Der ewige Antisemitismus – Elemente eines deutschen Problems

Der Antisemitismus erscheint vielen als eine Weltanschauung vergangener Epochen. Schaut man jedoch genauer hin, existiert diese Ideologie weiterhin ungebrochen. Zwar haben sich die Aussagen gewandelt und der kollektive Hass hat sich in Chiffren gekleidet, doch noch immer aktualisieren sich darin alte Vorurteile und Ressentiments. Wer wissen will, was Antisemitismus heute ist, muss zunächst an die

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Der Antisemitismus erscheint vielen als eine Weltanschauung vergangener Epochen. Schaut man jedoch genauer hin, existiert diese Ideologie weiterhin ungebrochen. Zwar haben sich die Aussagen gewandelt und der kollektive Hass hat sich in Chiffren gekleidet, doch noch immer aktualisieren sich darin alte Vorurteile und Ressentiments. Wer wissen will, was Antisemitismus heute ist, muss zunächst an die politischen Ränder gucken. Teil 1 einer zweiteiligen Kolumne.

„Hass auf Juden gibt es doch überhaupt gar nicht mehr. Wenn überhaupt, handelt es sich dabei um Aussagen von vereinzelten Irren, die nicht mit der modernen Welt klarkommen.“ So oder ähnlich dachten viele Deutsche in den vergangenen Jahren. Die alten Kader der NPD nimmt kaum noch jemand als reale Bedrohung wahr und überhaupt: „Deutschland gehört doch heute zu den Guten“, mag man hinzufügen. Immerhin hat die Bundesrepublik einen Außenminister, der nach eigenem Bekunden „wegen Auschwitz in die Politik gegangen“[1] ist und 2008 versicherte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Rede in der Knesset, dass die Sicherheit Israels sie nicht verhandelbar sei.[2] Da jedes Volk genau die Regierung zu haben scheint, die es verdient, könnte man nun davon ausgehen, dass Antisemitismus wirklich ein Problem vergangener Tage ist.

Als jedoch Stephan B. am 9.10.19 um 11:54 Uhr aus seinem Auto stieg und einen Anschlag in der Synagoge von Halle zu verüben, wurden die dort anwesenden betenden Menschen nicht von der deutschen Staatsräson gerettet. Sie alle verdanken ihr Leben dem „Security Assistance Fund“ der „Jewish Agency for Israel“, der die Eingangstür der Synagoge bereits im Jahr 2015 verstärkte.[3] Das Land Sachsen-Anhalt sah sich im Vorfeld nicht dazu genötigt, das Sicherheitskonzept der Gemeinde zu verbessen.[4] Noch schockierender ist es jedoch, dass Juden in Deutschland überhaupt auf Polizeischutz und verstärkte Türen angewiesen sind.

„Vor dem Antisemitismus ist man nur auf dem Monde sicher“

Natürlich drängt sich die Frage auf, warum es so weit kommen konnte. Hat die Bundesrepublik denn nicht aus ihrer Geschichte gelernt? Immerhin gibt es doch kaum Deutsche, die sich offen antisemitisch äußern. Das stimmt zwar, allerdings verdeckt dieser Umstand die Tatsache, dass der ideologisch motivierte Judenhass seit Ende des Zweiten Weltkrieges – wenngleich nicht in der breiten Masse, so doch in einigen gesellschaftlichen Gruppen – weiter besteht.

„Vor dem Antisemitismus ist man nur auf dem Monde sicher.“ Diese ernüchternde Feststellung tätigte die jüdische Philosophin Hannah Arendt im Dezember 1941 und antwortete damit auf die Hoffnungen vieler Emigranten, irgendwann auf der Erde ein Territorium zu finden, das sie vor Verfolgung schützen könne. 72 Jahre ist es her, seit der Staat Israel zur Schutzmacht jüdischen Lebens wurde. Und obwohl das Dritte Reich Geschichte ist, gibt es noch immer zahlreiche Anfeindungen gegenüber jüdischen Gemeinden und den israelischen Staat in Deutschland. Zwar zeigt sich der Antisemitismus nicht mehr so eindeutig wie zu Anfang des 19 Jahrhunderts, als er sich vom alten religiösen Hass, zur politischen Weltanschauung entwickelte. Nur selten werden in antisemitischen Äußerungen sozialdarwinistische Einstellungen offen gezeigt. Trotzdem existieren latente, feindselige Überzeugungen gegen Juden als Kollektiv fort. Dies führt über Vorurteile und Diskriminierung, bis hin zur politischen Mobilisierung. Die Gründung Israels hat den alten Antisemitismus dabei um eine neue Dimension erweitert: der moderne Antizionismus. In dieser Form erhalten sich viele Ressentiments und Vorurteile als Chiffren. Dem ungeübten Auge fallen diese Äußerungen kaum auf. Immerhin tarnt sich dieser Antisemitismus als sogenannte „Israelkritik.“ Dazu eins vorweg: Natürlich darf man die Politik eines Staates kritisieren und gerade Israel wird in den deutschen Medien oft und gerne behandelt. Allerdings ist es schon eigenartig, dass eine einfache Suchanfrage bei Google 73.400 Treffer ergibt. Auf der anderen Seite erreicht der Begriff „Irankritik“ nur 15.600 Ergebnisse und „Syrienkritik“ gar nur 1.500 Treffer.

