Das Recht auf Sexismus

Als neueste Empörungswelle brandet die Aufregung über allgegenwärtigen Sexismus durch die deutschen Blätter: in der Politik, im Medienbetrieb, in Wirtschaft und Wissenschaft stößt man angeblich überall auf ihn (wem er noch nicht begegnet ist, der muss offensichtlich blind durchs Leben gelaufen sein). In ein paar Wochen wird die Welle, wie alle vor ihr, vorbeigezogen sein; sei’s drum, mag man sagen. Aber die Debatte führt auf eine interessante Frage: Warum gelten bestimmte Sorten Beleidigungen als unstatthaft und andere geradezu als notwendig? Wieso anzügliche Altherrenwitze als gesellschaftliches Problem, die Verunglimpfung von Politikern, Parteien, von Kirchen und Gläubigen als Zeichen einer aufgeklärten Demokratie?


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Von den erhitzten Debatten, die jeder Welle von Mohammed-Schmähungen in Form von Karikaturen oder Videos bislang gefolgt sind, sind mir vor allem zwei Aussagen in Erinnerung geblieben, die in vielerlei Variationen von den aufrechten Verfechtern der Presse- und Kunstfreiheit vertreten wurden: 1. Es gibt ein Recht auf Beleidigung. 2. Satire darf alles. (Schlussfolgerung: Da es keine Prädikarisierungsstelle für die Funktion eines Satirikers gibt, heißt das: Jeder darf alles, insbesondere beleidigen.)

Interessant ist hier nun weniger die Tatsache, dass es dieses Recht auf Beleidigung in Deutschland, anders als etwa in Amerika, strafrechtlich nicht gibt; die normative Kraft des Faktischen überwiegt, die entsprechenden Paragraphen werden nur noch selten angewendet, und wer klagt, kann sich sicher sein, dass er als Verlierer aus der öffentlichen Debatte hervorgeht, als unsouverän betitelt wird, als Zensurverfechter oder was immer.

Interessant ist vielmehr, dass dieses Recht auf Beleidigung nur sehr selektiv gilt. Politiker müssen sich permanent beleidigen lassen; davon, von plumpen Beleidigungen, nicht etwa geistreichen Pointen, leben heutzutage drei Viertel des politischen Kabaretts. Geistliche, gläubige Muslime und Christen natürlich auch; Witze über Religion und Kirchen gehören zuverlässig in die Kategorie Schenkelklopfer und sichere Lacher.

Gegenüber anderen Gruppen gibt es dieses Recht jedoch augenscheinlich nicht. Frauenwitze? Sexistisch. Schwulenwitze? Intolerant. Judenwitze? Nach Auschwitz unmöglich. Negerwitze? Höchstgradig rassistisch, allein das Wort muss schon aus Büchern gestrichen werden. Man bemerkt das Muster: Das Recht auf Beleidigung besteht augenscheinlich nicht bei Gruppen, bei denen reale Diskriminierung besteht oder bestand; solchen Gruppen, die – um das Kachelmannsche Unwort zu gebrauchen – ein Opfer-Abo haben, weil sie historisch gesehen tatsächlich öfters einmal die Opfer waren: von Unterdrückung, Ausbeutung, Vertreibung und Mord.

Deshalb mag man einen Unterschied sehen zwischen der Beleidigung von Politikern oder Kirchen einerseits, anzüglichen Frauenwitzen oder dem Beharren auf dem bösen N-Wort gegenüber Schwarzen andererseits. Im einen Fall kritisiert oder karikiert man Meinungen oder Weltanschauungen und deren Vertreter, was zum demokratischen Diskurs untrennbar dazugehört; man kritisiert Menschen wegen ihrer Überzeugungen. Im anderen Fall kritisiert man sie für das, was sie sind, was sie an sich nicht ändern können, was man nur überwinden kann, wenn sie aufhören, zu sein; der Vernichtungsgedanke steht hier immer mit vor der Tür.

Die Unterscheidung klingt logisch, und theoretisch funktioniert sie auch. Gute aufgeklärte Satire hier, böse Verunglimpfung mit Vernichtungsabsicht dort. Allein, in der Praxis verschwimmen die Übergänge. Ein wirklich gläubiger Katholik etwa wird seinen Glauben ebenso für untrennbar von seiner Persönlichkeit halten wie manch anderer seine „sexuelle Orientierung“, eine Beleidigung seiner Religion ist für ihn Beleidigung seiner Person; umgekehrt, wenn das Geschlecht, wie die Gender-Forschung sagt, ohnehin nur ein Konstrukt der menschlichen Wahrnehmung und keine gegebene Realität ist, worin liegt dann die tödliche Beleidigung in sexuell konnotierten Frauenwitzen?

