Der Rebell

Die berühmten preußischen Reformen waren primär ein Werk der städtischen Eliten. Doch siebzehn von zwanzig Preußen lebten um 1800 nicht in der Stadt, sondern auf dem Lande. Dort formierte sich die Opposition der Junker, deren größter Kopf ein Rebell aus der Mark Brandenburg wurde: Friedrich August Ludwig von der Marwitz.


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fal_von_der_marwitzGeistreiche Junker scheinen eine Ausnahme gewesen zu sein. Jedenfalls, wenn man Äußerungen Bismarcks folgt, der selber ein Junker war, aber ein typischer nicht, und dem in seinen jungen Jahren das eintönige Landleben die Freude verdross. „Mein Umgang besteht in Hunden, Pferden und Landjunkern, und bei letzteren erfreue ich mich einigen Ansehens, weil ich Geschriebenes mit Leichtigkeit lesen kann, ruhig und dreist reite und meine Gäste mit freundlicher Kaltblütigkeit unter den Tisch trinke.“

Als der junge Bismarck sich so auf seinem Gut in Pommern dem Suff ergab, war ein anderer berühmter und geistvoller preußischer Landbesitzer gerade einige Jahre tot. Spross eines Mitte des 13. Jahrhunderts erstmals erwähnten Geschlechts, der nach Heinrich von Treitschke „das Urbild des brandenburgischen Junkers“ dargestellt haben soll, dies aber wohl nur zur Hälfte tat und um ein gutes Jahrhundert zu spät. Dem sein Widerstand gegen Hardenbergs Reformpolitik die Festungshaft in Spandau eingetragen hatte, der in seinen späten Jahren zu einer Symbolfigur des ostelbischen, ländlichen Konservativismus geworden war und durch fleißige Schriftstellerei ein wenig auch an der eigenen Legende aktiv mitgestrickt hatte.

Im Widerstand

Friedrich August Ludwig von der Marwitz war ein Starrkopf. Damit zumindest passte er recht gut in den Stand des preußischen Landadels. Störrische Trotzigkeit war so selten nicht unter den alten Junkerfamilien, die, wie Fontane später schrieb, ausgestattet waren mit dem „Selbstgefühl derer, die schon vor den Hohenzollern da waren“. So Marwitz’ Onkel, Johann Friedrich Adolph, der als Offizier im Siebenjährigen Krieg lieber seinen Abschied nahm als einem Befehl des Königs zu folgen und kriegsrechtswidrig ein Schloss plündern zu lassen.

Ein Rebell gegen König und Regierung war nun auch der Neffe, freilich in ganz anderer Sache. Nach 1800 herrschte in Preußen Reformstimmung; zaghaft zunächst noch. Nach der Niederlage gegen Napoleon erst wurde der Ruf nach Reformen unwiderstehlich. Marwitz lehnte sie auch nicht rundweg ab. Die Militärreform fand er, der 1806 bei Jena die Schmach der alten friderizianischen Armee selbst hatte miterleben müssen, dringend notwendig: die allgemeine Wehrpflicht, neue Taktiken und Strukturen; auch wohl die Integration Bürgerlicher in das Offizierskorps, wenngleich er gegenüber den Städtern immer skeptisch blieb. („Der Edelmann und der Bauer sind nur Soldaten; alles, was zwischen beiden liegt, taugt nichts.“)

Gegner war er der politischen und gesellschaftlichen Reformen zunächst Steins und dann Hardenbergs: der Bauernbefreiung, Gewerbefreiheit, Freizügigkeit, die alte Adelsvorrechte auf dem Land beschnitten; des Durchgriffs der zentralen Finanzverwaltung in Belange der örtlichen Kreise an den ständischen Strukturen vorbei.

Marwitz also als Anführer einer mächtigen Adelsfronde, des Widerstands der auf ihren eigenen Vorteil bedachten Landbesitzer? So einfach kann man es sehen; so einfach hat man es gesehen.

Preußischer Patriot

Aber es greift doch zu kurz; ein einfacher Interessenvertreter war Marwitz nicht. Schon deshalb nicht, weil er die Unterstützung seiner Standesgenossen keineswegs durchgehend besaß. In den 1820ern gelangte er zu Macht und Einfluss, als Staatsrat, als Landtagsmarschall; in der eigentlichen Reformzeit aber war er fast ein Einzelkämpfer, der in Wahlen um Mandate mehrmals unterlag und den seine Gutsnachbarn skeptisch beäugten.

Interessenvertreter war Marwitz auch darum nicht, weil er nicht primär in materiellen Interessen dachte. Wer nüchtern kalkulierte, konnte zum gleichen Schluss kommen wie Hardenberg – selbst ein Gutsbesitzer –, dass befreites Landvolk produktiver als bei erzwungenen Frondiensten sein und am Ende alle Seiten profitieren würden. Viele der Landjunker rechneten so. Marwitz tat das nicht. Er war zu materiellen Opfern durchaus bereit, wenn es um die Befreiung Preußens von den französischen Besatzern ging. Nicht jedoch zum Verzicht auf das ererbte Recht auf Führung, das seinem Stande eigen war.„Es geht nicht nur um den Beutel, es geht um Freiheit und Recht“, schrieb er einmal. Recht freilich nicht im Sinne allgemeinen Menschen- oder Naturrechts, wie es bei den Philosophen der Aufklärung Mode geworden, sondern gewachsenen Rechts, das den Landbesitzern über die Jahrhunderte von den legitimen Herrschern gewährt worden war.

Der Streit, der Marwitz 1811 schließlich für kurze Zeit nach Spandau brachte, wurde erbittert geführt, von beiden Seiten. Es war viel Hass in der Luft damals, zwischen Preußen und Franzosen genauso wie zwischen Reformern und Konservativen, wobei die Frage, wer für wen das größere Übel darstellte, durchaus nicht immer eindeutig beantwortet wurde.

Marwitz beantwortete sie letztlich eindeutig. Als zum Ende des Jahres 1812 Napoleons Niederlage in Russland offenkundig wurde, eilte er zu seinem Feinde Hardenberg und drängte den Staatskanzler zur Erhebung gegen die Besatzer; ließ sich als Offizier reaktivieren und führte eine Brigade Landwehr seiner Bauern in den Befreiungskrieg von 1813.

Nach dem Sieg über Napoleon erlahmte der Reformeifer in Preußen. Die kommenden eineinhalb Jahrzehnte brachten verfassungspolitische Teilsiege für Marwitz. So die Einrichtung der Provinziallandtage, so die Erhaltung von Adelsvorrechten wie der lokalen Polizeihoheit und Patrimonialgerichtsbarkeit der Gutsbesitzer.

Doch es blieben kurzlebige, unzureichende Erfolge in einem verlorenen Kampf, den er focht und in dem es um mehr als nur um das Bewahren ging. Marwitz hatte im Grunde hinter den Absolutismus zurückgewollt, ehe der Adel unter den Hohenzollernkönigen zur Hälfte schon ein Dienstadel geworden war in Militär und Verwaltung. Der Adelstitel sollte nach seiner Vorstellung strikt an den Grundbesitz gekoppelt bleiben. Das war im neunzehnten Jahrhundert beim besten Willen nicht mehr zu machen. Als Marwitz sich ab 1830 aus der Politik zurückzog, fühlte er sich als Gescheiterter; und er war es auch.


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