Dieser Umstand lässt aufhorchen. Schaut man etwas genauer, gelangt man in ein komplexes Themenfeld, das seit Jahren ganze Regalmeter Bücher füllt und zu einer laufenden Debatte über den modernen Antisemitismus geführt hat. Wie könnte es daher an sein, hier eine umfassende Betrachtung dieses Phänomens zu liefern? Eins kann jedoch vorab festgestellt werden. Man sticht in ein Wespennest, wenn man sich mit den modernen Formen des Antisemitismus beschäftigt, und fördert Strukturen zutage, die von den politisch extremen Rändern, bis ins bürgerliche Lager verlaufen. In fast allen politischen Strömungen finden sich Elemente und Strukturen, die in irgendeiner Weise alte Stereotype reproduzieren und dabei zur Steigerung von Hasskriminalität gegen Juden beitragen. Die Protagonisten des bürgerlichen Antisemitismus beklagen dabei nicht selten, dass „ihre Wahrheiten“ nicht geäußert werden dürften. Ein Blick ins intellektuelle Lager genügt, um zu zeigen, dass diese Tabubrüche sogar gefeiert werden: Personen wie Martin Walser und Günter Grass beweisen, dass man mit Antisemitismus sogar Geld machen kann. Doch zunächst soll es um den Ursprungsort dieser Weltanschauung gehen.

Neue Nazis, alte Weltanschauung

Beobachtet man den Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, lernt man schnell, dass es die alte, rassistisch motivierte Weltanschauung noch immer gibt. So plakatierte die Splitterpartei „Die Rechte“ zur Europawahl 2019 den Text: „Zionismus stoppen: Israel ist unser Unglück – Schluss damit“ und bedienten sich damit dem Slogan Heinrich von Treitschkes aus dem Jahr 1879. Jüdische Organisationen erstatteten in mehreren deutschen Städten Anzeige, allerdings wurde die Klage abgewiesen. Die Staatsanwalt Dortmund begründete dies damit, dass man den Satz auch anders interpretieren könne, da weitere Auslegungen denkbar seien.[5]

Apropos Dortmund: Dort hat sich seit geraumer Zeit eine Gruppe von bekennenden Nationalsozialisten breit gemacht und den Stadtteil Dorstfeld mit „Nazi-Kiez“ Graffitis vollgeschmiert. Die 25 Personen umfassende Gruppe besitzt dort ein eigenes Haus und mietete bereits vier weitere Wohnungen für den Zuzug weiterer Kameraden an. Scheinbar ungestört agiert diese Gruppe dort und korrespondiert z. B. mit der – in der Szene bekannten – Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck. Zu Aufmärschen skandieren sie Parolen wie „Anne Frank war essgestört“ und „wer Deutschland liebt, ist Antisemit.“[6] Nur weil Zivilgesellschaft und Polizei nicht von Beginn an gegen dieses Phänomen vorgingen, konnte dieser sogenannte „Nazi-Kiez“ überhaupt entstehen.

Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, entstand vor den Augen der Öffentlichkeit das rechtsextreme „Schild & Schwert Festival“ (kurz SS), auf dem sich die „Elite“ der Szene die Klinke in die Hand drückt. Das Event erregte Aufsehen, weil der eigens organisierte Sicherheitsdienst „Arische Bruderschaft“ T-Shirts trug, deren Aufdruck dem Wappen einer Division der Waffen-SS entsprach.[7] Zwischenzeitlich musste die Uniformierung auf links gedreht werden, um die verfassungsfeindlichen Symbole zu verdecken. Die Besucher konnten auf dem Gelände trotzdem Zeitungen a la „Nationaler Sozialismus Heute“ kaufen. Solltet darin „Kapitalismuskritik“ stehen, kann man ja mal raten, wer dort als Erzfeind aufgeführt wird.  Fand das Festival im Jahr 2018 noch zum Geburtstag Adolf Hitlers statt, so startete die Veranstaltung im Jahr darauf am Tag der Kriegserklärung an die Sowjetunion.

Veranstaltet werden Treffen dieser Art von Thorsten Heise. Er ist Mitglied im Bundesvorstand der NPD und gilt gemeinhin als „Rückgrat“ der rechtsextremen Szene. Viele Stränge laufen bei ihm zusammen. So gehört Heise zu den größten Verlegern rechtsextremistischer Musik und betreibt einen eigenen Verlag zur Verbreitung klassisch nationalsozialistischer Weltanschauung.

Wie klein die Welt sein kann, zeigt sich ebenfalls an der Figur Thorsten Heise. Im Jahr 2008 zog er in die Nachbarschaft von Björn Höcke, dem Vorsitzenden der AfD Thüringen. Pikant ist diese Tatsache deswegen, weil zwei Bürger der Stadt Bornhagen beeideten, dass beide sich mehrmals besuchten und Höcke sogar beim Umzug Heises half. Doch damit nicht genug: Es gibt zahlreiche Indizien dafür, dass Höcke unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ Texte für Heises Zeitungen „Volk in Bewegung“ und „Der Reichsbote“ schrieb.[8] Bewiesen ist dies zwar nicht, allerdings weigert sich Höcke bis heute, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, obwohl der AfD-Bundesvorstand dies gefordert hatte. Des Weiteren ist die Partei darum bemüht, sich ein israelsolidarisches und judenfreundliches Antlitz zu geben. So gründete sich im Jahr 2018 der Arbeitskreis „Juden in der AfD.“ Doch hinter der Verteidigung, des ach so jüdisch-christlichen, Abendlandes gären antisemitische Klischees.

Der Rechtspopulismus und das Unbehagen mit der Erinnerungskultur

Das man es mit der gemeinsamen Geschichte nicht so ernst meint, machte Björn Höcke während eines Vortrags der Jungen Alternative im Jahr 2015 deutlich klar: „Christentum und Judentum stellen einen Antagonismus dar. Darum kann ich mit dem Begriff des christlich-jüdischen Abendlands nichts anfangen.“[9] Diese Aussage korreliert mit dem Tenor von Höckes berüchtigter „Dresdner Rede“, die wohl die Intention verfolgte, „am Gemütszustand eines total besiegten Volkes“ zu rütteln. Unter Jubelstürmen verkündete er die „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“, die es endlich wieder möglich machen werde, auf die Leistungen Deutschlands stolz zu sein. Da dieser volkstümliche Patriotismus durch die Amerikanisierung seit Ende des Zweiten Weltkriegs verhindert werde, gilt es für Höcke diesem Trend entgegenzuwirken. Und ungeachtet dessen, dass die vermeintlich dekadente, westlich-amerikanische Kultur den Deutschen erst die Zivilisation gebracht hat, ist diese Forderung nichts anderes als Geschichtsrevisionismus, der einer anderen Form von Antisemitismus den Boden bereitet. Wer vom „Denkmal der Schande“ spricht befördert das, was der Philosoph Adorno den „Antisemitismus nicht trotz, sondern wegen Auschwitz“ nennt.

In dieser Spielart des Antisemitismus gelten Juden als Störenfriede, die das Gefühl des Stolzes auf die eigene Nation unmöglich machen wollen. Der Nahostkonflikt dient dabei oft als Projektionsfläche zur Bestätigung des eigenen Ressentiments. So verglich Dirk Hoffmann (Ex-Landesvorstand der AfD in Sachsen-Anhalt) die militärischen Interventionen in der Westbank mit dem Dritten Reich: „Gerade die Israelis werfen uns Deutschen immer wieder den Holocaust vor. Was aber die Israelis in Gaza machen, ist mindestens genauso schlimm.“[10] Dieser Schuldabwehrmechanismus entspringt dem Wunsch eines Schlussstriches, der noch viele andere Aussagen hoffähig macht.

