Das Kuchenrezept

Man nehme: 1 Pfund Mehl, 2 Eier, 1 Gott, …


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Um einen Kuchen zu backen, braucht man eine Reihe von Zutaten, bestimmte Mischungsverhältnisse, eine geeignete Backzeit und -temperatur. Das alles sollte in einem guten Rezept enthalten sein. Was soll dann das Wort „Gott“ in der Überschrift?

Ob die Eier fehlen oder vergessen worden sind, merkt der Bäcker spätestens, wenn er am Schluss den Backofen öffnet und nicht findet, was er erwartet hat. Ob Gott beim Backen eine Rolle gespielt hat, lässt sich dagegen nicht ermitteln. Zwei unterschiedliche Sichtweisen auf die Wirklichkeit werden hier in einen Topf – oder eine Backform – geworfen. Die erste werde ich der Einfachheit halber „wie erwartet“ nennen. Für die zweite Sichtweise möchte ich beim Bild bleiben, dass etwas „eine Rolle spielt“. Die beiden Sichtweisen müssen nicht unversöhnt nebeneinander stehen, sie lassen sich durchaus verbinden. Das ist aber nicht immer sinnvoll und kann zu ganz schönen Verwirrungen führen.

Alles wie erwartet

Es gibt einen Grundsatz in der Philosophie, der verkürzend als „Ockhams Rasiermesser“ bezeichnet wird – obwohl Wilhelm von Ockham OFM (1288–1347) diesen Grundsatz zwar, wie viele vor ihm, anwandte, aber nicht explizit auf eine Formel brachte. Es geht darum, dass grundsätzlich die einfachste Erklärung komplizierteren Erklärungen vorzuziehen ist, und dass möglichst wenige Elemente zu Erklärungen herangezogen werden sollen. Was unseren Kuchen angeht: ohne Eier können wir den Kuchen nicht erklären – ohne Gott, Menschenrechte und umfallende Reissäcke in China schon.

Die Aufzählung zeigt: Obwohl niemand bezweifelt, dass wirklich in China Reissäcke umfallen – wir erwarten keinen Zusammenhang mit dem Kuchenbacken und werden darum auch keinen finden. Auf ihre jeweilige Art und Weise arbeiten alle Wissenschaften mit einer Form von „Ockhams Rasiermesser“ und schließen weite Teile der Wirklichkeit selektiv aus. Das ist gut und berechtigt. Wenn ein Historiker sich mit der Schlacht im Teutoburger Wald beschäftigt, muss er zur Erklärung des Feldzuges nicht ermitteln, welche Baumarten wohl dort wuchsen. Für einen Botaniker stellen sich da ganz andere Fragen, und entsprechend in anderen Fakultäten. Sich auf das Nötige und offenkundig Wesentliche zu beschränken, ist in den meisten Fällen nur sinnvoll.

Dabei können wichtige Aspekte verlorengehen, ohne jede Frage. Je mehr Elemente bei einer Erklärung berücksichtigt werden, umso tiefer kann das Verständnis werden. Zur Illustration sei hier auf die immer beliebteren „Historischen Romane“ verwiesen: geschichtliche facta bruta werden angereichert um eine Fülle von Details, die einen Einblick ins historische Geschehen geben. Warum folgt ein römischer Legionär einem Feldherrn bis ins unwirtliche germanische Hinterland? Die Frage kann eine Fülle von Antworten hervorrufen, an Gesellschafts- und Vermögensverhältnisse rühren, persönlichen Ehrgeiz und gescheiterte (oder gelungene) Lebensentwürfe in Betracht ziehen, etc. pp.

Das große Ganze

Angesichts dieser Komplexität ist es nur legitim, das „Rasiermesser“ anzusetzen und uns auf das Unmittelbare oder Naheliegende zu beschränken, wenn wir eine Antwort geben. Allerdings können wir nicht ausschließen, dass weitere Faktoren eine Rolle spielen, die wir bislang nicht in den Blick genommen haben.

