Denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann

Klassiker wiederentdeckt: Shakespeares Drama Julius Cäsar hält neben aller Sprachkunst auch heute noch nützliche Einsichten bereit. Denn die Gesetze der Politik bleiben sich ewig gleich.

S021_Caesar_1Die Handlung ist schnell erzählt. Rom im Jahre 44 v. Chr. Julius Cäsar, erfolgreicher Feldherr, Sieger im Bürgerkrieg gegen Pompeius, ist im Volk beliebt und unumschränkter Herrscher des Reiches. Noch aber trägt er formal nur Titel der Republik; Senator, Konsul, Diktator auf Lebenszeit. Ob er nach der Königskrone greifen wird, ist vieldiskutierte Frage. Die Eliten der alten Ordnung fürchten es; fürchten um ihre eigene Stellung. Es bildet sich eine Verschwörergruppe mit dem umtriebigen Caius Cassius an der Spitze. Sie plant, Cäsar zu beseitigen. Aber sie braucht Verbündete, um das Volk für sich zu gewinnen und die Macht zu sichern. Ihre Aufmerksamkeit fällt auf Cäsars engen Vertrauen, den angesehenen Marcus Brutus. Ihn sucht Cassius zu überzeugen: dass Cäsars Alleinherrschaft nicht Schicksal sei und enden könne, wenn man den Mut nur fände – „The fault, dear Brutus, is not in our stars, but in ourselves, that we are underlings“; dass Brutus innerlich doch längst selbst zu diesem Schluss gekommen– „And since you know you cannot see yourself so well as by reflection, I, your glass, will modestly discover to yourself that of yourself which you yet know not of.” Unter Zuhilfenahme einiger Finten gelingt es schließlich; Brutus ist überzeugt, und damit ist es beschlossen: „It must be by his death”. Cäsar, sichtbar älter geworden, mit dem Alter auch abergläubisch, aber dennoch stolz, herrisch, starrsinnig, schlägt alle Warnungen in den Wind und begibt sich an den Iden des März in den Senat. Dort fällt er unter den Dolchen der Verschwörer.

Die beginnen nun, Fehler zu machen. Cäsars junger Freund Mark Anton wird verschont, ja erhält die Erlaubnis, nach Brutus zum Volk zu sprechen, das sich derweil vor dem Kapitol versammelt hat. Die Reden bilden den Höhepunkt des Stücks; Musterbeispiele kunstvoll verrenkter Rhetorik. Brutus lobt Cäsars Verdienste und bedauert, dass man ihn hat töten müssen: „As Caesar loved me, I weep for him; as he was fortunate, I rejoice at it; as he was valiant, I honour him; but — as he was ambitious, I slew him.” Mark Anton, der versprechen musste, nicht schlecht von den Verschwörern zu reden, preist die Männer, zu deren Sturz und Verfolgung er aufruft – „For Brutus is an honourable man“, was mit jeder Wiederholung ironischer klingt; Vincenzo Camuccini, "Morte di Cesare", 1798,er gewinnt das Volk mit geschickter Demagogie und handfester Bestechung. Es wird rebelliert, gebrandschatzt, gemordet, lang sind die Todeslisten der neuen Herren; Brutus und Cassius fliehen aus Rom, ein Bürgerkrieg folgt. In der Entscheidungsschlacht bei Philippi in Makedonien stehen sie schließlich Mark Anton und seinem Verbünden Octavian, dem späteren Kaiser Augustus, gegenüber; unterliegen und geben sich selbst den Tod. –

Man zählt das Stück gemeinhin zu den beliebten, aber nicht den ganz großen unter Shakespeares Dramen. Das hat Gründe. Manche Figuren sind zweidimensional, die letzten beiden Akte vergleichweise schwach. Das Spiel heißt nach Cäsar; der ist nach halber Strecke tot und erscheint nurmehr als Geist. Eigentliche Hauptfigur ist Brutus, dem freilich eine gewisse Tiefe fehlt. Zu gut, zu edel; stolzer Römer, aufrechter Patriot ohne persönlichen Ehrgeiz, nur an das Wohl seiner Stadt denkend; zärtlich-liebender Ehemann, treusorgend zu seinen Dienern. Dergleichen Reinheit gibt es nicht in der Wirklichkeit, außerhalb von Klostermauern, nicht in leitender politischer Stellung; wer dorthin gelangt, war nie so oder wandelte sich auf dem Wege.