Deutlich wurde dies besonders, als Iris Wassill (AfD München) einen Vortrag über die „Machteliten am Beispiel George Soros“ hielt (online abrufbar).[11] Inhaltlich drehte sich alles um die sogenannte „Umvolkung“, ein Kernbegriff innerhalb der Neuen Rechten, mit Ursprung in der nationalsozialistischen Volkstumspolitik. In heutiger Verwendung verbirgt sich hinter dieser Chiffre ein Verschwörungsmythos. Demnach soll eine geheime Weltelite den Austausch des deutschen Volkes durch Migrantenwellen forcieren. Doch so geheim ist dieses bösartige Gremium von „Internationalisten“ nicht: Wassill und andere meinen herausgefunden zu haben, dass die Welt eigentlich von Namen wie Soros, Rothschild oder Rothschild regiert wird.

Obwohl man es nie explizit formuliert, fällt auf, dass alle genannten Akteure Juden sind. Die Art und Weise, wie sie die Fäden in der Hand halten sollen, gleicht dabei alten Beschreibungsmustern a la Stürmer und Völkischer Beobachter. Wassill beschreibt diese Menschen als staatenlose Superreiche, die im Verborgenen agieren und ihre Identität verschleiern. Im Interesse einer neuen Weltordnung sollen sie Revolutionen anzetteln und die Presse der westlichen Welt manipulieren. Man braucht keine Fantasie, um das historische Beispiel dieser Verschwörungstheorie zu finden. Adolf Hitler selbst verbreitete in seinem Buch „Mein Kampf“ die kuriose Idee, dass das Weltjudentum den russischen Bolschewismus verschuldet habe, um die Weltherrschaft zu erlangen.[12]

Wie kann es dann verwundern, wenn kaum jemand in den bürgerlich-konservativen Kreisen der AfD aufschreit, wenn der Verfassungsschutz Beweise dafür findet, dass der brandenburgische Landesvorsitzende Andreas Kalbitz im Jahr 2007 bei einem Zeltlager der – mittlerweile verbotenen – „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) mitmischte und 14 Jahre lang Kontakt zu führenden Funktionären der Gruppe pflegte.[13]

Diese Umstände veranlassten Charlotte Knobloch (Präsidentin der israelischen Kultusgemeinde München) zu dem Urteil, dass sich die AfD nur als Bündnispartner Israels hinstelle, insofern sie in dem Staat ein Bollwerk gegen den Islam und damit einen Verteidiger des Abendlands sehe. Dabei gehe es der AfD nicht um Individualismus und Liberalismus, sondern nur um einen Kampf gegen die Moderne. Im Gegenzug für diese Kritik wird berichtet Knobloch von Beleidigungen im Minutentakt.[14]

Wer daraus den Schluss zieht, nur das rechte Lager habe ein Problem mit Antisemitismus, liegt falsch. Auch einige linksradikale Zirkel pflegen eine lange antisemitische Tradition. Elemente davon reichen bis zu den Frühsozialisten.

DDR und 68

Es ist allgemein nur unzureichend bekannt, dass gewisse linke Strömungen judenfeindlich sind. Dabei haben diese Einstellungen eine lange Tradition in Deutschland. Prominentes Beispiel ist die Rote-Armee-Fraktion (RAF), die nach dem Terroristen Karl-Heinz Dellwo Ziele verfolgt habe, die über jeden Zweifel erhaben seien.[15] Doch erst wenn man die Sache umgekehrt betrachtet, wird ein Schuh daraus. Die angeblich moralisch erhabene Truppe war derart antizionistisch, dass man von Antisemitismus sprechen muss. In einer ihrer Essays gab Ulrike Meinhof zu verstehen, dass der israelische Verteidigungsminister Mosche Dajan der Wiedergänger Heinrich Himmlers sei und dieser jetzt die Palästinenser als die neuen Juden auserkoren habe.[16] Als Dank für diese Unterstützung trainierte die PLO die RAF für den Guerillakrieg.

Mit der Studentenbewegung von 68 entwickelte sich schließlich eine weitere Spielart des Marxismus und mauserte sich zum geschlossenen Weltbild vieler K-Gruppen: Der neue Antiimperialismus. Im Namen aller „unterdrückten Völker“ in Südamerika, Afrika, dem Nahen Osten und Vietnam sah man sich als Kämpfer gegen Imperialismus, Amerika und Zionismus.

