Volkshymne der Ungarndeutschen erklingt: Seid gegrüßt, ihr deutschen Brüder.

Zum Weiterlesen

VDH Budapest: https://www.facebook.com/vdhbudapest

Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen http://www.ldu.hu/

Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten – AGDM: http://agdm.fuen.org/


...mehr Lesen in den akademischen Blättern oder ganze Ausgaben als PDF?


Jetzt hier kostenlos Anmelden