S021_Caesar_2Freilich liegt darin genau die Pointe des Stücks. Und die sticht. Der Edelmut bringt das Verhängnis; Cassius, der Intrigant, hat stets den besseren Instinkt. Blutig mit Cäsars Freunden aufzuräumen wäre angeraten gewesen: „I think it is not meet Mark Antony, so well beloved of Caesar, should outlive Caesar.” Weniger Blut wäre dann am Ende wohl geflossen, der neue Bürgerkrieg vermieden worden. Brutus lässt den Antonius stattdessen zur Menge reden, der er selbst nichts darbietet als seine noblen Absichten; die tragen bis zu den fünfundsiebzig Drachmen, die Mark Anton jedem Bürger verehrt, angeblich aus Cäsars Erbe. Später, in Makedonien, sucht Brutus die Entscheidungsschlacht im falschen Moment und führt sie schlecht; schilt vorher Cassius ob der gewaltsamen Eintreibung der Tribute und zerstreitet sich fast mit ihm. – Für Putsche und Mordkomplotte braucht man Schurken, keine Edelmänner. Zum Gelingen der Verschwörung leistet Brutus kaum einen Beitrag und steht am Ende doch als Verräter da; sticht im Senat als letzter auf Cäsar ein, nurmehr symbolisch und ist doch von Blut und Schuld befleckt.

Reinheit gibt es in der Welt der Ideen, nicht im Handeln, dann jedenfalls nicht, wenn es um Fragen der Macht geht. Ideen, Interessen, technische Mittel mögen kommen und gehen; dieses Gesetz bleibt.


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S021_Caesar_1Die Handlung ist schnell erzählt. Rom im Jahre 44 v. Chr. Julius Cäsar, erfolgreicher Feldherr, Sieger im Bürgerkrieg gegen Pompeius, ist im Volk beliebt und unumschränkter Herrscher des Reiches. Noch aber trägt er formal nur Titel der Republik; Senator, Konsul, Diktator auf Lebenszeit. Ob er nach der Königskrone greifen wird, ist vieldiskutierte Frage. Die Eliten der alten Ordnung fürchten es; fürchten um ihre eigene Stellung. Es bildet sich eine Verschwörergruppe mit dem umtriebigen Caius Cassius an der Spitze. Sie plant, Cäsar zu beseitigen. Aber sie braucht Verbündete, um das Volk für sich zu gewinnen und die Macht zu sichern. Ihre Aufmerksamkeit fällt auf Cäsars engen Vertrauen, den angesehenen Marcus Brutus. Ihn sucht Cassius zu überzeugen: dass Cäsars Alleinherrschaft nicht Schicksal sei und enden könne, wenn man den Mut nur fände – „The fault, dear Brutus, is not in our stars, but in ourselves, that we are underlings“; dass Brutus innerlich doch längst selbst zu diesem Schluss gekommen– „And since you know you cannot see yourself so well as by reflection, I, your glass, will modestly discover to yourself that of yourself which you yet know not of.” Unter Zuhilfenahme einiger Finten gelingt es schließlich; Brutus ist überzeugt, und damit ist es beschlossen: „It must be by his death”. Cäsar, sichtbar älter geworden, mit dem Alter auch abergläubisch, aber dennoch stolz, herrisch, starrsinnig, schlägt alle Warnungen in den Wind und begibt sich an den Iden des März in den Senat. Dort fällt er unter den Dolchen der Verschwörer.

