Authentisch bewahren

Denkmalpflege ist ein vielfältiges Metier, von der Kunstgeschichte bis zur Baustatik, vom Verwaltungsakt bis zur geduldigen Mediation. Hendrik Leonhardt erzählt von seiner Arbeit als Konservator in Baden-Württemberg.

Aka-Blätter: Was versteht man eigentlich unter einem Denkmal? Wie weit kommt man mit dem Begriffspaar Alt und Schön?

Leonhardt: Ein Stück, aber nicht ganz zum Ziel. Denkmalpflege ist in Deutschland hoheitliche Aufgabe, zuständig sind die Bundesländer, dort hat sie Verfassungsrang. Daher gibt es natürlich eine formale Definition. Ein Kulturdenkmal ist demnach eine Sache, an deren Erhaltung aus wissenschaftlichen, künstlerischen oder heimatgeschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse besteht. Diese Sache – für gewöhnlich ein Gebäude, z. B. aber auch eine Brücke, ein aufwendig gestaltetes Wegkreuz, ein komplettes Stauwehr oder gar eine Radrennbahn – muss eine gewisse Denkmalwürdigkeit erfüllen, Originalität aufweisen, also für ihre Zeit dokumentarischen Wert und exemplarischen Charakter haben.

Künstlerisch oder heimatgeschichtlich relevant – also alt und schön.

Ja – aber. Beides ist relativ. Ästhetische Maßstäbe ändern sich über die Zeit; wir können nicht nur als erhaltenswert einstufen, was wir heute schön finden. Wichtiger als Ästhetik ist Authentizität: Ein Denkmal ist Dokument menschlichen Handelns in der Geschichte. Die zentrale Frage bei jedem Objekt lautet also: wofür steht dieses Bauwerk? Was erzählt es uns vom Leben und Wirken unserer Vorfahren? Substanz ist dabei wichtiger als Form, sie ist der materielle Träger dieser Aussage. Beispielsweise kann uns das in einem Denkmal authentisch überlieferte Baumaterial Holz mit all seinen Bearbeitungsspuren weitreichenden Aufschluss darüber geben, wie Zimmerleute und Schreiner früher handwerklich tätig waren – etwa einen Dachstuhl aufgeschlagen oder eine Vertäfelung in einer Bauernstube angefertigt haben. Ein nachgebautes, historisierendes Erscheinungsbild ohne Authentizität und Originalität ist Disney-Land, kein Denkmal.

Für das Alter gibt es keine formale Grenze. Man sagt zwar üblicherweise, dass rund dreißig Jahre verstreichen sollten, ehe die nachfolgende Generation über die Denkmalwürdigkeit von Bauwerken entscheidet. Aber es gibt auch Ausnahmen. Die 1984 errichtete Neue Stuttgarter Staatsgalerie zum Beispiel wurde als Monument der Postmoderne deutlich schneller als Kulturdenkmal eingestuft.

In rund dreißig Jahren werden unsere Nachfahren also entscheiden, was an unseren Bauten denkmalwürdig ist. Was werden sie auswählen?

Das lässt sich eben nicht sagen. Der Blickwinkel verschiebt sich. Beispielsweise erkennen wir heute, dass die transparente, Liberalität und Demokratie atmende Architektur der 1950er Jahre mit viel Glas und Stahl sich absichtlich von der monumentalistischen Blockbauweise der 1930er und 1940er abhob und damit einen spezifischen dokumentarischen Charakter hat. Den meisten Zeitgenossen war das aber nicht deutlich bewusst. So werden auch unsere Nachfahren in der Rückschau Dinge erkennen, die wir übersehen, weil wir noch zu dicht dran sind. Der Wert kristallisiert sich erst mit der Zeit heraus. Was sich freilich jetzt schon abzeichnet, ist, dass es einen Verlust an Regionalität gibt. Alte Bauernhäuser sehen im Schwarzwald ganz anders aus als im Emsland und dort wiederum ganz anders als in Sachsen. Heute gibt es internationale Standardbauweisen, die solche Unterschiede zum Verschwinden bringen. Entsprechend werden sich auch weniger regionaltypische Kulturdenkmale finden lassen.