Ich glaube, die Trennlinie verläuft anderswo als zwischen Überzeugung und Identität. Sie verläuft zwischen Macht und Ohnmacht; aber nicht realer Macht und Ohnmacht, sondern eingebildeter Macht und Ohnmacht. Kritik, auch boshafte Satire, die sich gegen Regierung oder Kirche richtet, gilt als Aufbegehren gegen die Obrigkeit, gegen Mächtige, die ein wenig Kritik, auch bösartige, auch bisweilen ungerechte, einfach aushalten müssen; sie sind stark genug dafür. Während die Beleidigung der Schwachen, von Frauen, von Minderheiten, als billig, als nicht durch Aufklärungszwecke zu rechtfertigen oder, altmodisch gesagt, als unehrenhaft oder unritterlich gilt. Wer am Boden liegt, auf den tritt man nicht ein, auch nicht verbal.

Das Problem dieser Einteilung ist nur: Sie schreibt eine Situation aus dem 19. Jahrhundert fort, die es längst nicht mehr gibt; als das Bündnis von Thron und Altar Staat und Gesellschaft beherrschte und das Weib dem Manne Untertan war. Die Machtverhältnisse sind heute völlig andere. Frömmelnde Christen sind heute eine Minderheit, Politiker sind nicht mehr souveräne Lenker des Geschehens, sondern getrieben von den täglichen Schlagzeilen und Meinungsumfragen und vor der omnipräsenten Furcht vor dem einen Satz, der den großen Skandal auslöst und ihre Karriere zurückwirft. (An Steinbrück konnte man sehen: Eine einzige, inhaltlich nicht einmal bestreitbare, nur ungeschickt formulierte Aussage genügt, um die Meute aufzuhetzen.) Die Mehrheit stellen kirchenferne Halbchristen, Agnostiker und Atheisten; wortmächtige Journalisten, hochfrequentierte Zeitungen und Blogs, Meinungsforschungsinstitute sind genauso mächtig wie Politiker geworden.

Und was nun das „Opfer-Abo“ angeht, mit breiterer Perspektive ist es kein Monopol etwa der Frauen, Juden oder Zigeuner: Auch Christen wurden und werden verfolgt: Nicht nur im Alten Rom, sondern höchst aktuell, in Afrika, im Nahen Osten und in Asien, stärker als jede andere Religion oder Weltanschauung unserer Zeit. Richtig: Diese Verfolgung gibt es nicht in Deutschland; in Deutschland sind die Christen nicht die Opfer. Aber auch Frauenverfolgung gibt es hierzulande nicht, die Frauenemanzipation ist weiter als jemals zuvor, Deutschland hat eine Bundeskanzlerin, mehrere Ministerinnen und Ministerpräsidentinnen, Konzernchefinnen, renommierte Professorinnen; was an kleinen Optimierungsmöglichkeiten verbleibt, wird sich von selbst mit der Zeit auswachsen. Das Bild von der verbreiteten Frauendiskriminierung ist hoffnungslos übertrieben und dient dem Heer der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten nur dazu, durch Ausweitung der Diskriminierungsdefinition ins Uferlose die eigene Existenz zu rechtfertigen.

Wenn man es genau ansieht, gibt es keinen faktischen Unterschied: Frauen und Christen, als Kollektivgruppen betrachtet, sind von Deutschland aus gesehen gleichermaßen mächtig oder machtlos, gleichermaßen verfolgt oder nicht verfolgt. Wer ein Recht auf Beleidigung formuliert, der muss es bei beiden Gruppen gleichermaßen anwenden; auch Frauen müssen beleidigt werden dürfen – ober- und unterhalb der Gürtellinie, wie katholische Priester auch.

Loriot hat einmal, gefragt, warum er vergleichsweise selten Politiker und viel öfter Alltagsmenschen karikiert habe, sinngemäß geantwortet, in einer demokratischen Gesellschaft, in welcher der Souverän das Volk sei, müsse Satire der Macht eben Satire des Bürgers sein, weil bei ihm letztlich die Macht liege. Die alte Aufteilung von Oben und Unten, von Obrigkeit und Untertan gibt es nicht mehr. Deshalb muss auch der einzelne Bürger das lernen, was er von der Obrigkeit erwartet: souverän mit Satire, Spott und auch Beleidigungen umzugehen. Als Bürger – und auch als Frau oder Mann, als Christ oder atheistischer Wissenschaftsgläubiger, als Weißer oder Schwarzer; und nicht gleich nach der Sittenpolizei rufen, wenn jemand einen schlechten Witz reißt.


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