Der Manager

An Walther Rathenau erinnern sich die Deutschen zuerst seines grausamen Todes wegen, ermordet als Außenminister der Republik. Doch zuvor schon griff der feingeistige Industrielle machtvoll in ihr Schicksal ein: als Organisator der Kriegswirtschaft, ohne den das Kaiserreich wohl früh der englischen Blockade erlegen wäre.


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Gewiss, man macht Walther Rathenau, den vielseitig Begabten, kleiner als er war, wenn man nur den Wirtschaftsorganisator ins Auge fasst. Künstler, Philosoph, Techniker, das und mehr war er zweifelsohne. Von Beruf freilich war er Industrieller, und mit dem Industriellen, im weiteren Sinn, haben wir es hier zu tun. Darauf also wollen wir uns beschränken.

Am Rande der Macht

Industrieller war er als Sohn des AEG-Gründers Emil Rathenau von Jugend an. Gerne zwar hätte er einen anderen Beruf ergriffen, als Offizier im Heer oder als Diplomat in der auswärtigen Politik. Doch eine Karriere im preußischen Staatsdienst, wohin die gesetzlich verordnete Emanzipation noch nicht vorgedrungen war, blieb ihm als Jude verwehrt; und konvertieren wollte er trotz persönlicher Zuneigung zum Christentum nicht.

Einfluss gewann er dennoch, als politischer Schriftsteller und einer der mächtigsten Wirtschaftsführer Europas. Wie Albert Ballin gehörte Rathenau zu jenem Kreis der „Kaiserjuden“, mit welchen der hohe Herr zu verkehren beliebte, obgleich auch sein Geist, wovon er im Exil überreich Zeugnis ablegte, von antisemitischen Vorurteilen keineswegs frei war.

Rathenaus Blick auf die internationale Politik war vor allem der des Industriekapitäns. Wenn er das Ohr des Kaisers und des Kanzlers hatte, wirkte er im Sinne der Wirtschaft, was auch hieß: im Sinne von Frieden und Ausgleich. Denn nicht Rüstungen und Säbelrasseln, sondern die Ökonomie bestimmte für ihn die Weltgeltung einer Nation. Und in der engeren Verflechtung, einer Art gesamteuropäischem Wirtschaftskartell, sah er schon 1913 den Weg zur politischen Einheit. „Die Aufgabe, den Ländern unserer europäischen Zone die wirtschaftliche Freizügigkeit zu schaffen, ist schwer; unlösbar ist sie nicht.“ – „Verschmilzt die Wirtschaft Europas zur Gemeinschaft, und dies wird früher geschehen, als wir denken, so verschmilzt auch die Politik.“ – „Gleichzeitig aber wäre dem nationalistischen Hass der Nationen der schärfste Stachel genommen.“

In der Kriegsrohstoffabteilung

Rathenau lag es darum fern, den Krieg zu wünschen. Nicht die Wirtschaft machte den Krieg; Politik, Diplomatie, Generalität machten ihn. Freilich ohne die wirtschaftlichen Implikationen zu bedenken, die sich im Konflikt moderner Industriestaaten miteinander ergaben, gerade für Deutschland, das alsbald von seinen Überseeimporten abgeschnitten wurde. Rathenau bedenkt sie; und stellt sich in den Dienst seines Landes. „Am vierten August“, erzählt er im Rückblick, „als England den Krieg erklärte, geschah das Ungeheure, nie Dagewesene: unser Land wurde zur belagerten Festung. Geschlossen zu Lande und geschlossen zur See war es nun angewiesen auf sich selbst; und der Krieg lag vor uns, unübersehbar in Zeit und Aufwand, in Gefahr und Opfer. – Drei Tage nach der Kriegserklärung ertrug ich die Ungewissheit unserer Lage nicht länger, ich ließ mich melden bei dem Chef des Allgemeinen Kriegsdepartements, dem Oberst Scheuch … Ich legte ihm dar, dass unser Land vermutlich nur auf eine beschränkte Reihe von Monaten mit den unentbehrlichen Stoffen der Kriegswirtschaft versorgt sein könne. Die Kriegsdauer schätzte er nicht geringer ein als ich selbst, und so musste ich an ihn die Frage richten: Was ist geschehen, was kann geschehen, um die Gefahr der Erwürgung von Deutschland abzuwenden? Es war sehr wenig geschehen …“

Rathenau kann Kriegsminister Falkenhayn von der Einrichtung der Kriegsrohstoffabteilung überzeugen, wird im ersten, entscheidenden Dreivierteljahr deren Leiter und ermöglicht dem Reich so das militärische Durchhalten. Er sorgt etwa dafür, dass das knappe, für die Schießpulverproduktion unentbehrliche Ammoniak nicht als Dünger auf den Äckern verstreut wird, bis die Ammoniak-Synthese aus Stickstoff serienreif ist.

Realist und Patriot

Innerlich schwankt Rathenau zwischen patriotischem Pflichtgefühl und Zweifeln an der Legitimation des Krieges. Gelegentlich werden auch bei ihm der Wille zum Sieg und die reine Rüstungslogik stärker als der moralische Kompass; so befürwortet er die Deportation von Zwangsarbeitern aus dem besetzten Belgien zur Stärkung der Rüstungsindustrie. Den uneingeschränkten U-Boot-Krieg lehnt er als politische Torheit ab, weil er die amerikanische Wirtschaftsmacht fürchtet; kann aber General Ludendorff am Ende so wenig überzeugen wie vor dem Krieg den Kaiser. Als es dem Ende zugeht, nach dem Waffenstillstandsangebot im Oktober 1918, fordert er vergeblich die totale Mobilisierung, um in einer letzten Kraftanstrengung erträgliche Friedensbedingungen zu erstreiten.

Die fanatischen Jünglinge, die Rathenau vier Jahre später ermordeten, glaubten einen Vaterlandsverräter zu töten, da er sich nach dem Krieg erneut seiner Regierung zur Verfügung stellte und als Wiederaufbau- und Außenminister die wirtschaftliche und politische Aussöhnung mit den Westmächten organisieren musste; mit den Kompromissen, die in hart bedrängter Lage nach dem Versailler Frieden unvermeidlich dazugehörten. In Wahrheit war er schlicht Realist; vor, in und nach dem Kriege. Und Patriot durch und durch.


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