Versuchsanordnungen im Rahmen eines Labors sind Musterbeispiele für eine bewusste Beschränkung. Wer eine bestimmte Art Mäuse züchtet, nach genauen Vorgaben ernährt, in mit Neonlicht ausgeleuchteten Käfigen hält und dann eine spezifische Substanz injiziert, muss damit rechnen, dass er nur Aussagen über Labormäuse unter diesen Bedingungen machen kann – wenn er redlich ist. Wer etwa um die Auswirkungen natürlichen Lichtes weiß (oder jeden Winter an sich selbst verspürt), wird ins Grübeln kommen, was das soll. Intuitiv ist oft die Ahnung da, dass ein Zuviel an Reduktion nicht die gewünschten Antworten bringen kann. Aber anders als durch Zerlegung in kleine, übersichtliche Teile lässt sich die Wirklichkeit kaum erfassen.

Vor allem, wenn im „großen Ganzen“ Umstände hinzukommen, die nichts mit der eigentlichen Sache zu tun haben. Zu viel drängt sich in den Weg. Das „große Ganze“ des Forschungsbetriebs etwa muss eine gewisse Willkür bei der Finanzierung von Projekten einschließen; die Berücksichtigung von Autoritäten (Doktoreltern, Standardwerke) auch gegen die eigene Empirie oder Theorie; die Tatsache, dass man – nach einer herrlichen Kneipe etwa – zu lange geschlafen hat und zu spät eine Injektion an die Maus setzt, oder bei der Beobachtung nicht so aufmerksam ist, wie es nötig wäre.

Das alles ist Teil der Wirklichkeit, kann als Erklärung dienen oder umgekehrt in einen solchen Zusammenhang gebracht werden – oder nicht? Bewusst habe ich das Stichwort „Autorität“ untergebracht. Über das Geld und andere Mittel, die der Forschung zur Verfügung stehen, lassen sich leicht Aussagen machen. Auch die Auswirkungen zu langer (oder kurzer) Nächte sind dingfest zu machen, von außen feststellbar (und jedenfalls von innen).

Wer schon einmal erlebt hat, dass seine Seminararbeit nicht wie erwartet bewertet wurde, bekommt es mit einem Phänomen zu tun, das sich nicht ohne weiteres greifen lässt. Man kann es Autorität, Beziehung, Machtgefüge oder ähnlich nennen. Die Vergabe von Noten, Posten, Geldern beruht zu einem guten Teil darauf, auch wenn es oft nicht möglich ist, den Finger darauf zu legen.

„There’s probably no god“

Aber immerhin kann jeder die Auswirkungen dieser Wirklichkeit „Autorität“ sehen, sie lässt sich zu anderen Phänomenen in Beziehung setzen. Ähnlich gilt dies auch für religiöse „Autoritäten“. Wenn ich „Gott“ in einen Zusammenhang mit meinem Leben bringe, existiert jedenfalls diese Selbst-Erklärung oder Selbst-Deutung: für mein Leben spielt „Gott“ eine Rolle, wer sich mit mir eingängig beschäftigt, wird auch nach der Bedeutung dieses Wortes – immer: für mich – fragen müssen. Dasselbe Wort „Gott“ kann gebraucht werden, um das deutsche Volk zur Verantwortung zu ziehen („In Verantwortung vor Gott und den Menschen“, Präambel GG), zu einem Vernichtungsfeldzug aufzurufen (Kreuzzüge, IS, Boko Haram) oder zu erklären, warum man sein ganzes Leben bei der Pflege kranker Menschen einsetzt.

Im Oktober 2008 ließ die Journalistin Ariane Sherling Busse durch London fahren mit der Aufschrift, dass es wahrscheinlich keinen Gott gebe; eine Aktion, die auch in Deutschland aufgegriffen wurde. Die Aussage ist bedenkenswert, aus mehreren Gründen.