Wie ist Denkmalpflege organisiert?

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Hendrik Leonhardt, geb. 1984, M. Sc., arbeitet als Konservator in der Denkmalpflege für das Land Baden-Württemberg.

Arbeitsteilig. Als hoheitliche Aufgabe orientiert sie sich an der Verwaltungsstruktur des Bundeslandes und ist Teil der üblichen Behördenhierarchie. Diejenige Einheit, mit der man als Eigentümer meist in Berührung kommt, sind die unteren Denkmalschutzbehörden bei den Landkreisen oder freien Städten. Deren Entscheidungen sind in die normalen Genehmigungsverfahren integriert. Wie gegen jeden Verwaltungsakt ist hier ein Widerspruch möglich, dann wird zur nächsten Stufe eskaliert, zu den Regierungspräsidien oder in letzter Instanz zum Verwaltungsgericht.

Neben diesen Entscheidern gibt es das Landesamt für Denkmalpflege als Fachabteilung. Dort zum einen die Kollegen, die Kulturdenkmäler inventarisieren, also prüfen und festlegen, welches Bauwerk die notwendigen Eigenschaften eines Kulturdenkmals erfüllt. Und zum anderen uns Konservatoren, die wir dann die Objekte aus der Denkmalliste fachlich betreuen. Ich zum Beispiel als Gebietsreferent betreue die Stadt Freiburg und die Landkreise Waldshut und Tuttlingen mit insgesamt rund fünftausend Objekten. Wir sind aber wiederum nicht Experten für alles. Für Details zum Beispiel der Baumaterialien oder der Frage, wie sich eine Wärmedämmung in einem historischen Objekt am verträglichsten umsetzen lässt, gibt es wiederum ein weites Partnerfeld mit Spezialisten, Restauratoren, Handwerkern, Architekten, Energieberatern und so fort.

Der Konservator ist also Generalist?

Richtig. Wobei ein solides Fachwissen natürlich sehr wichtig ist, um dialogfähig zu bleiben und zu einer eigenen Einschätzung kommen zu können. Hier helfen die Gespräche mit den Spezialisten am meisten. Daneben gibt es natürlich Fortbildungsseminare, die wir teilweise selbst organisieren, Kooperationen z. B. mit der Architektenkammer, Fachzeitschriften, um auf dem Laufenden zu bleiben. Unsere Aufgabe als Konservatoren ist es, die erkannte Bedeutung eines Kulturdenkmals möglichst unversehrt für künftige Generationen zu bewahren und die Eigentümer und Architekten in dieser Hinsicht bestmöglich zu beraten.

Wie hat man sich den Arbeitsalltag vorzustellen? Viel Lektüre in der Bibliothek?

Tatsächlich entfällt rund ein Drittel der Zeit auf Ortstermine, etwas schwankend, zeitlich versetzt zur Bausaison. Daneben sind Stellungnahmen abzugeben, Gutachten zu prüfen, also auch Büroarbeit. Die Arbeit in Fachgruppen kommt dazu, und ab und an auch einmal ein Artikel für eine Fachzeitschrift. Wobei die eigentliche Forschungsarbeit wiederum von den Spezialisten geleistet wird, bei der Vielzahl der zu betreuenden Objekte fehlt uns Konservatoren hierfür schlicht die Zeit. Der wichtigste Teil ist aber Kommunikation, nicht nur intern in Dienstbesprechungen, sondern insbesondere in der Mittlerfunktion hin zu den Eigentümern.

Wie reibungsfrei funktioniert eigentlich die Denkmalpflege in bewohnten Objekten? Gibt es Konflikte?

