Der Architekt

Die Reformperiode in den Rheinbundstaaten unter Napoleons Vorherrschaft galt den Freiheitskriegern von 1813 als unglückliche Zeit der Fremdherrschaft. Das war sie auch; unter anderem. Doch ebenso war es eine schöpferische Zeit des Aufbruchs auf vielen Gebieten. Wie kein zweiter steht dafür Maximilian Graf von Montgelas, unter dessen Regierung Bayern zu einem modernen Staat wurde.


ALLE Artikel im Netz auf aka-bklaetter.de lesen und auch das Archiv?

Jetzt kostenlos

Anmelden


Montgelas ist offensichtlich kein bayerischer Name wie Huber oder Stoiber. Des Ministers Vorfahren väterlicherseits entstammten einer alten Familie von Landadeligen und Beamten aus dem französischsprachigen Savoyen; seine frühe Prägung erfuhr er im Kolleg in Nancy und als Student im zweisprachigen Straßburg; und auch wenn Bayern für ihn stets „ma chère patrie“ war, parlierte er zeitlebens gepflegter Französisch als Deutsch. Ein Landfremder also? Halb und halb. Aber so ging es eben zu in jener Zeit, in der ein Korse Kaiser der Franzosen wurde, der Rheinländer Metternich Österreichs erster Staatsmann und eine ganze Schar zugezogener Einwanderer zu Preußens großen Reformern; so Stein, Hardenberg, Scharnhorst, Gneisenau. Bayern verdankt ihm viel, diesem Freiherrn, später Grafen Maximilian von Montgelas: sein modernes Staatswesen ebenso wie seinen geographischen Umfang. Einen ähnlichen Rang erreichte vor Franz Josef Strauß kein anderer bayerischer Staatsmann in der neueren Geschichte.

Balanceakt auf dem Seile

Wie Strauß war Montgelas vor allem in der Außenpolitik daheim. Die war in seiner aktiven Zeit von der Französischen Revolution und von Napoleon geprägt, zwei Phänomene, die über Europa, und gerade seine Klein- und Mittelstaaten, hereinbrachen wie Naturgewalten. Nationalistische Historiker haben später die Montgelassche Außenpolitik, speziell den Bündniswechsel 1805 hin zu Frankreich, verdammt. Doch wer das tut, verkennt die verzwickte Lage, in der ein Außenminister in München damals steckte.

Bayerns Hauptgegner an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert war nicht Frankreich, sondern Österreich; die Pläne Kaiser Josephs II., Bayern dem Haus Habsburg einzuverleiben, waren nicht vergessen, erlebten im Gegenteil, da die Wittelsbacher unter dem schwachen Kurfürsten Karl Theodor angreifbar erschienen, eine Renaissance. Zumindest wollte Österreich mit Salzburg, Passau, Berchtesgaden die Hauptquellen des bayerischen Salzhandels an sich bringen und seinem Nachbarn so einen Großteil seiner Wirtschaftskraft entziehen. Anlehnung an Österreichs Gegner, Preußen zunächst, später Frankreich, war für die bayerische Außenpolitik damals überlebensnotwendig.

Mehrer Bayerns

Einen anti-österreichischen Zug hat auch die zweite Maßnahme, deretwegen Montgelas später, vor allem unter König Ludwig I., in die Kritik geriet: die umstrittene Mediatisierung geistlicher Fürstentümer und die Aufhebung der Klöster. Denn die Fürstbischöfe, Reichsstädte und Reichsritter waren Hauptstütze der Habsburger im Reichstag, ihre Verdrängung somit im bayerischen Interesse.

Doch nicht nur deshalb. Die Vergrößerung der Mittelstaaten war um 1800 allgemeine Losung. Die durch Frankreich besetzten linksrheinischen Gebiete waren verloren, auch die Wittelsbacher hatten Verluste davongetragen, für die sie Kompensation erwarteten. Altes Recht galt nicht mehr. Wer überleben wollte, musste wachsen, gedachte er dem Schicksal Polens zu entgehen. „Der einzige Weg, der dorthin führen kann“, formulierte Montgelas, „ist derjenige der Entschädigung durch Säkularisation, die durch die Franzosen gefordert, durch die Reichsdeputation angenommen, durch den kaiserlichen Kommissär namens des Reichsoberhauptes gebilligt worden ist.“ Bayern tat, was damals alle taten. Freilich trieb es dieses Geschäft besonders tüchtig und wurde durch die Erwerbungen zu dem Flächenstaat, der es noch heute ist. Die Integration von mehr als 80 ehemals reichsunmittelbaren Territorien in den bayerischen Staatskörper bleibt eine der großen administrativen Leistungen jener Zeit.

Durchbruch zum modernen Staat

Und nicht die einzige. Die Montgelaszeit ist eine Epoche der inneren Umbrüche für Bayern. Wie planvoll Montgelas dabei vorging, zeigen frühere Schriftstücke, etwa das Ansbacher Mémoire von 1796, drei Jahre, ehe er Minister wurde, in dem viele der großen Reformen schon vorgezeichnet waren. Die klare Aufgabenverteilung unter den Ministern, die gesicherte Rechtsstellung und Besoldung der Beamten, die Abschaffung der Erblichkeit und Käuflichkeit von Ämtern, der Kampf gegen die Korruption; die religiöse Toleranz und Parität der Konfessionen; die Freiheit der Presse. Montgelas regierte im Geist der Aufklärung und sah darin keinen Widerspruch zu einem – konstitutionellen – Regiment des Fürsten. „Je aufgeklärter die Menschen sind, desto mehr lieben sie ihre Pflicht und stehen zu einer Regierung, die sich wirklich um ihr Glück bemüht.“

Mehr kam hinzu. Die Trennung von Verwaltung und Justiz, die neue Gerichtsverfassung, die Gleichheit vor dem Gesetz; die gleiche Grundsteuer ohne Ausnahme des Adels; die Förderung des Handels, die Aufhebung der Binnenzölle; die Wehrpflicht. Man staunt im nachhinein, wie das alles möglich war, in einer Zeit, in der ständig Krieg geführt wurde und fremde Truppen durch Bayern marschierten und jeden Tag der Staatsbankrott drohte. Alles ohne Revolution, als ministerielle Reform mit dem Segen des Kurfürsten, später Königs Max Joseph. Und ohne dabei unüberwindliche Widerstände im Land zu provozieren – außer im zwischenzeitlich bayerisch gewordenen Tirol, wo die Bauern lieber ihre althergebrachte Lebensweise behalten mochten und sich gegen die neuen Herren blutig erhoben.

Montgelas hatte Zeit zur Vorbereitung gehabt. Als Berater des wittelsbachischen Herzogs von Zweibrücken, der Erbe Bayerns und damit gleichsam Kurfürst im Wartestand war, hatte er über Jahre Pläne schmieden können. Als diese Pläne weithin durchgeführt waren, wurde Montgelas konservativer; zu manchem, etwa zu einem Parlament, das diesen Namen verdiente, kam es erst nach seiner Regierungszeit, die 1817 endete. Doch anders als in anderen deutschen Staaten wurden seine Reformen nicht zurückgenommen. Sie stehen nicht hinter denen Steins und Hardenbergs zurück. Montgelas bleibt der Architekt des modernen Bayern.


...mehr Lesen in den akademischen Blättern oder ganze Ausgaben als PDF?


Jetzt hier kostenlos Anmelden