Wenn mit „Gott“ ein Gott wie der aus dem Backrezept gemeint ist, also ein Teil der Wirklichkeit, der sich beschreiben, abtrennen, untersuchen ließe, ist die Aussage falsch. Dann muss es heißen: „Es gibt gewiss keinen Gott.“ Irgendwo einen Ort, eine Energie, eine besondere Stelle im „großen Ganzen“ zu finden, die tatsächlich Gott ist, kann nicht funktionieren, jedenfalls philosophisch nicht. Dadurch, dass diese besondere Stelle nur eine von vielen anderen ist, ist sie letztlich eine Stelle wie alle anderen oder lässt sich so einordnen. Es ist ähnlich, wie wenn der geliebte Partner, das Ein und Alles, auf dem Amt doch eine Wartenummer ziehen muss wie jeder andere.

Wenn „Gott“ aber als der geliebte Partner oder der alte Widersacher (oder wie auch immer) Auswirkungen zeigt, weil Menschen ihn in ihre Biografien, Selbstbilder etc. einbauen, dann ist die Aussage von Sherling ebenfalls falsch. Dann müsste es heißen: „Es gibt Gott gewiss – in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen.“

Diese Zusammenhänge mit ihren unterschiedlichen Auswirkungen auf andere Teile der Wirklichkeit besagen aber immer noch nicht, dass es sozusagen objektiv und von außen besehen einen Gott geben müsste. Sie besagen nur, dass „Gott“ als Idee, Bild, Phrase eine Rolle spielt – und sei es zur Erklärung der Geschichte Tibets.

Gott in eine Kategorie zu stecken, objektivierbar zu machen, eine Außenperspektive einzunehmen – das könnte nur bei selbstgemachten Göttern klappen.

„… das nennen alle Gott.“

In seinen fünf Wegen zu Gott beschreibt Thomas von Aquin OP (ca. 1225–1274) philosophische Überlegungen, die über das „große Ganze“ hinausgehen oder ihm zugrunde liegen. Die Überlegungen zeigen, dass es eine vernünftige Annahme sein kann, hinter den vielen einzelnen Teilen der Wirklichkeit etwas zu sehen, das die Wirklichkeit als solche bewirkt: das eine Prinzip, der eine Grund, die eine Bewegung, die alle anderen erst ermöglicht. Da Thomas Dominikanermönch war und umgeben von einer christlichen Zivilisation, hatte er keine Probleme, diese fünf unterschiedlichen Wege auf einen Nenner zu bringen: „… das nennen alle Gott.“

Später wurden die fünf Wege als „Gottesbeweise“ tituliert, und viele Philosophen haben sich daran abgearbeitet, diese Beweise zu falsifizieren. Dem Leser dürfte jetzt klar sein, dass eine solche Beweisführung nichts bringt. Weder wollte Thomas beweisen, noch taugen seine Überlegungen als Beweise. Schon der Begriff der „fünf Wege“ zeigt an, dass die Auseinandersetzung mit Gott bedeutet, sich auf den Weg zu machen. Dies und die gängigen Ausdrücke, Gott liegt allem zugrunde, geht über alles hinaus, liegt in allen Dingen etc. sind bildliche Metaphern. Mithilfe von räumlichen Begriffen muss die Sprache ausdrücken, was sich nicht besser sagen lässt. Wenn mein Ordensgründer, der heilige Ignatius von Loyola SJ (1491–1556) die Menschen aufruft, Gott in allen Dingen zu finden, heißt das nicht, eine Zwiebel so lange zu häuten, bis darin der Kern „Gott“ zum Vorschein kommt.

Ob jemand nun beim Häuten der Zwiebel „Gott“ finden kann oder ohne auskommt, hängt damit zusammen, wie er die Wirklichkeit sieht – und benennt. Dass außerhalb der eigenen Sichtweise und -weite jedenfalls mehr ist als bekannt, dürfte niemand ausschließen …


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Dominik Matuschek

geb. 1982, Dr. theol., VDSt Bonn, Chefredaktion.

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