Die beginnen nun, Fehler zu machen. Cäsars junger Freund Mark Anton wird verschont, ja erhält die Erlaubnis, nach Brutus zum Volk zu sprechen, das sich derweil vor dem Kapitol versammelt hat. Die Reden bilden den Höhepunkt des Stücks; Musterbeispiele kunstvoll verrenkter Rhetorik. Brutus lobt Cäsars Verdienste und bedauert, dass man ihn hat töten müssen: „As Caesar loved me, I weep for him; as he was fortunate, I rejoice at it; as he was valiant, I honour him; but — as he was ambitious, I slew him.” Mark Anton, der versprechen musste, nicht schlecht von den Verschwörern zu reden, preist die Männer, zu deren Sturz und Verfolgung er aufruft – „For Brutus is an honourable man“, was mit jeder Wiederholung ironischer klingt; Vincenzo Camuccini, "Morte di Cesare", 1798,er gewinnt das Volk mit geschickter Demagogie und handfester Bestechung. Es wird rebelliert, gebrandschatzt, gemordet, lang sind die Todeslisten der neuen Herren; Brutus und Cassius fliehen aus Rom, ein Bürgerkrieg folgt. In der Entscheidungsschlacht bei Philippi in Makedonien stehen sie schließlich Mark Anton und seinem Verbünden Octavian, dem späteren Kaiser Augustus, gegenüber; unterliegen und geben sich selbst den Tod. –

Man zählt das Stück gemeinhin zu den beliebten, aber nicht den ganz großen unter Shakespeares Dramen. Das hat Gründe. Manche Figuren sind zweidimensional, die letzten beiden Akte vergleichweise schwach. Das Spiel heißt nach Cäsar; der ist nach halber Strecke tot und erscheint nurmehr als Geist. Eigentliche Hauptfigur ist Brutus, dem freilich eine gewisse Tiefe fehlt. Zu gut, zu edel; stolzer Römer, aufrechter Patriot ohne persönlichen Ehrgeiz, nur an das Wohl seiner Stadt denkend; zärtlich-liebender Ehemann, treusorgend zu seinen Dienern. Dergleichen Reinheit gibt es nicht in der Wirklichkeit, außerhalb von Klostermauern, nicht in leitender politischer Stellung; wer dorthin gelangt, war nie so oder wandelte sich auf dem Wege.

S021_Caesar_2Freilich liegt darin genau die Pointe des Stücks. Und die sticht. Der Edelmut bringt das Verhängnis; Cassius, der Intrigant, hat stets den besseren Instinkt. Blutig mit Cäsars Freunden aufzuräumen wäre angeraten gewesen: „I think it is not meet Mark Antony, so well beloved of Caesar, should outlive Caesar.” Weniger Blut wäre dann am Ende wohl geflossen, der neue Bürgerkrieg vermieden worden. Brutus lässt den Antonius stattdessen zur Menge reden, der er selbst nichts darbietet als seine noblen Absichten; die tragen bis zu den fünfundsiebzig Drachmen, die Mark Anton jedem Bürger verehrt, angeblich aus Cäsars Erbe. Später, in Makedonien, sucht Brutus die Entscheidungsschlacht im falschen Moment und führt sie schlecht; schilt vorher Cassius ob der gewaltsamen Eintreibung der Tribute und zerstreitet sich fast mit ihm. – Für Putsche und Mordkomplotte braucht man Schurken, keine Edelmänner. Zum Gelingen der Verschwörung leistet Brutus kaum einen Beitrag und steht am Ende doch als Verräter da; sticht im Senat als letzter auf Cäsar ein, nurmehr symbolisch und ist doch von Blut und Schuld befleckt.

Reinheit gibt es in der Welt der Ideen, nicht im Handeln, dann jedenfalls nicht, wenn es um Fragen der Macht geht. Ideen, Interessen, technische Mittel mögen kommen und gehen; dieses Gesetz bleibt.


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