Der Reeder

Albert Ballin, stolzer Hamburger, glühender Patriot, ist als Generaldirektor der Hapag einer der wichtigsten Wirtschaftsführer im Deutschen Reich. Wilhelm II. schätzt ihn als Freund; Kritikern gilt er als „Kaiserjude“. Sein Aufstieg und Fall läuft zu dem des Reiches parallel. Den bitteren Absturz am Schluss überlebt er nicht.


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Bis kurz vor Ende ist es eine Märchengeschichte, wie man sie aus Amerika kennt. Aufstieg aus einfachen Verhältnissen an die Spitze der weltgrößten Reederei; erfolgreicher Firmenlenker; Ratgeber in der großen Politik.

Albert Ballin kommt im Hamburger Hafen zur Welt, Stubbenhuk 17. Sein Vater ist ein jüdischer Kleinunternehmer, Tuchfärber zunächst, später Auswandereragent. Das heißt: Er vermittelt Auswanderern nach Nordamerika die Atlantikpassage. Kein sehr angesehener Beruf, viele Betrüger tummeln sich dort, und ein mäßig einträglicher; für die kinderreiche Familie reicht es nicht zu Wohlstand. Als der Vater stirbt, übernimmt Albert, gerade siebzehn, die Leitung der Firma. Mit Fleiß und Geschick gelingen ihm Erfolge; eigene Schiffe werden angemietet, platzraubende Kajüten eingespart, die Passagen günstiger angeboten. Der Umsatz steigt. Der große Platzhirsch auf diesem Feld, die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft, kurz Hapag, ist von dem kleinen Konkurrenten so beeindruckt, dass man ihn kurzerhand schluckt. Ballin wird in die Führungsriege übernommen und steigt, mit einunddreißig Jahren, ins Hapag-Direktorium auf.

Sein Feld ist die Welt

Als Chef muss Ballin, den Schilderungen nach, eine beeindruckende Gestalt gewesen sein: charismatisch, zielstrebig, visionär; freilich auch penibel, manchmal jähzornig, hart zu seinen Mitarbeitern; gefürchtet sind seine Bordinspektionen. Hart ist er freilich auch zu sich selbst, arbeitet hundert Stunden in der Woche, ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit. Mit seinen Arbeitern geht er fürsorglich um. Wie die anderen Patriarchen der Zeit aber von oben; Mitbestimmung, Gewerkschaft, Sozialdemokratie sind ihm Teufelszeug.

Mit Ballin als Direktor, später Generaldirektor, fährt die Hapag gut. Neue Märkte werden erschlossen, die Flotte modernisiert. Ballin entdeckt Kreuzfahrten als neues Geschäft, da die Auswandererzahlen zurückgehen.

Mit dem Erfolg kommen die Neider, auch die Antisemiten. Der Aufstieg in die Wirtschaftselite macht Ballin zum Feindbild. Obwohl es manches erleichtert hätte, konvertiert er nicht; weniger aus Frömmigkeit als aus Stolz. Seiner Religion und Herkunft wegen bleibt seine Stellung, so stark sie ist, immer angreifbar.

Kaiserjude

Freilich gewinnt er mit der Zeit mächtige Freunde. Darunter einen, der unter den vielen dummen Sprüchen, die er im Leben tat, selber manchen antisemitischen Ausfall hatte: Kaiser Wilhelm II.

Es liegt in der Natur der Sache, dass die seefahrtbegeisterte Majestät mit dem Reedereichef engen Kontakt pflegt. Ballin geht regelmäßig zu Hofe; der Kaiser umgekehrt, zum Entsetzen der Hofschranzen, besucht seinen jüdischen Untertan gern in dessen Haus. Man schätzt sich und teilt manche Ansichten, die Vorliebe für Technik und Neuerungen zum Beispiel. Auch eine gewisse Neigung zum Protz; 1911 lässt die Hapag den „Imperator“ vom Stapel, größtes Passagierschiff der Welt, mit einem riesigen deutschen Aar als Galionsfigur. – Ballin wird zum Berater des Kaisers, fast auch zu mehr; einmal will Wilhelm ihn zum Reichskanzler ernennen. Das wäre aber, zu dieser Zeit, nur mit dem Übertritt zum Christentum zu haben gewesen. Ballin lehnt ab.

Stattdessen betreibt er Privatdiplomatie. Mit der amtlichen ist er unzufrieden, zumal mit dem Flottenwettstreit mit den Engländern. Doch Ballins Nebenaußenpolitik scheitert ebenso wie die der Wilhelmstraße.

Eigentlich ist er ein gewandter Diplomat. Ein Kartellrecht kennt man damals kaum, Marktabsprachen sind die Regel; große Unternehmen pflegen darum eine eigene „Außenpolitik“. Die macht Ballin für die Hapag sehr erfolgreich, gerade in England. Aber die Staatenpolitik mit ihren Irrationalitäten ist doch ein anderes Feld; die Liste gescheiterter Quereinsteiger, Wirtschaftsführer, Militärs, ist lang. Ballin vertut sich mehrfach. Sieht die Chance auf ein Bündnis mit England, wo keine ist; berichtet, im Juli 1914 als Emissär nach London geschickt, mit einer englischen Neutralität im drohenden Weltkrieg sei zu rechnen. Schwer zu sagen, ob das die Entscheidungsfindung in Berlin beeinflusste. Ein fataler Irrtum in jedem Fall.

Eine Welt zerbricht

Mit dem Krieg scheitert Ballins Lebenswerk. Die Belegschaft der Hapag wird großteils eingezogen, die Schiffe liegen untätig im Hafen; nur mit staatlichen Hilfen kann die Reederei überleben. Der Kaiser wiederum wird von den Militärs abgeschirmt. Ballins Initiativen, für einen Verständigungsfrieden, gegen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg, für rechtzeitige innere Reformen, dringen nicht durch.

Als in Hamburg die Arbeiter revoltieren und die roten Fahnen wehen, flüchtet Ballin in sein Privathaus und schließt sich im Arbeitszimmer ein. Dort, beim Schreibtisch, steht eine mannshohe Büste des Kaisers mit Adlerhelm. Ob Ballin seinen Herrn und Freund noch einmal anblickt, ehe er das Gift zu sich nimmt?

Die Ärzte bringen ihn noch durch die Nacht. Er stirbt am 9. November 1918 um die Mittagszeit. Ungefähr zur selben Stunde endet in Berlin das deutsche Kaiserreich.


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