Die gibt es natürlich. Aber Ziel des Ganzen muss immer sein, zu einem guten Miteinander zu kommen. Am Ende pflegt immer der Nutzer das Denkmal – ein Eigentümer als Person, oder auch eine Organisation wie z. B. ein Burgenverein –, nicht die Behörde; ungenutzte Denkmäler verfallen auf lange Sicht immer. Deshalb sind wir immer bemüht, eine Nutzung zu finden, wenn auch nicht um jeden Preis. Genutzte Wohn- oder Gewerbeimmobilien sind die Regel. Ziel für uns ist es, den Nutzer zu sensibilisieren, welchen Schatz er sein eigen nennt, und einen gewissen Besitzerstolz zu wecken. Im übrigen bedeutet Denkmalpflege nicht, zu musealisieren, eine Käseglocke über ein Bauwerk zu stülpen und keine Veränderung mehr zuzulassen. Umbauten sind meist möglich, nur soll darauf geachtet werden, den Charakter des Denkmals zu erhalten. Ein Kulturdenkmal, welches bis zur Unkenntlichkeit verändert worden ist, bleibt zwar womöglich als Gebäude bestehen, als historisches Dokument aber ist es für immer verloren. Hier zu einer guten Partnerschaft zu kommen, Kompromisse zu finden, ist eine fordernde, aber auch spannende Aufgabe, die deutlich über das hinausgeht, was man als theoretisches Ideal an der Hochschule lernt.

Was lernt man eigentlich an der Hochschule? Wie ist der übliche Ausbildungsweg?

Man kann aus zwei Richtungen kommen, Kunstgeschichte oder Architektur. Dem Examen dort schließt sich ein obligatorisches Aufbaustudium Denkmalpflege an, das an verschiedenen Hochschulen angeboten wird: in Halle, wo ich es absolviert habe, aber auch in Bamberg, Dresden, München und anderen Städten. Mir hat das sehr geholfen, die Sichtweise der Architekten kennenzulernen, planerisch mit einem Gebäude umzugehen und die Grenzen z. B. der Statik zu verstehen. Praktika schon im Studium sind wichtig; zusätzlich folgt noch ein zweijähriges Volontariat, bei dem man, wie in einem Traineeprogramm in der freien Wirtschaft, die verschiedenen Bereiche des Unternehmens – also der Behörde – durchläuft und die unterschiedlichen Aufgaben und Aspekte kennenlernt. Zusammengerechnet ist man vor dem Antritt der ersten regulären Stelle also acht Jahre unterwegs – wenn man schnell ist.

Was lässt sich als Rat an junge Studenten daraus ableiten?

In Richtung Denkmalpflege muss man zielgerichtet studieren. Zumal der Markt relativ eng ist: Die Behörden sparen, nur wenige Stellen werden neu besetzt. Das bedeutet, man muss sich relativ früh auf die Fachrichtung festlegen, die richtigen Praktika absolvieren, Kongresse besuchen, Kontakte knüpfen. Allgemeine Kunstgeschichte ist als Voraussetzung zu dünn. Umgekehrt bedeutet das, dass man wenig anderes in der Hand hat, sollte man sich zum Ende des Studiums doch umentscheiden. Deshalb ist es ratsam, sich früh klar darüber zu werden, ob man diese Fachrichtung will und das, was sie mit sich bringt. Zum Beispiel ist räumliche Mobilität wichtig: Man wird in der Regel nicht die erste Stelle in der Wunschregion antreten können. Auch der Umgang mit Menschen, Mediation, das Aushandeln von Kompromissen gehört eben zum Alltag, auch die Rückschläge, die in solchen Prozessen vorkommen, und das dicke Fell, das man gelegentlich braucht. Das muss einem liegen, daran muss man Freude haben. Wenn man das mitbringt, gehört die Denkmalpflege sicherlich zu den reizvollsten und abwechslungsreichsten Gebieten, in denen man arbeiten kann.

Danke für das Gespräch!


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