Auch die offizielle Ideologie der DDR entwickelte sich in diese Richtung. Obwohl schon Karl Marx vor personifizierter Kapitalismuskritik warnte und darauf hinwies, dass Kapitalist und Grundeigentümer nur „Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen sind“[17], bildete sich in der sozialistischen Republik der Mythos von agierenden Eliten auf dem Finanzmarkt.[18] Das führte zu einer Propagandawelle, in der sogar Parteifunktionäre der SED beschuldigt wurden, „jahrelang als ‚zionistische Agenten‘ an der ‚Ausplünderung Deutschlands‘ und der ‚Verschiebung von deutschem Volksvermögen‘ zugunsten amerikanischer und ‚jüdischer Monopolkapitalisten‘ gearbeitet zu haben.“

Als Israel damit begann, sich nach Westen zu orientieren, positionierte sich die DDR auf die Seite der arabischen Staaten und unterstützte die PLO finanziell und militärisch. Die Welt wurde nach antiimperialistischer Weltanschauung geordnet. Während die arabischen Staaten als unterdrückte Völker dargestellt wurden, die nichts anderes als den Frieden im Sinn haben, stilisierte diese Ideologie Israel zum imperialistischen Bösen schlechthin. Die SED charakterisierte den Zionismus nicht nur als Brückenkopf gegen den Westimperialismus, sondern über das „Neue Deutschland“ außerdem verlauten, Israel plane die massenhafte Sterilisierung von Arabern und verteile Bomben, die als Kugelschreiber getarnt seien.[19] Und niemand wird verneinen können, dass diese Äußerungen nur einen kleinen Schritt von mittelalterlichen Vorurteilen gegen Juden entfernt sind.

„9mm für Zionisten“

Diese antisemitischen Ideen sind nicht in Vergessenheit geraten. Die 68er Bewegung zerfiel in K-Gruppen und aus diesen gingen mehrere Kleinstparteien und Vereine hervor. Am verwirrtesten tritt die „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD) auf und verbreitet die alten Kamellen des Antiimperialismus, gepaart mit einer gehörigen Portion Verschwörungstheorien. Kritiker ihrer wirren politischen Vorstellungen identifizieren die Mitglieder als, von Israel bezahlte Zionisten, die als „Spaltpilze“[20] in der Szene agieren. Gemeint sind israelsolidarische Netzwerke innerhalb der deutschen Linken, die es sich die Kritik am eigenen Lager zur Aufgabe gemacht haben. Darüber hinaus arbeitet die MLPD eng mit der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) zusammen und unterstützt die Organisation in der Arbeit an einer neuen Intifada.

Die Vertreter antizionistischen Linken legen zwar Wert darauf, keine Antisemiten zu sein, da es ihnen ja um die Kritik Israels gehe, jedoch geht diese soweit, dass dem Staat das Existenzrecht abgesprochen wird. Das ist deswegen pikant, weil wohl niemand Besonders vehement agierte die Gruppe „Jugendwiderstand“, ein maoistischer Schlägertrupp aus Neukölln, der sich selbst als Speerspitze des jugendlichen Proletariats und der arbeitenden Massen sieht. Bei all ihrer Agitation fiel der starke Bezug zum Nahen Osten auf. Immer wieder erschienen in Neukölln Graffitis mit Bezug zum „palästinensischen Freiheitskampf“ und auch Drohungen verbreitete die Gruppe. An einigen Wänden konnte man den Spruch „9mm für Zionisten“ lesen. Vertreter des Jugendwiderstands betonten zwar, dass es ihnen immer um die Kritik am israelischen Staat gegangen sei und Juden damit niemals gemeint seien, allerdings gibt es zahlreiche Delikte gegenüber Menschen, die offen „jüdische Symbole“ trugen.[21] Eine Kippa reicht dabei bereits aus, um ein Vertreter des internationalen Imperialismus zu sein. Straftaten wie diese beweisen, dass der Begriff „Israelkritik“ für bestimmte Linke nur eine Chiffre ist. Dazu kommt, dass Vertreter des Jugendwiderstands auf Demonstrationen in Berlin gerne kontrollierten, welche Fahnen geschwenkt werden dürfen und welche nicht. Davidsterne gehörten nicht dazu. Zugegeben: Der Jugendwiderstand ist eine bizarre Truppe, die der Hufeisentheorie neue Geltung verschafft. Ihre Angriffe sind von rechtsextremen Gruppen nicht zu unterscheiden. Wie auf rechtsextremistischer Seite gibt es jedoch auch hier Überschneidungen zu einem Lager, dass sich gern geläutert und demokratisch darstellt.

„Kauft nicht bei Juden!“

Vertreter dieser maoistischen Schlägertruppe tummeln sich gern auf Demonstrationen und geben sich als linke Blockwarte. Eine antiimperialistische Protestform steht jedoch besonders hoch im Kurs: Die Gruppe „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS). Dieses international agierende Netzwerk hat das Ziel, den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch zu isolieren, um die „Okkupation und Kolonisierung allen arabischen Landes“[22] zu beenden. Auch hier geht es nicht um die Kritik der Regierung, sondern darum, den Staat Israel abzuschaffen, wie führende Vertreter der Bewegung offen zugeben.

BDS ist kein Nischenphänomen. Die Gruppe hat viele prominente Unterstützer, wie die linke Philosophin Judith Butler, die Schriftstellerin Naomi Klein und der Bundestagsabgeordnete Dieter Dehm (Die Linke). In der Vergangenheit beschäftigte man sich vor allem damit, Auftritte jüdischer Künstler und Politiker zu stören. Außerdem rief man zum Boykott israelischer Produkte auf. Ganz unverhohlen reproduzieren die Aktivisten die alte Parole „Kauft nicht bei Juden.“ Zum Glück konnte BDS in Deutschland das Handwerk gelegt werden. Der Bundestag beschloss 2019, diese Gruppe zu verbieten.

Was bleibt?

Die angeführten Beispiele beweisen, dass der Antisemitismus ungebrochen existiert und sich gerade an den politischen Rändern großer Beliebtheit erfreut. Hoffentlich wurde deutlich, dass bestimmte ideologische Elemente bis in das bürgerliche Lager reichen und sich dort aktualisieren. Denn nicht nur an den Enden des Hufeisens gibt es Ressentiments, wie ein Blick in die jüngere Geschichte beweist.

Auf der linken Seite des „Hufeisens“ sorgen Personen wie Judith Butler und Naomi Klein dafür, dass sich bestimmte Vorurteile reproduzieren. Auf der anderen Seite werden antisemitische Aussagen und tief ideologisch begründeter Hass auf Juden oft verschleiert. Personen wie Martin Hohmann oder Stefan Brandner (beide AfD) fallen durch gezielte Provokationen auf, die von der Parteispitze gedeckt werden.

Dabei sind die Gründe dieser Aussagen nicht relevant. Es kommt auf das gleiche heraus, wenn antisemitische Aussagen vorgetragen werden, weil man „gerade als Deutscher“ verhindern müsse, dass sich die Geschichte wiederholt, oder weil man aufgrund verkürzter Kapitalismuskritik der Meinung ist, dass die Welt von einer Gruppe jüdischer Eliten geleitet werde. In beiden Fällen wird ein „latenter Komplex feindseliger Überzeugungen gegen Juden“ artikuliert.[23]

Nur in der extremen Rechten existiert der rassistisch motivierte Judenhass fort. Der Antisemitismus kleidet sich weltweit in Chiffren und nennt sich Antizionismus. Oftmals wird betont, dass es sich dabei nur um Kritik an der Politik Israels handeln würde. In den meisten Fällen ist das jedoch eine Nebelkerze. Man kritisiert nicht den Staat, sondern lehnt selbstbestimmtes jüdisches Leben ab. Veranstaltungen wie der (endlich verbotene) „al-Quds Tag“ zeigen, wie schnell die Grenzen verwischen und wie schnell brennende Israelflaggen zur Warnung werden können. Es muss klar sein, dass israelbezogener Antisemitismus das gleiche ist, was simpler Judenhass auch ist: ein Gemisch aus Klischees, Stereotypen und Verschwörungstheorien. Angesichts der Tatsache, dass 89% der in Europa lebenden Juden der Meinung sind, dass der Hass auf sie zugenommen habe, ist der Staat Israel ein Glücksfall. Denn dieser ist der einzige Ort auf der Welt, an dem jüdisches Leben nicht diskriminiert wird, und das seit 72 Jahren.

Die Existenz Israels als deutsche Staatsräson

Nach Volker Kauder (CDU) gehört nicht nur die Verantwortung nach dem Zweiten Weltkrieg zur Staatsräson Deutschlands, sondern auch die Existenz des Staates Israel.[24] Alexander Gauland erwiderte darauf, dass Staatsräson in letzter Konsequenz bedeute, im Ernstfall militärisch beizustehen.[25] Zwar schaffte es Gauland nie, die antisemitischen Ausfälle in seiner eigenen Partei zu untersagen, doch hat er in diesem Punkt Recht. Es ist fraglich, ob die Deutschen bereit sind, diesen Schritt zu gehen. Immerhin hegt jeder vierte Bürger in diesem Land antisemitische Gedanken.[26] Oft steht dahinter der Gedanke, dass Juden nicht loyal gegenüber ihren Heimatländern seien könnten und dabei kosmopolitische Ziele verfolgen, die den Nationalstaaten schade.

Bezogen auf uns als VDSter sollten wir uns einen Gedanken von Bundesbruder Hermann Ehlers zu Herzen nehmen: Angesichts der Geschichte des Verbandes stellte er 1953 die Frage, „ob nicht in unserer Geschichte irgendwo ein Rinnsal ist, das in den großen Strom eingemündet ist und mit ihm zu dem geführt hat, was geschehen ist.“ Ohne Zweifel hat der VDSt einen Beitrag zur Katastrophe zwischen 1933 und 1945 geleistet. Daher sollten wir den Schluss daraus ziehen und entschlossen gegen Antisemitismus vorgehen.

 

Teil 2 dieses Textes erscheint in Heft III und wird den religiös motivierten Antisemitismus der Gegenwart behandeln.

[1] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/ich-bin-wegen-auschwitz-in-die-politik-gegangen/

[2] https://www.bpb.de/apuz/199894/israels-sicherheit-als-deutsche-staatsraeson

[3] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article201792040/Terror-in-Halle-Wem-die-Tat-unvorstellbar-erschien-muss-Jahre-im-Tiefschlaf-verbracht-haben.html

[4] https://www.welt.de/politik/deutschland/article201719276/Juedische-Gemeinde-Halle-bat-vergebens-um-besseren-Schutz.html

[5] https://www.welt.de/politik/deutschland/article197724253/Klage-gegen-Die-Rechte-abgewiesen-Zentralrat-der-Juden-empoert.html

[6] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/marschieren-erlaubt/

[7] https://www.tagesspiegel.de/politik/neonazi-festival-schild-und-schwert-hier-treffen-sich-die-paten-des-rechtsterrors/24483544.html

[8] https://andreaskemper.org/2016/01/09/landolf-ladig-ns-verherrlicher/

[9] https://sezession.de/52624/christentum-und-judentum-stellen-einen-antagonismus-dar-ein-fundstueck

[10] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/facebook-fans-aggressives-auftreten-der-afd-in-sachsen-anhalt/13036470-4.html?ticket=ST-657399-a9vWbB2goSJd609nw6Gl-ap6

[11] https://www.youtube.com/watch?v=o48fe9xd2Io

[12] https://www.deutschlandfunkkultur.de/juden-als-feindbild-die-geschichte-des-mythos-der.976.de.html?dram:article_id=433837

[13] https://www.tagesspiegel.de/berlin/brandenburgs-afd-chef-andreas-kalbitz-war-offenbar-hdj-mitglied/25644952.html

[14] https://www.welt.de/politik/deutschland/article187642220/Charlotte-Knobloch-wird-nach-Kritik-an-AfD-im-Minutentakt-bedroht.html

[15] https://taz.de/Antisemitismus-in-der-RAF/!5193915/

[16] Ebd.

[17] Marx, Karl. 2011. Das Kapital. Stuttgart, S. 6.

[18] https://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37957/antisemitismus-in-der-ddr

[19] https://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37957/antisemitismus-in-der-ddr?p=1

[20] https://www.mlpd.de/2018/kw25/antideutsche-von-israel-bezahlte-spaltpilze-in-der-linken-bewegung

[21] https://jungle.world/artikel/2018/09/9-millimeter-fuer-zionisten

[23] https://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37945/was-heisst-antisemitismus?p=1

[24] https://www.youtube.com/watch?time_continue=120&v=C7AMUu1pjW8&feature=emb_logo

[25] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-04/unabhaengigkeitstag-israel-70-jahre-staatsgruendung-bundestag-debatte

[26] https://www.tagesschau.de/inland/antisemitismus-studie-105.html


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